Tag 904: Umgang mit Zeitfressern

von Heiko Gärtner
21.07.2016 17:23 Uhr

29.05.2016

Am nächsten Morgen herrschte wieder einmal absolute Hitze. Das Termometer war nun bereits auf über 35°C im Schatten geklettert beim Wandern lief uns das Wasser in wahren Bächen vom Körper. Vor allem ich schwitzte wie ein Schwein. Heiko schaffte es irgendwie, seine körpertempetarurregulärischen Fähikeiten so zu kontrollieren, dass er sein Körperwasser einigermaßen bei sich behalten konnte. Nach einigen Kilometern kamen wir in eine größere Ortschaft, die schon eher eine Stadt als ein Dorf war. Eigentlich hatten wir uns erhofft, dass wir hier ein bisschen mehr an Nahrungsvielfalt finden würden und vielleicht sogar eine neue Sitzmatte für mich auftreiben konnten, da meine alte leider verlorengegangen war. (Das gute alte Thema mit der Aufmerksamkeit) Doch im Endeffekt bekamen wir überhaupt nichts. Kein einziger laden wollte uns etwas geben und einkaufen konnte man auch nur Dinge, die wir nicht wollten. Der einzige Erfolg, den uns die Stadt einbrachte war, dass ein Straßenhund unsere Kühltasche anfraß und all unsere Essensvorräte stal. Wir waren nun also nahrungstechnisch komplett mittellos und mussten hungernd wieder hinaus in die Agrarwüste.

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Später hatten wir aber mehr Glück. Kurz vor der nächsten Ortschaft entdeckten wir eine kleine Ferienresidenz mit mehreren Bungalows, in der wir kostenfrei übernachten und sogar essen durften. Am Abend konnten wir vor unserer Tür dann sogar noch einer jungen Katze dabei zusehen, wie sie fangen mit einer Blindschleiche spielte. Für die Blindschleiche war das Spiel wahrscheinlich nicht ganz so lustig, doch sie hatte das Glück, dass die Katze keinen Hunger auf sie hatte. Als die Blindschleiche so erschöpft war, dass sie sich nicht mehr rührte, verlor die Katze das Interesse und wandte sich von der Möchtegernschlange ab. In einem unbeobachteten Moment konnte sie sich dann ins Gebüch zurückziehen.

