Tag 557: Mattenkrebs

von Heiko Gärtner
11.07.2015 17:31 Uhr

Noch 4 Tage bis zum Treffen mit Paulina!

Unsere Luftmattratzen sind krank! Gestern mussten wir feststellen, dass sie an der Stelle, auf der man normalerweise mit dem oberen Rücken liegt eine Beule gebildet hat, die mit Luft gefüllt ist und ein bisschen aussieht wie ein Krebsgeschwür oder eine Pestbeule. Zum Glück ist die Matte aber noch immer dicht und wahrscheinlich kann sie mit dem Geschwür noch ewig weiterleben. Aber ein bisschen ein komisches Gefühl macht es trotzdem und es sieht etwas merkwürdig aus.

Nach der Hitze des Tages kühlte es direkt mit dem Sonnenuntergang dann plötzlich extrem ab. So stark, dass wir völlig verblüfft waren. Tagsüber hatten wir gut und gerne wieder 30°C im Schatten gehabt und in der Nacht waren es vielleicht gerade noch 6 oder 7°C. Es war so kalt, dass wir sogar unsere Inlays wieder raussuchen mussten. Wer hätte um diese Jahreszeit damit gerechnet. Auf der anderen Seite ist es natürlich ein Segen, denn in der Kühle lässt es sich deutlich besser schlafen, als wenn man die ganze Nacht durchschwitzt und sich am liebsten auch noch die Haut vom Körper reißen würde.

Gerade als wir uns in die Schlafsäcke gekuschelt hatten, klopfte es an unser Zelt. Eine männliche Stimme grüßte uns auf Deutsch und als wir den Eingang öffneten, hielt uns ein etwa 50jähriger Mann mit längeren graubraunen Haaren zwei große Schüsseln frisch geerntete Himbeeren hin. Ein Traum, sage ich euch!

In der Früh brachte er uns dann noch ein paar Eier, Brot, Gurken und Kirschen. Er erzählte uns, dass er lange Zeit in Südtirol gelebt hatte, aber nun wieder in seine Heimat zurückgekehrt sei. Aus irgendeinem Grund lag eine tiefe Schwere und Traurigkeit in seiner Stimme. Als wir ihn begeistert auf seinen Garten ansprachen in dem nicht nur die Himbeeren sondern auch allerlei andere Früchte gediehen, sagte er in einem Tonfall, als hätte man ihn zu 70 Jahren Zwangsarbeit in Sibirien verurteilt: „Ja ich habe noch drei weitere! Da wächst alles, was ich zum Leben brauche und ich muss es ständig ernten!“

Warum nur, war hier eigentlich jeder davon überzeugt, dass er ein hartes und schweres Leben hatte, obwohl es hier doch eigentlich das reinste Paradies gab? Später am Abend erfuhren wir sogar noch von dem Sohn unserer Gastgeberin, dass in Bosnien statistisch gesehen jeder Einwohner 2 bis 3 frische, sauber und klare Trinkwasserquellen zur Verfügung hatte. Die meisten davon waren ungenutzt während die Menschen das Mineralwasser aus dem Ausland kauften oder sich Regenwasserzisternen bauten, weil sie sich genau die wenigen Orte als Wohnort herausgesucht hatten, an denen es gerade keine Quelle gab. Das passte doch irgendwie nicht ganz zusammen. Langsam schien aber an Heikos Trinkwassertheorie als Ursache für den Krieg doch immer mehr dran zu sein, denn so wie es aussah wurden hier schon einige verdeckte Spiele mit den Trinkwasserreserven gespeilt.

Passend zum Thema Trinkwasser erreichten wir heute die Stadt Kiseljak. Die langgezogene Kleinstadt, die sich gemeinsam mit einer der Hauptstraßen nach Sarajevo und einem kleinen Fluss durch ein Tal schlängelt, ist die Mutterstadt der einzigen wirklich bekannten Bosnischen Wasserfabrik. Hier werden vor allem Wasser und Erfrischungsgetränke aber auch Bier und andere Flüssignahrung in Flaschen gefüllt und ins ganze Land verkauft. Dass die Stadt somit eine sprudelnde Frische- und Mineralienquelle besitzt hat ihr leider nicht geholfen, besonders schön zu werden. Durch ihr ungünstige Lage an der Hauptstraße und ihre Nähe zur bosnischen Hauptstadt ist sie sogar noch hässlicher als die meisten anderen Städte, die wir hier gesehen haben. Zumindest im Zentrumsbereich. Kaum biegt man zur Seite ab und folgt den Straßen, die zu der beeindruckend protzigen Kirche führen, kommt man in ein Seitental, das nichts mehr mit dem Hauptteil der Stadt zu tun hat. Hier ist es still und man befindet sich in einer kleinen Wohnsiedlung, in der man wirklich schön leben kann. Der Pfarrer hielt nicht allzu viel von „Abenteurern“ wie er uns nannte und speiste uns mit 20Mark ab, bevor er die Tür vor unseren Nasen schloss. Damit hatten wir zwar noch keine Übernachtungsmöglichkeit aber das Bestechungsgeld war trotzdem nett und hilfreich. Vor allem, weil wir, was die bosnische Währung anbelangte bereits vollkommen auf dem Trockenen saßen.

Ein Stück die Straße hinunter standen dann vier Menschen, die damit beschäftigt waren, das Unkraut von der Fahrbahn zu entfernen. Als ich sie nach einer Alternative zum Pfarrer fragte, erzählten sie mir, dass sie Deutsch sprachen und einige Zeit in Frankfurt gelebt hatten. Eine der Frauen lud uns daraufhin zu sich nach hause ein. Dort lernten wir dann zunächst den Hund Kiki kennen und später über Skype auch noch den Sohn, der gerade nach Frankfurt gezogen war.

Von hier aus sind es nun nur noch drei Tagesetappen bis nach Sarajevo und am Morgen des vierten Tages werden wir dann Paulina treffen. Diese bereitet sich gerade zu hause schon auf ihre Reise vor und testet unter anderem ihre Regenkleidung. Wenn ihr ein bisschen mehr erfahren wollt, wie es ihr damit ergangen ist, dann könnt ihr euch ja einmal ihren Testbericht anschauen.

Spruch des Tages: Genieße stets die kleinen Dinge im Leben, denn eines Tages, wenn du zurückblickst, wirst du feststellen, dass sie die großen Dinge waren. 

Höhenmeter: 40 m

Tagesetappe: 14 km

Gesamtstrecke: 10.014,77 km

Wetter: sonnig und warm

Etappenziel: Privates Haus in der Nähe der Kirche, Kiseljak, Bosnien und Herzegowina

Heiko Gärtner
Heiko Gärtner ist Wildnismentor, Extremjournalist, Survivalexperte, Weltreisender und einer der führenden Experten auf dem Gebiet der Antlitz- und Körperdiagnostik. Nachdem er einige Jahre als Agenturleiter und Verkaufstrainer bei einer großen Versicherungsagentur gearbeitet hat, gab er diesen Job auf, um seiner wahren Berufung zu folgen. Er wurde Nationalparkranger, Berg- und Höhlenretter, arbeitete in einer Greifenwarte und gründete schließlich seine eigene Survival- und Wildnisschule. Seit 2014 wandert er zu Fuß um die Welt und verfasste dabei mehrere Bücher.

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