Tag 238: Triggerpunkte

von Heiko Gärtner
28.08.2014 22:06 Uhr

Bevor ich heute mit dem Tagesbericht beginne, möchten wir uns noch ganz herzlich bei Hans Walter Ott für die Spende bedanken! Außerdem möchte ich noch ein Video teilen, das wir als Kommentar von einer Leserin zum Artikel über die Tomatenverschwendung bekommen haben. Ich will gar nicht viel dazu sagen, aber wenn man es sich anschaut, erkennt man noch einmal, was für einen Stellenwert Nahrung in unserer Gesellschaft hat. Es kann einfach nicht wahr sein, dass wir einen Mangel daran haben. In Valencia gibt es eine Tradition oder vielmehr eine fette Party mit dem Namen Tomatina, bei der sich die Teilnehmer gegenseitig mit Tomaten bekriegen. Aber seht selbst:

YouTube

Mit dem Laden des Videos akzeptieren Sie die Datenschutzerklärung von YouTube.
Mehr erfahren

Video laden

Ansonsten ist heute nicht allzu viel passiert. In der Früh habe ich mich wieder einmal tüchtig über mich selbst geärgert, weil ich schon wieder alles verplant habe. Erst packte ich die Computertasche ein, ohne zu merken, dass meine Ersatzunterhose noch auf dem Bett lag. Ja, wir bewahren unsere Ersatzunterhosen in der Computertasche auf. Dann, als ich die Tasche neu packen wollte, stellte ich das Sonnenöl unüberlegt auf den Nachttisch. Dort hinterließ es einen dicken Ölrand, der wieder weggeputzt werden musste. Es waren Kleinigkeiten, aber sie nervten mich tierisch und sie reichten aus, dass ich sofort eine schlechte Stimmung bekam.

So konnte das nicht weitergehen. Es konnte doch nicht sein, dass ich nicht in der Lage war, auch nur einen Funken von einem System und einer Konzentriertheit in meinen Alltag zu bringen. Und es konnte noch weniger sein, dass ich schon soweit war, dass ich mir meinen Tag davon vermiesen ließ, dass ich in der Früh zwei kleine Handlungen verplante. Es musste eine Lösung her.

Dafür war das Wandern Gold wehrt. Es führte dazu, dass man automatisch seinen Kopf wieder frei bekam und die ganze Sache mit Abstand betrachten konnte. Plötzlich verstand ich, was das Problem war. Ich hatte mir meine Handlungsabläufe von Kind auf so antrainiert und nahm sie deshalb nicht wahr. Ich merkte es nicht, wenn ich Sachen beim Einpacken vergaß, weil ich nicht bewusst einpackte. Es war ein automatisierter Ablauf, der ohne Einsatz eines aktiven Denkprozesses stattfand. Genauso war es mit dem Sonnenöl. Es befand sich in meiner Hand und musste weg. Das war mir bewusst. Wo ich es hinstellte merkte ich erst als es dort bereits stand. Wenn ich meine Handlungen also ändern wollte, dann musste ich als erstes dafür sorgen, dass ich sie wieder bewusst ausführte. Und dazu brauchte ich einen Triggerpunkt.

Ein Triggerpunkt ist ein gedanklicher Punkt, den man sich selbst setzt, um sich etwas bestimmtes in Erinnerung zu rufen. Er wird bewusst mit häufig vorkommenden Handlungen oder Situationen verknüpft, so dass man sich selbst immer wieder erinnert. Ein Beispiel könnte sein: „Jedes Mal, wenn ich etwas esse oder trinke, dann erinnere ich mich daran, dass ich zu mir stehe und auf meine Gefühle achte.“ Oder: „Jedes Mal wenn ich an einer Ampel stehe, dann erinnere ich mich daran, dass ich meine Umgebung aufmerksam beobachten möchte.“ In meinem Fall wählte ich den folgenden Punkt: „Jedes Mal, wenn ich etwas in der Hand halte, erinnere ich mich daran, dass ich alle meine Handlungen bewusst, durchdacht, aufmerksam und konzentriert ausführe.“

Paulina: Der Satz wäre auch etwas für dich!

Ich war erstaunt, wie schnell sich dadurch etwas veränderte. Natürlich mache ich noch immer unüberlegte Handlungen und verplane einen Haufen Dinge, sobald ich irgendwie abgelenkt bin oder mehrere Sachen auf einmal kommen. Doch bereits Minuten nach Einführung des Triggerpunktes fielen mir Sachen auf, die ich zuvor nie bemerkt hatte. So steckte ich die kleine Kamera beispielsweise immer so in die Hülle, dass ich jedes Mal auf´s Display Fasste und es verschmierte. Das hatte ich zuvor nie bemerkt. Jetzt, da es mir bewusst war, konnte ich die Kamera ohne Mehraufwand einfach umdrehen und sie an der Stelle einstecken und herausnehmen, an der es extra eine Einkerbung für die Finger gab.

Der Triggerpunkt hatte auch noch andere lustige und spannende Folgen. Mir war zuvor gar nicht bewusst gewesen, für was man seine Hände alles braucht. Zum Essen zum Beispiel. Auch das machte ich nun bewusster und stopfte das Obst nicht einfach nur unachtsam in mich hinein. Aber auch zum Pinkeln braucht man seine Hände und mir war zuvor nicht bewusst gewesen, wie bewusst man pinkeln kann. Ihr solltet das mal ausprobieren. Ist eine gute Sache!

