Tag 526: Abenteuer-Canyon

von Heiko Gärtner
13.06.2015 21:52 Uhr

Die Hitze scheint ein neues Rekordhoch erreicht zu haben. Gestern war es bereits so heiß, dass ich mein T-Shirt in der Pause auswringen konnte. Unsere Wanderungen durch die Extremadura vor einem Jahr waren nicht schweißtreibender. Im Gegenteil, die Extremadura war wenigstens verhältnismäßig flach gewesen. Hier kommen zu den hohen Temperaturen auch noch hohe Anstiege hinzu, sowie eine deutlich höhere Luftfeuchtigkeit. Schade, dass wir keine Beamten sind, denn wenn deren Schweiß wirklich so viel Wert ist, wie in den Beamtenwitzen behauptet, dann könnten wir damit nun ein Vermögen verdienen.

Doch mit der Hitze beginnt nun auch wieder die Erntezeit. Vor allem Kirschbäume sind nun wahre Schatzkammern und dieses Jahr haben wir ihre Vollreife nicht verpasst. Es gibt kaum einen Kirschbaum, bei dem wir nicht kurz halt machen und zumindest unsere Hände mit den saftigen Früchten füllen. Außerdem werden nun bereits die ersten kleinen Pfläumchen und Mirabellen reif und mit etwas Glück kommen wir bald auch in die Zeit, in der die ersten Feigen geerntet werden können. Dann ist die Zeit, in der Essen ein Thema war vorerst wieder vorbei.

Die Straße führte uns weiter parallel zum Fluss den Berg hinauf, bis auf eine Höhe von rund 250m. Hier machten wir eine Pause und erkundigten uns in einer Bar nach eventuellen Schlafmöglichkeiten. Das einzige, das es gab war ein Pfarrer, doch der war wieder einmal außer Haus. Wir wanderten also weiter und gingen dabei das, was wir zuvor angestiegen waren wieder hinab, bis wir erneut an der Küste landeten. Der kleine Ort hier hieß Omiš und war rein auf Tourismus ausgelegt. Da wir auch hier keinen Schlafplatz fanden und uns daher nicht richtig umschauen konnten, können wir nicht einmal sagen, ob es hier einen richtigen Strand gibt, oder nicht. Dafür aber gibt es allerleih andere Urlaubsangebote, die weniger mit der Küste als mehr mit dem dahinterliegenden Canyon zu tun haben. Hier kann man nicht nur wirklich gut klettern, sondern auch raften, Boot fahren oder an einer Seilbahn von einer Seite der Felswände auf die andere fliegen. Die Verkäuferin für dieses „Zip-Line“-Abenteuer, sprach uns an, als wir an ihrem Stand vorüber gingen.

„Hallo Jungs, kann ich euch helfen?“ fragte sie.

„Wenn du einen kostenlosen Schlafplatz oder etwas zum Essen für uns hast, dann ja, sonst wohl eher nicht!“ antwortete ich leicht ironisch.

Sie hatte weder das eine, noch das andere, erzählte aber von der besagten Seilrutsche.

„Es ist eine großartige Sache! Wirklich cool!“ sagte sie mit halbüberzeugender Begeisterung.

„Hast du es selbst schon einmal gemacht?“ fragte Heiko.

„Nein, ich nicht, sie ist von jemand anderem“, antwortete sie, merkte dann, dass sie die Frage falsch verstanden hatte und fügte schnell hinzu: „Oh, doch na klar! Wenn man hier arbeiten will, muss man das auch ausprobieren!“

Besonders werbewirksam war diese Aussage nicht.

Auch in Omiš war keiner der drei Pfarrer auffindbar und langsam begannen wir uns zu fragen, wo die alle hin waren. Ob es irgendwo ein geheimes Pfarrertreffen gab, auf dem sich alle versteckten, damit niemand etwas von ihnen wollen konnte? Die Hotels und privaten Pensionen waren leider auch keine hilfreiche Lösung. Es war bereits innerhalb von Minuten klar, dass hier nichts interessant war, das kein Bargeld war. Eine ältere Dame, die in einem Café saß, dass ihr offensichtlich gehörte, versuchte mich hereinzulocken und dazu zu bewegen, dass ich etwas bestellte. Ich zeigte ihr die kroatische Beschreibung von unserem Projekt und sie führte mich zu einer anderen Frau, die ein Apartment hatte. Auch diese las sich den Zettel aufmerksam durch. Dann fragte sie: „Nur eine Nacht?“

„Ja!“ sagte ich, „nur eine Nacht!“

„Ok!“ antwortete sie und nickte, „für eine Nacht ist es in Ordnung!“

Sie bat mich ihr zu folgen und zeigte mir ein Apartment mit zwei Schlafzimmern.

