Tag 273: Die Geschichte des Klopapiers

von Heiko Gärtner
02.10.2014 21:41 Uhr

Zunächst einmal ein fettes Danke an unseren Pilgerwagendealer für die beiden Ersatzachsen, mit denen wir jetzt auf alle Eventualitäten vorbereitet sind. Und an Birgit für die beiden neuen T-Shirts. Damit sehen wir nun erstmal wieder wie Menschen aus und nicht wie Trolle in zerrissenen oder verblichenen Lumpen. Ein ziemlich angenehmes Gefühl.

Unser Weg führte uns heute zunächst durch ein Küstendorf, dass wirklich komplett für den Massentourismus aus dem Boden gestampft wurde. Hier gab es Platz für mindestens 500.000 Menschen, die sich an den Strand oder in die Bars flacken konnten. Jetzt war die Saison natürlich vorbei, aber im Sommer musste hier die Hölle los sein.

Die zweite Hälfte der Tagesetappe wanderten wir dann hingegen wieder durch komplett unbewohntes Gebiet, das nur aus Feuchtwiesen und Feldern bestand. Ein einsamer Mann sprühte Gift auf sein Melonenfeld, auf dem nur etwa fünf Melonenpflanzen wuchsen. Warum machte er das? Er hatte keinen Atemschutz und atmete daher ebenso viel Gift ein, wie die Pflanzen, die er töten wollte. Es machte also ihn, sein Feld und seine Melonen kaputt. Sinnvoll erschien uns das nicht, aber es war traurig zu sehen, wie gut die Gehirnwäsche in diesem Bereich funktionierte.

In Torreblanca gab es leider keine Bleibe für uns und so wanderten wir noch einmal 10 Kilometer weiter bis nach Alcossebre. Auch hier hatten wir schlechte Karten. Es war zwar ebenfalls ein reiner Touristenort, der mehr als genügend Hotels zu verzeichnen hatte, doch zu dieser Jahreszeit hatten alle geschlossen. Alle bis auf das Grandhotel, doch die mochten uns nicht.

Bevor wir uns also auf die Suche nach einem Schlafplatz machten, führte ich noch ein längeres Gespräch mit zwei Polizisten. Sie waren absolut davon überzeugt, dass es in ganz Spanien unmöglich sei, einen Schlafplatz von der Stadt oder der Polizei zu bekommen. So etwas machten die Städte einfach nicht. Menschen, die kein zuhause hatten, mussten eben auf der Straße schlafen. So waren die Dinge nunmal. Das einzige, was man hier bekommen konnte, war ein Bocadillo und eine kleine Flasche Wasser. Mehr nicht! Es gibt keine sozialen Einrichtungen in Spanien. Nirgendwo! Dass wir in diesem Bereich deutlich andere Erfahrungen gemacht hatten, interessierte sie einen feuchten Kehricht. In Frankreich könne man schließlich auch nicht einfach irgendwo zu einem Rathaus gehen und den Bürgermeister nach einem Schlafplatz fragen. „Doch!“ antwortete ich, das könne man sehr wohl und in den meisten Fällen würde man da auch etwas bekommen. In Spanien wäre das prinzipiell sogar ähnlich, nur offensichtlich in dieser Stadt nicht und auch in einigen anderen.

Das könne nicht sein, erwiderten sie, das gäbe es in Spanien nicht. Ich fragte, ob ich es dann richtig verstehe, dass sich die Politik also nicht um Bedürftige kümmere und dass dem Staat und seinen Vollstreckern die Menschen tendenziell eher gleichgültig waren.

„Nein!“ entrüstete sich der Mann, „so kann man das definitiv nicht sagen. Spanien ist die Nummer eins, wenn es um Soziales Engagement geht! Trotz der Wirtschaftskrise spenden wir Geld an Afrika und liefern dort Fleisch und andere Wahren hin.“

„Ihr gebt also viel Geld für vollkommen nutzlose Hilfe aus, die dazu führt, dass die afrikanischen Märkte kaputt gehen, aber Hilfe, die etwas bringt und die dazu noch absolut kostenlos wäre, kommt in eurem Konzept nicht vor?“ fragte ich.

