Tag 832: Orthodoxe Heilige

von Heiko Gärtner
13.04.2016 21:28 Uhr

28.03.2016

Die ältere Dame, die uns am Abend in die Messe eingeladen und mit Essen versorgt hatte, konnten wir am Morgen nicht mehr auffinden. Dafür trafen wir aber unseren Nachbarn noch einmal, der uns in sein Zimmer einlud und uns einige Details über den orthodoxen Glauben erzählte. Sein komplettes Zimmer war von oben bis unten mit den Ikonen von Heiligen vollgestellt, zu denen er einen besonderen Bezug hatte. Man sagt, bei den Orthodoxen gäbe es mehr Heilige als Bäume in den Wäldern der Erde und das ist wahrscheinlich nicht einmal übertrieben. Spannend ist, das viele dieser Menschen wirklich außergewöhnliche Persönlichkeiten waren, die einen starken Bezug zur geistigen Welt hatten. Es waren also nicht nur Vorzeigeschafe der Kirche, die sich gut als Werbeträger machten und zu ihren Lebzeiten dem Vatikan gut zugespielt hatten. Sobald der Mann vom Leben dieser Heiligen erzählte, brachte er eine authentische Begeisterung rüber, die wirklich ansteckend war. Da war die Frau, die als Prostituierte ihren Lebensunterhalt verdient hatte und dann zur Erkenntnis kam, dass sie so nicht weitermachen konnte, weil sie Tag für Tag ihre Seele verkaufte. Um sich von diesem Gefühl der Beschmutzung wieder zu befreien ging sie in die Wüste und lebte über mehrere Jahrzehnte als Asketin für sich allein. Eines Tages kam ein Priester und entdeckte sie zufällig, wie sie vollkommen abgemagert im Sand saß und meditierte. Nein, sie saß überhaupt nicht! Sie schwebte einige Zentimeter über dem Boden. Sie war so sehr in ihre Meditation vertieft, dass sie die Kunst der Levitation erlernt hatte. Mehrere Stunden unterhielten sich die beiden, bevor der Priester ging und die Frau wieder alleine in der Wüste zurück ließ. Für ihr Leben änderte die Begegnung mit dem Mann wenig, aber durch auf diese Weise erfuhr die Welt von ihr und man konnte sie auf die Liste der Heiligen mit aufnehmen.

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Dann aber verfiel unser Erzähler wieder in seinen Bekehrungsmodus zurück. Alle Heiligen zusammen waren nicht so heilig und wichtig wie Maria. Und nur durch Jesus kann man wirklich zur Erleuchtung kommen. Er selbst sei nur ein armer Wicht mit einer unreinen Seele, der wahrscheinlich ohnehin niemals zu einer Leistung im Stande sei, wie es die Heiligen vollbracht hatten. All dies nahm ihm die Kraft aus seinen Erzählungen wieder raus. Die Authentik ging verloren und wirkte nun eher engstirnig und vernatisch. Nun war es wieder das gleiche Religionsgefasel, das wir schon so oft gehört hatten. Warum musste sich jeder, der eine Überzuegung hat, nur selbst immer so klein machen und gleichzeitig auf seine eigene Sichtweise bestehen. Warum konnte man nicht einfach den Gedanken zulassen, das ohnehin alle das gleiche wollten egal wie sie es nannten? Die Wanderung wurde wieder schweißtreibend und anstrengend. Wir mussten uns den kompletten Berg hinauf schrauben und erreichten oben ein Dorf, in dem wir nicht im geringsten weiterkamen. Der einzige Mann, der uns hier begegnete vertrieb uns bereits, noch ehe wir ihn fragen konnten, ob er unsere Sprache sprach. Die Angst in den Menschen war einfach überwältigend. Wir setzten unsere Reise also fort und schlängelten uns nun einen schmalen Weg entlang, der in die steilen Klippen gezogen worden war. Eine Asphaltstraße gab es nicht mehr und selbst der Schotterweg war an vielen Stellen abgebrochen und ins Tal hinuntergestürzt. Im Sand waren frische Jeep-Spuren. Die Straße wurde also noch verwendet. Wer immer der Fahrer war, er musste ordentlich Mumm gehabt haben. Wir hatten schon respekt vor der Straße, obwohl wir zu Fuß waren. Wie musste es dann wohl mit einem Auto sein?

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Unten kamen wir in ein etwas größeres Dorf, in dem es ein Rathaus, eine Tankstelle und mehrere Bars gab. Das Rathaus war jedoch bereits geschlossen und in den Bars bekamen wir wenig hilfe. Auch die Feuerwehr hatte keinen Platz für uns. Lediglich in der Tankstelle tat sich eine Option auf. Ein Gast rief einen Freund an, der in einem Nachbardorf lebte. Dieser bot uns ein Gästezimmer an. Das Problem war nur, dass es zu weit zum Wandern war und wir deshalb mit dem Auto fahren mussten. Der Gast bot uns an, dass er uns mitnehmen könnte, doch zunächst brauchten wir einen Platz für unsere Wagen. Es dauerte nicht allzu lange, bis ich die Besitzerin einer anderen Bar überredet hatte, dass wir die Wagen bei ihr abstellen konnten, doch dann stellte sich heraus, dass alles letztlich sinnlos gewesen war. Als wir zurück zur Tanke kamen fuhr der Gast mit seinem Auto an uns vorbei. Er winkte zum Abschied, machte aber keine Anstalten, noch einmal anzuhalten. Wir hatten nun also einen Mann mit einem Gästezimmer irgendwo in diesem Land, von dem wir keinen Namen, keine Adresse und keine Kontaktmöglichkeit hatten. Damit standen wir wieder am Anfang. Leicht geknickt bauten wir unser Zelt auf einer Wiese auf. Wenn wir das gleich getan hätten, hätten wir uns zwei Stunden an Diskussionen und Umherirren sparen können.

Spruch des Tages: Die Orthodoxen haben so viele Heilige wie die Wälder der Welt Bäume.

Höhenmeter: 190 m Tagesetappe: 18 km Gesamtstrecke: 14.751,27 km Wetter: bewölkt mit leichten Schauern, später Starkregen Etappenziel: Ehemaliges Bürgermeisterbüro im Rathaus, 50200 Karyochori, Griechenland

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Heiko Gärtner
Heiko Gärtner ist Wildnismentor, Extremjournalist, Survivalexperte, Weltreisender und einer der führenden Experten auf dem Gebiet der Antlitz- und Körperdiagnostik. Nachdem er einige Jahre als Agenturleiter und Verkaufstrainer bei einer großen Versicherungsagentur gearbeitet hat, gab er diesen Job auf, um seiner wahren Berufung zu folgen. Er wurde Nationalparkranger, Berg- und Höhlenretter, arbeitete in einer Greifenwarte und gründete schließlich seine eigene Survival- und Wildnisschule. Seit 2014 wandert er zu Fuß um die Welt und verfasste dabei mehrere Bücher.

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