Tag 523: Split

von Heiko Gärtner
08.06.2015 01:45 Uhr

Plötzlich zog ein starker Wind auf und rüttelte an unserem Zelt. Bis vor wenigen Minuten war es noch komplett windstill gewesen. Der Himmel war noch immer sternenklar und doch leuchteten immer wieder Blitze auf. Wie war das möglich? Mit lautem Dröhnen rollte der Donner zu uns herüber. Sollte es etwa wirklich ein Unwetter geben? Hoch über den Berggipfeln leuchteten ein paar kleine Gewitterwolken im Licht des nächsten Blitzes auf. Wieder fegte ein Windstoß über uns hinweg. Schnell sprangen wir aus dem Zelt um es noch einmal richtig zu vertäuen. Bislang hatten wir gedacht, dass es reichen würde, es an den wirklich wichtigen Punkten zu fixieren, doch das war offensichtlich nicht der Fall. Nur mit Unterhosen bekleidet huschten wir um das Zelt herum und schlugen die Heringe in den Feldboden. Der Wind war angenehm kühl nach dem heißen Tag. Die Schlafsäcke haben wir nicht einmal ausgepackt und es machte auch nicht den Anschein, als würden wir sie noch brauchen. Selbst dann nicht, wenn wirklich ein Unwetter über uns hereinbrach.

Doch das Unwetter blieb aus. Es war nichts weiter als ein paar kräftige Windstöße und einige verheißungsvolle Blitze. Nach gut 20 Minuten war der Spuk vorbei. Komischerweise war es heute ruhiger als in den vergangenen Nächten und das obwohl wir mitten zwischen drei Städten schliefen. Wir begannen sogar schon damit uns darüber lustig zu machen, dass wir ohne den Lärm bestimmt gar nicht mehr einschlafen könnten.

„Entschuldigen Sie!“ begann ich ein ironisches Szenario mit einem Anwohner, „könnten Sie bitte kurz ihren Hund schlagen? Ich kann nicht einschlafen, wenn er nicht kläfft?“

Doch die Stille hielt nicht lange an. Zwar kamen keine Hunde, doch in einer Bar unten am anderen Ende des Tals begann eine Party, bei der lauthals und sehr schief gegrölt wurde. Es klang zwar nicht so, als hätten die Menschen Spaß dabei, dafür aber waren sie konsequent. Wir selbst beendeten unseren Filmabend gegen 00:30 Uhr, die Gröhler hielten aber wesentlich länger durch. Wann sie aufgehört haben weiß ich nicht, aber sie haben mich auf jeden Fall in den Schlaf gesungen.

Vergesst alles, was ich gestern über die Hitze beim Aufstehen geschrieben habe. Gegen die Hitze von heute war das ein Kinderspiel. Bereits vor sieben Uhr in der Früh wären wir fast in unserem eigenen Schweiß ertrunken. Wir standen nicht auf, es spülte uns nach draußen, als wir die Zelteingänge öffneten. Nachdem wir das Zelt dann abgebaut hatten, waren wir bereits so überhitzt, dass wir bereit für die erste Pause waren. Doch heute konnten wir uns langes Trödeln nicht erlauben. Split war nicht nur eine Küstenstadt, sondern auch noch eine wirklich große Stadt, zumindest für kroatische Verhältnisse. Außerdem war Hauptsaison und damit hatten wir alle Faktoren vereint, die eine Schlafplatzsuche schwierig machten. Hinzu kam, das gestern noch einmal eine Speiche bei Heikos rechtem Hinterrad gebrochen ist.

Wir mussten also irgendwie auch noch Ersatzspeichen auftreiben, was vor allem deshalb eine Herausforderung werden würde, weil heute Sonntag war. Im Grunde bedeutete das, dass wir irgendwie einen Platz finden mussten, damit wir morgen in der Früh die Speichen kaufen konnten, nachdem wir heute schon einen Fahrradladen ausfindig gemacht haben. Es gab also einiges zu tun.

Doch zunächst mussten wir erst mal den Weg in die Stadt finden. Der Pilgerweg endete in Solin, einer Kleinstadt etwas nordwestlich von Split, die nun nicht mehr auf unserem Weg lag, da wir ja in das Tal abgestiegen sind. Wir hielten uns also wieder an den guten alten Plan, den wir auch auf dem Weg von San Marino nach Rimini bereits verfolgt hatten: Wir gingen einfach immer bergab und hofften, dass wir dabei irgendwie auf die Küste stoßen würden. In Rimini war das damals mächtig schiefgegangen. Aber es kann ja nicht immer schief gehen und somit standen die Chancen für uns diesmal schon deutlich besser.

„Waoh!“ rief Heiko plötzlich und blieb unvermittelt stehen. Kurz zuvor hatte er eine Kirsche von einem Baum gepflückt, bei der er nicht sicher war, ob man sie essen konnte oder nicht. Er hatte sie sich probeweise in den Mund gesteckt und genau in diesem Moment stieß er den unvermittelten Ruf aus.

„Was meinst du?“ fragte ich überrascht, „Ist sie so gut oder so gräßlich?“

„Vergiss die Kirsche!“ rief Heiko, „die meine ich doch überhaupt nicht. Hast du nicht die fette Schlange gesehen, die gerade vor uns über die Straße geschlängelt ist? Es war eine Hornviper.“

Überrascht und etwas traurig darüber, dass ich sie nicht gesehen hatte schaute ich ihn an. Ich war so überzeugt davon gewesen, dass sein Ruf etwas mit der kleinen Frucht zu tun gehabt hatte, dass ich nicht einen Moment daran dachte, vor ihn auf die straße zu schauen.

