Tag 875: Der letzte Tag in Griechenland

von Heiko Gärtner
25.05.2016 02:27 Uhr

06.05.2016

Die Wanderung bis nach Kato Nevrokopi war nur noch kurz. Den größten Teil der Strecke hatten wir am Vortag bereits ausversehen zurückgelegt, als wir einen geeigneten Zeltplatz gesucht hatten. Kato Nevrokopi war die letzte größere Ortschaft vor der Grenze. Sie war nicht schön aber auch nicht die hässlichste Kleinstadt, die wir bereist hatten und sie beherbergte sogar drei Hotels. Eines von ihnen war schäbig, heruntergewirtschaftet und wirkte eher vertreibend als einladend. Das zweite war ein schönes, neues Designercafé, das auch einige Zimmer vermietete und das dritte lag weit außerhalb, so das wir es nicht zu Gesicht bekamen. Der Besitzer des ersten lehnte uns ab. Der Übersetzer, der die Sprachbarriere zwischen uns überbrückte, übersetzte die Worte des Hotelliers mit "Er mag euer Projekt nicht und will nicht helfen!" Das war zumindest eine klare Aussage.

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Die Besitzerin des zweiten Hotels war deutlich aufgeschlossener. Sie stammte aus Deutschland und hatte das Hotel hier gemeinsam mit ihrem griechischen Mann eröffnet. Ein kleines Zimmer für eine Nacht sei kein Problem und so machte ich mich wieder auf den Weg, um Heiko zu holen. Als wir eintrafen empfing uns die junge Dame jedoch mit einer auffallend trüben Miene. Sie entschuldigte sich mehrfach für ihre Unorganisiertheit und das falsche Versprechen, das sie uns gemacht hatte, aber sie könne uns leider doch nicht aufnehmen. Sie hatte vergessen in ihr Buch zu schauen und ihr war erst im Nachhinein aufgefallen, dass alle Zimmer bereits ausgebucht waren. Damit unser Weg nicht ganz umsonst war, lud sie uns aber auf einen Orangensaft und einen Sandwichtoast ein. Sie hatte ein äußerst schlechtes Gewissen und wenn wir ehrlich sind, nahmen wir ihr die Geschichte mit der Verplantheit nicht ganz ab. Das Hotel hatte insgesamt 4 Zimmer, von denen sie mir gleich am Anfang eine Auswahl angeboten hatte, noch bevor sie wusste, das wir ohne Geld reisten. Vier Zimmer waren nicht so viele, dass man leicht die Übersicht verlohr, wann welches ausgebucht war und wann nicht. Vor allen nicht, wenn man ansonsten ein sehr durchstrukturierter, geordneter und korrekter Mensch war. Wir tippten deshalb eher darauf, dass ihr Mann etwas dagegen hatte, dass wir uns hier kostenfrei aufhielten und sie nach einem Weg gesucht hatte, uns das schonend beizubringen.

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Das Gespräch mit ihr war dennoch spannend. Obwohl wir uns direkt vor der Bulgarischen Grenze befanden, hatte sie hier noch keinen einzigen Flüchtling gesehen. In einem Nachbarort war sogar eine komplette Zeltstadt errichtet worden, in der Flüchtlinge untergebracht werden sollten. Doch der Bürgermeister hatte das Projekt aus Angst vor möglichen kriminellen oder fanatischen Flüchtlingen wieder gestoppt, so dass als angeblich einziger Ort hier niemand angenommen wurde. Solche Geschichten hatten wir in letzter Zeit schon sehr oft gehört. Wo waren diese ganzen Flüchtlinge, die angeblich so ein Problem darstellten? Auf rund 1000km in Griechenland hatten wir keienn einzigen gesehen. Und wir hatten auch so gut wie keinen Einheimischen getroffen, dem es da anders ergangen war. Wenn, dann ging es dabei immer um große Camps in großen Städten, die auf keiner sinnvollen Route lagen und die an dieser Stelle eigentlich überhaupt keinen Sinn machten. Wie reisten die Flüchtlinge? Müssten Menschen, die Hals über Kopf aus ihrem Land vertrieben wurden und kaum etwas bei sich hatten, nicht eigentlich größtenteils zu Fuß unterwegs sein? Aber niemand hatte je auch nur einen wanderenden Flüchtling gesehen. Wenn sie sich bewegten, dann wurden sie mit Bussen verkarrt. Die Frage war nur: Warum und wohin? Wenn Mazedonien seine Grenzen doch geschlossen hatte, dann müssten die meisten doch nach Albanien oder Bulgarien unterwegs sein. Doch auch hier gab es keine Spuren. Innterhalb Europas waren die Grenzen aufgeweicht. Man konnte also ohne Probleme an jeder Grenze vorbei durch den Wald von einem Land ins andere reisen. Warum wurde dies also nicht einfach gemacht?

