Tag 194: Wandern am Rio Tejo

von Franz Bujor
15.07.2014 22:25 Uhr

Im Moment erscheint es, als wollte die Sonne täglich einen neuen Hitzerekord aufstellen. Heute war es noch einmal gut vier oder fünf Grad wärmer als gestern, womit wir die 40-Grad-im-Schatten-Marke nun wohl geknackt hätten. Direkt auf der Straße waren es locker 70°C und die Luft in der Sonne war mit einer Anfängersauna vergleichbar. Interessanter Weise merkt man die Temperatur vor allem dann, wenn man stehen bleibt. Solange man sich bewegt ist es noch einigermaßen erträglich. Vorausgesetzt natürlich, es kommt kein Berg.

Um uns etwas einzulaufen drehten wir in Entroncamento noch einmal eine Ehrenrunde. Das Kartenmaterial und auch die Straßenführungen sind hier so verwirrend, dass man sich kaum zurechtfinden kann. Als wir den Weg zum Rio Tejo dann endlich gefunden hatten, waren wir eigentlich schon wieder reif zum Einkehren.

Doch auch hier hatten wir wieder einmal unverschämtes Glück. Meine Reifenmäntel, die mir auf den letzten 2000 Kilometern sehr gute Dienste geleistet haben, waren nun fast bis auf Null heruntergefahren. In der Stadt hatten wir vergeblich nach einem Fahrradladen gesucht. Hier in der Pampa tauchte plötzlich einer vor uns auf, der auch noch genau zwei Mäntel in der passenden Größe hatte. Man kann über die Portugiesen vieles sagen, aber nicht, dass sie nicht absolut Kundenfreundlich wären. Statt für 30€ verkaufte uns der Händler beide Reifen zusammen für 20€ und während er die Mäntel aufzog wurden wir von seinem Kumpel in dessen Café auf einen Saft und belegte Brötchen eingeladen. In Deutschland ist uns so etwas noch nicht passiert.

Einige Kilometer weiter stießen wir dann wirklich auf den Rio Tejo. Der Fluss, der irgendwo in der Mitte Spaniens entspringt wird uns nun fast die nächsten 1000 Kilometer begleiten. Dann wollen wir nach Süd-Westen abbiegen und bei Alicante auf das Mittelmeer stoßen. Von dort geht es dann an der Küste entlang nach Frankreich. Wanderwege gibt es entlang des Flusses zumindest in dieser Region jedoch scheinbar nicht. Daher mussten wir uns wieder an die Straßen halten.

In einer kleinen Ortschaft stießen wir auf einen riesigen aber komplett leeren Park. Es war der erste große Park in Portugal außerhalb von Porto, den wir gesehen haben und er war wirklich schön gemacht. Das war das traurige an diesem Land. Es könnte wirklich eines der schönsten Länder Europas sein, mit seinen fruchtbaren Böden, den vielen kleinen Ortschaften, den Bergen und der unendlich langen Küste. Doch irgendwie schaffen sie es immer wieder alles so zu gestalten, dass es dann doch wieder nicht schön ist. Und die Ecken die Schön gemacht wurden, werden nicht genutzt und verfallen wieder.

Kurze Zeit später stießen wir dann tatsächlich auf einen Jakobspfeil. Ganz offensichtlich führte also auch hier ein Jakobsweg entlang, der allerdings nur in die Gegenrichtung markiert war. Trotzdem folgen wir ihm ein kleines Stück und kamen dabei in guter alter Jakobswegmanier auf einen schmalen, schrägen und steilen Trampelpfad direkt am Fluss. Er führte unter meterhohen Kakteen hindurch und war wirklich ein schöner Weg, wenn man davon absah, dass er fast nicht begehbar war. Zumindest nicht mit Pilgerwagen. An einer besonders steilen Stelle brauchte ich bestimmt sechs Anläufe, bis ich es schaffte, nach oben zu kommen, ohne dabei wieder zurück zu rutschen. Am Ende des Weges standen wir dafür vor einer alten, trotzigen Burg, die auf einen Felsen hoch über dem Fluss gebaut worden war.

Die Hitze und der Kakteenwald forderten bald ihren Tribut. Zunächst wurde mir etwas duselig, was sich zum Glück aber schnell wieder legte. Dann platze mein Reifen. Durch die Hitze wird das Gummi weicher und ist damit nicht mehr so widerstandsfähig gegenüber Dornen und anderen spitzen oder scharfen Gegenständen. Auch nicht, gegenüber Kaktusstacheln. Als wir den Reifen flicken wollten, traf uns gleich die nächste Panne. Die Steckachse löste sich nicht so leicht wie sonst und als ich sie etwas kräftiger anzog, hatte ich gleich auch noch das ganze Kugellager vom Rad in der Hand. Es war einfach nur in das Rad hineingesteckt worden und jetzt bei der Hitze dehnten sich die Metalle offenbar unterschiedlich stark aus. Es war kein Problem, das Kugellager wieder an seinen angestammten Platz zu drücken, doch ein gutes Gefühl machte es nicht. Nachdem wir den Reisen gewechselt und aufgeblasen hatten, hörten wir ein kurzes „Pffft“ und der neue Schlauch war auch wieder geplatzt. Diesmal genau an der Stelle, an der wir ihn bereits einmal geflickt hatten. Der dritte und letzte noch verfügbare Ersatzschlauch hielt zum Glück. Wir brauchen unbedingt neue. Nie hätten wir gedacht, dass der Sommer dem Material so viel mehr zusetzt als der Winter.

