Tag 269: Mit dem Rad um die Welt

von Heiko Gärtner
27.09.2014 19:52 Uhr

Ich weiß gar nicht, wie ich das Gefühl, dass diese Gegend hier vermittelt, so beschreiben kann, dass es wirklich rüber kommt. Denn nur tot oder trostlos reicht nicht aus. Es ist wirklich so, als wäre unsere Zivilisation gerade untergegangen und alle Menschen wären von diesem Planeten verschwunden. Einige wenige haben überlebt und wohnen nun alleine in Wohnanlagen, die ursprünglich für hunderte von Menschen konzipiert wurden. In dem Ort, den wir als erstes durchquerten, gab es mehrere Wohnanlagen, die locker ihre 100 Millionen Euro gekostet haben. Sie hatten eigene Swimmingpools, eigene Spielplätze und eigene Parkanlagen. Doch sie waren nie benutzt worden. Die Parks waren überwuchert, der Pool war leer und seine Fliesen waren gesprungen. Die Fensterscheiben waren eingeschmissen, die Türen verbarrikadiert und der gesamte Komplex war mit einer schweren Eisenkette verriegelt worden. So ging es weiter. Die Strandpromenaden waren überwuchert, die Villen mit Meerblick verfallen. Dabei war es eigentlich eine richtig schöne Gegend. Die Parks und die Promenaden waren liebevoll und geschmackvoll erbaut worden und hatten viele schöne Details. Doch die Natur holte sich bereits alles wieder zurück. In ein paar Jahren waren die Holzbohlen zerbrochen, die Steinplatten gesprengt und die Mauern eingefallen. Dann würde das Geisterfeeling hier perfekt sein.

Alles in allem fühlte es sich ein bisschen wie eine dunkle Prophezeiung an. Wie ein Blick in die Zukunft, wenn es der zivilisierte Mensch wirklich geschafft hatte sich mit seinem kurzsichtigen und rücksichtslosen Lebensstil selbst zu vernichten, um Platz für etwas Neues zu schaffen.

Ein Mann auf einem Fahrrad überholte uns und sprach uns auf bestem Niederbayrisch an. Er machte mit seinem Wohnmobil in der Nähe Urlaub und stand gerade auf einem Campingplatz hier im Ort. Er erzählte uns, dass viele der Campingplätze hier fast nur noch von Obdachlosen bewohnt wurden. Es waren Menschen, denen früher einmal diese Wohnkomplexe gehörten, die sich durch die Fehlkalkulation jedoch selbst in den Ruin getrieben hatten. Was für eine Ironie, als verantwortlicher für diese Geisterstädte dazu verdammt zu sein, als Schatten der eigenen Existenz auf einem Campingplatz zu hausen und jene Menschen zu bestehlen, denen man eigentlich eine Wohnung hier verkaufen wollte.

Die erste Stadt, die zumindest ein bisschen belebt war, war das rund 14km entfernte Moncofa. Die junge, leicht korpulente Dame mit dem schlechtrasierten Damenbart, bat uns auf Englisch mit ihr zu sprechen, weil sie bereits seit einem Jahr nicht mehr die Gelegenheit dazu hatte und daher fürchtete, es zu verlernen. Als wir uns der Information näherten, winkte sie uns bereits von Weitem hinein, damit sie endlich wieder einmal etwas zu tun hatte. Unserer Frage, ob die Gegend hier insgesamt so tot wäre, oder ob sich das nur auf ein paar Ortschaften beschränkte, wich sie jedoch aus. „Das wirkt nur so, weil immer Strandabschnitte dabei sind, an denen es keine Häuser gibt. Sonst ist die Gegend hier schon bewohnt!“

Ob sie versuchte, sich das selbst einzureden, um sich nicht so einsam zu fühlen, oder ob sie glaubte, dass sie das den Touristen weißmachen musste, um nicht auch noch die letzten zu vertreiben, weiß ich nicht. Doch besonders überzeugt war sie von ihrer eigenen Aussage jedenfalls nicht.

Auf dem Weg zum Rathaus trafen wir eine Familie aus Holland, die bereits seit sechs Jahren mit dem Fahrrad unterwegs ist. Von allen anderen Reisenden, die wir unterwegs getroffen haben, waren sie die beeindruckensten! Sie hatten grundsolide Räder, bei denen einfach alles aufeinander abgestimmt war, so dass sie komplett autark leben konnten und auf jede Situation angepasst waren. Die beiden Jungs mussten so im Alter zwischen 14 und 16 gewesen sein, wirkten aber deutlich weiter und reifer als alle anderen Jugendlichen in dem Alter, die wir je kennengelernt haben. Und wir haben als Erlebnispädagogen wirklich viele kennengelernt. Die beiden zogen je einen Radanhänger hinter sich her, der mit Gepäck und dazugehörigem Fahrrad rund 90kg wog. Die Räder der Eltern wogen noch einmal 50gk, was ein Gesamtgepäck von 280kg macht. Eine ordentliche Menge also. Vor sechs Jahren hatten sie in den USA mit einem Tandem angefangen und hatten ihre Ausrüstung seither immer wieder verfeinert. Seither waren sie vor allem durch Europa und Asien gereist. Spannender Weise hatten sie in Spanien ähnliche Erfahrungen gemacht, wie wir. Vor allem der Vater hatte einiges an Wut und Endtäuschung aufgestaut und freute sich daher einmal alles loswerden zu können, bei jemandem, der ihn wirklich verstand. Es ging ihm wie uns. Es wollte möglichst schnell wieder in ein anderes Land. Überwintern würden die vier in Basel, wo sie von einem Bekannten ein Zimmer zu einem sehr geringen Mietpreis bekommen konnten. In dieser Zeit wollten sie mit einigen Jobs wieder etwas Reisebudget anhäufen und der Sohn wollte seinen Online-Uni-Abschluss fertigstellen. Der einzige Haken an der Sache war, dass das Zimmer nur eine Größe von 4x5m hatte. Für vier ausgewachsene Personen mit 280kg Gepäck also eine ziemlich kleine Winterhöhle. Wir waren zu tiefst beeindruckt, wie gut sie sich verstehen mussten, wenn das gut ging. Aber irgendwie hatten wir das Gefühl, dass sie es wirklich schaffen konnten. Alle vier waren wahnsinnig angenehme Menschen mit einer positiven, freundlichen und liebenswerten Ausstrahlung, so dass man sich sofort willkommen fühlte. Leider mussten sie recht schnell weiter, da auch sie noch einen Platz zum übernachten brauchten. Uns ging es ähnlich und so trennten wir uns bereits nach kurzer Zeit wieder voneinander. Als wir die kurze Zeit später noch einmal wiedertrafen, fragten sie fürsorglich, ob wir einen Schlafplatz gefunden hatten.

