Tag 684: Richtiger Umgang mit Trennungssituationen – Teil 2

von Heiko Gärtner
15.11.2015 01:35 Uhr

Fortsetzung von Tag 683:

Nicht anders war es auch bei mir und meinen Eltern. Sie sind nicht verschwunden sondern existieren noch immer genau wie zuvor und auch unsere Verbindung ist nicht gekappt worden. Nur die gegenseitige Wahrnehmung wurde unterbrochen, da wir sie nicht als heilsam Empfunden haben. Das, was mich bislang beunruhigte und was mir ein schlechtes Gewissen machte war nicht die Trennung selbst, sondern das Gefühl, dass noch etwas zwischen uns stand. Das Gefühl, noch immer sauer auf sie zu sein, noch immer keinen Frieden geschlossen zu haben und noch immer nicht wirklich loslassen zu können. Ein Teil von mir glaubte, dass ich dieses Gefühl nur dann klären kann, wenn ich mich mit meinen Eltern noch einmal ausspreche. Doch das ist nicht wahr. So wie die Vorwürfe, die mich verletzt haben nicht von ihnen sondern von mir kamen, liegt auch der Grund für den Unfrieden nicht in unserer Beziehung sondern in mir selbst begraben. Solange mir dies nicht bewusst ist und solange ich den Frieden und die Harmonie in mir nicht wieder hergestellt hatte, konnte ich mit ihnen reden, soviel ich wollte. Es würde immer wieder auf das gleiche hinauslaufen, da sie mir den Unfrieden in mir erneut spiegeln mussten. Die Angst, den Schritt zu bereuen, hatte also nichts mit dem Kontaktabbruch an sich zu tun, sondern mit den Gefühlen in mir. Ich fühlte mich nicht schuldig, weil ich meine Eltern durch diese Entscheidung möglicherweise verletzt hatte, sondern weil ich selbst den Gedanken im Kopf hatte, dass meine Entscheidung etwas Schlechtes war.

Denn das, was für das Loslassen von anderen Menschen, von Gegenständen oder Situationen gilt, gilt auch für das Loslassen von eigenen Handlungen. Wenn wir etwas gemacht haben, von dem wir uns unsicher sind, ob es richtig war, dann kommen im Nachhinein oft Zweifel in uns auf. Wir glauben, wir hätten einen Fehler gemacht und für diesen Fehler fühlen wir uns schuldig. Selbst dann, wenn wir ihn entweder aus voller Überzeugung gemacht haben oder wenn es sich dabei nur um ein Versehen handelte. Solange wir jedoch der Überzeugung sind, dass es sich um einen Fehler handelte, können wir ihn nicht loslassen. Wir können es vielleicht für eine Zeit lang vergessen oder verdrängen, aber wenn wir uns daran erinnern, kommen automatisch die Schuldgefühle in uns wieder auf, die Leid in uns produzieren. Worum es bei dem angeblichen Fehler ging spielt dabei keine Rolle. Wir können uns für einen Mord genauso verurteilen und Schuldgefühle machen, wie für einen versäumten Termin oder eine versehentlich zerstörte Vase. Ein Mensch, der einen anderen Umgebracht hat, mag dies im Moment seiner Handlung als einzige Option empfunden haben, oder er hat sich den Mord vielleicht sogar aus mehreren Möglichkeiten ausgesucht, weil er es für die richtige hielt. Genauso habe ich mich auch aus freien Stücken und auch innerer Überzeugung dafür entschieden, den Kontakt zu meinen Eltern abzubrechen. Und genauso haben wir uns dafür entschieden, die Lebensthemen von Paulina nicht unter den Teppich zu kehren, sondern auf den Tisch zu bringen, auch wenn uns bewusst war, dass dies zur Trennung führen konnte. Für alle Handlungen gab es gute Gründe, doch alle entsprachen nicht unbedingt der Norm, die unsere Gesellschaft für ein Miteinander vorsieht. Aus diesem Grund entsteht eine Differenz zwischen dem was sich für uns richtig anfühlte und dem, von dem wir glauben, dass es allgemein als richtig gilt. Aus dieser Abweichung entsteht das Gefühl, einen Fehler gemacht zu haben. Das gleiche Gefühl entsteht aber auch, wenn wir glauben, dass wir durch eine unserer Handlungen verhindert haben, ein Ziel zu erreichen, das wir uns selbst gesteckt haben. Kurz: Wir fühlen uns immer dann als falsch, wenn wir etwas tun, wodurch die Welt nicht so ist oder wird, wie wir sie gerne hätten. Wir identifizieren uns dann mit der Tat und glauben, dass sie uns ausmacht. Wenn wir jemanden umgebracht haben, dann sagen wir, wir sind ein Mörder. Wenn wir keinen Kontakt mehr zu unseren Eltern haben, dann sind wir ein schlechter Sohn oder eine schlechte Tochter. Wenn unsere Beziehung und unser Herdenleben nicht auf Dauer funktioniert haben, dann glauben wir, schlechte Freunde, Heiler, Mentoren oder Partner zu sein.