Kurz bevor wir Constância erreichten, kamen wir an einem riesigen Militärgelände vorbei. Es dauerte fast eine Stunde, bis wir es hinter uns gelassen hatten. Rechts von uns befand sich die Kaserne mit dem Übungsgelände und der Militärschule, links befand sich der Militärflughafen. Spannend war das Trainingsgelände mit dem Übungsparcours, in dem die Soldaten gedrillt wurden. Er sah aus, wie aus einem amerikanischen Kriegsfilm und hatte alle Schikanen, von Schlammgruben bis hin zu Mauern zum überklettern und Seile zum Hangeln. Das ganze Gelände war jedoch mit Ausnahme von den Wachposten an den Pforten vollkommen leer und unbenutzt. Wir fragten uns ein bisschen, wofür das ganze wohl gedacht war, wenn es hier keine Soldaten gab. Insgesamt fragten wir uns, wofür dieser ganze Militärkram in der heutigen Zeit überhaupt noch gut sein sollte. Half es einem Soldaten wirklich, wenn er der beste im Fallschirmspringen war und er dann von einem thermosensorischen Maschinengewehr aufgespürt wurde?

In Constância schauten wir uns dann nach einem Schlafplatz um. Das einzige Hotel in der Stadt war leider bereits belegt und konnte uns daher nicht aufnehmen, obwohl der Hotelchef durchaus gewollt hätte. Dafür kamen wir dann in der Feuerwehr unter, wo wir einen eigenen Raum für uns bekamen. Das einzige Problem, das es hier gab war, dass wir nur eine Steckdose hatten, in der jedoch ein Verlängerungskabel steckte, dass im Nebenraum eine Kühltruhe betrieb. Als ich einen Feuerwehrmann um einen Mehrfachstecker bat, ging er mit mir in den Raum mit der Kühltruhe. Dort schaute er einmal in die Truhe, stellte fest, dass sie nur Tiefkühlgemüse enthielt, das er nicht mochte und zog sie kurzerhand heraus. Manchmal sind die Menschen hier echt schmerzfrei.

Spruch des Tages: Ein Leben ohne Werte ist auch nichts - Sonst wäre ich Papst geworden. (Heiko Gärtner)

Höhenmeter: 90 m

Tagesetappe: 19 km

Gesamtstrecke: 3833,47 km

So verlassen, wie die Stadt am Nachmittag gewirkt hatte, so überlaufen war sie am Abend. Der kleine Platz vor unserem Fenster war so voller Menschen, die in den Bars saßen, aßen, tranken und sich unterhielten, dass wir glaubten, es fände draußen eine Party statt. Irgendwo auf der anderen Seite der Stadt stimmte das auch, denn der Wind wehte ab und an die Musik einer Coverband zu uns herüber, doch auf unserem Platz hier, war es lediglich das normale Treiben eines Samstagabends im Sommer.

Am Morgen verließen wir das Hotel nach einem guten Früchtefrühstück und suchten unseren Weg in Richtung Spanien. Im Hotel hatten einige Informationen über einen Wanderweg entlang des Rio Tejo ausgelegen, die sehr gut zu unseren Reiseplänen passten. Der Wanderweg begann in einer Stadt Namens Entroncamento, die etwa 7km von Torres Novas entfernt lag. Dies war nun also unser nächstes Reiseziel.

