Tag 905: Bulgarien ist kein leichtes Reiseland

von Heiko Gärtner
21.07.2016 17:43 Uhr

31.05.2016

Langsam entpuppte sich Bulgarien in jeder Hinsicht als das härteste Land, das wir bereist haben. Es wimmelte vor Mücken, die Hardcore-Hitze brannte auf unsere Köpfe hernieder und wurde nur durch ebenso harte Regenschauer oder Kältefronten abgelöst. Egal welches Wetter wir hier hatte, es war extrem. Ein gemäßigtes Frühjarswetter, bei dem man gerne und entspannt im Freien ist, gab es hier einfach nicht. Hinzu kam, dass die Schlafplatzsuche zum Teil so schwer war, dass wir schier unendliche Mammutetappen zurücklegen mussten. Und das bei Strecken, die es ohnehin schon in sich hatten. Und zu allem Überfluss war es hier sogar teilweise noch lauter als in Italien. Überall wimmelte es vor Störgeräuschen und Lärm wie durch Motorsägen, Freischneider, Traktoren, Züge, Motorroller und vieles mehr. Nachdem wir in Griechenland fast immer über verlassene Straßen gewandert waren, war der Verkehr hier nun extrem hoch und es gab kaum eine Straße, die nicht permanent befahren wurde. Selbst dann, wenn sie aussah, als wäre es längst nicht mehr möglich, sie überhaupt zu befahren. Und schließlich hatte sich dann auch noch die Natur an das lärmende System angepasst und spiegelte die Unruhe der Menschen mit lautem Geschrei, Gezeter und Gequarke von Zirpen, Fröschen, Spatzen, Schwalben und Hunden. Wenn es uns nach langer Suche dann gelang, einen Zeltplatz zu finden, gab es also trotzdem nur selten Ruhe. Die wichtigsten Kriterien waren Schatten und Unsichtbarkeit und so konnten wir auf alles andere kaum noch Wert leben. Daher war der Boden fast immer uneben, so dass man kaum darauf schlafen konnte. Nun wurde auch noch die Nahrungssuche immer schwieriger, das Wasser war nur noch in Plastikflaschen trinkbar und bei allem hatten wir sowohl den Winter als auch den Abgabetermin des Buches im Nacken. Vor uns lagen noch Rumänien, Moldawien, Ukraine, Ungarn, Slowakei, Tschechien und Polen, bevor wir mit Deutschland wieder in ein Gebiet kamen, in dem wir auch im Winter unterwegs sein konnten. Wir durften also nicht trödeln, sondern mussten unseren Schnitt von 20km/Tag halten. Gleichzeitig brauchten wir aber auch Zeit für das Buch und alles andere, was so anstand. Ihr merkt also, der Druck meines Verstandesgegners, baute sich schon ganz ordentlich auf.

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Dennoch gab es auch immer wieder kleine Annekdoten, die einen aufmunterten und die Ansträngung vergessen ließen. So kamen hin uns wieder Autos an uns vorbei, die die gleiche Technik zur Ladungssicherung verwendeten, wie im Balkan. Heute überholte uns ein Fahrer, der ein langes Abflussrohr transportierte, das er einfach hinten auf den Tankdeckel und vorne auf den Außenspiegel gelegt hatte und mit seiner linken Hand festhielt, wärend er mit der rechten lenkte. Ein anderes Gefährt war sogar noch besser. Es transportierte eine riesige Regipsplatte oben auf dem Dach. Der Fahrer hielt sie mit der linken, der Beifahrer mit der rechten Hand fest. Sonst gab es keine Ladungssicherung. Außerhalb der Ortschaften gab es nun nur noch Felder und Plantagen bis zum Horizont und massenweise Sklavenarbeiter, die sich darum kümmerten. Angebaut wurde hier so ziemlich alles: Erdbeeren, Himbeeren, Rosenblüten, und vieles mehr. Kurioser Weise konnte man nichts davon hier bekommen. Alles war rein für den Export. Irgendwo trafen wir einen Feldbesitzer, der sich kurz mit uns unterhielt und ein wenig von seiner Arbeit erzählte. Für die Arbeiter auf den Feldern war es ein Knochenjob, bei dem sie am Tag kaum mehr als ein paar Euro verdienen konnten. Doch für den Feldinhaber war es ein lohnendes Geschäft. Er konnte sich mit seinem relativ kleinen Feld ein Haus in einem Nobelbezirk in der Schweiz leisten, in dem er einen Großteil seiner Urlaubstage verbrachte.

