Tag 209: Wilde Schönheit

von Franz Bujor
30.07.2014 22:27 Uhr

Bei all den vielen Gedanken, die ich mir in der letzten Zeit über mich selbst gemacht habe, habe ich oft vergessen, wie wunderschön, diese Welt eigentlich ist, durch die wir gerade wandern. Gestern Abend präsentierte sie sich dann so deutlich, dass auch ich es nicht mehr übersehen konnte. Nie zuvor hatte ich einen so großen und so schönen See gesehen, an dem nicht eine einzige Stadt lag. Die kargen Berghänge spiegelten sich im Wasser und während wir auf der Terrasse vor unserer Herberge unser Abendessen zubereiteten, ging langsam die Sonne hinter den Hügeln unter. Sie färbte sich orangerot und tauchte die ganze Szenerie in eine magische Atmosphäre. In der Herberge waren wir inzwischen ganz alleine. Auch die Leiter waren gegangen und hatten uns zwei Liter eisgekühlten Pfirsichsaft da gelassen, den wir uns nun schmecken ließen. Wenn man ab und an einmal aufhörte, sich nur auf sein Gedankenchaos zu konzentrieren und wenn man stattdessen einfach den Moment genießt, dann war das Leben wirklich etwas Herrliches. Für solche Momente lohnte es sich wirklich in der Früh aufzustehen und seinen Wagen zu packen. Und von diesen Momenten gab es viel mehr, als ich mir selbst bewusst war. Auch unterm Tag. Auch in der größten Anstrengung, wenn man glaubt, die beine Fallen einem ab, weil der Wagen wie eine Bleikugel ist und sich die neuen Schuhe wie Knechtstiefel anfühlen. Selbst in diesen Momenten gibt es noch so viel schönes um einen herum, dass man es fast nicht in Worte fassen kann. Heute beispielsweise durften wir wieder an wunderschönen Felsformationen vorbeiwandern und wir durften weiter und tiefer in diese unendliche und beeindruckende Savanne vordringen. Dabei wurde das Land zunehmend hügeliger, was es nicht unbedingt unanstrengender machte, aber eine schöne Aussicht bot. Ok, es war wirklich scheiße anstrengend und ich will das hier auch gar nicht schönreden. Unsere neuen Schuhe verursachen eine Blase nach der nächsten und wir hatten heute einen Gegenwind, der uns fast von der Straße gepustet hätte. Nie hätte ich geglaubt, das einem Wind als Fußgänger solche probleme bereiten konnte! Als Fahrradfahrer war das ja klar, aber als Fußgänger?

Und trotzdem waren wir unendlich dankbar dafür, dass uns der Wind heute begegnete und nicht gestern. Auf der Staubstraße währen wir sonst hoffnungslos erstickt. Hier war es nur anstrengend.

Nach gut 11km erreichten wir Cañaveral, eine kleine Ortschaft mit einem Hostal und einigen Bars. Wir überlegten, ob wir die Nacht hier bleiben sollten, doch dann wäre unsere morgige Etappe mehr als 26km lang. Oder 9km, wenn wir nur bis in den nächsten Ort liefen. Doch hinter Salamanca warteten einige Pakete auf uns und wir konnten sie dort nicht ewig warten lassen. Ab und an eine Etappe mit 9 oder 10km war ok, aber täglich ging das nicht. Also motivierten wir unsere müden Knochen und die schmerzenden Füße, noch eine zweite Wanderertappe anzupacken. Doch zuvor füllten wir unsere Wasser und Obstreserven wieder auf. Dabei bekamen wir von einer Frau, vor dessen Garten wir standen, einige Früchte und zwei Flaschen Wasser geschenkt. Auch ein Barkeeper sprach uns von sich aus an und gab uns Wasser, ohne dass wir ihn darum bitten mussten. Die Menschen waren hier wirklich um einiges freundlicher und hilfsbereiter als am Camino de Norte.

An dieser Stelle muss ich gestehen, dass ich mir schon wieder untreu geworden bin. In einer anderen Bar bekamen wir zwei Bocadillos geschenkt und wir teilten sie uns beide. Es hat also nicht geklappt, ganz auf Brot zu verzichten, aber es war das erste seit drei Tagen und es war mit wirklich gutem Käse und Schinken belegt. Ideal war es nicht, zumal wir danach noch einiges an Obst bekamen, aber eine Sünde innerhalb von drei Tagen ist vielleicht noch ok.

