Tag 407: Wie lernt man Urvertrauen?

von Heiko Gärtner
13.02.2015 19:01 Uhr

Von unserer Herberge aus durchquerten wir die kleine Stadt, bis wir schließlich ans oberen Ende einer Schlucht stießen, in die wir hinabsteigen mussten. Plötzlich gaben die grauen, dreckigen und heruntergekommenen Häuser den Blick auf die Umgebung frei, die so unglaublich schön war, dass man es kaum fassen konnte. Die Stadt war vom ersten Moment in dem wir sie betreten hatten ein unwirtlicher Ort, an dem wir uns nicht vorstellen konnten, wie hier überhaupt jemand leben wollte und doch lag sie inmitten der traumhaften Berge, Schluchten und Täler. Es war ein bisschen, wie die Situation, die wir auch oft in unseren Köpfen haben. Das Leben ist wunderschön und voller Geschenke und guter Aussichten, doch wir verbauen uns die eigene Weltsicht gerne so sehr mit Mauern aus düsteren Gedankenkonzepten, dass wir glauben uns an einem gottlosen Ort zu befinden. Dabei bemerken wir aber nicht, dass wir all das Leid, das wir sehen und erleben selbst erschaffen haben. Wir sehen nicht, dass wir es waren, der den Käfig um uns herum errichtet hat. So leiden wir unter unseren eigenen Konstrukten, die uns die Sicht auf die Schönheit der Welt versperren und haben ganz vergessen, was eigentlich dahinter liegt. Doch anstatt die Mauern einzureißen, versuchen wir nur immer noch größere und Stärkere zu bauen, in der Hoffnung, dass sie irgendwann einmal etwas Positives werden. Doch nur wenn wir erkennen, dass wir in der Natur zuhause sind und unsere künstlichen Mauern einreißen müssen, können wir wirklich wieder frei sein.

Der Weg durch die Schlucht und den Sonnenschein war einer der schönsten, die wir in den letzten Tagen zurückgelegt hatten. Kurz vor unserem Etappenziel erreichten wir jedoch eine zweite Schlucht und hier ging es dann wirklich abwärts. So steil und so tief, dass es zur größten Herausforderung der Reise wurde, diesen holprigen Trampelpfad zu meistern. Unten erreichten wir dann einen kleinen Bachlauf über den eine alte steinerne Brücke führte. Auf der anderen Seite ging es schließlich über steile Pfade und Treppen wieder hinauf bis nach oben auf einen kleinen Dorfplatz. Am Ende war ich so durchgeschwitzt, dass mir das Wasser in Strömen übers Gesicht lief. Hier war definitiv Schluss mit unserer Wanderung!

Es sah auch sehr gut aus. Alle Einheimischen, die wir fragten, bestätigten uns, dass es hier einen sehr netten Pfarrer gab, der Pilger kostenlos aufnahm und sogar einen Raum für sie hatte. Das einzige Problem war nur, dass dieser Pfarrer nirgendwo aufzufinden war. Wir warteten über eine Stunde auf dem Kirchenvorplatz, der ungünstiger Weise gerade eine Baustelle war. Wie kommt es eigentlich, dass hier jeder Siesta macht und man nicht einmal eine offene Imbissbude findet, dass die Bauarbeiter aber am Mittag rumhantieren, als gäbe es kein Morgen mehr.

Beim Warten kamen wir noch einmal auf das Thema Darma zurück. In meinem Kopf schwirrten dutzende von Fragen herum. Wie kann ich der Schöpfung dienen? Wie kann ich noch sanftmütiger sein? Wie kann ich meinen Respekt der Schöpfung darbieten? Wie kann ich mehr Frieden auf die Welt bringen? Als ich Heiko von meinen Fragen erzählte grinste er nur und meinte: „Wenn du dich so fühlst und wenn du so denkst, dann bist du schon auf einem guten Weg. Jetzt musst du nur noch ins Handeln kommen, aber das weißt du ja schon. Ansonsten steht einem erfüllten Leben in Gesundheit, Reichtum und Liebe, dass du anziehst nicht mehr im Wege. Es ist das Gesetz der Natur, dass wir mit der Schöpfung zu jeder Zeit verbunden sind. So wie jeder Mensch das Gesetz des Menschseins akzeptieren kann, dass unsere Fingernägel und unsere Haare automatisch wachsen, sollten wir auch die Gesetzmäßigkeit der Verbindung zur Schöpfung akzeptieren.“

„Was mir noch schwer fällt,“ sagte ich, „ist, dass ich wirklich darauf vertraue, dass ich auf dem richtigen Weg bin, wo ich doch oft gar nicht weiß, wo mich dieser Weg überhaupt hin führt.“

„Mh,“ sagte Heiko, „kann es sein, dass du dich ein bisschen fühlst wie ein einsamer Samen in der Dunkelheit der Erde? Du weist nicht, welche Pflanze du später einmal werden wirst, ohne zu wissen wer du eigentlich bist, ist es dir fast unmöglich, Urvertrauen zu fassen.“

„Ja, genau!“ sagte ich.