Nach etwa zwei Kilometern kamen wir an einem großen Einkaufszentrum vorbei, das sogar noch lebte. Es befand sich direkt an der Autobahn, womit es die Menschen im Umkreis von vielen dutzend Kilometern anlocken konnte. Der lebendige Teil von Portugal schien sich lediglich auf diese Knotenpunkte zu konzentrieren. Die kleinen Dörfer starben total aus und wurden immer mehr zu Geisterorten und Ruinenstätten. Die größeren Stätte blieben so weit erhalten, dass sie gerade noch überleben konnten. Auch Entroncamento war ein sehr gutes Beispiel dafür. Es gab Häuser für die Einheimischen und darüber hinaus einen Bahnhof sowie die üblichen Bars und Cafés. Das Eisenbahnmuseum hätte man so wie es war selbst in ein Museum stecken können. Es war sicher bereits seit Jahren geschlossen und zerfiel in seine Bestandteile. Das Kino und das Theater sahen nicht besser aus. Es schien, als wäre gerade soeben genug Geld vorhanden, um die Stadt mit Lebenserhaltenen Maßnahmen vor dem Herztod zu bewahren. Ein Einheimischer, den ich nach einem Hotel fragte, schaute mich entgeistert an und fragte zurück, warum ich hier denn ein Hotel suche. Die Stadt sei doch überhaupt nicht schön und hätte nichts zu bieten. Ich musste ihm Recht geben. Hässlich war es hier wirklich und das, obwohl es eigentlich überhaupt nicht hätte sein müssen. Insgesamt war Porto eigentlich nicht Arm. Nicht als Nation und nicht nach dem zu urteilen, was man hier an Villen und Anwesen sehen konnte. Doch wie immer war der Wohlstand nicht besonders gut verteilt und es wirkte fast, als würde der Großteil der Bevölkerung ganz bewusst am Existenzminimum gehalten, damit er besser funktionierte.

Doch zurück zu unserem Einkaufszentrum. Hier spielten sich nacheinander drei Ereignisse ab, die ich für erwähnenswert halte. Zunächst einmal fanden wir einen Optiker, wo ich mal provisorisch einige Kandidaten für eine neue Brille testete. Das Model, was mir am besten gefiel haben wir einmal fotografiert. Was sagt ihr dazu? Ihr dürft gerne per Mail oder per Kommentarfunktion einige Meinungen äußern. Bitte ehrlich!

Das zweite Ereignis war, dass wir in einem Bürgerladen etwas zum Essen bekamen. Bürger natürlich und dazu Pommes mit Ketchup. Es war nicht ganz das, was wir uns unter gesunder Ernährung vorstellten, doch die Werbung hatte einfach zu verlockend ausgesehen, um nicht nachzufragen. Es ist wirklich krass, wie stark einen diese Werbetafeln beeinflussen!

Anschließend wollten wir unser schlechtes Gesundheitsgewissen wieder etwas aufpäppeln und fragten in einem asiatischen Restaurant. Der Bürger hatte uns nicht wirklich satt gemacht und hier gab es gute Aussichten auf Gemüse und andere Dinge, die weitaus besser für unseren Körper waren als das Fastfood von gegenüber. Damit begann das dritte und interessanteste Ereignis dieses Tages.

Der chinesische Mitarbeiter hörte sich meine Erklärung und die dazugehörige Frage in Ruhe an, zögerte einen Moment und willigte dann ein. Ich muss an dieser Stelle erwähnen, dass wir die Unterhaltung auf Englisch führten, also auf einer Sprache, die beide von uns gut beherrschten und mit der es eigentlich keine Sprachbarriere hätte geben dürfen.

Bei dem Restaurant handelte es sich um eine Sushi-Bar. So eine, bei denen das Essen auf einem kleinen Fließband immer im Kreis herum fährt. Für mich war es das erste Mal, dass ich in einem solchen Restaurant gegessen habe und ich muss sagen, ich war irgendwie fasziniert. Ständig kommt etwas Neues vorbei und immer muss man schauen, dass man es erwischt, bevor es vorbeigefahren ist. Gleichzeitig musste man aber auch aufpassen, dass man die Aufmerksamkeit nicht zu früh oder zu intensiv darauf lenkte, so dass einem der Leckerbissen nicht vor der Nase Weggeschnappt wurde. Von Heiko zum Beispiel. Nur das Prinzip mit den Unmengen an Tellern leuchtete mir nicht ganz ein. Jeder kleine Happen war auf einem eigenen Teller und noch ehe man wirklich merkte, dass man etwas gegessen hatte, stapelte sich bereits ein ganzer Turm an kleinen Tellerchen auf dem Tisch, die alle von irgendjemandem gespült werden mussten. Dann kam noch eine Frau vorbei und brachte uns eine Pfanne mit frischgebratenen Putenstreifen und Zwiebeln. Es war wirklich eine feine Sache. Die Schwierigkeit bestand jedoch darin, irgendwann ein Ende zu finden, denn wir wollten auch nicht zu dreist sein und alles wegfuttern, wo wir es schon umsonst bekamen. Als wir gerade aufstehen wollten, meinte unser Gastgeber jedoch, wir sollten ruhig noch bleiben und ordentlich zulangen. Da ließen wir uns dann nicht zweimal bitten.

Schließlich aber waren wir voll und äußerst zufrieden mit der ganzen Geschichte. Wir standen auf, gingen zu unserem Gastgeber, bedankten uns und wollten gehen. Doch plötzlich drehte er sich um, tippte ein paar Tasten an seinem Computer und verlangte 22,80€ von uns. Verwirrt sahen wir ihn an.

