Tag 973: Wie Mr. Bean

von Heiko Gärtner
09.09.2016 22:25 Uhr

17.08.2016

Bereits am Abend hatte es immer wieder leicht zu regnen begonnen und nachdem wir uns in unser Zelt zurückgezogen hatten, fielen die Tropfen bereits verstärkt auf uns herab. Die Nacht über regnete es sich dann ein und auch als wir am Morgen aufwachten hatte sich daran noch nichts geändert. Dieses Mal tat uns das Wetter nicht einmal mehr den Gefallen einer kurzen Zusammenpack-Pause und so mussten wir alles im Regen einpacken. Erst nach einigen Kilometern wurde es dann langsam etwas trockener, doch bis dahin war unsere Regenkleidung bereits vollkommen durchnässt und das Wasser lief bereits innen an unseren Beinen herunter. Spannend war jedoch, dass der Regen nun den ganzen Staub aus der Kleidung spühlte, der sich in den letzten Monaten darin angesammelt hatte. An meinen Knien entstanden dabei sogar richtige braune Sandränder, die immer weiter nach unten wanderten und dabei immer dicker wurden. Dummerweise hörte der Regen auf, bevor sie ganz rausgespühlt wurden und so war meine Hose nun zwar faktisch etwas sauberer, sah aber praktisch deutlich schmutziger aus.

Gegen Mittag wurde es ein klein wenig wärmer und so nutzten wir das Dach einer kleinen Fußgängerbrücke in einem Park, für ein Picknick im Trockenen. Beim Schmieren und Belegen der Brote schaffte ich es wieder einmal, alles an Ungeschicklichkeiten anzuhäufen, was nur möglich war. Ich schüttelte den Senf in seiner Flasche nach vorne, vergaß aber den Deckel festzuhalten und spritze ihn so über meinen Rucksach und meine Füße. Dann warf ich aus versehen die Hülle unseres Gewürztstreuers in den Müll, legte das Brot in eine Pfütze, tropfte klebrigen Schmierkäse überall hin und so weiter und so fort. Ich kam mir vor wie Mr. Bean und wusste nicht, ob ich nun lachen oder weinen sollte, weil ich selbst nicht begreifen konnte, wie man so ein Trottel sein konnte. Heiko für seinen Teil entschied sich fürs Lachen und das kann man ihm auch nicht verübeln, denn für jeden außenstehenden war ich die reine Slapstickkommödie. Zunächst war ich schon wieder am Verzeifeln, weil ich nicht verstehen konnte, warum ich Plötzlich all diese Schusseligkeiten anstellte. Dann aber klärte mich Heiko auf, dass ich in letzter Zeit in diesen Sachen kein bisschen Schlimmer geworden war. Mir waren all diese dinge schon immer ständig passiert, auch schon als ich vor vielen Jahren das erste Mal zu Heiko kam.Ich hatte es nur geschafft, es nie richtig wahrzunehmen und deswegen hatte es mich auch nie wirklich gestört. Erst jetzt, wo ich wusste, dass jede dieser unbewussten Trotzhandlungen, mit denen ich mich selbst manipulierte, von meinem höheren Selbst sanktioniert wurden, wurde es mir richtig bewusst. Plötzlich verstand ich, warum ich immer so eine Angst davor gehabt hatte, mich selbst zu betrachten. Ich hatte stets geglaubt, dass ich schon viele meienr Schattenseiten kannte, aber es noch einmal so zu erleben, stellte alles andere in den Schatten. Als Robotter-Zombie hatte ich immer versucht, so gut wie möglich für alle anderen zu funktionieren, mir dabei aber selbst nur Verhaltensweisen antrainiert, die für mein eigenes Leben nicht im geringsten funktionierten. Sogar als ich unterm Weg kacken ging, stellte ich mich dabei so ungeschickt an, dass mein höheres Selbst entschied, dass dafür eine Sanktion nötig war. Es war nichts dramatisches, ich bin nicht in meine eigene Scheiße gefallen oder so etwas. Ich hab mich nur mit meinen Jacken und Hosen und meinem Gurt so verhaspelt, dass ich für´s an- und auskleiden doppelt so lange brauchte wie normal. Und das war eben nicht in Ordnung. Es war einfach nicht praktisch und machte mir das Leben unnötig schwer. Noch imer war ich am Kämpfen gegen mich selbst und noch immer waren all meine Handlungen von einer Rebellion gegen meine Mutter geprägt. Ich konnte und konnte einfach nicht loslassen. Und noch immer weiß ich nicht so genau warum.

Nach dem Picknick fing es wieder richtig heftig zu regnen an und erneut daurte es nur wenige Sekunden, bis wir wieder vollkommen durchnässt waren. Der Schmutz in meiner Hose blieb aber auch weiterhin. Bis zu unserem Ziel mussten wir nun einer kleineren, dann einer größeren Straße folgen. Beide kamen uns extrem laut vor, so dass es richtig in den Ohren weh tat. Entweder die Straßen sind hier noch einmal schlechter als in den letzten Regionen, oder unsere Sinne haben sich gerade wieder ein Stück weit geöffnet, so dass sie nun wieder mehr wahrnehmen. Im angenehmen, wie auch im unangenehmen Rahmen. Was unsere Schlafplatzsuche anbelangte hatten wir heute mehr Glück. Oder besser gesagt, ich stellte mich dabei nicht ganz so dämlich an. Der einzige Haken war nur, dass der Bürgermeister, der das endgültige Ja geben musste, zu Gast auf einer Beerdigung war, so dass wir erst noch eine Stunde warten sollten, bis wir unser Quartier beziehen konnten. Aus der Stunde wurden schnell zwei und so wurde auch dieser Nachmittag nicht der effektivste den wir je hatten. Dann aber bekamen wir ein Zimmer in einer Art Gästewohnung. Was es genau für eine Einrichtung war, verstanden wir nicht, aber es gab eine Küche, mehrere Badezimmr und mehrere Schlafräume mit mehreren Betten. Außer uns lebte hier noch ein kleiner dicker Mann, der immer mit seinem Schlafanzug herumlief und dabei jeden Fernseher aufdrehte, den er finden konnte. Hinschauen tat er jedoch nicht. Stattdessen las er einen Text auf seinem Computer und Telefonierte mit seinem Handy. Als ich ihn ansprechen wollte um zu fragen, ob er den Fernseher vielleicht etwas leiser drehen könnte, wies er nur knapp auf sein Telefon und meinte "Pst! Siehst du nicht, dass ich telefoniere?"

Spruch des Tages: Kann ich den gar nichts richtig machen?

Höhenmeter: 650 m Tagesetappe: 41 km Gesamtstrecke: 17.642,27 km Wetter: überwiegend sonnig und warm Etappenziel: Pfarrhaus, Piotrowice, Polen

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Heiko Gärtner
Heiko Gärtner ist Wildnismentor, Extremjournalist, Survivalexperte, Weltreisender und einer der führenden Experten auf dem Gebiet der Antlitz- und Körperdiagnostik. Nachdem er einige Jahre als Agenturleiter und Verkaufstrainer bei einer großen Versicherungsagentur gearbeitet hat, gab er diesen Job auf, um seiner wahren Berufung zu folgen. Er wurde Nationalparkranger, Berg- und Höhlenretter, arbeitete in einer Greifenwarte und gründete schließlich seine eigene Survival- und Wildnisschule. Seit 2014 wandert er zu Fuß um die Welt und verfasste dabei mehrere Bücher.

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