„Und was für eine!“ fuhr er fort. „Ich denke sie war gut ihre 1,5m lang. Ganz entspannt ist sie vor mir ins Gebüsch gekrochen. Wenn ich die Kirsche nicht gepflückt hätte, dann wäre ich wahrscheinlich sogar auf sie getreten. Das wäre nichts gewesen, denn die Viecher sind wirklich giftig. Ich denke wir sollten gut auf unseren Weg achten!“

So als hätten wir es bestellt, verengte sich die Straße kurz darauf zu einem Schmalen Trampelpfad. Heiko ging vor mir und sah noch zwei oder drei weitere Exemplare der Giftschlangen. Doch durch sein Voranschreiten hatte er sie aufgeschreckt und vertrieben, so dass ich keine mehr zu Gesicht bekam.

Diesmal zeigte sich, dass unsere Taktik aufging. Der Pfad wurde wieder zu einer Straße und die Straße führte zu einem Fluss, der sich zwischen den Hügeln durch an die Küste schlängelte. Wir erreichten zunächst doch noch den Ostteil von Solin wo wir zunächst die Kirche aufsuchten. Vielleicht war es nicht verkehrt, frühzeitig einen Schlafplatz zu bekommen und dann lieber etwas mehr hin und zurück zu laufen. Doch in der Kirche wurde gerade eine Hochzeit abgehalten und die wollten wir nicht stören. Wir wanderten also weiter ins Zentrum von Split, wobei wir an jedem Hotel auf dem Weg kurz anhielten und nach einem Zimmer fragten. Die Antwort lautete jedoch fast immer gleich. Der Chef war nicht da und auch nicht erreichbar und wenn er erreichbar war dann sagte er ab. Die meisten Angestellten wussten jedoch bereits von vornherein, dass ihre Chefs nicht offen waren, für Projekte wie das unsere.

Unser erster Eindruck von Split war eher ernüchternd. Die Stadt war zumindest in ihren äußeren Bereichen hässlich wie die Angst und laut wie eine Elektrosense. Erst als wir in die kleinen Nebengassen im Innenstadtbereich kamen, wurde es angenehmer. Schön wäre auch hier noch übertrieben gewesen, aber es war zumindest ruhig. Plötzlich standen wir vor einem Haus mit der Aufschrift „Guesthouse“ Wir befanden uns in einer kleinen Gasse zwischen dem Best Western Hotel und dem Hotel Consul, die uns beide abgelehnt hatten. Das Gästehaus war so unscheinbar, dass wir es zunächst gar nicht erkannt hatten. Der Eingangsbereich lag auf einer Treppe, die mit einem Rollo abgesperrt war. Gerade als wir ankamen verschwanden zwei junge Backpacker hinter dem elektrischen Rollo, dass sich daraufhin wieder herabsenkte. Zum ersten Mal in dieser Stadt hatten wir hier ein gutes Gefühl. Wir klingelten und kurz darauf tauchten eine Frau und ein Mann aus einem anderen Tor auf der anderen Seite des Gebäudes. Wir erzählten ihnen von unserem Projekt und wollten ihnen zur Veranschaulichung auch unseren Trailer zeigen, doch der Mann winkte bereits ab.

„Ich sehe schon, dass ihr eine weite Reise hinter euch habt, ihr braucht das nicht zu beweisen!“

Dann sprach er kurz mit seiner Frau und wenige Minuten später luden sie uns in eines der Gästezimmer ein.

„Ich müsst nur noch ein bisschen warten, denn die letzten Gäste sind noch nicht ausgezogen. Setzt euch einfach auf die Terrasse, wir geben euch dann gleich bescheid.“

Wir erfuhren, dass der Mann früher selbst sehr viele Touren um die Welt unternommen hatte, allerdings nicht zu Fuß sondern mit dem Rad.

Kurz bevor wir das Gästehaus entdeckt hatten, war Heiko beim Warten auf mich von einem Mann angesprochen worden, der uns Brot, Wurst und „Wasser“ geschenkt hatte. Das Wasser war dabei wieder einmal mit dem Sirup versetzt gewesen, den die Menschen hier so liebten. Der Sirup musste wirklich eine Art Zeichen von Wohlstand sein, denn man konnte fast nirgendwo ein Wasser ohne dieses Zeug darin bekommen. Nun aber freuten wir uns über die Stärkung, mit der wir die Wartezeit auf unser Zimmer füllen konnten. Erst später merkten wir, wie wichtig dieses Geschenk war, denn außer ein kleines Wok-Restaurant erteilte uns jeder Essenshändler der Stadt eine Abfuhr. Es war einfach zu touristisch hier.

Gestärkt und in doppelter Hinsicht erleichtert machten wir uns anschließend auf in die Innenstadt. Auch das Problem mit dem Fahrradhändler war gelöst, denn unser Gastgeber hatte uns die Adresse eines entsprechenden Ladens aufgezeichnet, so dass wir morgen Früh einfach dort vorbeischauen können.

Die Innenstadt von Split war, anders als man es von außen her hätte vermuten können, winzig. Zunächst konnten wir sie nicht einmal sehen, weil alles voller Marktbuden und Souvenirläden gestellt war, so dass die Stadt selbst dahinter verborgen blieb. Dann aber kamen uns bereits die Touristenströme entgegen. Es ging hier zu wie in einem Ameisenhaufen. Plötzlich konnte man wieder alle Sprachen hören, die man sich vorstellen konnte: Englisch, Deutsch, Französisch, Italienisch, Koreanisch, Japanisch und natürlich Kroatisch, sowie viele weitere, die wir nicht einmal zuordnen konnten. Auffällig war, dass es verschiedene Arten von Touristen gab. Da waren zum einen die Lokaltouristen, die irgendwo aus Kroatien oder Bosnien kamen, weil hier das Meer war und man hier einen relativ günstigen Urlaub verbringen konnte.