„Entschuldigung“, sagte ich unsicher, „aber du meintest doch, dass wir umsonst essen dürfen...“

Jetzt war er es, der uns verwirrt anschaute. „Wie bitte? Davon weiß ich nichts!“

„Ich habe dir doch am Anfang erklärt, dass wir vollkommen ohne Geld reisen und habe gefragt, ob ihr uns auch ohne Bezahlung etwas zu essen geben könnt.“

„Aber ich bin doch gar nicht der Chef!“ antwortete er, „Ich hätte doch gar nicht ‚ja’ sagen dürfen!“

Schon hatte die Chefin von der Sache Wind bekommen und eilte herbei wie ein Drache, dem man gerade auf den Schwanz getreten hatte. Die ganze Angelegenheit hätte sicher ziemlich einfach und unkompliziert geregelt werden können, wenn es möglich gewesen wäre, mit der aufgebrachten Dame zu sprechen. Doch sie zeigte immer nur wütend auf die Anzeige mit 22,80€ und zeterte wie Laubfrosch. Der Angestellte, der bei meiner Frage vor dem Essen nicht richtig zugehört und damit das ganze Missverständnis ausgelöst hatte, war auch nicht besonders hilfreich. Er hatte so eine Angst vor seiner Chefin, dass er sich nicht traute, auf irgend eine Weise Stellung zu nehmen oder zuzugeben, dass er einen Fehler gemacht hatte. Da die Chefin nur Chinesisch und Portugiesisch sprach, erklärten wir ihm, dass wir nicht aus böser Absicht die Zeche prellen wollten, sondern dass wir wirklich komplett ohne Geld waren und das Restaurant daher nur aufgrund seiner Einladung betreten hatten. Wir entschuldigten uns für das Missverständnis und boten sogar an, eine andere Art der Gegenleistung zu erbringen, doch da er unsere Botschaft nicht ins Portugiesische übersetzte, half das alles wenig.

Dafür warf uns die Chefin Betrug vor, weil es ja unmöglich sei, dass ein Restaurant seine Gäste kostenlos bewirte und das hätten wir wissen müssen. Wir erzählten ihr daraufhin auf Spanisch, dass uns der Burger-Laden von gegenüber zuvor bereits eine Kleinigkeit geschenkt hatte und dass wir auch ihr Restaurant um nicht mehr gebeten hatten. Jetzt plötzlich verstand sie die Sprache und schaute uns ungläubig uns an. Für einen Moment war sie kurz davor rüber zu gehen und den Fastfoodverkäufer zu fragen, ob unsere Geschichte stimmte. Dann entschied sie sich jedoch dafür, dass es ihr egal war. Wir kramten die letzten Euro zusammen, die wir von dem geschenkten Geld noch übrig hatten und erklärten ihr, dass dies alles sei, was wir besaßen. Es waren etwa vier bis fünf Euro, was deutlich unter dem Verkaufspreis des Restaurants lag, aber ziemlich genau dem eigentlichen Wert der Lebensmittel entsprach, die wir konsumiert hatten. Jeder von uns hatte eine kleine Flasche Wasser getrunken, die jeweils 9 Cent gekostet hatte. Dazu der Reis, etwas Fleisch und Gemüse, sowie ein bisschen Sauce. Es war insgesamt nicht mehr gewesen, als das, was man beim Take-Away-Asiaten in einer Papierbox für drei Euro bekommt, wobei der Verkäufer noch gut verdient. Hätte sie das Geld also angenommen, dann hätte sie keinen Verlust gemacht, die Sache wäre erledigt gewesen und sie hätte vor allem den anderen Gästen ihren Besuch nicht verleidet. Stattdessen aber machte mit ihrem Smartphone je ein Foto von Heiko und mir und rief die Wachpolizei des Einkaufszentrums an. Kurz darauf kam ein freundlicher und extrem entspannter Beamter, der sich das Problem von ihr schildern ließ. Sie schimpfte und fluchte und verschreckte damit nicht nur den Polizisten sondern auch alle anderen Gäste im Restaurant, die sich pikiert zu ihr umsahen. Bevor wir das Restaurant betreten hatten, war es vollkommen leer gewesen. Doch durch unsere Anwesenheit hatten wir weitere Gäste angelockt, die das Lokal inzwischen gut gefüllt hatten. Bis zu diesem Moment hatten wir also einen durchaus geschäftsfördernden Einfluss auf ihr Etablissement gehabt. Durch ihr Auftreten machte sie diesen jetzt jedoch komplett zunichte und verschreckte die anwesenden Gäste wahrscheinlich für immer.