„Doch wir geben auch viel Geld für medizinische Versorgung aus! Wenn die Armen in unserem Land krank werden, dann stellen wir ihnen Ärzte!“

„Du meinst, wenn sie krank werden, weil sie zuvor auf der Straße leben mussten?“ fragte ich und entwickelte langsam eine Freude daran, den Polizisten etwas zu provozieren. Doch sinnvolle Antworten bekam ich leider keine. Ich hoffe nur, dass der Polizist nicht die wirkliche Meinung der Regierung vertritt. Denn wenn er das tat, dann war es sogar noch tragischer, als wir vermutet hätten.

Letztlich wichen wir dann wieder auf einen Zeltplatz aus. Diesmal in einem kleinen Kiefernhain direkt neben der Strandpromenade mitten im Ort. Das ist nicht ideal aber inzwischen ist es so dunkel, dass hier eh keiner mehr vorbei kommt. Vor allem nicht in einem Ort, in der um diese Zeit so ausgestorben ist, wie dieser.

Jetzt aber zu der offenen Frage von gestern, auf die ich euch noch eine Antwort schuldig geblieben bin:

Wann, wie und warum wurde das Toilettenpapier überhaupt erfunden, das heute aus unseren Badezimmern kaum mehr wegzudenken ist?

Die ersten bekannten Belege über die Benutzung von Klopapier stammen interessanter Weise aus dem 14. Jahrhundert aus China. Im Jahre 1391 wurde es hier für den Kaiser hergestellt und dieser war offensichtlich sehr zufrieden damit, denn das kaiserliche Versorgungsamt orderte daraufhin eine Klopapiermenge von 720.000 Blatt pro Jahr. Dazu muss man jedoch wissen, dass ein solches chinesisches Klopapierblatt rund einen halben Quadratmeter groß war.

Bis die Idee des Klopapieres dann jedoch auch in die westliche Welt überschwappte, dauerte noch knapp 500 Jahre. Erst 1857 stellte der Amerikaner Joseph Gayertty zum ersten Mal industriell Klopapier her. Unsere scheinbar unendlich lange Tradition der Klopapiernutzung ist also nicht einmal 200 Jahre alt! Hättet ihr das gedacht? Zuvor verwendeten die Menschen hierzulande vor allem Zeitungspapier oder ähnliches. Gayetty fertigte damals einzelne Blätter an, die er Mit Aloe Vera tränkte und in kleinen Schachteln verkaufte. Die typische Klo-Rolle wurde dann 1890 von der Scott Paper Company erfunden. Diese schämte sich jedoch so sehr, dafür einen Toilettenartikel zu produzieren, dass sie den Firmennamen nicht auf ihr Produkt schrieben. Ähnlich ging es der englischen Firma W.C. Alcock, die ihre Variante des Klopapiers vorsichtshalber als Papierlockenwickler verkaufte.

Bis das Toilettenpapier wie wir es kennen auch in Deutschland populär wurde, dauerte es dann übrigens noch einmal weitere 40 Jahre. Erst 1928 wurde die erste Rolle von einem Unternehmer namens Hans Klenk produziert. Er machte sich anders als seine englischsprachigen Kollegen die Scham der Menschen jedoch zu nutze und warb für sein Produkt mit dem Slogan: „Verlangen Sie eine Rolle Hakle, dann brauchen Sie nicht Toilettenapier zu sagen!“ Damit gab es auch bei uns erstmalig eine Alternative zum Zeitungspapier, zu Katalogen und anderen Papierfetzen. Die Hakle-Rolle bestand damals noch aus Krepppapier und war bei weitem Kratziger als das heutige Klopapier, doch im Vergleich zu einer Zeitung war es schon deutlich angenehmer. Dennoch waren die Menschen von dieser Erfindung zunächst gar nicht überzeugt. Die Amerikaner sahen nicht ein, warum sie viel Geld für etwas ausgeben sollten, das mit kostenlosen Werbebroschüren genauso gut erledigt werden konnte. Auch in Deutschland war der Kauf von Klopapier im Supermarkt noch zu Zeiten Adenauers ein Anlass, sich in Grund und Boden zu schämen, wenn einen dabei jemand beobachtete. Vielen Menschen ist es heute nicht mehr so peinlich ein Pornoheftchen auf das Laufband der Kasse zu legen, wie damals eine Rolle Toilettenpapier.

