Tag 438: Die Wahrheit über Fukushima

von Heiko Gärtner
22.03.2015 00:05 Uhr

... Fortsetzung von Tag 437:

Auch Eisaku Sato, der damalige Gouverneur von Fukuschima ist lange Zeit davon überzeugt, dass von den Atomkraftwerken keinerlei Risiko ausgeht. Doch im Laufe seiner Amtszeit bekam er immer wieder Nachrichten von Informanten und Mitarbeitern aus den Kraftwerken, in denen es um vertuschte Mängel ging und so begann sein Vertrauen zu sinken. Er begann der Sache nachzugehen und stellte fest, dass hier einiges so faul war, dass es zum Himmel stank. So wurden die Mängelberichte der Inspekteure nicht wie vorgesehen vom Wirtschaftsministerium geprüft, sondern von dort direkt an Tepco weitergeleitet. Bei Tepco wurden sie dann jedoch einfach gefälscht und ohne Befund veröffentlicht, während die originaler einfach verschwanden. Bereits Jahre vor dem Tsunami warnte der Gouverneur in einem Zeitungsbericht davor, dass es durch diese Praxis eines Tages zu einem schlimmen Unfall kommen würde. Eine offizielle Stellungnahme von so einem hohen Politiker konnte nun selbst die Landesregierung nicht mehr ignorieren. Es wurde eine Untersuchungskommission eingeleitet und Tepco musste gleich 17 Reaktoren vom Netz nehmen. Die Kommission fand in den folgenden Untersuchungen heraus, dass Tepco bereits seit Jahrzehnten die Wartungsberichte fälschen ließ und auf diese Weise Unmengen an Vorfällen vertuscht hatte. Darunter auch einige wirklich starke Schäden und Pannen und sogar eine Kernschmelze, die bereits 30 Jahre zurücklag. Soviel also zum Thema Atomunglücke, von denen wir nichts wissen!

Doch die Konsequenzen, die aus den Enthüllungen gezogen wurden, waren so niedlich, dass man sie eigentlich eher Konsequenzchen nennen müsste. Einige Führungsposten traten zurück, einige Mitarbeiter wurden getadelt, entschuldigten sich öffentlich und wurden daraufhin versetzt. Entlassen wurde niemand und angeklagt schon gar nicht. Der Hauptverantwortliche von Fukushima wurde sogar zum Präsidenten von Tepco befördert. Er entschuldigte sich in aller Öffentlichkeit und vor der Presse beim Gouverneur für die Fälschungen und das unehrenhafte Verhalten und hakt die ganze Sache damit ab. Für Tepco und für die japanische Regierung ist das Thema „Gefahren im Zusammenhang mit Atomkraftwerken“ damit vom Tisch.

Für Gouverneur Sato jedoch nicht. Denn auch wenn die Fehlermeldungen nun öffentlich gemacht wurden, hat sich an den Fehlern im Kraftwerk selbst nichts verändert und so drängt Sato weiterhin auf Reparaturen und Verbesserungen. Damit wird er ein immer größerer Dorn im Auge der Atompolitik und muss gezogen werden, ehe er beginnt sich zu entzünden. Und dafür ist dem Atomdorf jedes Mittel recht. 2004 erschien ein Zeitungsbericht, in dem behauptet wurde, Sato hätte seine Finger in illegalen Grundstücksgeschäften. Der Autor des Artikels ist ein Journalist, der normalerweise nur über Atompolitik schreibt und der auf der Gehaltsliste des Atomdorfs steht. Der Bericht selbst wurde frei erfunden, was viele Jahre später sogar gerichtlich bestätigt wurde. Als Sato sich durch die Denunzierung noch immer nicht aufhalten lässt, wird kurz darauf sein Bruder verhaftet, ebenfalls aus einem fadenscheinigen und frei erfundenen Grund. Der Staatsanwalt, der sich um die Verhandlung kümmerte, wurde kurz zuvor vorrübergehend aus der Behörde des Ministers nach Fukushima versetzt. In einer Pause zwischen den Verhandlungen nimmt er den Bruder für einen Moment zur Seite und teilte ihm in einem Gespräch unter vier Augen unmissverständlich mit, dass sie den Gouverneur vernichten würden, wenn er seine Angriffe gegenüber der Atomindustrie nicht abblasen würde.

