Tag 955: Hundini

von Heiko Gärtner
06.09.2016 03:14 Uhr

29.07.2016

Heute hatten wir bereits den vierten Tag in Folge, an dem wir eine Strecke von 45km zurücklegen mussten. Es war, als würde uns die Ukraine wie mit einer Flutwelle aus sich herausspülen. Im Nachhinein betrachtet war dies auch nicht verkert, da wir andernfalls viel zu weit in den Herbst gekommen wären, doch jetzt im Moment fühlte es sich nicht besonders gut an. Es war wie auch an den letzten Tagen immer das gleiche vertrackte Spiel. Nach dem es die Nacht wieder einmal durchgeregnet hatte, brachen wir auf und kamen zunächst wieder durch Gegenden, in denen es einigermaßen angenehm war und in denen man vielleicht sogar einen Zeltplatz hätte finden können. Dann erreichten wir wieder einmal einen Pass, der Menschenleer und wunderschön in der einsamen Natur lag. Hier hätten wir schlafen können, doch dafür hatten wir nicht genügend Wasser und Nahrung bei uns. Nach dem Pass jedoch, gab es wieder einmal für endlose Kilometer überhaupt keinen Platz, an dem man sich zum Zelten hätte hinlegen können, da alles wie üblich bebaut war.

Auch heute begleitete uns die kleine Hündin wieder auf Schritt und Tritt. Immer, wenn wir nun einen Garten fanden, der belebt aber unbeaufsichtigt war, schnappten wir sie uns setzten sie hinein. Es wurde fast schon zu einem Ritual, denn jedes Mal schaffte sie es wieder aufs Neue, sich zu befreien und unsere Fährte wieder aufzunehmen. Kein einziges Mal nahm sie uns den Versuch, sie loszuwerden böse, es war fast, als freute sie sich sogar darüber, uns zeigen zu können, was für eine geschickte ausbrecherin sie war. Auf der einen Seite wollten wir natürlich wirklich, dass die aus unsere Herde wieder ausrat, auf der anderen Seite waren wir aber auch mächtig stolz auf sie, wie gut sie im Entkommen war. Wir hatten keine Ahnung von ihrer Vorgeschichte, aber sie musste einen unglaublichen Hunger nach Liebe, Freiheit, Bewegung Wertschätzung haben. Vermutlich war sie zuvor die Hündin eines Schäfers gewesen, denn das einzige Mal, dass sie tagsüber zu bellen begann war, als wir an einer Schäferstatue vorrüber kamen. Sonst war sie immer Friedlich und Fröhlich gewesen, doch in diesem Moment sprach der blanke Hass aus ihr. In Anlehnung an ihren großen Erfolg als Entfesselungskünstler, tauften wir sie auf den Namen Hund-Dini. Insgesamt schaffte sie es heute noch fünf mal, zu entkommen und uns wieder zu finden. Erst beim sechsten, also beim achten Versuch insgesamt blieb sie wirklich im Garten zurück. Für lange Zeit trauten wir uns nun nicht mehr, eine Pause zu machen, da wir fürchteten, dass sie sich doch noch befreien und unsere Witterung aufnehmen würde. Als wir jedoch eine Pause machten, stellten wir uns noch einmal intensiv die Frage, warum die kleine Hündin in unser Leben getreten war. Wir kamen dabei auf drei verschiedene Aspekte. Zum einen war sie ein Spiegel unseres Helfersyndroms. Wir hatten sie nicht eingeladen und doch fühlten wir uns irgendwie für sie verantwortlich, weil sie bei uns war. Ihr keine Nahrung abzugeben und sie in diesem Bereich sich selbst zu überlassen fiel uns nicht leicht und mehrfach scheiterten wir damit sogar, wenn auch immer nur ein bisschen. Ihre Anwesenheit zeigte jedoch noch einmal deutlich, dass ein Herdenmitglied auch einen Vorteil für die Herde bringen musste, wenn es dabei sein wollte. Einfach nur da zu sein, war belastend und energieraubend, änhlich wie es auch bei Paulina der Fall gewesen war. Selbst dann, wenn es sich um ein Wesen handelte, das man mochte und das eigentlich ziemlich cool war.

Der zweite Punkt, auf den uns die Hündin hinwies, war der Aspekt der Tierkommunikation. Franz von Assisi hatte damals die Fähigkeit gehabt, mit Tieren zu sprechen. Unter anderem hatte er dabei auch mit einem Wolf kommuniziert, von dem er einen wichtigen Schlüssel für sein Leben gelernt hat. Auch hier machten wir später noch eine spanndende Entdeckung, als wir unsere Muskeln zum Thema frühere Leben befragten. So wie es aussah, hatte ich bereits 301 Leben hinter mir, in dem ich es nicht geschafft hatte, meine Lebensaufgabe zu erfüllen und zur Erleuchtung zu kommen. Alle 301 Leben war ich dabei ein Mensch gewesen und fast immer hatte ich einen starken religiösen Bezug gehabt. Einer dieser früheren Inkarnationen war, wie bereits erwähnt, Franz von Assisi. Heiko hatte es insgesamt 16 Mal nicht geschafft, in die Erleuchtung zu kommen. Alle 16 Leben vor diesem war es jedoch kein Mensch, sondern ein Wolf gewesen, der es nicht geschafft hatte, die Erdzerstörer in Form der Menschen zu lieben und anzunehmen. Nun war er schließlich selbst zu einem geworden um auch diese Perspektive einmal kennenzulernen, damit er den alten Hass loslassen und wieder zurück ins Gottbewusstsein finden konnte. Einer der Wölfe, die er in seinen früheren Leben gewesen war, war jener, der damals Franz von Assisi begegnet war. Unsere Wege hatten sich also bereits vor mehr als 600 Jahren einmal gekreuzt und schon damals war die Begegnung bedeutsam gewesen.