Heute hingegen ist der Stoff zum Hintern abwischen nicht nur absolut gesellschaftstauglich geworden, sondern sogar bis in den letzten Winkel von Marktforschern analysiert worden. Daher weiß man auch, dass es sowohl individuell als auch kulturell unterschiedliche Typen von Klopapiernutzern gibt. Fast jeder in den USA und jeder dritte in England knüllt sein Klopapier zu kleinen Kügelchen zusammen. Daher ist das Papier in Amerika auch deutlich flacher als in Deutschland und hat nahezu keine Struktur. Besonders effektiv ist diese Methode jedoch nicht, denn mit einem durchschnittlichen Verbrauch von 57 Blatt am Tag und 25kg pro Jahr liegen die USA und Kanada im Internationalen vergleich eindeutig vorne. Da die Knüllmethode in Britanien nur von 30% der Menschen angewandt wird, ist der Verbrauch hier mit 17,6kg pro Jahr und Kopf schon um einige geringer. Wir Deutschen neigen hingegen dazu, unser eh schon mehrlagiges Papier noch weiter zu falten und kommen damit auf einen Verbrauch von 13kg bis 15kg, je nachdem welcher Statistik man glaubt. Dabei gibt es jedoch auch noch individuelle Unterschiede, wie zum Beispiel den Wickler, der sich das Toilettenpapier um die Hand wickelt und den 2-3-Blatt-Nutzer, der immer nur ein bisschen Papier von der Rolle reißt, es dann wegwirft und wieder ein neues nimmt.

Die Belgier liegen mit einem Durchschnittsverbrauch von 10kg pro Jahr noch ein gutes Stück darunter, wobei wir leider nicht rausfinden konnten, wie sie sich den Hintern abwischen.

In den USA ergibt sich aus dem Klopapierverbrauch so jährlich ein Markt von rund 2,4 Milliarden Dollar! In Deutschland waren es nach Angaben des European Tissue Symposium im Jahr 2003 652,9 Millionen Euro. Seit dem ist der Verbrauch jedoch noch einmal stark gestiegen und er steigt auch heute noch weiter an.

Bislang haben wir dabei jedoch nur das Klopapier an sich betrachtet. Nimmt man Papiertaschentücher, Servierten, Küchenrollen, Windeln und Inkontinenzprodukte hinzu, so liegt der Verbrauch in Deutschland bei insgesamt 18 Kilogramm pro Kopf und Jahr.

Auch dieses Papier enthält die gleichen Chemikalien und die gleichen Gift-, Farb- und Zusatzstoffe. Es wurde auf die gleiche Weise chemisch aus dem Faserverbund ausgelöst oder aus giftigem Altpapier gewonnen und es wurde ebenso mit Chlorverbindungen gebleicht, die giftige Rückstände hinterlassen. Mit ihnen putzen wir uns dann die Nase oder decken unsere Lebensmittel damit ab, um sie vor Fliegen zu schützen. Unseren Babys und kleben wir sie sogar als Windeln am Hintern fest und wundern uns dann, warum ihre Verdauung immer schlechter wird. Das gleiche machen wir mit inkontinenten Menschen, die eh schon große Probleme in diesem Bereich haben.