Schließlich durften auch wir mit dem Polizisten sprechen. Er sprach Spanisch und ein bisschen Englisch und hörte sich unsere Geschichte in Ruhe an. Dann weiß er uns darauf hin, dass es hier nicht möglich sei, umsonst zu essen und dass das Restaurant nun mal seine Preise hatte. Noch vor Eintreffen des Beamten hatte uns der Kellner, der das Missverständnis ausgelöst hatte bereits gesagt, dass er die Rechnung für uns übernehmen würde. Immerhin hatte er uns ja auch eingeladen, wenngleich es keine Absicht gewesen war. Leider hatte er nicht das Rückgrat, diese Zusage auch gegenüber dem Polizisten oder seiner Chefin zu machen und so half sie uns wenig. Es dauerte insgesamt gut eine halbe Stunde, in der nur auf der Stelle geredet wurde, bis die Sache schließlich voranging. Der Polizist hatte uns ein paar Mal aufgefordert, bei anderen Restaurants im Zentrum nach Essen zu fragen. Zunächst hatten wir nicht verstanden, warum er das sagte, doch schließlich ging uns auf, dass er noch immer nicht wusste, worum es hier eigentlich ging.

Die Restaurantbetreiberin hatte so wild auf ihn eingeredet, dass er nichts von dem Problem verstanden hatte. Er glaubte, dass wir hier waren, weil wir etwas zu essen von ihr wollten, sie uns aber keines geben wollte. Dass es in Wirklichkeit um Nahrung ging, die bereits verzehrt war, verstand er erst, als wir ihm jetzt noch einmal alles von Anfang an erzählten. Um die Situation zu entspannen, begannen wir die Passanten im Zentrum zu fragen, ob sie uns mit ein paar Euro aus der misslichen Lage helfen konnten. Zwanzig Menschen die jeweils einen Euro gegeben hätten, hätten ja ausgereicht um das Essen zu bezahlen. Doch in der Zwischenzeit hatte der Polizist mit seinen neuen Informationen noch einmal mit der Chefin gesprochen und ihr klar gemacht, dass sie wegen ein paar Euro nicht so einen Aufstand machen solle. Es sei schließlich ein Missverständnis gewesen, das uns Leid täte, das wir aber leider nicht mehr Rückgängig machen konnten. Selbst wenn, dann wolle sie die Nahrung jetzt sicher nicht wieder haben, da sie sie im derzeitigen Zustand wohl kaum noch verkaufen könne. Die gute Frau gab sich schließlich geschlagen und erließ uns die Rechnung. Als wir noch einmal zu ihr gingen um uns bei ihr zu bedanken, blickte sie uns nur angewidert an und wich zurück. Heikos ausgestreckte Hand als Zeichen des Friedensangebotes konnte sie jedoch trotzdem nicht ausschlagen. Der Kellner meinte nur, wir sollen beim nächsten Mal besser aufpassen, damit so etwas nicht noch einmal passiert. Aus seinem Mund kam die Botschaft etwas gehässig herüber und wirkte irgendwie fehl am Platz, wenngleich er natürlich Recht hatte. Es hatte wirklich einen kurzen Moment gegeben in dem wir das ungute Gefühl hatten, dass er uns vielleicht nicht richtig Verstanden hatte. Es war nur ein kurzes Bauchgefühl das sich in vielen Situationen in der Vergangenheit als völlig unbegründet herausgestellt hatte, doch es wäre eine gute Gelegenheit gewesen, noch einmal nachzufragen. In Zukunft werden wir mehr auf diese Gefühle achten und auch danach handeln.

Die ganze Aktion hatte uns so viel Zeit gekostet, dass wir nun nicht mehr motiviert waren, noch große Strecken zurückzulegen. Wir wanderten die fünf Kilometer bis nach Entroncamento und suchten uns dort eine Unterkunft. Die Stadt war wie gesagt nicht unbedingt ein Highlight. Auf der Suche nach einem Hotel traf ich einen alten Mann, der so stark verkrunschelte, entzündete und aufgeschwollene Finger hatte, dass er damit kaum noch in der Lage war, die Zigaretten aus der Verpackung zu ziehen.

Im Hotel Dom João war der Chef von unserem Projekt so begeistert, dass er uns sofort ein Zimmer zur Verfügung stellte. Wie gesagt, es ist hier wirklich leichter, in einem 4-Sterne-Hotel zu leben, als in einem Raum der Kirche.

Spruch des Tages: Steh zu deinen Aussagen, dann klappt’s auch mit den Kunden.

Höhenmeter: 30 m

Tagesetappe: 7 km

Gesamtstrecke: 3814,47 km

Doch das Sonnenwunder bestand nicht nur aus dem wundersamen Ereignis am Himmel, das von den 70.000 Anwesenden beobachtet wurde. Wenn man den Berichten glaubt, dann kam es tatsächlich auch zu mehreren Spontanheilungen. Bis heute baut darauf der Glaube an die Wunderheilungen von Fátima auf, die jährlich Millionen von Menschen dazu bewegt hierher zu kommen und ihr Leid an den Platz abzugeben. Wahrscheinlich ist das auch einer der Gründe, warum auf dem Kirchenvorplatz eine so komische Atmosphäre herrscht. Irgendwie hat man immer das Gefühl, dass hier eine schlechte Energie vorhanden ist, die einen irgendwie runterzieht.

