Tag 321: Canal du Midi

von Heiko Gärtner
18.11.2014 23:31 Uhr

Mit Erreichen der Stadt Agde mussten wir uns auch von unserem Canal du Midi verabschieden, der uns bislang so schön begleitet hat. Er fließt hier in einen großen Binnensee, an dem wir nun noch zwei weitere Tage entlangwandern werden. Dann verlassen wir ihn endgültig.

Das letzte Stück vor Adge zeigte er uns dann noch einmal ein neues Gesicht. Hier wurde er zur Heimat der Obdachlosen aus der nahegelegenen Stadt. Einige von ihnen lebten auf alten Hausbooten, die nur noch notdürftig über Wasser gehalten worden. Andere hatten sich Hütten aus planen und kleinen Zelten gebaut. Martina hatte uns bereits erzählt, dass in Beziers mehr als 50% der Einwohner an der Armutsgrenze lebten und in Agde war es wohl nicht viel besser. Wie kommt es wohl, dass gerade hier so viel Armut herrscht, wo man doch meinen müsste, dass es einer Region mit diesem Potential an Urlaubsverlockungen recht gut gehen müsste. Doch offensichtlich ist das nicht der Fall. Von Agde selbst haben wir uns nur einen winzigen Teil angeschaut, der komplett in der Altstadt lag. Und doch fühlten wir uns teilweise als würden wir durch die Slums von Paris laufen. Was war mit dieser Region wohl geschehen?

Die hohe Obdachlosenzahl machte sich auch wieder in der Hilfsbereitschaft der Menschen bemerkbar. Das Rathaus wies uns sofort ab und die Dame vom Sozialamt meinte nur knapp: "Bei uns gibt es nichts! Hier schlafen sogar die Armen aus dem Ort einfach auf der Straße. Da müsst ihr schon nach Séte oder Agde laufen, sonst habt ihr keine Chance!" Auch die Ladenbesitzer waren nicht besonders erfreut über Menschen, die sie um Unterstützung baten.

Es war hier noch einmal ein völlig anderes System. Hier brauchten wir wirklich eine göttliche Verbindung. Einen warmen Schlafplatz zu finden, war nahezu unmöglich, doch wir konnten gefunden werden, wenn wir vertrauten und offen genug waren. Es scheint wirklich eine Zeit zu sein, in der wir Hingabe lernen müssen.

Als ich vom Altenheim zurückkehrte, hatte ich zwar keinen Schlafplatz aber immerhin zwei Boxen mit Dönerfleisch dabei.

"Klasse!" sagte Heiko, "dafür habe ich knapp 20€ und einen Schlafplatz."

Er hatte einfach nur auf der Straße gesessen und gewartet. Dabei waren immer wieder einige Passanten auf ihn zugekommen, die ihm Geld gegeben hatten. Ohne, dass er danach Fragen musste. Das beste war jedoch die Begegnung mit einer deutschen Frau namens Marion. Auch sie war eine Heilerin, die einen sehr eigenen Weg der Heilung eingeschlagen hatte. Sie betete gemeinsam mit ihren Patienten und vollführte Dankbarkeitsrituale um ihre Grundstimmung und die Lebensenergie in eine positive und kraftvolle Richtung zu lenken. Was sie genau macht, wird sie uns später noch erzählen. Bis jetzt wissen wir nur, dass sie auf diese Weise eine austherapierte Krebspatientin heilen konnte, die eigentlich schon auf dem Sterbebett lag. Die zweite gute Nachricht, die sie für uns hatte war, dass sie eine alte Dame kannte, die uns für die Nacht aufnehmen würde. Die Frau hieß Odi und war bereits über 70. Mit jungen Jahren hatte sie ein Projekt gegründet, um Flüchtlinge und andere Hilfsbedürftige aufzunehmen. Nun war sie in Rente, doch das Projekt bestand noch immer. Es war nun eine Art Kommune in der 5 Menschen lebten. Einer von ihnen war jedoch verschollen und so konnten wir für die Nacht sein Zimmer nutzen. "Falls er kommt," meinte Sein Mitbewohner, "sagen wir ihm einfach, er muss oben auf der Couch schlafen!"

Eines musste man den Leuten hier jedenfalls lassen. Sie waren absolut entspannt.

Wie sich gezeigt hat, waren die Gespräche mit unseren Gastgebern wirklich äußerst interessant. Sie waren jedoch auch recht lang und so kam es, dass zwischen dem letzten Absatz und diesem hier etwas über vier Stunden vergangen sind. Es ist nun 23:00 Uhr und damit zu spät, um sich noch dem Beziehungsthema zu widmen. Damit geht es dann also wohl erst morgen weiter.

Spruch des Tages: Jesus geht an einer Kirche vorbei und sieht einen Obdachlosen der zusammengekauert und traurig vor der Pforte sitzt. „Was ist los?“ fragt er den Mann, „Du siehst so traurig aus!“ Der Mann blickt auf und antwortet: „Ich würde gerne in die Kirche gehen, aber so wie ich aussehe lassen sie mich nicht hinein!“ Mit einem beschwichtigenden Lächeln klopft Jesus dem Obdachlosen auf die Schulter und sagt: „Mach dir nichts draus, ich versuche das schon seit 2000 Jahren und mich lassen sie auch nicht!“ (Witz den uns Manuela erzählt hat)

Höhenmeter: 15 m

Tagesetappe: 7 km

Gesamtstrecke: 6105,37 km

Heiko Gärtner
Heiko Gärtner ist Wildnismentor, Extremjournalist, Survivalexperte, Weltreisender und einer der führenden Experten auf dem Gebiet der Antlitz- und Körperdiagnostik. Nachdem er einige Jahre als Agenturleiter und Verkaufstrainer bei einer großen Versicherungsagentur gearbeitet hat, gab er diesen Job auf, um seiner wahren Berufung zu folgen. Er wurde Nationalparkranger, Berg- und Höhlenretter, arbeitete in einer Greifenwarte und gründete schließlich seine eigene Survival- und Wildnisschule. Seit 2014 wandert er zu Fuß um die Welt und verfasste dabei mehrere Bücher.

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