Warum wir unsere Träume nicht verwirklichen

von Franz Bujor
14.02.2014 22:04 Uhr
 

Träume nicht verwirklichen zu können, macht uns nicht glücklich!

Was uns heute beschäftigt, ist die Frage, warum es vielen so schwer fällt, die eigenen Träume nicht verwirklichen zu können? Aber beginnen wir von vorne. Es gab drei Gründe, warum ich die Damen im Rathaus noch einmal belästigte, nachdem sie uns unseren Schlafraum bereits gezeigt hatten. Zum ersten hatte ich meine Handschuhe auf der Ablage im Sekretariat liegen gelassen, wo sie nun einsam auf mich warteten. Zum zweiten, wollte ich fragen, ob es eine Möglichkeit gibt, ins Internet zu kommen, damit wir unsere Berichte einstellen konnten. Und zum dritten, wussten wir nicht ob und wenn wo, es hier ein Klo gab und die Suche danach wurde langsam dringend. Da meine Schuhe nasser waren als die Straße, ging ich barfuß durch den Regen zurück ins Rathaus. Dort traf ich meine Handschuhe und die drei Frauen, die ich bereits bei meinem ersten Besuch kennengelernt hatte.

Die Toilette war gleich nebenan und würde die ganze Nacht über offen sein, sodass wir sie benutzen konnten. Nur das Internet funktionierte nicht. Dafür lud uns Maria, die Mitarbeiterin, die uns bereits den Raum gezeigt hatte zum Abendessen ein. Außer ihr und ihren beiden Kolleginnen, befand sich noch eine weitere Frau im Raum, die zufälligerweise Deutschlehrerin war und an der gegenüberliegenden Schule arbeitete. Sie löste unser Internetproblem, in dem sie uns einlud, mit in die Schule zu kommen. Wieder einmal war ich begeistert und erstaunt zugleich, wie sehr uns der Zufall oder die Fügung auf unserem Weg half. Die Deutschlehrerin  war insgesamt nicht mehr als 5 Minuten im Rathaus, doch es waren genau die 5 Minuten gewesen, die ich auch da war. Hätte ich auch nur die Zeit aufgewendet, um meine Schuhe anzuziehen, hätte ich sie verpasst.

colombey sehenswuerdigkeiten Dämmerung Nacht

Die Sehenswürdigkeiten finden sich auch am Marktplatz vor

 

So aber saßen wir einige Minuten später im Sekretariat der Schule von Colombey und hatten freien Internetzugang. Mit uns saß noch ein weiterer Junge im Raum, der allerdings weniger Freude daran hatte, hier zu sein. Da er seine heutigen Träume nicht verwirklichen konnte, gerade draußen spielen zu wollen. Er war etwa 10 Jahre alt und musste ganz offensichtlich nachsitzen. Genau das tat er dann auch. Er saß. Ansonsten tat er nichts. Vor ihm lag ein Schulheft mit einem langen Text darin, der vergeblich darauf wartete gelesen zu werden. Doch der Junge interessierte sich für gar nichts, nicht einmal für die Luft in die er Löcher starrte. Kurze Zeit später kam dann auch noch der Hausmeister vorbei und klaute seinen Tisch. Warum er das tat, wissen wir nicht. Den Jungen interessierte aber auch das nicht. Er drehte seinen Stuhl zu uns um und legte sein Heft auf den Tisch, an dem auch ich arbeitete. Dann wandte er sich wieder dem Löcher-in-die-Luft-starren zu. Er zeigte keinerlei Gefühlsregung, weder am Anfang noch am Ende, noch irgendwann dazwischen. Erst als die Schulglocke zum Feierabend läutete, konnte man ein kleines Zucken der Erleichterung in seinem Gesicht sehen. Nur für einen Sekundenbruchteil, dann zeigte er wieder das gleiche, neutrale Desinteresse, dass er auch davor an den Tag gelegt hatte, verabschiedete sich höflich und emotionslos und verschwand durch die Tür. Wir sahen uns an und konnten uns ein breites Grinsen nicht verkneifen.