„Ja,“ sagte Heiko, „wir dürfen in einem Raum der Polizei übernachten!“

Der Vater war sichtlich erleichtert. „Das freut mich wirklich!“ sagte er, „es macht ein Gutes Gefühl, zu wissen, dass ihr versorgt seid.“

Das beeindruckte uns gleich noch mehr. Obwohl wir sie gerade einmal seit wenigen Minuten kannten, machten sie sich bereits mehr Gedanken über unser Wohlergehen, als nahezu alle Spanier, die wir kennengelernt hatten.

Am meisten beeindruckte uns jedoch, wie gepflegt und ordentlich die vier aussahen. Sie wirkten so, als wären sie gerade erst heute Morgen aufgebrochen und waren doch schon seit 4 Jahren unterwegs. Alle anderen Langzeitreisenden hatten mit der Zeit immer etwas Verwildertes an sich gehabt und nicht wenigen hatten einen Touch von Obdachlosigkeit. Diese Menschen hier jedoch nicht. Sie wirkten frei und strahlten eine unglaubliche Leichtigkeit aus, aber sie waren kein bisschen Ungepflegt. Dagegen kamen wir uns gleich etwas schäbig vor, vor allem, wo die Körperpflege in den letzten Tagen so vernachlässigt worden war. Gegenüber den Spaniern störte uns das nicht, da wir das Gefühl hatten, doch noch gepflegter zu sein, als die meisten Einheimischen. Aber nach der Begegnung mit den vieren hatten wir schon den starken Drang und wieder einmal zu rasieren, zu waschen und unsere Kleidung zu reinigen. Nachdem uns der Polizist gerade verboten hat, sie im Freien aufzuhängen, weil das keinen guten Eindruck mache, müssen wir jetzt allerdings hoffen, dass sie wieder trocken werden.

Zum Abschluss noch eine kurze Erkenntnis zum Thema Sonnencreme: Die ökologische Sonnencreme, die wir geschenkt bekommen haben, enthält laut Inhaltsangaben lediglich Zinkoxid, Sonnenblumenöl, Bienenwachs und das Extrakt eines Meeresbewohners den ich nicht kenne. Auf Englisch heißt er Seabuckthorn, also Seekäferstachel, aber übersetzt wird er sicher anders. Obwohl also nur biologische, natürliche Inhaltsstoffe angegeben werden, ist die Verpackung voller Warnhinweise: Nicht an Kinder geben, nicht essen, nicht in die Augen bringen, nicht auf wunde oder verletzte Hautpartien aufbringen und so weiter. Da muss man sich doch schon einmal fragen, warum man das alles schreiben muss, wenn doch angeblich nichts Giftiges drin ist. Heikos starke, allergische Reaktion jedenfalls ließ etwas anderes vermuten.

Jetzt, da er gezwungen war auf die Sonnencreme zu verzichten und nur noch das reine Öl verwenden kann, wird seine Haut übrigens auch stetig brauner. Und das obwohl es noch am Anfang des Sommers so aussah, als wäre er einfach ein heller Hauttyp, der sich der Sonne nicht so lange aussetzen darf und für den das Pflanzenöl einfach nicht stark genug war. Doch ganz offensichtlich hat die Ernährung wirklich einen viel größeren Einfluss darauf, als wir es für möglich gehalten hätten. Denn je länger wir uns nun schon basisch, toxidarm und nährstoffreich ernähren, desto weniger kann uns die Sonne etwas anhaben.

Spruch des Tages: Ein kleiner Vorgeschmack auf das Ende der Welt

Heiko Gärtner
Heiko Gärtner ist Wildnismentor, Extremjournalist, Survivalexperte, Weltreisender und einer der führenden Experten auf dem Gebiet der Antlitz- und Körperdiagnostik. Nachdem er einige Jahre als Agenturleiter und Verkaufstrainer bei einer großen Versicherungsagentur gearbeitet hat, gab er diesen Job auf, um seiner wahren Berufung zu folgen. Er wurde Nationalparkranger, Berg- und Höhlenretter, arbeitete in einer Greifenwarte und gründete schließlich seine eigene Survival- und Wildnisschule. Seit 2014 wandert er zu Fuß um die Welt und verfasste dabei mehrere Bücher.

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