Tag 276: Schlafen im Olivenhain

von Heiko Gärtner
07.10.2014 19:29 Uhr

Nach dem Abendmenü im Hotel Carlos III stellten wir fest, dass wir inzwischen andere Portionsgrößen gewohnt waren, vor allem, nach einem 35km-Tag. Das Essen war gut, aber unsere Bäuche schauten uns anschließend erstaunt und mit großen Augen an, so als wollten sie fragen: „Wie das war´s jetzt? Als Vorspeise war das nicht schlecht, aber wo bleibt denn jetzt das Hauptgericht?“

Eine Weile hielten wir es aus, doch schließlich gaben wir dem Hungergefühl nach und durchsuchten alle Taschen und Beutel nach irgendetwas Essbarem. Das Ergebnis war nicht besonders groß, dafür forderte es aber unsere Kreativität in Sachen Nahrungsmittelkombinationsmethoden auf eine besondere Weise heraus. Wir hatten eine Birne, zwei Äpfel, ein paar Kürbiskerne und drei vegetarische Pasteten, die man eigentlich auf Brot schmierte. Brot hatten und wollten wir nicht, also bestrichen wir die Äpfel mit der Pastete und streuten ein paar Kerne darauf. Der Geschmack war ungewöhnlich, da wir Chili-Paprika-Pasteten bislang nicht in Verbindung mit Äpfeln oder Birnen gebracht hätten, doch es war deutlich besser als gedacht. Es hat sogar das Potential einer Karriere als Snack für Partys oder Grillabende.

Heute führte uns unser Weg zunächst einmal wieder weg vom Meer und quer durch eine Landzunge nach Norden. Dieses flache Delta ist das größte Reisanbaugebiet Europas, wie wir am Vorabend von Michael erfahren hatten. Der Reis selbst ist um diese Jahreszeit jedoch abgeerntet. Dafür sahen wir jede Menge Graureiher und viele andere Vögel, sowie ein gutes Dutzend Krebse. Die meisten Krebse waren jedoch tot und die lebenden hatten meist starke Behinderungen. Es fehlten ihnen Scheren, Beine, Augen oder andere Körperteile und sie wirkten alles andere als gesund. Ob das an den Pestiziden lag? Auf den Feldern selbst sahen wir heute keine Giftspritzer, dafür jedoch erstaunlicherweise in der Stadt. Hier kamen wir an einem Mann vorbei, der mit einer Art Hochdruckreiniger insektizidhaltiges Wasser hoch in die Bäume spritzte. Der Strahl verteilte sich so fein, dass er sogar einen Regenbogen erstrahlen ließ. Es war beinahe schön anzusehen, doch der Kastenwagen mit der Aufschrift „Kammerjäger“ und dem riesigen Symbol eines toten Käfers auf der Seite, verrieten deutlich, dass dies nicht einfach Straßenkunst war. Auch der beißende Geruch in der Nase trübte das Bild des Regenbogens.

Der Mann sprühte in die Kiefern am Straßenrand, in genau jene Bäume also, in denen die ultralauten, grillenartigen Insekten saßen, die uns bereits an der Nordküste auf den Geist gegangen waren. Schon dort hatten wir beobachtet, dass die Insekten nur an Plätzen auftauchten, an denen der Mensch die Natur mit Monokulturen oder Städten aus dem Gleichgewicht gebracht hatte. Offensichtlich waren diese Insekten so sehr zu einem Problem geworden, dass auch die Einheimischen es nicht mehr ignorieren konnten und sich drastische Wege zu dessen Bekämpfung suchten.