„Welches davon wollt ihr haben?“ fragte sie. Im linken gab es ein Ehebett, im rechten standen drei einzelne Betten. Sonst waren beide Zimmer leer. Ich zeigte auf das mit den drei Betten.“

„Gut,“ sagte sie, „Nur eine Nacht!“

Ich nickte.

„Sagen wir 40€!“ fuhr sie fort.

Ich schaute sie perplex an.

„Gut?“ fragte sie.

„Nein!“ antwortete ich und versuchte ihr noch einmal zu erklären, dass wir ohne Geld reisten.

„Dann 35€!“ ließ sie sich überreden.

„Nein!“ sagte ich wieder und verzweifelte langsam, weil weder ihr Deutsch noch mein Kroatisch für ein richtiges Gespräch ausreichten. Ich zückte den Übersetzer und erklärte damit noch einmal, was die Idee von „Wir reisen ohne Geld“ war. Jetzt verstand sie und sofort änderte sich ihre Grundhaltung. Von Werbung oder anderweitiger Unterstützung wollte sie nichts wissen. Wer nicht zahlte, konnte hier nicht bleiben. Gleichzeitig tat es ihr aber auch sichtlich Leid, dass sie uns nicht aufnehmen konnte. Man sah ihr an, dass sie sich damit schlecht fühlte und dass sie uns gerne geholfen hätte, doch ihr eigener Glaubenssatz stand ihr im Weg. Ihre Geldfixierung musste so groß sein, dass sie zwei Mal den Zettel mit unserer Bitte lesen konnte, auf dem klar und deutlich stand, dass wir kein Geld bezahlen konnten, ohne dass sie diesen Teil auch nur registriert hatte. In Bosnien hatten wir ja bereits einmal eine ähnliche Situation erlebt, bei der die Hotelbesitzerin uns übers Ohr hauen wollte, weil sie erst zusagte und dann doch Geld von uns wollte. Diesmal aber war es etwas anderes, denn diese Frau wollte uns nicht betrügen, die hatte den wichtigen Teil des Textes wirklich überlesen.

Nach diesem Erlebnis sahen wir ein, dass es keinen Zweck hatte, hier weiter zu suchen und so konzentrierten wir uns auf Nahrung und Wasser um die Stadt anschließend wieder zu verlassen. Unser Weg führte uns nun in den Canyon hinein, der aus mehrerlei Gründen wirklich beeindruckend war. Die rauen steilen Felswände waren voller Kletterhaken und viele der Routen waren so, dass sie auch für uns durchaus machbar waren. Sofort fingen unsere Kletterherzen an höher zu schlagen und es kam eine leichte Trauer auf, darüber, dass wir keine Kletterausrüstung dabei hatten und auch keine Möglichkeit sahen, wie wir diese noch transportieren sollten. Wir stellten die Wagen ab und machten uns auf, die Wand unter die Lupe zu nehmen. Einige Einstiege konnte man auch mit Wanderschuhen besteigen, doch nach zwei oder drei Tritten siegte die Angst vor verstauchten Knöcheln oder anderen Verletzungen. Wirklich hoch kamen wir also nicht. Doch der Fels hatte eine ungeheure Anziehungskraft und weckte viele gute Erinnerungen an vergangene Abenteuer. Irgendwie musste es doch möglich sein, dass man auch solche Angebote wahrnehmen konnte. Aber auf den fast 10.000km die wir nun unterwegs sind, haben wir nur 2x geeignete Kletterfelsen gefunden. Eine komplette Ausrüstung deswegen mitzunehmen, wäre also Wahnsinn gewesen. Vielleicht schafften wir es ja in Zukunft hin und wieder, und an solchen Plätzen mit jemandem zu treffen, der unsere Ausrüstung mitbringen konnte. Dann könnten wir ein paar Tage Urlaub machen und dann weiterziehen.