Der Weg nach Grimaldo beschenkte uns sogar noch reicher. Zunächst durften wir drei Schwarzmilane beobachten, die dicht über unseren Köpfen ihre Kreise zogen. Sie hatten ihre gelben Füße dicht an ihren Bauch gezogen und ließen sich vom Wind tragen. So direkt hatte ich die schönen Vögel bislang noch nicht beobachten können. Kurz darauf kamen uns zwei Radfahrer entgegen. Es waren zwei Männer aus Istambul, die mit dem Rad von Barcelona nach Lissabon fahren wollten. Dort wollten sie dann mit dem Schiff übersetzen und weiter durch Marokko fahren. Die beiden waren so herzliche Zeitgenossen, dass wir nicht anders konnten, als sie vom ersten Moment an zu mögen. Sie waren lustig, freundlich und weltoffen und bereits nach einer Minute luden sie uns zu sich ein, wenn wir auf unserer Reise nach Istanbul kamen. Zum Abschied schenkten sie uns dann noch zwei türkische Powerriegel aus Weitrauben und Nüssen. Wir haben sie noch nicht probiert, aber wir sind gespannt darauf.

Kurz vor Grimaldo kamen wir dann an einem Pflaumenbaum vorbei, der noch Früchte trug. Alle anderen, die wir in der letzten Zeit gesehen hatten, waren vollkommen leer oder verdorrt gewesen. Diese hier jedoch waren der absolute Knaller! Die schmeckten eigentlich nicht wirklich nach Pflaumen, sondern eher wie dieses eine Kaugummi, mit den grellen Farben, das so süß ist, dass man es eigentlich kaum essen kann. Wären die Pflaumen ein Gebäck gewesen, hätte man gesagt, dass es der Bäcker mit dem Zuckerstreuer ganz klar übertrieben hat. Doch dies waren Früchte und der Bäcker war in diesem Fall die Sonne gewesen. Dass es so etwas Süßes direkt frisch vom Baum gibt, hätte ich nicht gedacht.

Dann kam noch eine Kuriosität, mit der wir nicht gerechnet haben. Wir kamen an einem kleinen Truckerhotel vorbei und überlegten, ob wir dort um einen Schlafplatz bitten sollten. Da wir Essenstechnisch recht abgebrannt waren, entschieden wir uns zunächst dagegen, doch dann viel uns auf, dass es sich bei dem Hotel nicht nur um ein normales Hotel, sondern auch im ein angelagertes Bordel handelte.

„Meinst du, wir sollten doch einmal nachfragen?“ fragte Heiko.

„Es würde unsere Liste mit absolut skurrilen Schlafplätzen auf jeden Fall deutlich erweitern!“ meinte ich und versuchte mein Glück.

Wie sich herausstellte, war das Hotel geschlossen und auch auf mein Klingeln reagierte niemand. Spannend wäre es bestimmt gewesen, herauszufinden, ob sie uns aufgenommen hätten oder nicht.

Grimaldo selbst war ein Ort mit kaum mehr als 80 Einwohnern. Es gab eine Bar und daneben eine kostenlose Herberge. Dort trafen wir den Spanier wieder, dem wir auch schon in der Herberge in Casar des Cáceres begegnet waren.

Ihr könnt euch nicht vorstellen, wie unsere Füße aufatmeten, als sie endlich an die Freiheit durften. Es sind einige Blasen hinzugekommen und es wird wohl noch ein paar Tage dauern, bis wir die Schuhe so eingelaufen haben, dass sie angenehm werden.

Spruch des Tages: Genieße den Moment!

Höhenmeter: 190 m

Tagesetappe: 20 km

Gesamtstrecke: 4129,97 km

Franz Bujor
Franz Bujor ist Wandermönch, Web-Nomade und Autor. Nach einem Studium in Kulturwissenschaften, bei dem er unter anderem bei einem Maya-Volk in Guatemala gelebt und in einem Kinderheim in Serbien gearbeitet hat, war er zunächst als Erlebnispädagoge und Wildnismentor tätig. 2014 ließ er sein bürgerliches Leben hinter sich und reist seither zu Fuß und ohne Geld um die Welt. Neben seinem eigenen Entwicklungsweg schreibt Franz besonders gerne über geschichtliche und gesellschaftliche Themen.

Schreibe einen Kommentar:

Speichere Namen, Email und Webseite im Browser fur zukunftige kommentare