Für die Kinder ging es danach erst einmal Bergauf, da die Mehrheit der Mitmenschen im Dorf sie nun nicht mehr für einfache Spinner hielt. Auch dies zeigt wieder einmal wie abstrakt und pervers wir Menschen oftmals funktionieren, denn die gleichen Menschen, die damals den Kindern das Leben zur Hölle machten, haben später die ersten Hotels und Souvenirläden für die Fátimapilger errichtet um auf ihre Weise von der wundersamen Erscheinung zu profitieren.

Etwa ein Jahr nach der Erscheinung wurde Francisco schwer krank. Er litt Höllenqualen, glaubte jedoch, dass er mit seinem Leid die Welt und vor allem die Sünder erlösen könne, so wie es die heilige Mutter Gottes ihm prophezeit hatte. Angeblich sagte er seiner Cousine sogar, dass er sich mehr von dem Leid wünschen würde, wenn er es nur ertragen könne. Er starb im Frühjahr 1919. Seine Schwester Jacinta erkrankte kurz darauf ebenfalls. Sie bekam Abszesse, eine offene Wunde auf der Brust und Tuberkulose. Auch sie freute sich über das Leid und wurde noch ein paar Mal von Maria besucht bevor sie ein Jahr nach ihrem Bruder verstarb. Der Tod der beiden Kinder wirft weitere Fragen auf.

Angenommen die Kinder haben wirklich etwas göttliches gesehen, so ist es doch komisch, dass sie so kurz danach einfach sterben. Nach allem, was wir von den verschiedenen Medizinleuten über den Kontakt zu Wesen aus der Geisteswelt erfahren haben, hätte diese Begegnung sie eigentlich eher stärken als schwächen müssen. Natürlich gibt es Prüfungen und es kommt auch oft vor, dass einem die eigenen Ängste so arg gespiegelt werden, dass man es nicht aushält, doch die Kinder hatten die Begegnung ja als etwas Positives wahrgenommen, und so hätte es sich eigentlich auch positiv auswirken müssen. Oder gab es vielleicht doch noch tiefere Gründe dafür, dass jeder Engel, wenn er auftaucht erst einmal den Satz „Fürchtet euch nicht!“ auspackt. Ich meine, wenn jemand „Ich war´s nicht!“ sagt, ohne dass man ihn beschuldigt hat, dann ist das ja auch verdächtig. Warum also sagen Engel immer „Fürchtet euch nicht!“ obwohl sie doch angeblich gar nicht zum Fürchten sind?

Doch wenn wir die anderen Welten an dieser Stelle einmal aus dem Spiel lassen, dann ist der Tod der beiden trotzdem noch sehr verdächtig. Die katholische Kirche hat ihre Sichtungen als glaubwürdig anerkannt, was bedeutet, dass sie für den Vatikan irgendeine Art von Bedeutung hatten. Was wäre, wenn die Kinder Hellsichtig gewesen sind und wirklich die Fähigkeit hatten, Ereignisse vorherzusagen? Was wenn es wirklich eine Botschaft aus der Welt der Geister, Spirits, Engel und Götter gab? Waren die beiden Kinder dann vielleicht zu gefährlich? Das eines von ihnen stirbt, kann man sich eingehen lassen. Aber beide innerhalb von zwei Jahren ist schon sehr verdächtig. Noch dazu wo die Todesursache immer etwas anders beschrieben wird. Und wo keiner der Einheimischen in Fátima eine Auskunft zu diesem Thema geben möchte. Könnte es also sein, dass die beiden Kinder zu gefährlich waren? Dass es sicherer war, sie aus dem Weg zu räumen bevor sie etwas verbreiteten, dass der Macht des Vatikans vielleicht schaden konnte?

Natürlich kann man sich fragen, warum die Kirche in diesem Fall nicht einfach gesagt hat, die Kinder seien Spinner und die Marienerscheinung sei nichts als ein Schwindel. Doch zum einen waren 70.000 Menschen, die zumindest einen Teil der Begegnung mitbekommen hatten, vielleicht doch etwas zu viel um alles unter den Teppich zu kehren. Wobei man sagen muss, dass dies wahrscheinlich sogar nicht einmal ein so großes Problem gewesen wäre. Es gab schließlich schon genug mysteriöse Erscheinungen, die von ganzen Menschenmassen gesehen wurden und die im Nachhinein trotzdem als Humbug abgetan worden waren. Man hätte das Ereignis ja einfach mit einem stinknormalen Wetterphänomen erklären können und jeder außer ein paar hartnäckige Zweifler wären zufrieden gewesen. Doch zum anderen war es einfach so, dass die Kirche Marienerscheinungen wie diese brauchte. Wie wollte man die Gläubigen bei Laune halten, wenn das letzte große Wunder bereits 2000 Jahre her war? Es brauchte immer wieder neue Wunder, um den Glauben zu erhalten und was war dafür besser geeignet als drei unschuldige Hirtenkinder, in einem kleinen Dorf, von dem niemand auf der Welt jemals gehört hatte?

