Tag 268: Nach dem Ende der Welt

von Heiko Gärtner
27.09.2014 19:39 Uhr

Langsam bekommen wir immer mehr das Gefühl, dass es für uns in Spanien noch irgendetwas zu lernen gibt, vor dem wir uns offensichtlich drücken wollen. Oder aber das Land ist einfach verflucht. Auf jeden Fall fühlt es sich so an, als würde es und wie mit Krakenarmen festhalten und immer wieder zurückziehen. Allein, was wir in den letzten Tagen für Umwege gelaufen sind war enorm. Immer wenn wir gerade das Gefühl haben, ein Stück voranzukommen, landen wir in einer Sackgasse, kommen vom Weg ab oder müssen durch einen undurchdringlichen Irrgarten aus Orangenplantagen, der uns am Ende dort wieder ausspuckt, wo er uns am Anfang verschlungen hat.

Heute waren wir nun endgültig überzeugt davon, dass dies ein Ende haben würde. Wir waren am Strand und was gab es einfacheres als der Küste zu folgen?

Und doch schaffte es das Schicksal, uns wieder einmal fest zu umklammern und an der Flucht zu hindern.

Zunächst lief alles sehr gut. Wir schlenderten die Promenade entlang, kamen gut voran und hatten reichlich Obst um immer wieder zu naschen. Dann jedoch merkte Heiko, dass irgendetwas mit seinem Wagen nicht stimmte. Wir hielten an um nachzusehen, was es war und konnten unseren eigenen Augen nicht trauen. Es war wieder ein Achsbruch. Wie war das möglich? Die Achse war doch komplett in ein Stahlrohr geschraubt und an vier Stellen fixiert worden. Das konnte einfach nicht wahr sein! Die Wirklichkeit sah das leider ganz anders. Die Achse war genau an einer Fixierung in zwei Teile gebrochen und wurde nur noch durch die Aufhängung gehalten. Zum Glück hatte Ben uns für solch einen Fall bereits beim ersten Achsbruch eine Ersatzachse zugeschickt. So hieß es nun also alles auspacken, den Wagen bis auf die letzte Schraube auseinandernehmen, die Achsen wechseln und alles wieder zusammenbasteln. Gut das wir den Wagen an so vielen Stellen nicht nur verschraubt, sondern auch verklebt hatten. Wenn Heiko nicht schon als kleiner Junge alles zerlegt und wieder zusammengebaut hätte, dann hätten wir ordentlich mit dem Ofenrohr ins Gebirge geschaut. Vor allem, wo wir in einer Urlaubsgegend waren, wo es unmöglich war, auch nur eine Zange von einem Anwohner zu borgen.

Per Telefon kontaktierten wir unseren Pilgerwagenverkäufer und beschrieben ihm unsere Lage. Der gelbe Engel der Pilgerwagen organisierte uns gleich zwei neue Ersatzachsen und sendet sie uns sogar per Express zu, damit wir sie in den kommenden Tagen erhalten. Es ist gut zu wissen, dass man sich auf den Erbauer der Pilgerwagen verlassen kann, wenn einmal etwas schief geht. Und das kann man auf jeden Fall. Unser Wagen in der Größe und mit dem Gewicht ist ein absoluter Prototyp, aber langsam haben wir gemeinsam mit dem Erbauer wohl so ziemlich alle Kinderkrankheiten ausgemerzt. Und wenn man bedenkt, dass wir nun bereits über 5000km mit den Wagen unterwegs sind und dabei noch keinen Pilgerwagenbesitzer getroffen haben, der nicht deutlich mehr Pannen hatte, dann können wir wirklich stolz auf unsere treuen Gefährten sein.

Nachdem Heikos Wagen wieder rund lief folgten wir weiter der Küste in Richtung Nord-Osten. Doch die Promenaden endeten und wir mussten immer weiter vom Meer abgehen, um der Straße zu folgen. Schließlich kamen wir an eine Kreuzung, von der die rechte Seite nach Sackgasse aussah. Wir folgten also der Linken und kamen dabei auf eine Straße, die uns immer weiter ins Landesinnere führte. Jede Abzweigung, die aussah, als würde sie uns zurück ans Meer führen, endete im Nichts. Also folgten wir der Staße bis an die Autobahn, bogen dann nach Rechts ab und wanderten bei der nächsten Möglichkeit wieder ans Meer zurück. Der Umweg betrug locker 5km und am Ende kamen wir nur rund einen Kilometer von der Kreuzung entfernt am Meer an, an der wir zuvor abgebogen waren.

Hier aber erwartete uns etwas, das sogar noch das Zombieland von gestern übertraf. Wir hatten damit gerechnet, dass es am Mittelmehr schwierig werden könnte, weil hier zu viel Tourismus herrschte. Dass wir jedoch in komplett ausgestorbenen Geisterstädten landen würden, in denen es nicht einmal mehr eine Bar gab, das konnten wir beim besten Willen nicht glauben. Es war wie nach einer Atomkatastrophe oder nach einem Weltuntergang. Überwucherte Strandpromenaden, verfallene Wochenendhäuser, verbretterte Altersresidenzen und lang verlassene Hotels prägten das Bild. Dazu kam eine schwere Wolkendecke, die alles in eine düstere Endzeitatmosphäre tauchte. Selbst die Begegnung mit einem Pärchen aus Bremen, das auf einem der leeren Parkplätze seinen Wohnwagen geparkt hatte, wirkte irgendwie gespenstisch. Wobei es etwas sehr aufmunterndes hatte, dass sie uns mit Bananen und frisch gepresstem Orangensaft versorgten.

Schließlich stellten wir unser Zelt auf einer Wiese hinter dem Strand auf und kochten oben an der Promenade unser Abendessen. Nach den Strapazen des Tages war ein Dinner bei Sternenlicht und Meerblick zum Abschluss ein wirklich entspannender und stimmungsvoller Ausklang. So ließ es sich aushalten!

Spruch des Tages: Finde den Ausgang aus dem Labyrinth.

 

Höhenmeter: 5 m

Tagesetappe: 23 km

Gesamtstrecke: 5255,87 km

Heiko Gärtner
Heiko Gärtner ist Wildnismentor, Extremjournalist, Survivalexperte, Weltreisender und einer der führenden Experten auf dem Gebiet der Antlitz- und Körperdiagnostik. Nachdem er einige Jahre als Agenturleiter und Verkaufstrainer bei einer großen Versicherungsagentur gearbeitet hat, gab er diesen Job auf, um seiner wahren Berufung zu folgen. Er wurde Nationalparkranger, Berg- und Höhlenretter, arbeitete in einer Greifenwarte und gründete schließlich seine eigene Survival- und Wildnisschule. Seit 2014 wandert er zu Fuß um die Welt und verfasste dabei mehrere Bücher.

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