Dann gab es die Pärchenurlauber, die Split als Ziel eines romantischen Kurztrips auserkoren hatten. Des weiteren gab es Party-Urlauber, die meist in Bussen ankamen und hier ihre Freiheit nach dem Bestandenen Abi oder etwas ähnlichem feierten, sowie die Rentnergruppen, die sich Split als Unesko-Weltkultur-Erbe eher von der kulturellen und kulinarischen Seite anschauen wollten. Und zu guter Letzt waren da noch die Kreuzfahrtler, die mit einem der riesigen Luxusliner angekommen waren und hier ihren Landgang verbrachten, bevor sie von der lauten Schiffssirene wieder an Deck beordert wurden.

Im Zentrum der Altstadt wurden wir von einem jungen Mann angesprochen, der uns unbedingt eine Stadtführung andrehen wollte. Nachdem wir ihm erklärt hatten, dass wir an einem Wander-Trip kein allzu großes Interesse hatten, da wir bereits seit knapp 9500km auf einem solchen Trip waren, begann er sich jedoch für uns zu interessieren. Wir plauderten eine Weile und schließlich konnte er es doch nicht lassen, einiges von seinem Wissen über die Stadt weiterzugeben, auch wenn wir seine Führung nicht buchten. Wie sich herausstellte waren seine Informationen gar nicht mal so uninteressant.

Split war ursprünglich überhaupt nicht als Stadt gedacht sondern war lediglich die Altersresidenz eines römischen Kaisers. Es war also nichts weiter als ein großer Palast in dem genügend Platz für den Kaiser, seine Familie, seine Leibwache und seine Dienerschaft war. Erst später kamen weitere Häuser hinzu, so dass sich langsam eine Stadt bildete. Der Innenstadtbereich in dem wir uns nun befanden, war also der ehemalige Kaiserpalast. Links von uns befand sich die Kathedrale, die auf das ehemalige Mausoleum des Kaisers gebaut wurde. Ich weiß leider nicht mehr genau, welcher Kaiser es war, doch wie es aussieht war er ziemlich aktiv an der Christenverfolgung beteiligt, weshalb er später keinen allzu guten Ruf mehr hatte. Daher hatten die Christen späterer Jahrhunderte beschlossen, sein Grab zu zerstören, seine Leiche zu beseitigen und an ihrer Stelle eine Kathedrale zu erbauen. Auch der alte Zeustempel wurde umfunktioniert und in eine Taufkapelle verwandelt.

Dadurch, dass die Stadt um den alten Tempel herumgewachsen ist, die diesen noch immer wie umschlossen hält, besitzt Split den größten noch erhaltenen römischen Tempel der Welt. Daher wurde er auch Weltkulturerbe. Und das war, wie uns der Mann erklärte auch dringend nötig, denn nur zwei Jahre vor der Festlegung des Denkmalschutzes wurde mitten im Tempel an einer Stelle, die zuvor durch eine Bombe zerstört wurde, ein modernes Bankgebäude errichtet. Da Split im zweiten Weltkrieg eines der modernsten Luftabwehrsysteme hatte, flogen die Bomber der Aliierten hier besonders hoch so dass sie keine genauen Ziele mehr treffen konnten, sondern als sogenannte Teppichbomber versuchten, alles zu zerstören, das irgendwie da war. Dadurch wurden auch Teile des Tempels zerstört und man kann bis heute die Bombenkrater sehen. In einem von ihnen befindet sich heute ein Restaurant.

Der Tempel selbst erwies sich sowohl als sehenswert, wie auch als äußerst verwirrend und so dauerte es eine Weile bis wir den Weg heraus fanden und am Hafen landeten. Es war nun früher Nachmittag und das Gewusel in den engen Gassen war so extrem, dass man die alte Stadt kaum noch wahrnehmen konnte. Daher kehrten wir ihr erst einmal den Rücken und wandten uns dem Park zu, der westlich der Stadt an der Küste lag. Man erreichte ihn über steile Treppen, die einen immer weiter nach oben führten. Schließlich landeten wir auf einem Plateau, von dem aus man die gesamte Stadt, die dahinterliegenden Berge, das Meer und die Inseln überblicken konnte.

Besonders beeindruckend waren von hier aus auch die großen Kreuzfahrtschiffe, die wir schwimmende Städte im Hafen lagen. Wenn man die Zimmer anhand der Fenster hochrechnete, dann passten locker zehn bis zwanzigtausend Menschen in jedes der Schiffe. Später, als wir sie dann noch einmal direkt vom Hafen aus betrachteten wirkten sie so gigantisch, dass man sich dagegen selbst wie eine Ameise vor kam. Es war gerade Boardingtime und die Menschen strömten in Heerscharen zurück an Deck.

Vom Hafen aus machten wir dann noch einen Abstecher zum Badestrand. Immerhin hatten wir ja unsere Badehosen eingepackt und wenn wir nun schon am Meer waren, dann wollten wir sie auch nutzen. Als wir den Strand jedoch erreichten, trauten wir unseren Augen nicht. Dass es in einer Stadt, die mitten in einer Bucht bei so einer Steilküste lag und die dann auch noch so einen großen Hafen hatte, nicht viel Strand geben konnte, das war uns bereits klar gewesen. Dass es aber so wenig ist, konnten wir noch immer nicht glauben. Der Abschnitt, auf dem es wirklich noch Sand gab, war gerade einmal dreißig Meter lang. Alles andere war Beton.