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Kurz darauf erreichten wir Popovo, eine große Stadt, die erstaunlicherweise weder besonders hässlich, noch unangenehm oder unheimlich war. Dafür war sie jedoch auf ihre Art beeindruckend abstrakt. Es gab eine einzige Einkaufsmeile in der es mehr als 10 Handyläden gab. Das waren rund doppelt so viele wie Klamottenläden und gut drei Mal mehr als Fressbuden. Spannend war, dass die Fassaden der Läden alle schön und modern hergerichtet waren. Wenn man direkt davor stand, fühlte man sich also wie im Zentrum einer modernen und gut gepflegten Kleinstadt. Schaute man jedoch von weiter weg, so dass man die Häuser als ganzes erblicken konnte, stellte man fest, dass der renovierte Teil direkt über dem Schaufensterbereich aufhörte. Dafüber waren die Häuser die gleichen alten und verfallenen Baracken, wie überall sonst in der Stadt. Auffällig war auch, dass hier in der größeren Stadt plötzlich überall hübsche und gut gekleidete Mädchen und junge Frauen unterwegs waren. Fast alle Positionen in den Läden, Cafés und sogar in den Tankstellen, waren von hübschen, jungen Frauen besetzt, die ganz bewusst sexy gekleidet waren. Nun verstanden wir auch, warum uns die Menschen alle von den schönen Frauen in Bulgarien vorgchwärmt hatten. Bislang hatten wir davon noch nichts feststellen können. Faktisch gab es hier also nicht mehr weibliche Schönheiten als in anderen Ländern, aber die, die es gab, wurden ganz gezielt an strategisch sinnvollen Stellen plaziert, so dass sie einen möglicht großen Nutzen einbrachten. In unserer Gesellschaft ist das vielleicht nichts außergewöhnliches, aber wenn man mal genauer darüber nachdenkt, was es mit den Menschen macht, dann ist das schon eine ziemlich abartige Sache. Denn letztlich geht es dabei ja um nichts anderes, als um ein Verkaufen der Weiblichkeit.

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Einige Kilometer außerhalb der Ortschaft wurden wir von einem Motorradfahrer angehalten, der ebenfalls mit sehr viel Reisegepäck unterwegs war. Er war Belgier und hatte bis vor wenigen Jahren als Pilot gearbeitet. Nun war er Frührentner und hatte von seinem Heimatland die Schnauze voll. Belgien hatte weltweit die höchsten Steuern, die ein Land nur haben konnte un so blieb von seier hart erarbeiteten Rente fast nichts übrig. Bulgarien hingegen hatte überhaupt keine Steuern auf Renteneinkünfte un auch keine Mehrwertsteuern auf die Dinge, die man einkauft. Für das Haus, das er sich hier gebaut hatte, zahlte er im Jahr gerade einmal 17€ an Steuern im Jahr. Wie der bulgarische Staat sich dabei finanzierte, war uns ein Rätsel. Schmiergelder vielleicht? All dies waren schlagkräftige Argumente, um seinen Wohnsitz hier her zu verlegen. Seine Frau hatte es dennoch nicht überzeugt und so lebte sie auch weiterhin in Belgien. Gerae hatter er eine Motorradtour in seine Heimat gemacht, um sie zu besuchen. Die meiste Zeit war er ohnehin unterwegs und er verbrachte nur wenige Tage im Jahr in seinem neuen Haus. Unter dem finanziellen Aspekt sprach natürlich einiges für eine Altersresidenz in Bulgarien und doch waren wir uns absolut sicher, dass es für uns nicht in Frage kam. Die Natur außerhalb der Ortschaften war schön, aber wir konnten uns nicht vorstellen, dass wir auf Dauer mit der Mentalität der Menschen und mit der Infrastruktur des Landes zurecht kämen. Allein die Nahrungsauswahl war hier eine Katastrophe. Günstig war ja schön, aber es war eben einfach nicht alles. Freundlicher Weise wies uns der Belgier darauf hin, dass es die Nacht ein heftiges Gewitter geben sollte und dass es daher vielleicht keine allzu gute Idee war, im Zelt zu übernachten. Eine Alternative war dieses Mal sogar relativ schnell gefunden. Wir bekamen eine Bushaltestelle im Ort, zu der ein kleiner, geschlossener Aufenthaltsraum gehörte.

Spruch des Tages: Bulgarien ist kein leichtes Reiseland

Höhenmeter: 230 m Tagesetappe: 22 km Gesamtstrecke: 16.002,27 km Wetter: sonnig und heiß Etappenziel: Zeltplatz unter einer Baumgruppe, in der Nähe von 827110 Jijila, Rumänien

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Heiko Gärtner
Heiko Gärtner ist Wildnismentor, Extremjournalist, Survivalexperte, Weltreisender und einer der führenden Experten auf dem Gebiet der Antlitz- und Körperdiagnostik. Nachdem er einige Jahre als Agenturleiter und Verkaufstrainer bei einer großen Versicherungsagentur gearbeitet hat, gab er diesen Job auf, um seiner wahren Berufung zu folgen. Er wurde Nationalparkranger, Berg- und Höhlenretter, arbeitete in einer Greifenwarte und gründete schließlich seine eigene Survival- und Wildnisschule. Seit 2014 wandert er zu Fuß um die Welt und verfasste dabei mehrere Bücher.

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