Doch Gott macht keine Fehler! Und da wir Gott sind, können auch wir keine Fehler machen. Wir glauben zwar, dass unsere Taten einen negativen Effekt hatten und das wir dadurch anderen Menschen, Tieren oder Objekten Leid zugefügt haben, doch das ist faktisch unmöglich. Alles ist eins, also ist auch alles ich. Ich kann also niemanden Verletzen außer mir selbst. Wenn ich also jemanden umbringe, dann bedeutet dies nicht, dass ich dadurch wirklich jemanden töte. Alles besteht aus Liebe. Alles ist das gleiche Licht, das wir mit unterschiedlichen Filtern wahrnehmen, so dass es uns wie eine bunte Welt erscheint. Wenn ich also jemanden töte dann tue ich letztlich nichts weiter als eine durch Licht erzeugte Illusion in ihrer Form zu verändern. Ich bin Licht, der andere ist Licht, die Tatwaffe ist Licht und auch der Tod ist Licht. Meine Handlung hat nichts zerstört, niemanden getötet und nichts kaputt gemacht. Es ist nur ein Traum. Wenn ich träume, dass ich jemanden töte, dann ist dieser jemand deshalb nicht tot. Er ist nur für diesen einen Traum in meiner persönlichen Wahrnehmung verändert worden. Nicht die Person hat sich verändert, denn die Person gibt es gar nicht. Sie ist nur eine Illusion meines Unterbewusstseins. Also kann sich auch nur die Illusion wandeln doch für die Illusion geht dadurch nichts verloren. Ich selbst bin reine Liebe, der andere ist reine Liebe und auch die Tat an sich war reine Liebe. Alles was es gibt bin ich. Ich habe also niemals jemandem etwas angetan, außer höchstens mir selbst. Da aber auch jede Handlung aus Liebe besteht, kann ich mich nicht einmal selbst verletzen. Es ist ein bisschen so, als wollte ich versuchen jemanden zu schlagen, obwohl ich keine Hände habe. Es ist unmöglich. Ich kann es einfach nicht. Doch weil ich nicht weiß, dass ich keine Hände habe, glaube ich, dass ich jemanden schlagen kann. Ich glaube sogar, dass ich jemanden richtig ordentlich verprügelt habe und fühle mich deshalb schuldig.

Gefühle wie Scham, Schuld und Reue können nur dann auftreten, wenn man davon ausgeht, dass es eine Getrenntheit gibt. Um mich schuldig fühlen zu können, brauche ich mindestens eine andere Person, der gegenüber ich Schuld empfinden kann. Wenn alles eins ist, ist ein derartiges Gefühl nicht möglich.

Dementsprechend ist es auch unmöglich, dass wir Paulina verletzt haben oder dass ich meine Eltern verletzt habe.

Scham und Schuld sind also letztlich auch wieder nichts anderes als Hinweisschilder, die uns darauf aufmerksam machen wollen, dass wir nicht wirklich getrennte Wesen sind und daher auch nicht wirklich jemanden verletzen können. Nur fällt es uns oft nicht so leicht, diesen Hinweisschildern zu folgen, weil wir weder sie noch uns selbst anerkennen können. Der Haken an der Geschichte ist, dass wir in einer recht komfortablen Welt leben, in der wir auch dann überleben können, wenn wir uns auf eine Weise verhalten, die nicht besonders Lebensdienlich ist. Daher können wir in unserer Schuld und unserer Scham versinken, ohne dass es uns großartig am Leben hindert. Wir leiden zwar wie die Hunde, aber sterben müssen wir deswegen nicht. In der Natur wäre dies ein bisschen anders. Würden wir hier in unserer Schuld versinken würden wir dadurch automatisch unsere Aufmerksamkeit und unseren Fokus verlieren. Das geschieht zwar auch in der Gesellschaft, doch in der Natur ist das bei weitem verhängnisvoller. Denn hier können wir nun nicht mehr richtig Jagen und erkennen auch Gefahrensituationen nicht mehr frühzeitig. Wir werden also schon recht bald dazu gedrängt, entweder aufzuwachen und zu erkennen, dass die Schuldgefühle nicht real sein können oder aber wir sterben. In beiden Fällen erwachen wir jedoch aus dem Traum, den wir für die Wirklichkeit halten. In beiden Fällen erkennen wir also, dass wir Gott sind.