Doch auch hier lagen die Menschen wie die Sardinen aneinander gereiht. Wer zum Wasser wollte, konnte seinen Weg nicht gehen, ohne dabei auf die Handtücher seiner Mithähnchen zu treten. Wir waren so schockiert von diesem abstrakten Bild, dass uns die Lust am Baden sofort wieder verging. Sicher würden wir in den kommenden Tagen noch einen Strand finden, an dem man mit mehr Ruhe und Entspannung ins Wasser gehen konnte. Auf dem Heimweg fragten wir uns, was die Menschen dazu brachte, Urlaub an so einem Ort zu machen. Die Altstadt war wirklich schön und definitiv einen Besuch wert, aber dass Menschen wirklich Geld ausgaben um sich dann an einen solchen Strand zu legen, leuchtete uns nicht ein. Jeder Baggersee, der nur einen kleinen Sandstrand hatte war schöner als dies hier.

Wir erreichten die Innenstadt und schlugen wieder den Weg zu unserem Hostel ein. Hinter uns blies der Kapitän des Luxusliners wieder ordentlich in sein Schiffshorn. Es wirkte so, als sei einer der Passagiere verloren gegangen, so dass nun das ganze Schiff auf ihn warten musste. Anhand des Tuten jedenfalls, konnte man erkennen, dass der Käpt´n langsam die Geduld verlor und aggressiv wurde.

Nachdem es dunkel geworden war, kehrten wir noch einmal in die Altstadt zurück. Der Großteil des Touristenstroms hatte sich nun verzogen und der Blick die Stadt war nun noch einmal völlig anders. In einer solchen lauen Sommernacht wie heute war es nun wirklich schön.

Spruch des Tages: Welcome to Banana Split!

 

Höhenmeter: 110m

Tagesetappe: 22 km

Gesamtstrecke: 9463,77 km

Wetter: sonnig und heiß

Etappenziel: Guest House, Ul. Hrvatskih iseljenika 21000 Split, Kroatien

Es war ungefähr 7:00 Uhr in der Früh, als die Sonne unser Zelt in einen Backofen verwandelte. Noch ehe wir erwachten, waren wir bereits gegrillt wie zwei Hühnchen im eigenen Saft. Unsere Kraft reichte gerade aus, um das Zelt zu öffnen und dann erschöpft liegen zu bleiben und bis um kurz nach 8:00 Uhr weiter zu dösen. Unsere Wasservorräte waren nahezu erschöpft. Das meiste hatten wir am Vorabend bereits auf dem Weg hierher verbraucht, ein Teil ging beim Reiskochen drauf und ein weiterer Teil verschwand in der Nacht in unseren ausgedörrten Kehlen. Nun hatte jeder von uns gerade noch eine halbe Flasche und die nächste Stadt lag noch 5km von uns entfernt. Die Sonne brannte auf unsere Köpfe als wollte sie uns zu Boden werfen. Sogar unsere Packsäcke waren schon ganz weich und die Wagengriffe waren so heiß, dass wir sie kaum anfassen konnten. Seit wir Sinj verlassen hatten, wurde der Pilgerweg leider konstant schlechter. Er war noch immer schön und weitgehend auch gut ausgeschildert. Doch die Wege ähnelten nun immer mehr einfachen Geröllfeldern und hin und wieder kamen wir an Stellen, an denen es keine Wegmarkierung mehr gab. Die erste davon befand sich gleich in unserem Industriegebiet, so dass wir uns in dieser Affenhitze gleich als aller erstes einmal verliefen. Doch was sich zunächst wie ein Fluch anfühlte erwies sich plötzlich als Segen. Denn vor uns tauchte eine Firma auf, die tatsächlich noch in Betrieb war. Hier konnten wir unsere Wasservorräte auffüllen und uns damit bereit machen für die Etappe bis in die nächste Ortschaft. Anschließend entdeckten wir dann auch unseren Weg wieder. Die Wegweiser waren nicht verschwunden, sie hatten nur nicht auf einen der beiden Wege gezeigt, sondern auf das Dickicht dazwischen. Wenn man sich hier durchschlug kam man tatsächlich wieder von Wegweiser zu Wegweiser und nach einiger Zeit erschien auch wieder so etwas wie ein Weg. Als man diesen Teil der Strecke neue gemacht hatte, war hier sicher alles ausgeschnitten worden, doch das Pflanzenvolk holte sich sein Territorium wieder zurück und damit wurde der Weg immer mehr unter hohen Gräsern begraben. Dies ist das Problem, das entsteht, wenn ein Weg wie dieser einmal mit europäischen Fördergeldern aufgezogen, anschließend aber nicht mehr gepflegt wird.

Wie sich herausstellte handelte es sich bei der nächsten Ortschaft auch wieder in erster Linie um ein Industriegebiet, das an der Schnellstraße lag. Wirklich einladend sah es daher nicht aus. Wir setzten unseren Weg ohne Pause fort und kamen bald auf einen ehemaligen Bahndamm. In Frankreich, Italien und Spanien waren dies häufig die besten Wege gewesen, da sie sich schön gerade durch die Landschaft zogen. Hier jedoch hatte man einfach nur die Schienen und die Bahnschwellen entfernt, so dass man sich nun über den groben, holprigen Bahnkies schlagen musste. Besonders angenehm war das leider nicht.

