Zuckerentzug - So süchtig macht Zucker

von Franz Bujor
17.02.2014 21:58 Uhr
 

Wie heftig ist Zuckerentzug wirklich?

Heute war es endlich wieder Sonnig und wir widmen uns dem Thema Zuckerentzug! Wir hatten rund 15° C und in der Sonne, war es sogar noch wärmer. Warm genug auf jeden Fall, um den ganzen Tag über im Pullover zu wandern. Und selbst der, war uns bei den vielen Steigungen manchmal deutlich zu warm.

Der gestrige Abend war nicht mehr besonders ereignisreich. Wir aßen bei unserer Gastfamilie zu Abend und versuchten so gut es ging, mit ihnen zu kommunizieren. Weiter als ein paar freundliche Kommentare über´s Essen und einige Angaben zu unserem Alter und unserer Reise, kamen wir dabei jedoch nicht. Nur mit dem Hund verstanden wir uns ausgezeichnet. Er sah das genauso und forderte jede Menge Streicheleinheiten und ein ausgiebiges Ballspiel von uns ein. Allerdings erst nach dem Essen. Der Google-Übersetzer, der uns schon manches Mal gute Dienste erwiesen hat, verfehlte hier seine Wirkung aufgrund der Abneigung unserer Gastgeber gegen Computer.

Wir schrieben zwar ein paar Zeilen, die sie sich durchlasen, nachdem sie sie ausgedruckt hatten, aber zu einer wirklichen Konversation kam es nicht. Dennoch gab es eine Sache, die uns besonders auffiel. Es war unverkennbar, dass die Familie deutlich reicher war, als die meisten, bei denen wir bisher haben wohnen dürfen. Dennoch fiel das Abendessen hier am spartanischten aus. Das soll überhaupt keine Beschwerde sein, es war sehr lecker und wir waren absolut Dankbar dafür. Doch es war auffällig, dass selbst die ärmsten Familien immer eine große Auswahl an besonderen Käsespezialitäten und an allerlei anderen Leckereien hatten, auch bei vorhandenem Zuckerentzug. Je reicher jedoch die Familien waren, desto mehr konnte man von ihnen das Sparen lernen.

Einen Zuckerentzug spüren wir schneller als uns lieb ist

Einen Zuckerentzug spüren wir schneller als uns lieb ist

Auch über Hochmauern mussten wir klettern, um unsere Übernachtung nutzen zu können

Nach dem Essen und dem Spiel mit dem Hund, machten wir noch eine kleine Runde durch den Ort, um ein paar Fotos zu schießen. Auf dem Rückweg mussten wir feststellen, dass unsere Gastgeber bereits schlafen gegangen waren und daher auch das Hoftor bereits abgeschlossen hatten. Unser Zimmer lag in einem Nebengebäude und so hatten sie wahrscheinlich vermutet, das auch wir bereits im Bett lagen. Um nicht auf der Straße schlafen zu müssen, mussten wir also über die Hochmauer klettern. Klar, wir hätten auch klingeln können, aber wir wollten ja niemanden stören. Innen wurden wir dann bereits vom Wachhund begrüßt, der zunächst einmal ordentlich Alarm schlug. Als er uns erkannte, wedelte er jedoch freudig mit dem Schwanz und freute sich auf weitere Streicheleinheiten. Es zahlte sich also aus, dass wir am Abend einen so guten Draht zu ihm aufgebaut hatten.

Laut unserem Wanderführer war Les Riceys eine Ortschaft mit 1500 Einwohnern, was für diese Gegend eigentlich schon eine richtige Stadt ist. Tatsächlich bestand die Gemeinde jedoch aus drei kleinen Ortschaften, mit je 500 Einwohnern. Das wiederum hatte zur Folge, dass es mit Einkaufsmöglichkeiten bzw. mit Möglichkeiten um nach Nahrung zu fragen eher schlecht aussah. So kam es, dass wir heute nur magere Vorräte dabei hatten, vor allem was Süßwaren anbelangte. Um genau zu sein war es der erste Tag so lange wir zurückdenken konnten, an dem wir weder Schokolade, noch Kuchen, noch Kekse, noch andere Leckereien dabei hatten. Keiner von uns hätte das zuvor geglaubt, aber bereits nach den ersten 10 km auf und ab merkten wir deutlich, wie sehr wir den Süßkram vermissten und Zuckerentzug hatten. Nur ein kleines Stückchen Schokolade! Oder einen einzigen Keks! Kurz zuvor hatten wir eine Picknick Pause gemacht und einige Scheiben Weißbrot mit Wurst gegessen, aber das hatte in Sachen Zuckermangel nicht viel geholfen.