Auf dem weiteren Weg durch den Canyon überlegten wir uns noch viele solcher möglichen Szenarien, doch auf eine wirklich gute, praktikable Lösung kamen wir noch nicht.

Etwa zwei Kilometer weiter entdeckten wir links von uns einen kleinen Garten, der versteckt hinter einigen Bäumen und einer Schilffläche lag. Er schien ideal als Zeltplatz zu sein, denn er bestand hauptsächlich aus einer Wiese direkt am Fluss und einigen Beeten. Es war offensichtlich, dass dieses Grundstück privat war und auch wenn es nur wenig genutzt wurde, konnte man sehen, dass der Besitzer hin und wieder zum Gießen seiner Gemüsepflanzen vorbei kam. Die Frage war also: kam er heute vorbei? Und wenn ja, hatte er dann etwas dagegen, wenn wir hier zelteten? Wir entschieden, das beides recht unwahrscheinlich war. Selbst wenn er kam, konnten wir uns nicht vorstellen, dass er uns vertreiben würde. Der letzte Besitzer, der uns beim Zelten auf seinem Grundstück erwischt hatte, hatte uns sogar zum Essen eingeladen und uns erlaubt unsere Computer bei ihm zu Hause zu laden.

Wie sich herausstellte war unsere Sorge unbegründet. Es kam niemand, weder gestern Abend noch heute Morgen. Dafür aber boten die Bäume viel Schatten, so dass wir diese Nacht zur Abwechslung einmal nicht in unserem Zelt gegrillt wurden.

Bevor wir aufbrachen nahmen wir noch ein kurzes Bad im Fluss. Ein wirklich kurzes, denn das Wasser kam ohne jeden Zweifel direkt aus dem Gebirge und war bedeuten kälter als das im Meer. Doch die Erfrischung tat gut und sorgte dafür, dass wir wach und munter in den neuen Tag starten konnten.

Kurz nachdem wir aufgebrochen waren, kamen wir dann auch an der Zip-Line vorbei. Eine Touristengruppe war gerade damit beschäftigt, nacheinander über den Canyon zu sliden. Wirklich abenteuerlich sah das nicht aus, aber Spaß machte es sicher.

Kaum hatten wir diesen Teil des Canyons hinter uns gelassen, wurde uns auch klar, warum so viel Rafting-Erlebnisse angeboten wurden, obwohl der Fluss so ruhig ausgesehen hatte. Die Felsen rückten nun immer näher zusammen und die Straße wand sich auf unserer Seite in steilen Serpentinen nach oben. Den Fluss selbst konnten wir nun leider nicht mehr sehen, doch er musste an dieser Stelle bedeutend wilder sein als am Ende.

Als wir schließlich den Gipfel erreicht hatten, kamen wir in ein kleines Dorf namens Kucice. Gleich am Eingang gab es eine Familie, die einen Teil ihres Hauses als Gästezimmer und Apartments vermietete. Und diesmal hatten wir mehr Glück. Die Tochter des Hauses überredete ihre Eltern uns einzuladen und so konnten wir wieder einmal in richtigen Betten schlafen und uns duschen. Sogar eine kleine Küche haben wir, in der wir richtig kochen können.

Spruch des Tages:

Bumerang: War einmal ein Bumerang; War ein Weniges zu lang. Bumerang flog ein Stück, Aber kam nicht mehr zurück. Publikum - noch stundenlang - Wartete auf Bumerang. (Joachim Ringelnatz)

Höhenmeter: 260m

Tagesetappe: 19 km

Gesamtstrecke: 9501,77 km

Wetter: sonnig und heiß

Etappenziel: Apartmenthaus, 21208 Kučiće, Kroatien

Heiko Gärtner
Heiko Gärtner ist Wildnismentor, Extremjournalist, Survivalexperte, Weltreisender und einer der führenden Experten auf dem Gebiet der Antlitz- und Körperdiagnostik. Nachdem er einige Jahre als Agenturleiter und Verkaufstrainer bei einer großen Versicherungsagentur gearbeitet hat, gab er diesen Job auf, um seiner wahren Berufung zu folgen. Er wurde Nationalparkranger, Berg- und Höhlenretter, arbeitete in einer Greifenwarte und gründete schließlich seine eigene Survival- und Wildnisschule. Seit 2014 wandert er zu Fuß um die Welt und verfasste dabei mehrere Bücher.

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