Und auch hier gilt wieder einmal der Grundsatz „Wie im Innen so im Außen“ Im gleichen Maße, in dem wir den Reichtum der Natur durch unser Handeln zerstören, um uns damit den Arsch abzuwischen, steigt auch die Giftkonzentration, die wir darüber in unseren eigenen Körper aufnehmen. In den letzten 60 Jahren haben wir es geschafft, die hälfte aller Urwaldflächen auf der Welt zu zerstören. In nur 60 Jahren! Wenn unser Holzverbrauch im gleichen Maße weiter steigt, dann brauchen wir keine 30 Jahre mehr, um auch die andere Hälfte zu vernichten. Dabei vergessen wir jedoch, dass die Wälder nicht nur der Lebensraum unzähliger uns zum Teil noch völlig unbekannter Lebewesen sind, die wir dadurch ebenfalls vernichten. Sie sind auch die Lungen unserer Erde und sorgen dafür, dass wir als Menschen überhaupt lebensfähig sind. Wir sägen damit also buchstäblich an dem Ast auf dem wir sitzen. Spannend ist in diesem Zusammenhang eine Studie von Greenpeace, bei der Passanten gefragt wurden, ob es ihnen wichtig ist, dass ihr Klopapier aus wiederverwertetem Material besteht oder ob ihnen die Wälder egal sind. Das Ergebnis war eindeutig: Fast niemand will, das Wälder und Ökosysteme für Klopapier gerodet werden. Gleichzeitig fiel jedoch der Verbrauch von Hygienepapier aus Altpapier in den letzten 10 Jahren von 70% auf 50%, was mit dem Umfrageergebnis nicht ganz übereinstimmt. Es zeigt aber auch, dass sich die Herren und Damen von Greenpeace selbst auch noch nicht wirklich mit dem Thema befasst haben, denn andernfalls würden sie wohl kaum das Altpapier propagieren, das durch die Wasserverschmutzung ebenso schädlich ist. Obwohl die Geschichte des Klopapiers in Deutschland nicht einmal 100 Jahre alt ist, vergessen wir bei dem Wettstreit der Hersteller um das weichste, flauschigste, blumigste und angenehmste Produkt, dass es überhaupt noch andere Methoden der Ausscheidungsreinigung gibt. Nicht einmal die Umweltorganisationen sehen Alternative zu Klopapier und versuchen nur, von einem Übel zum nächsten zu wechseln. Ob die Toilettenpapierverbrauchern vielleicht doch unbewusst spüren, dass Recyclingpapier auch nicht das Gelbe vom Ei ist und sie deshalb von dessen Kauf wieder absehen?

Jetzt bleibt zu diesem Thema dann wohl nur noch eine Frage offen: Welche wirklich unschädlichen Alternativen gibt es denn jetzt zum Klopapier, die auch gesellschaftstauglich sind? Dazu schreibe ich euch morgen mehr!

Spruch des Tages: Nicht aus Bösartigkeit verweigern wir unsere Hilfe, sondern aus Angst. Es sind also nicht böse Menschen, die den Schaden auf der Erde anrichten, sondern ängstliche.

 

Höhenmeter: 35 m

Tagesetappe: 28 km

Gesamtstrecke: 5339,87 km

Heiko Gärtner
Heiko Gärtner ist Wildnismentor, Extremjournalist, Survivalexperte, Weltreisender und einer der führenden Experten auf dem Gebiet der Antlitz- und Körperdiagnostik. Nachdem er einige Jahre als Agenturleiter und Verkaufstrainer bei einer großen Versicherungsagentur gearbeitet hat, gab er diesen Job auf, um seiner wahren Berufung zu folgen. Er wurde Nationalparkranger, Berg- und Höhlenretter, arbeitete in einer Greifenwarte und gründete schließlich seine eigene Survival- und Wildnisschule. Seit 2014 wandert er zu Fuß um die Welt und verfasste dabei mehrere Bücher.

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