Wie viele Gedanken machen wir uns eigentlich wegen der gefährlichen Zuckersucht?

Wie viele Gedanken machen wir uns eigentlich wegen der gefährlichen Zuckersucht?

 

Zucker ist die stärkste Droge der Menschheit!

Wir kannten das Gefühl bereits von verschiedenen Wildnisseminaren, aber das machte es keinen Deut besser. Zucker ist und bleibt die stärkste Droge der Menschheit. Weder Alkohol, noch Zigaretten, noch Heroin oder Koks machen so sehr abhängig wie dieser weiße Süßstoff. Das mag sich erstmal übertrieben anhören, doch jeder der einmal wirklich versucht hat, auf jede Art von Zucker zu verzichten, weiß, wovon ich spreche. Vor allem unter Anstrengung kommt der Körper in einen Unterzuckerzustand, der Vergleichbar ist mit einem Drogenentzug. Man bekommt weiche Knie, Herzrasen, Schwindelanfälle und kann sogar ohnmächtig werden. Keine Sorge, so schlimm war es bei uns noch nicht. Wir konnten uns ja auch mit Weißmehlprodukten und Mandarinen Abhilfe verschaffen, die ebenfalls den Zuckerspiegel erhöhen.

Bei uns war es mehr die psychische Abhängigkeit die zuschlug und langsam begann uns der Zuckerentzug wahnsinnig zu machen. „Verdammte Scheiße!“, rief Heiko plötzlich. Ich sah ihn entgeistert an und fragte was los sei. „Ich brauche irgendetwas Süßes! Ich fall komplett in den Unterzucker!“ Doch bis zum nächsten Ort waren es noch sechs Kilometer, von denen die meisten bergauf führten. Bei mir dauerte es noch ein paar Minuten, dann war ich an dem gleichen Punkt angelangt.

les riceys unterkunft

Unsere Unterkunft in Les Riceys

 

In der natürlichen Ernährung des Menschen, ist Zucker eigentlich nicht vorgesehen. Oder zumindest nur in kleinen Mengen. Selbst Obst enthält in seiner Urform nur geringe Mengen des Suchtstoffes. Jeder der schon mal eine Quitte gegessen hat, die nichts anderes ist, als die Urform unserer Äpfel und Birnen, kann das bestätigen. Hinzu kommt, dass Früchte zumindest in unserer Region nur im Herbst verfügbar waren. Es gab sie also nur als besondere Leckerei für eine kurze Zeit. Heute haben wir die kurzkettigen Kohlenhydrate zu unserem Hauptnahrungsmittel gemacht. Dass das nicht ohne Folgen bleibt, ist ganz natürlich. So ist Zucker eine der Hauptursachen für viele schwere und tödliche Krankheiten. Diabetes, Arterienverkalkung und Karies sind davon nur die bekanntesten. Doch durch die ständige Verfügbarkeit wird uns unsere Abhängigkeit von Zucker in der Regel nicht bewusst.

Aber wie es so ist im Leben, gibt es auch beim Zuckerentzug Wellenbewegungen. Dieses Hoch kann sehr schnell von fehlendem Durchhaltevermögen und Zweifel abgelöst werden. Das Zuckermonster im Gehirn versucht alles, um wieder die Kontrolle zu übernehmen. Alte Gewohnheiten drängen sich auf, und natürlich meldet sich auch das lang bediente Belohnungssystem. Ist Honig oder Obst erlaubt? Informiert euch vorher über einen möglichen Blähbauch, oder wie ein Rückfall vermieden werden kann.

Vor einigen Jahren haben Wissenschaftler ein Experiment zu diesem Thema durchgeführt. Dabei gab es zwei Gruppen von Babys, die beide eine große Auswahl an unterschiedlichen Lebensmitteln zur Verfügung gestellt bekamen. Die eine Gruppe bestand aus den Kindern von Menschen, die ganz normal in unserer Gesellschaft lebten. Die zweite Gruppe bestand aus den Kindern eines Aborigines-Clans, der sich noch auf die traditionelle Weise ernährte. Alle Zivilisationskinder stürzten sich sofort auf sämtliche Süßigkeiten und aßen bis nichts mehr davon übrig war. Die Aborigine Kinder hingegen rührten keine Lebensmittel an, die Zucker oder andere schädliche Stoffe enthielten, sondern wählten genau die Produkte aus, die ihr Körper am meisten brauchte. Ein Junge beispielsweise aß große Mengen an Lebertran. Als die Ärzte ihn untersuchten, stellten sie fest, dass er eine Leberschwäche hatte und dass sein Körper die Bitterstoffe zur Regeneration benötigte. Als der Junge wieder gesund war, rührte er den Lebertran nicht mehr an.