Uns selbst ging es heute auch nicht viel besser als den Krebsen. Wir waren müde und erschöpft und fühlten uns irgendwie kraftlos. Am liebsten hätten wir bereits nach 2km Halt gemacht und uns einfach irgendwo schlafengelegt. Die erste Stadt kam in 15km und das war dann auch genug für heute. Jedenfalls wenn es nach und ging. Doch offensichtlich ging es das nicht. Denn die beiden Hotels wollten uns nicht, die Polizei war auch nicht hilfreich und der Pfarrer war wieder einmal nicht da. Nachdem wir mehrere Stunden in der Stadt herumgelaufen waren, kamen wir wieder an genau der gleichen Brücke an, an der wir die Stadt betreten hatten. Außer ein paar Pommes, einer Tortilla Española und einem Salat die wir geschenkt bekamen hatte sich seit dem ersten Betreten der Stadt nicht viel geändert. 4km weiter kamen wir in die nächste Stadt. Das ist auch so ein Punkt, der es hier gerade wieder anstrengend macht. Es gibt nur noch Städte. Kleine, gemütliche Dörfer wie in der Extremadura findet man nicht mehr. Hinzu kommt, dass die Städte fast immer zur Hälfte leer stehen. Auch Michael hatte gestern darüber gesprochen. Er und seine Freunde hatten erzählt, dass es selbst auf den Spanischen Inseln immer mehr Geisterstädte gab. Doch auch in Deutschland war es ja zum Teil nicht anders. Vor allem von Reisen durch Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern erinnerten wir uns an einige Gegenden, die verlassener Wirkten als alte Goldgräberstädte.

L´Aldea war jedenfalls genauso ausgestorben, wie die erste Stadt auf unserem Weg. Das einzige Hotel, das es hier gab, war bereits seit Jahren geschlossen. Der Pfarrer verwaltete angeblich eine Herberge, doch er war genauso wenig anzutreffen, wie der in der letzten Stadt und in allen Städten zuvor, seit gut einer Woche. Was machen diese Pfarrer denn den ganzen Tag?

Letztlich besorgten wir uns etwas zu essen, verließen die Stadt und schlugen unser Zelt in einem Olivenhain auf. Es war wie verhext. Kaum hatten wir unser Zelt errichtet, fingen überall in der Gegend die Hunde an zu bellen. Dann wurden sie still und neben uns begann eine Party. Keine Ahnung wo sie stattfand, aber die Musik und die Lautsprecherstimmen waren deutlicher zu hören als unsere eigenen. Und als diese verstummten entwickelte sich die Straße neben uns, die zuvor nur ein verlassener Feldweg gewesen war zu einer wahren Hauptstraße. Wollte uns dieses Land eigentlich verarschen? Es konnte doch nicht immer genau in dem Moment da laut werden, wo wir gerade waren, oder?

Jetzt sind die Autos wieder ruhig, dafür kreischen jetzt die Insekten, die der gute Mann zuvor so begeistert vergiften wollte. Ein bisschen kann man ihn deswegen sogar verstehen. Sein Gift hat aber zumindest hier nicht geholfen. Jedenfalls nicht, wenn es ums Töten der Insekten ging. Es hat jedoch dafür gesorgt, dass die Mücken, die in diesem Feuchtgebiet heimische sind, umso größere Mückenstiche hinterlassen.

Wie gesagt, es fühlt sich an, als würde uns etwas mit allen mitteln aus diesem Land treiben wollen.

Spruch des Tages: Enjoy the Silence

Höhenmeter: 30 m

Tagesetappe: 26,5 km

Gesamtstrecke: 5387,37 km

Heiko Gärtner
Heiko Gärtner ist Wildnismentor, Extremjournalist, Survivalexperte, Weltreisender und einer der führenden Experten auf dem Gebiet der Antlitz- und Körperdiagnostik. Nachdem er einige Jahre als Agenturleiter und Verkaufstrainer bei einer großen Versicherungsagentur gearbeitet hat, gab er diesen Job auf, um seiner wahren Berufung zu folgen. Er wurde Nationalparkranger, Berg- und Höhlenretter, arbeitete in einer Greifenwarte und gründete schließlich seine eigene Survival- und Wildnisschule. Seit 2014 wandert er zu Fuß um die Welt und verfasste dabei mehrere Bücher.

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