Als klar wurde, dass auch dies den Gouverneur nicht von seiner Mission abbringen konnte, wurden immer mehr Menschen aus seinem Umkreis unter Druck gesetzt. Schließlich waren es rund 200 Personen, die bedroht, bestochen oder auf andere Art und Weise direkt manipuliert wurden. Sie sollten negative Publicity über den Gouverneur verbreiten und damit seine Glaubwürdigkeit untergraben, doch für die meisten kam das nicht in Frage. Einige begingen sogar Selbstmord, weil sie den Druck nicht aushielten, den Gouverneur aber nicht verraten wollten. Einer seiner Abteilungsleiter liegt aufgrund eines solchen Selbstmordversuchs bis heute im Koma. Eine Weile versucht Sato seinen Widerstand aufrecht zu erhalten, doch um seine Familie, Freunde und Kollegen zu schützen, tritt er schließlich zurück. Später wird ihm von einem Gericht bestätigt, dass er in allen Punkten, die ihm vorgeworfen wurden unschuldig war, doch da ist er als Kontrahent der Atomlobby bereits erledigt.

Dieses Beispiel zeigt, wie einflussreich das sogenannte Atomdorf in Japan ist. Doch es ist nicht die einzige Art, mit der es seine Interessen durchsetzt. Noato Kan, der zur Zeit des Atomunglückes Premierminister von Japan war, äußerte sich später ebenfalls zur Macht der Atombefürworter: „Das Atomdorf unterdrückt die Informationen über mögliche Gefahren der Atomkraftwerke auf vielfältige Weise. Wenn Spezialisten an den Universitäten sagen, dass eine Gefahr bestehen könnte, dann haben sie keine Karrierechancen mehr. Als Politiker erhält man große finanzielle Unterstützung von der Atomindustrie. Sagt man jedoch ein Wort über die Gefahren der Atomkraft, dann verliert man sie sofort. Stimmt man ihr hingegen zu und lobt sie in den Himmel, erhält man großzügige Spenden. Das gilt nicht nur für die Politik, sondern auch für die Kultur, den Sport und vor allem die Medien. Dadurch ist eine Verflechtung entstanden, die es fast unmöglich macht, etwas Atomkritisches zu veröffentlichen oder zu äußern. Das Atomdorf ist damit ein Problem, das das ganze Land umfasst, nicht nur die Energiepolitik.“

Doch die Verstrickungen reichen sogar noch tiefer. Viele führende Politiker werden nach dem Ende ihrer Amtszeit Mitarbeiter bei Tepco, vorrausgesetzt natürlich, sie waren dem Konzern zuvor wohlgesonnen. Seit 1962 wurde der Posten des Tepco-Vizepräsidenten ohne Ausnahme von ehemaligen Top-Beamten aus dem Ministerium für Atomaufsicht besetzt. Im Klartext: Wer als Politiker die Interessen von Tepco vertritt, den erwartet ein chilliger Altersposten mit jeder Menge Kohle und Prestige. Doch das ganze ist keine Einbahnstraße, denn so wie die Politiker zu Tepco wechseln, wechseln auch die Tepco-Mitarbeiter ins Parlament. So wurde beispielsweise ein ehemaliger Vizepräsident von Tecpo für 11 Jahre der zuständige Minister für die Energiepolitik Japans, bevor er dann wieder zu Tepco zurückwechselte.

So wie der Gouverneur von Fukushima versuchte auch der Premierminister seinerzeit eine Änderung in der Atompolitik zu erzielen und auch er lief damit vor die Wand. Ihm stand ein Parlament gegenüber, in dem mehr als 100 Abgeordnete Geld von Tepco bekamen, darunter auch ehemalige Premierminister und viele Mitglieder seiner eigenen Partei.

Auch er berichtet, dass es bereits Jahre vor der Katastrophe von den zuständigen Sicherheitsbeamten Unmengen an Hinweisen auf Mängel und Probleme gegeben hatte, die jedoch allesamt ignoriert wurden. Kan ist überzeugt davon, dass der Tsunami zwar der Auslöser, nicht aber die Ursache der Katastrophe war, denn als die Flutwelle das Kraftwerk traf, war es bereits so instabil wie ein Kartenhaus. Es ist nicht zerstört worden, weil es von einem Tsunami getroffen wurde, sondern weil es trotz aller Warnungen und Hinweise nicht darauf vorbereitet wurde.