30.05.2016 Der Tag begrüßte uns mit einem heftigen Gewitter, das wirkte, als stünde nun endgültig der Weltuntergang auf dem Programm. Doch bereits wenige Stunden später hatte sich alles wieder geklärt und es wurde genauso brüllend heiß wie am Vortag. Durch die Berge kamen wir in eine kleine Geisterstadt, die aussah, als wäre sie schon vor Jahrzehnten verlassen worden. Doch offensichtlich lebten hier noch immer einige Menschen, denn plötzlich tauchte eine alte Frau vor uns auf, die uns freundlich, aber trotzdem leicht gruselig anschaute und grüßte. Am Ende des Ortes gab es sogar einen kleinen Minimarkt mit einer Bar. Vier betrunkene Männer saßen davor und ein fünfter Mann stand innen hinter der Kasse. Der Laden bestand aus einem einzigen Regal mit Konservendosen, wobei jede Sorte nur ein einziges Mal vorhanden war. Außerdem gab es etwas altes, trockenes Brot und genau eine Wurst. Wasser besaß der alte Mann in seinem Laden nicht, doch mit Brot und Wurst half er uns gerne aus. Auch in den nächsten Ortschaften sah es nicht viel anders aus. Alles wirkte tot, verlassen und irgendwie traurig. Und doch war es auf abstrakte Art äußerst belebt. Kaum hatte sich Heiko einen schattigen Platz für den Ausgangspunkt gesucht, wurde er auch schon von verschiedenen Personen belagert, die alle irgendetwas von ihm wissen wollten. Auf der einen Seite konnte man es ja irgendwie verstehen, dass man Neugierde weckte, wenn man der erste Fremde war, der seit Jahrhunderten durch so ein Dorf kam. Auf der anderen Seite war es aber auch etwas unangenehm, dass man sofort zum Freiwild erklärt wurde, nur weil man als Wanderer eine Rast machte. Vor allem aber war es störend, dass man als Fremder auch hier schon wieder automatisch ein Verbrecher war. Vor allem der Bürgermeister spielte sich auf wie eine Rohrdrossel und veranstaltete gleich ein ganzes Verhör. Da er selber aber dummerweise keine Sprachen sprach, musste er den Telefonjoker ziehen und seine Tochter am Handy als Dolmetscherin einschalten. Dieser war das Verhalten ihres Vaters so peinlich, dass sie kaum mit Heiko sprechen konnte. Die beiden fanden jedoch einen recht guten Draht zueinander, in dem sie sich über den Aufzug des Bürgermeisters amüsierten. Nachdem er die Erklärung von Heiko gehört hatte, fragte er mehrfach, ob er uns irgendwie helfen könne, doch jedes Mal wenn Heiko ihm darauf eine Antwort gab, ignorierte er sie. Die Frage war also rein rethorischer Natur und sollte lediglich den Anschein erwecken, dass er eine Menschlichkeit besaß. Später bewieß er dann jedoch noch einmal mit Nachdruck, dass er tatsächlich keine hatte, denn obwohl er nun alles über uns wusste, was es für einen wildfremden Bürgermeister, der einen bei der Rast störte zu wissen gab, hetzte er uns trotzdem die Polizei auf den Hals. Kurz vor unserer Zielortschaft wurden wir gestoppt, kontrolliert und durften dem jungen Beamten noch einmal genau das gleiche erklären. Er spach Englisch und war ein recht aufgeweckter, freundlicher Kerl, weshalb er auch keinen Heel daraus machte, dass ihn diese Kontrolle genauso nervte wie uns. Doch er habe keine Wahl gehabt, denn aus dem Nachbarort hätte es die Beschwerde gegeben, dass sich zwielichtige Gestalten in der Gegend herumtreiben, die überprüft werden müssten.

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Zum Schlafen suchten wir uns schließlich einen Zeltplatz hinter einem Bahndamm. Wenn ein Zug vorbei fuhr, dann flogen wir mitsamt des Zeltes jedesmal zweieinhalb Meter in die Höhe. Doch zum Grlück kamen nicht allzu oft Züge vorbei. Da unsere Nahrungs- und vor allem Wassersuche bislang eher erfolglos geblieben war, musste ich noch einmal in den nächsten Ort um etwas aufzutreiben. Insgesamt brauchte ich dafür über eine Stunde und schon wieder bekam ich das gute alte Thema mit der Zeitnot gespiegelt. Mein innerer Glaubenssatz lautete einfach: “Ich habe niemals genügend Zeit, um das zu schaffen, was ich schaffen will!” und so musste ich unweigerlich alles an Zeitfressern in mein Leben ziehen, was nur möglich war. Ein Umstand, der sich leider auch bis heute noch nicht geändert hat.

Spruch des Tages: Die reinste Form des Wahnsinns ist es, alles beim Alten zu lassen und gleichzeitig zu hoffen, dass sich etwas ändert. (Albert Einstein)

Höhenmeter: 390 m Tagesetappe: 26 km Gesamtstrecke: 15.980,27 km Wetter: sonnig und heiß Etappenziel: Zeltplatz mitten im Ort neben einem Hof, 827230 Turcoaia, Rumänien

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Heiko Gärtner
Heiko Gärtner ist Wildnismentor, Extremjournalist, Survivalexperte, Weltreisender und einer der führenden Experten auf dem Gebiet der Antlitz- und Körperdiagnostik. Nachdem er einige Jahre als Agenturleiter und Verkaufstrainer bei einer großen Versicherungsagentur gearbeitet hat, gab er diesen Job auf, um seiner wahren Berufung zu folgen. Er wurde Nationalparkranger, Berg- und Höhlenretter, arbeitete in einer Greifenwarte und gründete schließlich seine eigene Survival- und Wildnisschule. Seit 2014 wandert er zu Fuß um die Welt und verfasste dabei mehrere Bücher.

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