Schließlich endete der Bahndamm und es ging wieder einmal einen steilen Abhang hinauf. Das letzte Wasser, das in unseren Körpern noch enthalten war schoss nun durch jede Pore, als würde es einen Preis dafür gewinnen. Oben kamen wir an eine kleine Wanderhütte, wo wir uns von der Anstrengung erholen konnten. Mein T-Shirt war nun so nass, dass ich es auswringen konnte. Galant wie zwei frisch erschossene Gazellen ließen wir uns auf die Bänke fallen und schliefen nach wenigen Minuten ein. Die Nächte im Zelt und in der Hitze zerrten doch mehr, als wir es vermutet hatten.

Erst nach etwas über einer Stunde zogen wir weiter bis in die nächste Stadt. Die Kirche strahlte uns bereits von weitem entgegen, doch als wir ankamen fanden wir sie einsam und verlassen vor. Räumlichkeiten zum Übernachten gab es hier genug, aber niemanden, der und die Türen öffnen konnte. Die Stadt selbst bestand wie die letzte fast ausschließlich aus großen Industriehallen, sowie einem Metro-Superstore und einige andere Großmärkte. Früher musste es einmal ein richtig schönes Bergdorf gewesen sein, doch der Handelshafen von Split und die Autobahn hatten es in einen kalten, ungemütlichen Umschlagplatz verwandelt. Das einzige Hotel, das es hier gab wollte uns nicht aufnehmen und die vielen kleinen Apartments waren bereits mit den Arbeitern ausgebucht, die hier für den Bau von noch mehr Industriehallen beschäftigt waren. Wir zogen also weiter und wurden von unserem Weg nun an der Autobahn entlang geführt, bis kurz vor die kleine Ortschaft Klis. Hier gaben die Berge zum ersten Mal den Blick auf das Meer frei. Es war ein überwältigender Anblick! Weit unter uns lag die Stadt Split mit ihren Hochhäusern auf einer Halbinsel, davor schoben sich die rauen Felswände und im Hintergrund auf dem Meer sah man die Inseln, die der Küste vorgelagert sind. Klis selbst ist ein kleiner Ort, der um einen der Berggipfel herumgebaut wurde. Auf dem Gipfel des Berges stehen noch immer die Ruinen einer einst stolzen und trotzigen Burg.

Nur zu gerne hätten wir noch einen Spaziergang auf die Burg gemacht, doch das war uns leider nicht vergönnt. Denn auch hier konnten wir noch immer keinen Übernachtungsplatz finden. Die Herren von der freiwilligen Feuerwehr wollten uns hier leider nicht aufnehmen und die einzige Pension die es gab lehnte uns mit der Begründung ab, das gerade renoviert würde. Auch damit dass wir unser Zelt im Garten aufschlagen war die Besitzerin nicht einverstanden. Ein alter Mann versuchte uns weiterzuhelfen, ebenso wie der Barkeeper einer kleinen Kneipe, doch die jeweiligen Verantwortlichen machten ihre Bemühungen immer wieder zunichte. Langsam wurde es spät und hier oben auf dem Berg standen die Chancen mehr als nur schlecht, einen geeigneten Schlafplatz zu finden. Es war wieder das gute alte Spiel. So schön die Küste auf ihre Art auch war, sie machte die Sache jedes Mal bedeutend komplizierter. Es schien langsam fast zu einem Gesetz zu werden, dass man nicht so entspannt und locker am Meer unterwegs sein kann, wie im Inland.

Auf der anderen Seite des Berges konnten wir ins Tal hinunterblicken und stellten fest, dass zwischen dem Fuß des Berges und Split noch eine beachtliche Grünfläche lag, die von hier oben zumindest einigermaßen eben erschien. Wenn man irgendwo einen Zeltplatz finden konnte, dann hier. Das einzige Problem war nur, dass wir irgendwoher noch etwas zum Essen und zum Trinken auftreiben mussten. So wie gestern wollten wir jedenfalls nicht enden. Der Barmann versorgte uns zunächst mit kaltem Wasser, doch der kleine Supermarkt unterstützte uns nicht. Daher fragten wir beim Abstieg ins Tal an verschiedenen Häusern nach einer kleinen Nahrungsspende. Eine alte Dame schaute mich freundlich an und lud uns gleich zu einem richtigen Abendessen ein. Es dauere nur eine Stunde, dann sei sie fertig und so lange könnten wir uns ja bei ihr auf die Terrasse setzen. So lieb das Angebot war, wir konnten es nicht annehmen, da die Sonne bereits Anstalten machte unterzugehen und wir nicht einmal eine Idee für einen Schlafplatz hatten. Es war jedoch fast unmöglich, der Frau diesen Umstand trotz Sprachblockade mitzuteilen und als ich es schließlich schaffte, hatte ich dafür so viel Zeit gebraucht, dass wir die Einladung auch fast hätten annehmen können. Immerhin hatten wir nun bereits eine Tüte mit Obst. Später kamen noch drei Tafeln Schokolade, etwas Brot und Käse sowie einige Pasteten hinzu. Als wir bei einer jungen Mutter nachfragten, die gerade mit einer Freundin und ihrer eigenen Mutter auf ihrer Terrasse saß, wurden unsere Zeitpläne dann aber doch noch vollkommen über den Haufen geworfen. Die Oma der Kinder lief „kurz“ nach Hause, um uns Brot und Würstchen zu holen. Als sie schließlich zurückkehrte brachte sie gekochte Putenbockwürste mit, sowie Brot, Senf und hartgekochte Eier, alles so serviert, dass wir es gleich an Ort und Stelle essen mussten. Vor ein paar Monaten, hätte uns das sicher noch ziemlich in Aufruhr versetzt, doch heute waren wir dabei irgendwie seltsam entspannt. Das Licht würde schon noch reichen, um unser Zelt aufzubauen. Während wir aßen tollten die beiden kleinen Jungen über die Terrasse. Ihre Mutter war mit den Nerven ziemlich am Ende und man sah ihr deutlich an, dass es ungefähr 5 Jahre her war, dass sie das letzte Mal richtig geschlafen hatte. Heute hatte sie ihre Wohnung putzen wollen und dies war auch der Grund, warum die beiden anderen Frauen hier waren. Denn nur solange diese die Kinder ablenkten, hatte sie die Zeit zum Putzen. Obwohl sie und ihre Freundin fließend Englisch sprachen, ergab sich in der ganzen Zeit, die wir dort saßen kein Gespräch, weil die beiden Jungs die ganze Aufmerksamkeit für sich forderten.

