Tag 880: Agrobetteln

von Heiko Gärtner
29.05.2016 15:29 Uhr

Fortsetzung von Tag 879:

Wenn man nun aber dachte, dass Nahrung, die die Menschen mit feiner Handarbeit auf den Feldern anbauten, gesünder sei als die unserer industriellen Großproduktion, dann hatte man sich geschnitten. Den die Feldarbeiter verteilten auch hier chemischen und giftigen Kunstdünger auf den Feldern und sprühten Round-Up aus ihren Handhanistern über die Pflanzen. Dass sie diese Gifte zuvor mit dem Eselkarren transportiert hatten, machte die ganze Angelegenheit wahrscheinlich nicht gesünder.

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Nach einer rund 20km langen Wanderung schlugen wir unser Zelt kurz vor einer größeren Ortschaft auf. Von Gestern hatten wir gelernt, dass wir uns doch wieder besser verstecken mussten und so wählten wir unseren Platz dieses Mal mit mehr Bedacht. Heiko machte es sich dann im Zelt bequem und ich ging hinunter in den Ort, um Essen, Wasser und Strom für meinen Laptop zu besorgen. Auf dem Heimweg wurde ich von ienem jungen Mann verfolgt. Er lief mir eine Weile hinterher und holte mich ein, als ich bei der Quelle war. Dann grüßte er mich freundlch und wollte mir beim Wasserholen helfen. Bis hierhin war alles noch in Ordnung und ich hielt es für einen freundlichen und nett gemeinten Kontakt. Doch dann merkte ich, dass ich den Mann einfach nicht mehr los wurde. Er folgte mir weiter und ließ sich auch nicht davon abhalten, dass ich mich mit Handschlag bei ihm verabschiedete und ihm einen guten Abend wünschte. Langsam wurde es unangenehm. Ich blieb stehen und versuchte ihm höflich aber bestimmt klar zu machen, dass ich den Rest des Weges alleine gehen werde. Er wolle mir beim Tragen helfen, meinte er, aber auch das lehte ich ab. Irgendwann kam er darauf, dass er Geld von mir wollte. Ich zeigte ihm meinen Zettel, mit der Erklärung von unserem Projekt und deutete genau auf den Teil, der beschrieb, dass wir ohne Gel reisten. Der Junge verstand zwar worum es ging, ignorierte es jedoch und zeigte noch einmal auf das Wort Geld. Langsam ging es mir auf die Nerven.

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"Hab ich nicht! Ich Kein Geld!" sagte ich nachdrücklich und dieses Mal verstand er, dass er an dieser Stelle nicht weiter kam. Also suchte er sich eine neue Strategie und machte klar, dass er mitkommen wollte, damit wir uns das Essen teilen konnten, das ich zuvor im Ort bekommen hatte. "Kommt nicht in Frage!" sagte ich, schenkte ihm aber ein Drittel von unserem Brot. Ich hatte nichts dagegen, die Geschenke, die wir bekommen hatten zu teilen, das war keine Frage! Doch die Art mit der der Mann versuchte sich die Dinge zu erschleichen gefiel mir ganz und gar nicht. Er nahm das Brot an, gab aber noch immer keine Ruhe. "Salami!" sagte er nun und meinte damit die Plastikwurst, die in meiner Tasche lag. Er musste sie an der Quelle gesehen haben. "Sorry!" sagte ich, "aber das ist alles, was ich dir geben kann!" Wieder ging es mir nicht um die Wurst. Hätte er gleich am Anfang gefragt, ob er etwas haben könne, weil er selbst kaum etwas zum Essen besaß, dann hätte ich ihm gerne etwas gegeben. Doch das war es nicht. Er bat mich auch jetzt nicht darum, sondern forderte sie ein, weil ich als Deutscher gewissermaßen naturbedingt reicher war als er und ihm deswegen etwas abgeben musste. Dass ich seiner Forderung nicht nachging fasste er als Unverständnis auf und nun begann er, in meiner Tasche herumzuwühlen um sich die Wurst selbst zu nehmen. Das war zuviel!

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Ich muss sagen, dass ich in den vergangenen zwei Jahren viel über das Grenzensetzen und das rauslassen von Wut gelernt habe. Zu beginn der Reise hätte ich irgendwie versucht, dem Mann schonend beizubringen, dass ich nicht einverstanden war. Vielleicht hätte ich ihm die Wurst auch einfach gegeben oder ich hätte akzeptiert, dass er mit zum Zelt kommt und Heiko die Sache regeln lassen. Doch nun war ich weiter. Der Kerl regte mich mit seiner dreisten Art und seinem bewussten Übertreten jeder Grenze so dermaßen auf, dass es mir leicht fiel, ihn in seine Schranken zu weisen. Ich brauchte keine Minute und kein einziges Wort auf Bulgarisch, bis er verstand, dass er nun den Bogen überspannt hatte. Ich streckte die Hand in Richtung Stadt aus, schnippste mit den Fingern und rief: "Los! Ab nach hause, ich will dich hier nicht mehr sehen!" Ein bisschen musste ich in diesem Moment über mich selbst lächeln, dafür dass ich mich verhielt als hätte ich es mit einem Hund zu tun. Aber es funktionierte. Er trottete davon und drehte sich nicht einmal mehr um.

Spruch des Tages: Es gibt einen wichtigen Unterschied, zwischen bitten und fordern

Höhenmeter: 160 m Tagesetappe: 21 km Gesamtstrecke: 15.481,27 km Wetter: bewölkt und immer wieder regnerisch Etappenziel: Zeltplatz auf einer Wiese, kurz hinter 5090 Zlataritsa, Bulgarien

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Heiko Gärtner
Heiko Gärtner ist Wildnismentor, Extremjournalist, Survivalexperte, Weltreisender und einer der führenden Experten auf dem Gebiet der Antlitz- und Körperdiagnostik. Nachdem er einige Jahre als Agenturleiter und Verkaufstrainer bei einer großen Versicherungsagentur gearbeitet hat, gab er diesen Job auf, um seiner wahren Berufung zu folgen. Er wurde Nationalparkranger, Berg- und Höhlenretter, arbeitete in einer Greifenwarte und gründete schließlich seine eigene Survival- und Wildnisschule. Seit 2014 wandert er zu Fuß um die Welt und verfasste dabei mehrere Bücher.

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