Heiko lachte und meinte: „Ja, dass ist genau der springende Punkt. Denn genau an dieser Stelle ist das Urvertrauen besonders wichtig. Man muss mit seinem Aufbruch ins Ungewisse zumindest ein gewissen Grundmaß an Vertrauen aufbringen, denn nur wenn man als Samenkorn aufbricht, kann man auch erkennen, wer man einmal werden würde. In deinen Augen bist du ein Samen, der noch nicht verstanden hat, dass er ein Teil der Sonnenblume ist und trotzdem musst du darauf vertrauen, dass du genau das werden wirst, was deinem Sein entspricht. Dies bedeutete natürlich nicht, dass unser Leben vorbestimmt ist, dass wir also keine Wahl haben, wie wir leben sollten und wir extern von einer höheren Kraft gesteuert werden. Als Sonnenblume haben wir alle Möglichkeiten, die wir haben wollen. Wenn wir wollen können wir riesig werden und vier oder fünf Blüten ausbilden. wir können uns aber auch nur mit einer begnügen und diese sogar asymmetrisch werden lassen, wenn uns danach ist. Wir können gerade oder krumm wachsen, längere oder kürzere Blätter ausbilden und unsere Wurzeln mehr in die eine oder in die andere Richtung ausstrecken. Je mehr Vertrauen wir in uns und in die Schöpfung aufbringen können, desto mehr erkennen wir, dass wir frei sind, solange wir nur nicht versuchen, eine Seerose zu werden.“

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Langsam wurde mir klar, dass ich aufgrund des Schöpfungsplans nur als eine Sonnenblume heranreifen konnte und ich wurde mir zu 1000% sicher, dass die Schöpferkraft alles dafür tun würde, um mich auf diesem Weg zu unterstützen. Warum sollte ich also jetzt noch Existenzangst haben? So wie die Sonnenblume weiß, dass Gott ihr Regen und Sonne schenken wird, sollte auch ich wissen, dass ich als Samen von Gott gehütet werde, so dass ich zu einem Geschöpf Gottes werden kann, um der göttlichen Bestimmung in Leichtigkeit zu folgen. Doch noch immer fiel es mir schwer, dieses uneingeschränkte Urvertrauen, dass jedes einzelne Lebewesen auf diesem Planeten mit Ausnahme der Menschen auf natürliche Weise besitzt, aufzubringen.

Als hätte er meine Gedanken gelesen fuhr Heiko fort: „In meiner Versicherungsära hatte ich gelernt, dass man sich vor allem Sorgen musste. ‚Wenn du keine Unfallversicherung hast, dann wird es dir mit Sicherheit in deinem Leben schlecht gehen.’ ‚Du hast keine Haftpflicht? Stell dir bloß vor, was alles passieren könnte! Dann ist mit einem Schlag dein ganzes Leben ruiniert!’ ‚Wie? Du hast dir noch keine Gedanken über deine Altersvorsorge gemacht? Wie willst du einmal enden, wenn du alt und krank bist?’ So unterlag ich dem Dogma der Gesellschaft, das Vorsorge das wichtigste im Leben sei. Man sorgte sich zu Zeiten an denen nichts passierte, das etwas passieren könnte. Ja, man sorgte sich sogar noch nach, selbst wenn nichts passiert war, das etwas hätte passieren können. Nicht umsonst nennen wir das Recht, das Eltern die Erziehung ihrer Kinder zusichert „Sorgerecht“. Wir hätten es auch Unterstützungsrecht, Begleitrecht oder Vertrauensrecht nennen können. Aber wir haben beschlossen, Eltern von Gesetz her das Recht zu geben, sich über ihre Kinder Sorgen zu machen. Auf diese Weise haben wir uns ein Gesellschaftssystem aufgebaut, dass fast ausschließlich von der Angst der Menschen lebt. Und ich, der ich mich eigentlich im Herzen nach Urvertrauen sehnt, hatte jahrelang mit der geschürten Angst und dem fehlendem Vertrauen in die Schöpfung mein Geld verdient. Kein Wunder also, dass ich so tief in der Spirale der Lebensangst gefangen war und mein Glaube an den schöpferischen Plan quasi nicht existent war.“

„Ich glaube,“ sagte ich, „mit dem Darma und dem Urvertrauen ist es ein bisschen wie mit einer neuen Sprache. Wenn man sie als kleines Kind lernt ist es überhaupt kein Problem. Als erwachsener ist es natürlich deutlich schwieriger. Klar, auf der einen Seite ist es nur eine Entscheidungsfrage. Genauso wie wir uns jetzt hier ja auch dafür entschieden haben, Italienisch zu sprechen und nicht mehr auf Französisch herumzustottern. Aber trotz der Entscheidung braucht es noch immer ein regelmäßiges Training. Ich denke, dass es mit Urvertrauen, Gewissheit über das Darma und der Verbindung zum eigenen göttlichen Kern nicht anders ist, als mit dem Vokabeltraining.

Schließlich setzten wir uns in die Bibliothek und begannen mit dem Arbeiten. Noch immer ist vom Pfarrer nichts zu sehen. Wir können nur hoffen, dass er noch kommt, denn sonst sieht es mit unsere Nacht sehr haarig aus.

Spruch des Tages: Warten auf den Pfarrer

 

Höhenmeter: 190m

Tagesetappe: 23 km

Gesamtstrecke: 7513,27 km

Wetter: Frühlingshaft

Etappenziel: Kloster S. Tolomeo, Via Garibaldi, 165, 01036 Nepi, Itlien

Heiko Gärtner
Heiko Gärtner ist Wildnismentor, Extremjournalist, Survivalexperte, Weltreisender und einer der führenden Experten auf dem Gebiet der Antlitz- und Körperdiagnostik. Nachdem er einige Jahre als Agenturleiter und Verkaufstrainer bei einer großen Versicherungsagentur gearbeitet hat, gab er diesen Job auf, um seiner wahren Berufung zu folgen. Er wurde Nationalparkranger, Berg- und Höhlenretter, arbeitete in einer Greifenwarte und gründete schließlich seine eigene Survival- und Wildnisschule. Seit 2014 wandert er zu Fuß um die Welt und verfasste dabei mehrere Bücher.

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