Der ältere von ihnen hatte eine Gehirn-OP hinter sich, bei der man ihm den hinteren Schädel aufgeschnitten hatte, um ihm einen Gehirntumor zu entfernen. Gerne hätte Heiko mit der Mutter über dieses Thema gesprochen, denn sowohl sie als auch der Junge litten noch deutlich darunter, doch es war einfach nicht möglich. Dabei waren die Hintergründe seiner „Krankheit“ so offensichtlich. Er hatte den Tumor bekommen, kurz nachdem sein Bruder geboren wurde, soviel konnten wir herausfinden. Dass dies für den älteren ein schwieriges und einschneidendes Erlebnis war, sah ein blinder mit ´nem Krückstock, denn der kleine war eine Naturgewalt, die kaum zu bändigen war. All die Aufmerksamkeit, die der ältere zuvor bekommen hatte, ging nun zwangsläufig auf den jüngeren über. Hinzu kamen die Lebensumstände, die es beiden Kindern und auch der Mutter nicht gerade leicht machten. Die Wohnung der kleinen Familie war von der Lage her vielleicht die schönste in der ganzen Gegend, denn sie lag direkt am Hang, so dass man über das Meer und über ganz Split sehen konnte, ohne den Lärm der Stadt abzubekommen. Doch in ihrem Inneren war es einfach unmöglich, sich wohl zu fühlen. Es gab so gut wie keine Einrichtung, nur weiße Wände und alles sah aus, als handele es sich um eine Gummizelle oder zumindest ein Zimmer in einem Irrenhaus. Wie wollte man hier gesund aufwachsen?

Nachdem wir uns verabschiedet hatten, wanderten wir weiter ins Tal hinab und kamen schon kurz darauf an ein kleines, frisch gemähtes und einigermaßen ebenes Feld, auf dem wir unser Lager aufbauen konnten. Das Sonnenlicht reichte, bis wir fertig waren und ich hatte sogar noch etwas Zeit, um noch einmal auf Essenssuche zu gehen. Die Schokolade, die wir bekommen hatten, wollten wir nach Möglichkeit nicht essen, da wir es mit dem Zucker nicht übertreiben wollten. Also nahm ich sie mit und versuchte sie gegen etwas anderes einzutauschen. Doch die Bemühungen waren vergebens. Ich bekam zwar etwas zu essen, aber meine Schokolade wollte niemand. Schließlich beschloss ich, sie einfach in einen Briefkasten zu stecken, doch selbst dabei wurde ich unterbrochen und eine alte Frau drohte mir mit dem Zeigefinger, weil sie dachte ich wollte irgendjemandem etwas Böses. So kehrte ich also mit der Schokolade zurück und hatte dazu noch einen Zuckersirup geschenkt bekommen, den die Menschen hier in ihr Wasser gossen, um eine ekelhaft süßlich, chemische Pampe daraus zu machen, die sie dann Saft nannten.

Spruch des Tages: Wir sind wieder am Meer

 

 

Höhenmeter: 210m

Tagesetappe: 21 km

Gesamtstrecke: 9441,77 km

Wetter: sonnig und heiß

Etappenziel: kleines Feld hinter 21231 Klis, Kroatien

Die deutsche Genauigkeit in der Baukunst findet man wie es aussieht wirklich vor allem in Deutschland. Hier wird es damit nicht allzu eng genommen und so entstehen auch schon mal Spaltmaße von 2 Zentimetern unter einer Tür. Genug Platz, damit im Winter kalter Wind hereinwehen kann. Jetzt im Sommer hätten wir uns darüber sogar vielleicht ein bisschen gefreut. Doch Wind kam nicht. Dafür kamen die verschiedensten Besucher, die bei unserem Videoabend dabei sein wollten. Zunächst waren es einige Spinnen, die auf ein Pläuschchen vorbeischauten, dann ein blauer Riesenkäfer und schließlich ein Miniskorpion. Letzter hielt sich aber zum Glück bedeckt, so dass wir ihn erst am nächsten Morgen entdeckten. Sonst hätten wir wahrscheinlich nicht so ruhig schlafen können. Tagsüber, wenn man weiß wo sie sitzen und wenn man sie in Ruhe beobachten kann, sind es wirklich faszinierende Tiere. Aber wenn sie nachts in deinen Schlafsack krabbeln oder über dein Kopfkissen huschen, dann können sie einem schon einen kalten Schauer über den Rücken jagen.