Die Kirche von Colombey les deux Eglises

Die Kirche von Colombey les deux Eglises

 

Finden wir Ausreden um nicht unseren Träumen folgen zu müssen?

Doch nicht alles in dieser Zeit war zum Lachen. Während ich die Tagesberichte einstellte, beantwortete Heiko die Mails, die in der letzten Zeit angefallen waren. Darunter war auch die Mail eines guten Freundes, der uns eigentlich auf unserer Reise besuchen wollte. Wir hatten uns schon lange auf seinen Besuch gefreut und uns immer wieder ausgemalt wie es wäre, als kleine Herde um die Welt zu ziehen. Doch nun schrieb er, dass er nicht kommen würde. Er nannte eine Menge guter Gründe dafür, seine Träume nicht verwirklichen zu können, doch keiner davon, schien der wahre Grund gewesen zu sein. Zwischen den Zeilen war deutlich zu lesen, dass er Angst davor hatte, das Leben in Freiheit zu schnuppern. Nicht weil er sich vor irgendetwas hier draußen fürchtete, sondern weil er Angst hatte, es könnte ihm so gut gefallen, dass er nicht wieder zurückgehen kann.

colombey eglis Kirche

Die Kirche in Colombey Eglis

Wir merkten deutlich, wie sehr uns die Nachricht mitnahm. Nicht nur, weil wir ihn gerne dabei gehabt hätten, sondern auch weil wir deutlich spürten, dass er sich gegen sein eigenes Herz entschied. Er schrieb als Ausrede, dass es für ihn im Moment wichtiger sei, Schritte in seinem Inneren zu gehen als im Außen. Doch in seiner letzten Mail hatte er uns noch begeistert geschrieben, wie klar ihm bei seiner inneren Einkehr geworden war, dass es so nicht weitergehen konnte. Er wollte etwas verändern und nun wirklich seinen Weg gehen. Und um das zu können, hatte er beschlossen uns ein Stück zu begleiten, damit er herausfinden konnte, ob ihm diese Art des Lebens zusagte oder nicht. Jetzt aber hatte er all diese guten Ideen beiseite geschoben. Die Kündigung, die er bereits geschrieben hatte, weil ihn sein Job krank machte, hatte er zerrissen. Der Alltag hatte ihn wieder eingeholt. Er würde den Schritt in die Freiheit nicht schaffen.

Schmerzlich wurde uns bewusst, dass es nicht nur ihm so ging. Wie viele Menschen hatten uns bereits gesagt, dass sie uns besuchen würden. Wie viele wollten einen ähnlichen Weg gehen. Doch wie wenige würden es letztlich tun? Im Laufe unserer Reise haben wir so viele Menschen kennengelernt, die uns sagten, dass sie ebenfalls davon träumten eine Weltreise oder wenigstens eine Pilgerreise zu machen, doch die wenigsten von ihnen hatten die Hoffnung, dass sich dieser Wunsch eines Tages erfüllen würde. Es gab einfach zu viele Gründe, um die Träume nicht verwirklichen zu wollen, sodass ein Aufbruch fast unmöglich erschien. Erst halten einen der Partner oder die Partnerin davon ab, dann die Kinder oder der Job. „Aber wenn ich in Rente bin, wenn die Kinder aus dem Haus sind, wenn ich wieder frei bin, dann werde ich losziehen!“ Und diejenigen, die in Rente waren, und deren Kinder längst selbst wieder Kinder hatten, diejenigen erzählten uns, dass sie ebenfalls gerne Reisen würden. Die Ausreden waren, nun aber seien sie zu alt. „Wenn ich jünger wäre, wenn ich gesund und fit wäre, dann würde ich sofort mitkommen!“