Fangt ihr nicht auch langsam an, euch Fragen zu stellen?

Wie kann es sein, dass ein Konzern, der sich auf Atomkraft spezialisiert hat, über Jahrzehnte hinweg ganz bewusst alles daran setzt, dass ihr eigenes Kraftwerk so unsicher wie nur irgendwie möglich ist? Gefahrenmeldungen und mögliche Risiken zu verschweigen, damit die Menschen ruhig sind uns schön weiter Atomstrom kaufen, dass ist aus wirtschaftlicher Sicht vollkommen nachvollziehbar. Wenn ich ein Atomkraftwerk hätte und mir würde jemand mitteilen, dass ein paar Deppen, den Reaktor falsch herum eingebaut haben und dass sämtliche Wände so voller Risse sind, dass man nicht einmal mehr husten darf, ohne Angst zu haben, dass einem die Decke auf den Kopf fällt, dann würde ich auch nicht wollen, dass das an die große Glocke gehängt wird. Klammheimlich würde ich alles reparieren lassen und sämtliche Spuren über die Pannen vernichten. Doch käme ich wirklich auf die Idee, alle Warnhinweise verschwinden zu lassen, ohne einen Schaden zu beheben? Ich meine Japan ist eine verhältnismäßig kleine Insel und bietet recht wenig Platz zum ausweichen. Wenn es also zu einer Atomkatastrophe kommt, dann wird mein eigener Arsch ja genauso weggepustet, wie die der anderen. Ist das wirklich in meinem Interesse? Kann ein Mensch so geldgierig und kurzsichtig sein, dass er bereit ist, dieses Risiko einzugehen? Millionen von Menschenleben aufs Spiel zu setzen um sich einen neuen Ferrari, einen eigenen Helikopterflughafen, eine Luxusyacht und sieben Villen zu können, das ist ja noch irgendwo nachvollziehbar. Aber sein eigenes Leben und seine eigene Gesundheit aufs Spiel zu setzen, weil man keine Lust hat, ein paar Reparaturmaßnahmen durchzuführen, die eh von Steuergeldern bezahlt werden? Das klingt nicht logisch für mich. Ist es wirklich vorstellbar, dass ein Konzern, der es schafft, die komplette japanische Regierung, sowie alle Medien zu infiltrieren und zu beeinflussen, von Menschen geleitet wird, die so dämlich sind, dass sie nicht merken, dass sie gerade eine Mausefalle bauen, die ihr eigenes Leben bedroht? Tut mir leid, aber mir fällt es wirklich schwer das zu glauben. Wenn es jedoch nicht so ist, wenn also weder Tepco, noch die japanische Regierung, noch die Universitäten, noch der amerikanische Energiekonzern General Electrics, noch die japanische Atomaufsicht rein von Idioten geleitet werden, die von Atomkraft so viel verstehen, wie eine Dose Bohnen, dann bedeutet das, dass sie einen guten Grund hatten, die Mängel nicht zu beseitigen. Die Frage ist nur, welchen?

Fortsetzung folgt....

Spruch des Tages: Ich habe den größtmöglichen Luxus… Ich habe Zeit, für all die Dinge die mich interessieren!

Höhenmeter: 2

Tagesetappe: 8 km

Gesamtstrecke: 8025,77 km

Wetter: größtenteils sonnig

Etappenziel: Gemeindehaus, 48010 Fusignano, Italien

Heiko Gärtner
Heiko Gärtner ist Wildnismentor, Extremjournalist, Survivalexperte, Weltreisender und einer der führenden Experten auf dem Gebiet der Antlitz- und Körperdiagnostik. Nachdem er einige Jahre als Agenturleiter und Verkaufstrainer bei einer großen Versicherungsagentur gearbeitet hat, gab er diesen Job auf, um seiner wahren Berufung zu folgen. Er wurde Nationalparkranger, Berg- und Höhlenretter, arbeitete in einer Greifenwarte und gründete schließlich seine eigene Survival- und Wildnisschule. Seit 2014 wandert er zu Fuß um die Welt und verfasste dabei mehrere Bücher.

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