Schließlich aber gab es noch einen dritten Punkt, auf den uns die kleine Hündin hinweisen wollte. Dieser hatte mit ihrer Fähigkeit in Sachen Entfesselungskunst zu tun. Sie zeigte uns mit einer Eindringlichkeit, die kaum stärker hätte sein können, dass es immer einen Ausweg gab und man sich immer irgendwie befreien konnte. Nach unserem Picknick überquerten wir den Pass, der mindestens so schön wie anstrengend war. Über dem Horizont braute sich schon wieder ein Gewitter zusammen und langsam bekamen wir die Sorge, dass wir wieder in einen heftigen Regenguss geraten würden. Dieses Mal blieb es jedoch aus. Stattdessen trafen wir an der höchsten Stelle der Straße auf zwei große Forstwägen, die uns den Durchgang versperrten. Wenn man sich diese Fahrzeuge einmal genauer anschaute, dann war es kein Wunder mehr, dass sie sämtliche Straßen und Forstwege komplett zerstörten. Mit den Hintergrundinformationen von Anton verstanden wir nun aber, warum die Menschen nichts dagegen sagten. Die Holzabbaufirmen waren hier so mächtig wie die Drogenkartelle in Columbien. Niemand der bei Verstand war, wollte sich mit ihnen anlegen und so nahm es auch jeder hin, dass die Straßen und Wege schließlich nur noch aus Schlaglöchern und Schlamm bestanden. Die Holzfäller selbst schienen davon jedoch nur wenig mitzubekommen, denn sie waren bereits jetst vollkommen betrunken. Unser Auftauchen nahmen sie zwar war, doch sie ließen sich nicht davon stören und so mussten wir mit unseren Wagen über die Wiesen und einen Hang ausweichen. Nachdem wir das Tal erreicht hatten, war es mit der Idylle wieder einmal vorbei. Hier gab es nun wieder nur noch Besiedelung. Es war hart, mit anzusehen, dass dieses Land eigentlich das Paradies sein könnte, es durch die Menschen aber immer mehr in eine Hölle verwandelt wurde. Je länger wir nun in diesem Land unterwegs waren, desto unangenehmer wurden uns die Leute. Langsam kamen wir uns vor wie in einem Zoo, wobei wir die Tieger hinter dem Gitter waren, die permanent an neuen Besuchern vorbeizogen. Wo immer wir auch hinkamen, wir wurden begafft, als wären wir Außerirdische. Oft kam es sogar vor, dass wir von einem Menschen entdeckt wurden, der dann schnell ins Haus lief und seine ganze Familie ans Gartentor holte, damit sie alle gaffen und staunen konnten. Irgendwo konnte man es ja verstehen, dass die Leute fasziniert waren, wenn einmal ein Ausländer vorbei kam, aber das machte es leider nicht angenehmer. Vor allem, da das Starren ohne jeden Ausdruch und ohne jedes Gefühl stattfand. Man hatte ein bisschen das Gefühl, dass die Stasi-Zeit hier noch immer nicht vorrüber war. Jeder überwachte jeden und alles, was nur ein klein Bisschen von der Norm abwich wurde zu einer Art Skandal. Gleichzeitig hatte aber auch niemand ein Problem damit, dass sechsjährige Jungen öffentlich Bier tranken und mit dem Roller durch den Ort heizten.

Auch die wenigen Gespräche, die hin und wieder mit Einheimischen entstanden, die Deutsch oder Englisch sprachen, kamen uns immer skuriler vor. "Oh, ihr seit aus Deutschland! Meine Tochter spricht gut Deutsch, aber sie ist gerade nicht hier!" Was soll man mit einer solchen Aussage anfangen? Man macht sich darüber keine Gedanken, aber stellt euch das Gespräch einmal anders herum vor: "Hallo Sie, ich sehe, Sie sind Ukrainer! Das ist ja spannend. Ich kann leider kein Ukrainisch, aber mein Kumpel Huber schon. Wenn der jetzt hier wäre, dann könnten sie sich mit ihm unterhalten!" Wenn man es so sagt, klingt es vollkommen lächerlich und andersherum ist es ja eigentlich genau das selbe. Nach guten 45km erreichten wir dann endlich einen Platz, an dem wir einigermaßen ungestört zelten konnten. Es war eine private Wiese neben einem Friedhof. Wieder waren wir vollkommen fertig und ausgehungert. Aber ehe wir uns ans Kochen machen konnten, musste ich erst noch die Bremsscheiben erneuern, die sich durch die vielen Berge bereits wieder abgefahren hatten.

Spruch des Tages: Dieser Hund ist ein wahrer Hund-Dini!

Höhenmeter: 20 m Tagesetappe: 30 km Gesamtstrecke: 17.203,27 km Wetter: sonnig und heiß Etappenziel: altes, verlassenes Bauernhaus, Karos, Ungarn

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Heiko Gärtner
Heiko Gärtner ist Wildnismentor, Extremjournalist, Survivalexperte, Weltreisender und einer der führenden Experten auf dem Gebiet der Antlitz- und Körperdiagnostik. Nachdem er einige Jahre als Agenturleiter und Verkaufstrainer bei einer großen Versicherungsagentur gearbeitet hat, gab er diesen Job auf, um seiner wahren Berufung zu folgen. Er wurde Nationalparkranger, Berg- und Höhlenretter, arbeitete in einer Greifenwarte und gründete schließlich seine eigene Survival- und Wildnisschule. Seit 2014 wandert er zu Fuß um die Welt und verfasste dabei mehrere Bücher.

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