Wie ihr euch sicherlich vorstellen könnt, gibt es viele mehr oder weniger hilfreiche Bücher darüber. Verschiedene Geschichten und Bücher um Träume verwirklichen zu können, sind für jeden erhältlich. Welche Motivation steckt dahinter, sich auch mit 50 noch seine Träume zu verwirklichen? Was sind meine Träume? Habt ihr ein Ziel, einen Wunsch, eine Vision für euer Leben, aber zweifelst, ob es jemals erreicht werden kann? Findet raus, was ihr braucht, um genau diesen für euch richtigen Weg zu gehen! Viele ideenreiche Sprüche bringen mehr Pep in eure Handlung.
Den eigenen Lebensweg gehen, man hat immer die Wahl

Den eigenen Lebensweg gehen, man hat immer die Wahl

 

Den eigenen Lebensweg leben

Kann es wirklich sein, dass es die Normalität ist, dass wir unsere Träume so lange aufschieben, bis es zu spät ist um sie noch leben zu können? Wir mussten an unseren eigenen Reisestart zurückdenken. Wie schwer war es uns gefallen, alle Brücken abzubrechen und loszuziehen. Weder Heiko noch ich, hatten eine eigene Familie, mit der wir unsere Pläne in Einklang bringen mussten. Wir hatten keinen Job, den wir kündigen konnten, sondern waren unsere eigenen Bosse. Ich hatte nicht einmal eine eigene Wohnung oder Besitztümer, die ich zurücklassen musste. Und doch brauchten wir ein Jahr und unendlich viele schlaflose Nächte, um aufbruchsbereit zu sein. Hätten wir den Schritt geschafft, wenn wir Kinder oder Ehepartner gehabt hätten? Hätten wir einen Weg gefunden, um sie mitzunehmen? Wir wissen es nicht, obwohl wir wissen, dass es möglich ist. Denn es gibt einige Familien, die seit Jahren zusammen mit ihren Kindern reisen und die davon ebenso überzeugt sind, wie wir von unserem Lebensweg. Warum aber macht es uns die Gesellschaft so schwer unsere Träume zu leben? Warum finden wir immer Ausreden um unsere Träume nicht verwirklichen zu wollen? Würde es nicht jedem helfen, wenn jeder so leben könnte, wie er will?

stimmung beim sonnenuntergang

Ein faszinierender Sonnenuntergang brachte Ruhe und Friedlichkeit

 

Plötzlich fühlten wir uns etwas einsam. Was war, wenn wir uns so weit vom gesellschaftlichen Leben entfernten, dass uns irgendwann niemand mehr folgen konnte? Würde es einen Punkt geben, an dem wir uns mit anderen Menschen vielleicht gar nicht mehr verstanden?

Wir grübelten noch eine Weile vor uns hin und schlenderten durch die Straßen in Richtung Lothringisches Kreuz. Die Stimmung, die in der Luft lag, war wirklich so, als wäre die Welt gerade untergegangen und nun neugeboren worden. Es herrschte eine unbeschreibliche Ruhe und Friedlichkeit. Als wir den höchsten Punkt erreichten, sahen wir gerade noch wie auf der anderen Seite des Hügels die Sonne unterging. Alles war in ein magisches Licht getaucht und die letzten Gewitterwolken erstrahlten in einer Mischung aus rot, orange und violett. Der Anblick war überwältigend und wischte sofort alle negativen Gedanken und Gefühle beiseite. Es war einfach unmöglich dieses Naturschauspiel zu sehen und sich dabei schlecht zu fühlen. Wir blieben bis die Sonne ganz verschwunden war und wir vor Kälte zitterten. Allein für diesen einen Augenblick, hatte sich die ganze Reise schon gelohnt.

Warum wollen so viele ihre Träume nicht verwirklichen?

Warum wollen so viele ihre Träume nicht verwirklichen?