Der Vatikan hatte also ein großes Interesse an der Echtheit des Fátimawunders und man muss sagen, dass dieser Plan auch astrein funktioniert hatte. Dazu braucht man sich die alte Schafsweide, die heute das Aufmarschgelände von Fátima ist, nur einmal anzuschauen. Gemeinsam mit den Millionen von Menschen, die hier ununterbrochen durch die Gassen strömen. Wenn es ein Ereignis in den letzten hundert Jahren gab, das der Kirche neue Glaubwürdigkeit verschaffte, dann war es dieses Wunder von Fátima.

Doch damit stand die Kirche natürlich auch in einer Misere, denn jetzt musste sie die Botschaft der Maria ernst nehmen. Was immer die Kinder irgendwann in ihrem Leben darüber sagen würden, würden die Menschen glauben. Das war ein schier unberechenbares Risiko. Ich weiß natürlich nicht, was der Vatikan wirklich damit zu tun hatte, doch was hättet ihr an seiner Stelle getan? Fragt euch das einmal ehrlich.

Gleichzeitig stellt sich jedoch auch die Frage, warum das dritte Kind dann überlebt hat. Dazu hatten wir ebenfalls mehrere Vermutungen. Wenn man einmal davon ausgeht, dass die Kinder wirklich Seher waren, so wie man es ihnen nachsagt, dann war es doch das sicherste, einen von ihnen weiterhin parat zu haben und kontrollieren zu können. Von dem ausgehend, was wir bislang über diese außergewöhnlichen Fähigkeiten wissen, gibt es immer nur ein paar Menschen auf einmal, die eine so klare Verbindung zum Göttlichen haben. Wenn Lucia wirklich mit Gott oder zumindest mit Maria sprechen konnte, dann war es doch gut zu wissen wo sie ist und sich einen guten Draht zu ihr aufzubauen. Hätte man sie ebenfalls getötet, wäre möglicherweise irgendwo auf der Welt ein neuer Mensch aufgetaucht, der eine Gottesverbindung hatte und wer weiß, ob man diesen so leicht erwischt hätte. Lucia war streng gläubig erzogen worden und erkannte den Papst und seinen Mitarbeiterstab daher als Autorität an. Sie war fromm, bereit Leid auf sich zu nehmen und hatte keine allzu hohe Affinität zur Rebellin. Besser hätte es also kaum laufen können. Doch selbst wenn alles nur eine Erfindung war, dann machte das eigentlich kaum einen Unterschied, solange die Menschen daran glaubten.

Ein Jahr nachdem Jacinta gestorben war, kam Lucia auf Geheiß des Bischofs in ein Mädcheninternat nach Spanien. Dort blieb sie zwei Jahre und wurde dann Nonne. Sie lebte zurückgezogen in Tuy in Spanien, später in Coimbra und an anderen Orten. In Tuy begegnete ihr die Gottesmutter am 13. Juni 1929 erneut. Dabei drängte sie sie wieder darauf, den Papst zu überreden, dass er Russland weihen und bekehren solle. Diese Sache mit Russland geht über viele Jahre hinweg weiter und kein Papst ließ sich jemals wirklich dazu bewegen.

Was das ganze soll ist mir noch immer unklar. Die Kommunisten hatten die Katholiken immer wieder verfolgt und im Gegenzug hatte die katholische Kirche den Kommunismus so gut es ging überall verurteilt. Eine Weihung hätte also ein erster Schritt der Begegnung sein können, der vielleicht den kalten Krieg mit all seinen blutigen Schauplätzen in Korea, Vietnam und wo sonst noch, verhindert hätte.

Doch es ist schwer vorstellbar, dass Maria in einer solchen Auseinandersetzung Partei ergreift und dazu rät, die ungläubigen Kommunisten zu bekehren. Es gibt in einem solchen Konflikt keine Guten und keine Bösen. Es gibt verschiedene Menschen, die Macht haben wollen und die jeden, der ihnen im Wege steht als Böse darstellen. Wenn überhaupt, vielleicht gibt es auch nur Menschen, die Macht haben wollen und dafür Kriege inszenieren um die Menschen zu beschäftigen. Aber das ist ein anderes Thema.

Wichtig ist hier glaube ich erst einmal nur, dass bis heute niemand so genau weiß, worum es bei den Botschaften von Fátima wirklich genau ging, denn alles was Lucia veröffentlichte wurde immer erst einmal durch die Kirche gefiltert. Selbst wenn sie sich persönlich an die Öffentlichkeit wandte, so war sie doch immer durch ihren Orden und durch verschiedene Bischöfe beeinflusst, denen sie vertraute.