Der restliche Weg nach Sinj führte uns wieder über Felder und Wiesen, diesmal durch relativ flaches Land. Auf etwa halber Strecke kamen wir durch den Ort Otok. Hier machten wir eine kleine Pause und fragten bei einer ansässigen Familie nach etwas zum Essen. Die beiden luden uns auf ihre Terrasse ein und die Frau machte uns Brot mit Wurst und Schinken, sowie ein Omelette. Aus irgendeinem Grund wirkte sie recht verschüchtert und verängstigt, ein bisschen so als würde sie häufig geschlagen oder misshandelt. Doch ihr Mann war sicher nicht der Grund dafür, denn er war ein Kerl, der keiner Fliege etwas zu Leide tun konnte.

Die beiden Besaßen eine große Voliere, direkt im hinteren Teil der Terrasse, in dem sie sich rund 20 Wellensittiche und Kanarienvögel hielten. Die Hälfte von ihnen waren Jungvögel und drei waren gerade erst frisch geschlüpft. Auf der einen Seite hatte es natürlich etwas, die Vögel so nah beobachten zu können, auf der anderen Seite machten sie aber auch einen Radau, dass man sich kaum noch unterhalten konnte. Sie verhielten sich genau wie die Hunde, die man in enge Zwinger steckte, oder auch wie Menschen, die auf engem Raum zusammengepfercht werden.

Sinj selbst erwies sich als nicht allzu spektakulär und ist nicht gerade ein würdiges Pilgerziel für so einen schönen Weg. Der Großteil der Stadt besteht aus den gleichen praktischen Wohnblöcken, die in der UdSSR so beliebt waren und die diesem typischen Ost-Block-Charme verbreiten, der überall auf der Welt berühmt ist. Im Zentrum steht ein Kloster mit einer Kathedrale darin. Sie ist nicht übermäßig beeindruckend und auch nicht hässlich. Eben eine Kathedrale. Links vom Altar hängt hier ein kleines Bild von Mutter Maria, das in Gold eingefasst ist. Dieses Bild ist der Grund für die Berühmtheit von Sinj und für ihren Status als Pilgerziel. Das Bild hing ursprünglich in einer Kirche in Rama-Šcit, einer kleinen Stadt in Bosnien, die nun das andere Ende des Pilgerweges markiert. Vor vielen Jahrhunderten kam es in jener Kirche zu einem Brand, der alles zerstörte, bis auf dieses Marien-Bild. Die Menschen waren überzeugt, dass es von Gott gerettet worden sein musste und dass es sich bei dieser Rettung um ein Wunder handelte. Seither sprach man ihm daher eine besondere Heiligkeit zu. Als dann später die Türken in Bosnien einfielen, rettete man das Bild nach Sinj. Vor einer großen Schlacht, bei dem die winzige slawische Armee mit 300 Mann rund 30.000 Türkischen Soldaten gegenüberstand, erschien den Einheimischen am Himmel die Mutter Maria, genau so, wie sie auf dem Bild zu sehen war. Sie sprach den Soldaten Kraft zu und angeblich soll sie auch so etwas gesagt haben wie: „Macht sie Platt Jungs! Ihr packt dass!“ Ich bin allerdings Unsicher, ob Maria in einer solchen Situation wirklich Partei ergriffen hätte. Wie dem auch sei, die Soldaten waren so voller Mut und Tatendrang, dass sie die unmögliche Schlacht gegen die absolut unvorstellbare Übermacht tatsächlich gewannen. Danach wollte Sinj das Bild nicht mehr zurückgeben und seither hängt es hier in der Kirche.

Gerade als ich die Kirche das erste Mal erreichte, um hier nach einem Pfarrer zu suchen, wurde direkt vor den Kirchentoren eine Filmszene gedreht. Ich unterhielt mich mit einer jungen Frau namens Mira, die dafür Zuständig war, auf das Pferd achtzugeben, das für die Szene bunt geschmückt vor dem Kirchenportal auf und abtraben musste. Auf dem Pferd saß ein Reiter, der ebenso bunt geschmückt war und eine lange Lanze in der Hand trug. Obwohl die junge Dame direkt am Dreh beteiligt war, war sie noch nicht auf die Idee gekommen zu fragen was hier eigentlich gedreht wurde. Sie vermutete, dass es vielleicht ein Musikvideo werden würde, aber mehr wusste sie nicht. Anhand der Verkleidung des Pferdes und des Reiters würde ich jedoch vermuten, dass es mit der anstehenden Dreihundertjahrfeier jener gewonnenen Schlacht zu tun hat. Denn die Legende geht noch ein bisschen weiter, wie wir von einem anderen Mann erfuhren.

In jener großen Schlacht, soll der Hauptmann der Türken eine Rüstung getragen haben, auf der ein Ring in der Mitte der Brust abgebildet war. Einer der kroatischen Reiter nahm einen Speer und schleuderte ihn direkt in die Mitte dieses Ringes. Daraufhin waren die Türken ohne Anführer und zogen sich zurück. Diesem gezielten Wurf wird bis heute in einem Spiel gedacht, dass hier in der Region zu solchen Veranstaltungen immer wieder gerne gespielt wird. Dabei geht es darum, dass die Teilnehmer vom Pferd aus mit einem Speer die Mitte eben jenes Ringes treffen, der einst auf der Brust des Türken war. Heute hängt dieser Ring dabei jedoch in der Luft und es befindet sich kein Mensch mehr dahinter, wodurch das Sterberisiko drastisch reduziert wird. Bei diesem Spiel tragen die Teilnehmer die gleichen bunten Gewänder, wie der Reiter, der hier vor der Kirche gefilmt wurde.