 

Gegen acht Uhr klopfte Maria an unsere Tür, um uns zum Essen abzuholen. Nach dem sie ihre Arbeit im Rathaus beendet hatte, hatte sie ihre ältere Tochter zum Tanzen gebracht, wieder dort abgeholt und zusammen mit der jüngeren Tochter zu ihren Eltern gefahren, damit sie auf den Elternabend ihres Sohnes gehen konnte. Nun sammelte sie erst uns und dann ihre beiden Töchter ein, um anschließend für uns alle zu kochen. Herzlicher und fürsorglicher konnte ein Mensch kaum sein. Die Familie lebte in einem sehr alten und sehr schönen Haus, das schlicht aber äußerst stilvoll eingerichtet war. Es war ein Ort zum wohlfühlen, obwohl sie noch immer mitten in den Renovierungsarbeiten steckten.

Und weg war die Sorge über eine mögliche Distanz

Im Laufe des Abends wurden all unsere Sorgen über Einsamkeit und eine mögliche Distanz zu anderen Menschen hinweggewischt. Wir scherzten und lachten und erzählten allerlei Geschichten aus unserem Leben und von unserer Reise. Es war, als hätten wir nach langer Zeit eine gute alte Freundin wiedergetroffen. Und auch in Maria steckte der Traum einer Nomadin, aber sie konnte bisher ihre Träume nicht verwirklichen. Zusammen mit ihrem Mann, wollte sie noch vor der Hochzeit nach Santiago wandern. Dann aber wurde sie schwanger und so verschob sich der Traum immer weiter nach hinten. Nun arbeitet sie halbtags im Rathaus und kümmert sich um die Kinder, während ihr Mann als Lehrer in Paris arbeitet und nur selten zu Hause ist. Ob sie den Weg eines Tages noch gehen wird, weiß sie nicht. Wir wünschen ihr auf jeden Fall, dass es klappt. Vielleicht ja auch schon früher als gedacht, denn auch die Kinder waren von der Idee durchaus angetan.

Der Blick in die Ferne lässt keine Ausreden mehr zu!

Der Blick in die Ferne lässt keine Ausreden mehr zu!

 

A propros Kinder, die kein Problem damit haben, die eigenen Träume nicht verwirklichen zu wollen. Vor dem Abendessen bat Maria uns an, dass wir uns noch duschen könnten, wenn wir es wollten. Der Regen hatte uns zwar bereits reichlich geduscht, aber das hatte nicht wirklich zu unserer Sauberkeit beigetragen und so nahmen wir das Angebot an. Das Badezimmer war urig, hatte aber einen kleinen Haken. Die Tür ließ sich nicht abschließen. Als ich gerade in Unterhose dastand, sprang plötzlich die Tür auf. Die kleine Tochter rannte an mir vorbei, riss sich die Hose herunter und sprang auf´s Klo. Ganz offensichtlich war es dringend gewesen. Ich jedenfalls stand ziemlich verwirrt und überfordert inmitten des Badezimmers und versuchte mich möglichst unauffällig zu verhalten, indem ich einfach erstarrte. Der Kleinen war ich allerdings im wahrsten Sinne des Wortes einmal scheißegal. Sie erledigte, was sie zu erledigen hatte und verschwand. Der Rest meiner Duschzeit verlief ohne weitere Zwischenfälle, aber mit der Entspannung war es für´s erste vorbei.

Spruch des Tages: Tue das, was dein Herz dir sagt!

Tagesetappe: 16 km

Gesamtstrecke: 986,77 km

Franz Bujor
Franz Bujor ist Wandermönch, Web-Nomade und Autor. Nach einem Studium in Kulturwissenschaften, bei dem er unter anderem bei einem Maya-Volk in Guatemala gelebt und in einem Kinderheim in Serbien gearbeitet hat, war er zunächst als Erlebnispädagoge und Wildnismentor tätig. 2014 ließ er sein bürgerliches Leben hinter sich und reist seither zu Fuß und ohne Geld um die Welt. Neben seinem eigenen Entwicklungsweg schreibt Franz besonders gerne über geschichtliche und gesellschaftliche Themen.

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