Ein besonderes Hexenhaus aus Steinen

Ein besonderes Hexenhaus aus Steinen

Kommen wir mit einer Zuckersucht auf die Welt?

Das Experiment zeigte deutlich, dass wir bereits mit einer Zuckersucht auf die Welt kommen. Das ist auch kein Wunder, wenn man bedenkt, dass die meisten Mütter während der Schwangerschaft zwar auf Alkohol und Zigaretten, nicht aber auf Zucker verzichten. Da Zucker bei uns im Allgemeinen nicht als besonders schädlich gilt, zumindest so lange man es nicht übertreibt, gibt es dafür ja auch keinen Grund. Daher wird kein vorzeitiger Zuckerentzug unternommen.

Als wir uns heute schweißgebadet und von Schokolade träumend auf die nächste Anhöhe kämpften, wurde uns jedenfalls deutlich bewusst, dass wir unsere Zuckersucht dringend überwinden mussten. Noch mehr beschäftige uns jedoch die Frage, woher wir Süßigkeiten bekommen konnten, bis es so weit war. Ich weiß, das klingt jetzt nicht besonders konsequent, aber so ist das eben mit guten Vorsätzen.

Um uns besser zu fühlen, hackten wir daher ein wenig auf Süchten herum, die wir nicht haben, wie dem Zuckerentzug. Alkohol war da zum Beispiel ein gutes Thema. Uns fiel auf, dass Deutschland im internationalen Ranking des Alkoholkonsums noch relativ gut dastand. Zumindest, wenn man es oberflächlich betrachtet. Als Land des Bieres haben wir uns als Nationalgetränk etwas ausgesucht, das nur ca. 4,5 % Alkohol enthält. Die Franzosen liegen da mit ihrem Wein mit rund 12 % schon deutlich drüber. Wenn man also davon ausgeht, das beide Getränke im Volksmund nicht als Alkohol gewertet werden und man sie trinkt wie Wasser, dann sind die Deutschen bei gleicher Literzahl nur ein Drittel so stark betrunken. Wie mag es dann wohl in Russland sein, wo das Nationalgetränk Wodka mit ca. 40 % ist? Der Vergleich mag etwas platt sein, aber er ist auf jeden Fall eine Reise wert.

les riceys kultur

Kultur in Les Riceys

Wie Wanderer Freundlich ist die Gegend?

Hungrig und ausgelaugt erreichten wir schließlich Villiers-le-Bois, eine kleine Ortschaft auf einer Hügelkuppe. Das Fiese an dieser Gegend aus Sicht eines Wanderers ist, dass man seine Ziele zum Teil schon Stunden oder auch Tage im Voraus sehen kann. Vor einigen Tagen sahen wir beispielsweise das Blinken eines Funkmastes, an dem wir gestern dann auch wirklich vorbeiliefen. Mit Villiers-le-Bois war es nicht ganz so schlimm, doch zwischen dem ersten Sichtkontakt und dem tatsächlichen Erreichen, lag noch eine gute und sehr anstrengende Stunde.

Dass der Ort von der Tendenz her eher klein ist, merkte man sofort daran, wie einfach man hier einen Schlafplatz bekommen konnte. Wir suchten das Rathaus, gingen hinein, fragten einen Mann und schon war alles erledigt. „Wollt ihr einen Stempel?“, fragte er, als er erfuhr, dass wir Pilger waren.

„Ja, auch, aber eigentlich suchen wir einen Schlafplatz!“, antwortete ich.

„Ein Schlafplatz ist selbst verständlich, aber zuerst gibt es einen Stempel!“, gab er zurück und freute sich wie ein Schnitzel darüber, dass er seinen Jakobs Stempel präsentieren durfte.