„Waow, das ist echt mal ein komplexer Zusammenhang!“ sagte ich nachdem wir diesen Teil besprochen hatten. Mein Kopf rauchte ein bisschen und ich brauchte erst einmal einen Moment Zeit um das alles Sacken zu lassen. Auf der einen Seite fühlte ich mich voll gefüllt mit neuen Gedankenansätzen und mit einer neuen Betrachtung auf die Dinge, die ich so noch nie in Erwägung gezogen hatte. Gleichzeitig spürte ich auch eine tiefe Erleichterung und eine Klarheit, weil sich ein großer Teil des Gedankenknäuels in meinem Kopf gelöst hatte. Es stimmte wirklich, dass es vor allem die Verwirrung war, die Leid verursachte. Wenn wir einmal erkannt hatten, was in uns los war, dann war das schon weit mehr als die halbe miete. Solange wir aber im Dunkeln tappten, mussten wir uns ja zwangsläufig an all die ungeprüften Gedanken halten, die wir dann einfach glaubten, obwohl sie nicht wahr waren.

„Bist du bereit für den nächsten Schritt?“ fragte Heiko nach einer kurzen Pause und fügte dann mit einem verschmitzten grinsen hinzu: „Wir haben ja schließlich nicht den ganzen Tag Zeit um hier im Zelt abzupimmeln!“

„Noch ein Schritt?“ fragte ich erstaunt, „was kommt denn jetzt noch?“

„Naja, wir haben jetzt darüber gesprochen, dass alles eins ist und dass kein Verlust von was auch immer, jemals ein richtiger Verlust sein kann. Aber das heißt ja noch lange nicht, dass es auch wirklich bei uns angekommen ist. Ein kleiner Teil unseres Verstandes hat sich jetzt auf den Gedanken eingelassen, lässt ihn zu, verarbeitet ihn und wird ihn in Zukunft bei unseren Prozessen mit einbeziehen. Doch ein großer Teil von unserem Verstand denkt sich gerade, dass wir einen Vogel haben und weigert sich, die alten Überzeugungen aufzugeben. Er denkt weiterhin, dass wir Paulina verloren haben und wird dadurch auch die Schuldgefühle, die Enttäuschung und die Wut nicht loslassen. Das Gefühl von Einsamkeit und Verlassensein und Getrentsein ist also nicht weg. Oder fühlst du gerade mit jeder Pore deines Körpers, dass du mit allem Verbunden und ein Teil des göttlichen Bewusstseins bist?“

„Nein!“ sagte ich ehrlich, „fühlen kann ich es nicht!“

„Dachte ich mir!“ antwortete Heiko, „Damit sich das überhaupt ändern kann, müssen wir es schaffen, die Gedanken irgendwie an unserem Verstandskritiker vorbei in unser Unterbewusstsein zu bekommen. Denn der Kritiker in unseren Köpfen sortiert vorsichtshalber erst einmal alles aus, was nicht zu den Urüberzeugungen passt, die wir uns als Kinder angeeignet haben. Wenn wir also wirklich fühlen wollen, dass Menschen wie Paulina, die aus unserem Leben verschwunden sind, nicht wirklich weg sind, dass es weder Tod, noch Trennung, noch Verlust gibt, dann sollten wir dazu noch einmal eine Medi machen. Und ich denke, wir sollten dabei die Beziehung gleich auch noch ein bisschen bereinigen.“

„Du meinst mit der Kordelarbeit, die wir bei Darell gelernt haben?“ fragte ich.

„Genau“, sagte Heiko, „das meine ich.“

 

Fortsetzung folgt...

 

Spruch des Tages: Es gibt keine körperlichen Probleme, nur geistige! (Byron Katie)

 

Höhenmeter: 130 m

Tagesetappe: 27 km

Gesamtstrecke: 12.188,27 km

Wetter: bewölkt

Etappenziel: Kirchliche Jugendherberge, 75025 Policoro, Italien

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Heiko Gärtner
Heiko Gärtner ist Wildnismentor, Extremjournalist, Survivalexperte, Weltreisender und einer der führenden Experten auf dem Gebiet der Antlitz- und Körperdiagnostik. Nachdem er einige Jahre als Agenturleiter und Verkaufstrainer bei einer großen Versicherungsagentur gearbeitet hat, gab er diesen Job auf, um seiner wahren Berufung zu folgen. Er wurde Nationalparkranger, Berg- und Höhlenretter, arbeitete in einer Greifenwarte und gründete schließlich seine eigene Survival- und Wildnisschule. Seit 2014 wandert er zu Fuß um die Welt und verfasste dabei mehrere Bücher.

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