Außer dem Filmteam war auch ein Mönch anwesend, den ich nach einem Schlafplatz fragen wollte. Da er kein Englisch sprach, übersetzte Mira für mich. Der Mönch war sicher, dass es kein Problem sein dürfte, doch er selbst konnte nicht das absolute Ja-Wort geben, da sein Obermönch nicht anwesend und telefonisch auch nicht erreichbar war.

Wir konnten jedoch unsere Sachen im Kloster stehen lassen, uns die Stadt in Ruhe ansehen und später noch einmal wiederkommen um mit dem Superior persönlich zu sprechen. Als wir die Wagen unterstellten kamen wir auch an der Küche vorbei, wo uns die Köchin schon mal mit etwas Obst versorgte und meinte: „Wir sehen uns sicher später, denn wenn der Chef da ist und ihr hier übernachtet, dann werden wir euch noch ein richtiges Abendessen kochen.

Den Nachmittag verbrachten wir dann damit, auf den Kreuzberg emporzusteigen, die verschiedenen Parks zu durchschlendern und die wenigen Gassen der Innenstadt zu inspizieren. Viel Erwähnenswertes gab es dabei nicht. Nur die Aussicht oben vom Kreuzberg neben der kleinen Kapelle hinunter auf die Stadt und auf das ganze Tal, die ist absolut beeindruckend. Man merkt, dass der Ort als Pilgerziel noch immer im Aufbau ist und es wird noch einiges getan. Mit etwas Glück, wird in ein paar Jahren ja sogar ein echtes Pilgerziel daraus.

Gegen 17:00 Uhr kehrten wir wie vereinbart zum Kloster zurück. Dann wurden wir jedoch noch einmal um eine komplette Stunde vertröstet, bis sich der Superior wirklich blicken lies. Er traf sich mit uns auf einer Bank vor dem Kloster. Links von uns poste gerade eine Hochzeitsgemeinschaft vor der Marienstatue während ein alter Mann auf einer Ziehharmonika spielte und gemeinsam mit einer Fangemeinde laut und schief dazu grölte.

Der Superior lehnte sich selbstgefällig zurück und wirkte wie jemand, der einem Diener eine Audienz gab, ohne dass er auch nur das geringste Interesse daran hatte, was dieser ihm mitteilen wollte. Am Ende entschuldigte er sich und teilte mit, dass dieses Kloster leider keine Plätze für Reisende hatte. Es sei eine reine Klausur, also ein geschlossener Bereich nur für die einheimischen Mönche und die Pfarrersanwerter, die hier zur Schule gingen. Er könne da nichts für uns tun.

Wir waren kurz davor, wieder eine längere Diskussion über den Auftrag der Kirche mit ihm zu beginnen, sahen aber ein, dass es keinen Zweck hatte. Dennoch schaffte ich es nicht so bald, den Groll über den Mann wieder loszulassen. Es war gar nicht so sehr, dass er uns nicht aufnehmen wollte, sondern viel mehr die Dreistigkeit uns eine Stunde warten zu lassen und uns dann mit dieser Arroganz und dieser Genugtuung abzusagen, wobei er sich selbst noch als Wohltäter hinstellen wollte. Gleichzeitig verstanden wir auch seine Beweggründe nicht. Das Kloster profitierte ja von dem neuen Pilgerweg, der hier gerade entstand und wir hatten ihm angeboten, ihn bei der Bekanntwerdung des Weges zu unterstützen. Doch daran hatte er offensichtlich kein Interesse. Es ist wirklich schade, dass ein so schöner Pilgerweg seine Wanderer am Ende so schlecht empfängt. Die einzige Alternative hier in der Stadt ist ein Hotel, das uns aber auch nicht aufnehmen wollte und das auch nicht im Geringsten auf Pilger ausgelegt ist.

Wir kehrten der Stadt also den Rücken und zogen weiter in Richtung Küste. Da es Freitag Abend war, konnten wir nicht einfach so zwischen den Häusern zelten, denn das war aufgrund von betrunkenen Partygängern am Wochenende einfach zu gefährlich. Hinter der Stadt führte der Pilgerweg nun aber wieder an der Hauptstraße entlang und das in einem Gebiet, in dem es nun keine ebene Stelle mehr gab. Erst nach gut 7km kamen wir in ein verlassenes Industriegebiet, in dem wir uns einen Zeltplatz hinter einer Fabrikhalle suchen konnten, die den Straßenlärm etwas abschirmte.

Spruch des Tages: Zum Glück ist der Weg das Ziel, denn wenn das Ziel das Ziel wäre, würde sich der Weg dahin oft nicht lohnen.

 

Höhenmeter: 40m

Tagesetappe: 28 km

Gesamtstrecke: 9420,77 km

Wetter: sonnig und heiß

Etappenziel: lehmiger Erdplatz hinter einer halbfertigen Fabrikhalle, 7km hinter 21230 Sinj, Kroatien

Heiko Gärtner
Heiko Gärtner ist Wildnismentor, Extremjournalist, Survivalexperte, Weltreisender und einer der führenden Experten auf dem Gebiet der Antlitz- und Körperdiagnostik. Nachdem er einige Jahre als Agenturleiter und Verkaufstrainer bei einer großen Versicherungsagentur gearbeitet hat, gab er diesen Job auf, um seiner wahren Berufung zu folgen. Er wurde Nationalparkranger, Berg- und Höhlenretter, arbeitete in einer Greifenwarte und gründete schließlich seine eigene Survival- und Wildnisschule. Seit 2014 wandert er zu Fuß um die Welt und verfasste dabei mehrere Bücher.

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