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Erschreckend war auch die Angst, die die Frau vor den Flüchtlingen hatte. Sie besaß noch immer Mitgefühl und war überzeugt, dass die meisten von ihnen gute, unterstützenswerte Menschen waren. Doch es sei traurig, dass auch so viele Fundamentalisten, Vergewaltiger, Kriminelle und Verbrecher unter ihnen waren. Das Fernsehen leistete hier also einen erfolgreichen Beitrag. Doch wie es aussieht ist das in Deutschland wohl nicht viel anders, was wir inzwischen durch die Kommentare und das Feedback aus der Heimat mitbekommen haben. Erschreckend ist, wie leicht es hier geht. Sogar die Hotelbesitzerin meinte schon, dass sie bereits die Meinung der Einheimischen angenommen hatte, dass ein Fremder grundsätzlich ersteinmal etwas schlechtes ist. Solange keine Fremden im Ort sind, ist es für die Kinder sicher.

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Deswegen ist jeder Fremde erst einmal ein Feind. Für eine Hotelmanagerin eine etwas sonderbare Einstellung, aber durchaus verständlich, wenn man sie jeden Tag vorgebetet bekommt. Dass die meisten Gewaltverbrechen innerhalb einer Familie oder eines Bekanntenkreises stattfinden und dass die meisten Männer, die Tag für Tag betrunken in den Kneipen sitzen und ihren Lebensfrust anhäufen, bis sie vor unterdrückter Aggressivität platzen, hier aus dem Ort sind, findet bei der Theorie allerdings keine Berücksichtigung. Das heftige an der Sache ist eigentlich, dass die Angst die da ist, vollkommen begründet ist. Wir befinden uns in einer durchaus gefährlichen Zeit, voller Umbrüche und jeder spürt, dass es nicht mehr lange gut gehen wird. Nur ist diese Angst auf etwas vollkommen falsches gerichtet. Nicht die FLüchtlinge, die Fremden oder die vermeindlichen Terroristen aus dem nahen Osten sind es, vor denen wir uns fürchten sollten, sondern diejenigen, die uns Tag für Tag diese Angst einreden und die sie nutzen um uns immer mehr in unseren Rechten und Freiheiten einzugrenzen. Die eigentliche Bedrohung läuft direkt vor unseren Augen ab. Wir sehen sie jeden Tag und wir füttern sie so gut wir können, bis es zu spät ist. Und dann fassen wir uns wieder an die Köpfe und fragen uns fassungslos, wie es nur soweit hatte kommen können.

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Um eine Alternative zum Schlafen zu finden fragte ich noch einmal im Rathaus nach. Der Bürgermeister brauchte einen Moment und hatte uns dann einen Platz organisiert. Es war ein Zimmer im ersten Hotel, in dem wir zuvor abgeleht worden waren. Nun durften wir also doch dort schlafen.

Spruch des Tages: Bulgarien wir kommen!

Höhenmeter: 830 m Tagesetappe: 26 km Gesamtstrecke: 15.396,27 km Wetter: durchgängig Regen bis auf wenige kurze Pausen, ein klein Wenig Sonne gegen Abend Etappenziel: Zeltplatz auf einem Feld, kurz hinter 5304 Zeleno Darvo, Bulgarien

Hier könnt ihr uns und unser Projekt unterstützen. Vielen Dank an alle Helfer!

Heiko Gärtner
Heiko Gärtner ist Wildnismentor, Extremjournalist, Survivalexperte, Weltreisender und einer der führenden Experten auf dem Gebiet der Antlitz- und Körperdiagnostik. Nachdem er einige Jahre als Agenturleiter und Verkaufstrainer bei einer großen Versicherungsagentur gearbeitet hat, gab er diesen Job auf, um seiner wahren Berufung zu folgen. Er wurde Nationalparkranger, Berg- und Höhlenretter, arbeitete in einer Greifenwarte und gründete schließlich seine eigene Survival- und Wildnisschule. Seit 2014 wandert er zu Fuß um die Welt und verfasste dabei mehrere Bücher.

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