Unsere Tagesetappe führte uns 26km quer durch eine Agrarwüste, die einer echten um fast nichts mehr nachstand. Als wir vor Monaten nach Portugal einmarschierten und die Sonne uns im Zenit auf den Kopf brutzelte, hätten wir nie gedacht, dass der August in Spanien noch einmal so viel härter werden würde. Der Schweiß rann uns in Bächen vom Körper und jetzt wo ich das hier schreibe, fällt es uns beiden gerade schwer, überhaupt noch zu atmen, weil wir uns selbst langsam nicht mehr riechen können. Doch auch duschen hilft kaum noch etwas, denn allein das Abtrocknen ist schon so anstrengend, das man sofort wieder durchgeschwitzt ist.

„So eine 26km-Etappe mitten durch die Wüste ist doch gar nicht so unanstrengend, wie man immer denkt!“ sagte Heiko ironisch, als die Kleinstadt langsam am Horizont auftauchte. Unsere Füße waren wie gegrillt. Gut nur, das wir die Scarpa-Schuhe hatten. Sie waren zwar an den Zehen etwas eng, leisteten aber ansonsten ganze Arbeit.

Tembleque war genau die Art von Stadt, die wir uns als Tagesetappenziel nicht gewünscht hatten. Sie beherbergte etwa 2000 Einwohner, was genug war, dass sich niemand mehr kannte, aber zu wenig um eine wirkliche Infrastruktur zu bieten. Außerdem war hier gerade Fiesta und damit absoluter Ausnahmezustand. Gestern hatten sich alle bis in die frühen Morgenstunden besoffen und nun lag noch jeder im Koma. Nach einer Stunde Wanderung durch die Stadt und einer pampigen Absage des Pfarrers kam ich Ergebnislos zum Treffpunkt zurück. Gerade wollten wir schon aufbrechen, und unser Glück 5km weiter in der nächsten Ortschaft probieren, als ein Mann auf uns zu kam und uns nach einem kurzen Gespräch einen leerstehenden Rohbau als Schlafplatz anbot. Damit war die Sache geritzt! Auch für Essen war einigermaßen gesorgt, denn wir durften uns aus dem Garten mit Zucchini, Paprika und Gurken bedienen.

Spruch des Tages:

 

Oh großer Geist, dessen Stimme ich im Wind höre, und dessen Atem der ganzen Welt Leben gibt, höre mich!

Klein und schwach bin ich.

Deine Kraft und Weisheit brauche ich.

Befähige mich, in schöner und heiliger Weise zu leben.

Befähige meine Augen, die roten und purpurfarbenen Sonnenuntergänge immer zu sehen.

Befähige meine Hände und mein Herz, alles zu respektieren, was Du erschaffen hast.

Befähige meine Ohren, Deine Stimme immer zu hören und Deine spirituelle Führung zu empfangen, wenn ich aufrichtig um ein Zeichen, eine Vision, einen Traum oder die Erfüllung eines Gebetes bitte.

Mache mich weise, damit ich all das verstehen kann, was Du mein Volk bereits gelehrt hast.

Laß mich verstehen lernen, welche Lehre Du in jedem Stein, in jedem Blatt und in jedem Kraut verborgen hast.

Ich suche Deine Kraft nicht, um besser zu sein als mein Bruder oder meine Schwester, sondern um meinen größten Feind zu bekämpfen

– mich selbst - .

Mache mich stets bereit, so zu leben, dass Deine Augen lächelnd auf mich schauen werden, wenn meine Taten oder Gedanken von mir und Dir geprüft werden.

Mach mich stets bereit, meine Brüder und Schwestern und alle Geschöpfe von Mutter Erde so zu behandeln, wie ich selbst behandelt werden möchte: mit Liebe, Gerechtigkeit, Achtung, Würde, Integrität und Respekt.

Wenn das Leben verblasst wie der verblassende Sonnenuntergang mache meine Augen klarsehend und meine Hände und mein Herz frei von Blutvergießen, Zerstörung, Hass, oder Missachtung von Mutter Erde, so dass meine Seele ohne Scham zu Dir kommen kann.

Ho!

(Indianisches Gebet)

 

Höhenmeter: 60 m

Tagesetappe: 26 km

Gesamtstrecke: 4692,47 km

Heiko Gärtner
Heiko Gärtner ist Wildnismentor, Extremjournalist, Survivalexperte, Weltreisender und einer der führenden Experten auf dem Gebiet der Antlitz- und Körperdiagnostik. Nachdem er einige Jahre als Agenturleiter und Verkaufstrainer bei einer großen Versicherungsagentur gearbeitet hat, gab er diesen Job auf, um seiner wahren Berufung zu folgen. Er wurde Nationalparkranger, Berg- und Höhlenretter, arbeitete in einer Greifenwarte und gründete schließlich seine eigene Survival- und Wildnisschule. Seit 2014 wandert er zu Fuß um die Welt und verfasste dabei mehrere Bücher.

Schreibe einen Kommentar:

Speichere Namen, Email und Webseite im Browser fur zukunftige kommentare