Nun hatten wir ein Schlafquartier und eine Küche, aber noch immer nichts zu essen. Um dieses Problem zu lösen, gingen wir durch den Ort um an den Haustüren zu klingeln. Das klingt erst mal recht simpel, wird jedoch um einiges komplexer, wenn man merkt, dass es im gesamten Ort keine Klingeln gibt. Oder so gut wie keine. Schließlich trafen wir einen Mann, der im Garten arbeitete und uns ein paar Kartoffeln schenkte. Zusammen mit unserer Tomatensauce aus Colombey hatten wir damit schon mal ein anständiges Abendessen. Trotzdem wollten wir noch versuchen, ob wir nicht auch ein paar Süßigkeiten bekommen konnten. Ja ich weiß, das ist nicht sinnvoll, aber so eine Sucht kann einen ganz schön nerven.

Nach einer ziemlich direkten Abfuhr von einem älteren Herren, wurden wir von einem anderen Mann auf einen Kaffee eingeladen. Dazu bekamen wir diese länglichen Kekse mit der Zuckerkruste obendrauf. Die perfekte Suchtbefriedigung unseres quälenden Zuckerentzug also! Und dazu noch etwas, das Kindheitserinnerungen weckt. Der Mann und seine Frau waren gerade dabei, ihr Haus zu renovieren und freuten sich daher über etwas Ablenkung. Diesmal konnten wir uns auch wieder recht gut über den Internettranslater verständigen. Nachdem wir ein bisschen von uns erzählt hatten, zeigte uns die Frau eine völlig neue Welt, von der wir zwar schon gehört hatten, die wir aber selbst noch nicht kannten.

les riceys kriche

Die eindrucksvolle Kirche in Les Riceys

Ein wahrer Fan von Mindcraft

Sie war ein begeisterter Fan von Mindcraft, einem Computerspiel bei dem man Dinge, Gebäude und ganze Landschaften aus kleinen Würfeln bauen konnte. Eine Art digitaler Legobaukasten also. Ihr neustes Projekt war ein originalgetreues Abbild des Doms von Aachen. Seit Monaten baute sie mindestens 3 Stunden täglich, an dem animierten Kunstwerk und hatte sowohl das Gebäude selbst, als auch die komplette Inneneinrichtung mit allen Fresken, Statuen, Altären, Kerzen und was nicht sonst noch alles erschaffen. Es würde noch drei weitere Monate dauern, bis sie ihn ganz fertig hatte. Ihre Begeisterung schlug sofort auch auf uns über, wenngleich wir nicht ganz verstanden, warum man das alles baute. So viel Geduld für die Erschaffung einer virtuellen Welt aufzubringen, wo es doch eine so schöne da draußen gab, erschien uns ebenso beeindruckend wie befremdlich. Wobei ich da als Autor eines Blocks meinen Mund vielleicht nicht so weit aufreißen sollte, denn auf eine gewisse Weise, tue ich ja gerade nichts anderes.

blumenschmuck

Der bezaubernde Blumenschmuck zierte unseren Wanderweg

 

Der Nachmittag bei den beiden war auf jeden Fall sehr gelungen und so gingen wir nach einigen Stunden fröhlich zum Rathaus zurück. Unser Zuckermangelproblem mit dem nervenden Zuckerentzug war nun gelöst. Dafür hatten wir ein neues. Wir hatten in den letzten Stunden so viel Kaffee in uns hineingeschüttet, dass wir nun beide einen Koffein Schock hatten. Der Erfolg davon glich dem Unterzucker: Zittern, Nervosität und weiche Knie. Das hatten wir ja toll hinbekommen. Da hilft nichts, als eine ordentliche Portion Countrypotatoes mit Tomatensauce!

Spruch des Tages: "Mein Garten" sagte der Reiche und der Gärtner lächelte.... (Orientalisches Sprichwort)

Tagesetappe: 17 km

Gesamtstrecke: 1045,77 km

Franz Bujor
Franz Bujor ist Wandermönch, Web-Nomade und Autor. Nach einem Studium in Kulturwissenschaften, bei dem er unter anderem bei einem Maya-Volk in Guatemala gelebt und in einem Kinderheim in Serbien gearbeitet hat, war er zunächst als Erlebnispädagoge und Wildnismentor tätig. 2014 ließ er sein bürgerliches Leben hinter sich und reist seither zu Fuß und ohne Geld um die Welt. Neben seinem eigenen Entwicklungsweg schreibt Franz besonders gerne über geschichtliche und gesellschaftliche Themen.

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