Spannend wird es aber eigentlich erst ab 1943. Zwei Jahre zuvor hatte Lucia die ersten beiden Geheimnisse von Fátima veröffentlicht. Das dritte sollte nach Anweisung der Maria erst 1960 an die Öffentlichkeit gelangen. 1943 wurde Lucia jedoch schwer krank und es war fraglich, ob sie ihre Krankheit überleben würde. Der Bischof von Fátima drängte sie daraufhin, das Geheimnis aufzuschreiben, nur für den Fall, dass sie doch den Löffel abgeben sollte, bevor sie es jemandem verraten konnte. Soviel also zur Fürsorge der Bischöfe. Es zeigt aber auch, dass die Kirche ein wirklich großes Interesse daran hatte, das Geheimnis zu erfahren. Lucia verweigert sich der Aufforderung zunächst und antwortet, dass sie es nur machen würde, wenn der Bischof es ihr feierlich befehlen würde. Das war für den Bischof kein großer Akt und so hielt er zwei Monate später einen versiegelten Brief mit dem Geheimnis in der Hand.

1960 ist dann endlich das große Jahr gekommen. Der Zeitpunkt ist erreicht, an dem alle Welt vom dritten Geheimnis von Fátima erfahren soll. Hinter verschlossenen Türen liest der Vatikan den Brief von Lucia und behält ihn für sich. In einer öffentlichen Stellungnahme wird nur die Information weitergegeben, dass die Welt niemals erfahren würde, was in dem Brief stand. Lucia wird verboten, jemals mit irgendjemandem darüber zu sprechen. In der darauffolgenden Zeit darf sie nicht einmal Kontakt zu ihrer Familie oder irgendjemandem außerhalb ihres Klosters haben. Was auch immer in diesem Brief gestanden hatte, es musste so heikel für die Vatikanspitze sein, dass es ihr wirklich wichtig war, dass niemand davon erfuhr.

Am 15. November 1966 wendet der Vatikan dann den genialsten Trick in diesem Zusammenhang an, den man sich vorstellen kann. Im sogenannten Codex Iuris Canonici wird es jedem Mitglied der Kirche erlaubt, jederzeit alles über Gottes- und Marienerscheinungen zu veröffentlichen, was er wollte, ohne dass es einer Prüfung bedarf. Mit Ausnahme von Lucia natürlich, der noch immer jedes Wort zu diesem Thema verboten war. Ab diesem Moment konnte jeder über die Fátimabegegnung schreiben was immer ihm gerade in den Sinn kam. Damit wurde es schier unmöglich, irgendetwas echtes unter all den Fantasiegeschichten zu finden.

Am 13. Mai 1967 kommt Papst Paul VI nach Fátima wo er vor 1.000.000 Menschen spricht. Lucia geht zu ihm auf die Bühne und bettelt ihn öffentlich an, mit ihm sprechen zu dürfen, doch er weist sie knallhart ab. Als Person bedeutet die Seherin der Kirche also nichts und ihre Botschaft ist offenbar noch immer zu heikel, als dass man ihr gestatten könnte, irgendwo vor so einer Menschenmenge öffentlich zu sprechen. Selbst wenn man den ganzen Rest der Geschichte weglässt und selbst wenn die Kirche nichts mit dem Tod der beiden anderen Kinder zu tun haben sollte, dann ist allein das bereits ein riesiger Skandal. Stellt euch das einmal vor! Fátima verdankt alles was es ist dieser Frau und ihren zwei verstorbenen Freunden. Doch anstatt ihnen dafür zu danken wird die Frau ihr ganzes Leben lang eingesperrt, von ihrer Familie und der Außenwelt abgeschirmt und dann auch noch öffentlich mit Füßen getreten. Und trotzdem huldigen die Menschen die Fátima besuchen nicht dem Kind, sondern den Päpsten und Kardinälen, mit ihren Prunkbauten, die ihr das Leben zur Hölle machten. Ist das nicht pervers?

Doch die Geschichte geht noch weiter und was immer in diesem Geheimnis enthalten war, es muss deutlich brisanter gewesen sein, als allgemein zugegeben wird.

So verbrachte beispielsweise ein Mann namens P. Alonsos zehn Jahre seines Lebens damit, alles über die Offenbarung von Fátima und die damit verbundenen Intrigen zusammenzutragen, was er finden konnte. Das Ergebnis waren 24 Bände mit je 800 Seiten, die insgesamt 5.396 Originaldokumente enthielten. Wenn jemand 10 Jahre seines Lebens mit diesem Thema füllt, dann muss es ein spannendes Thema sein, denn sonst hätte er irgendwann ein neues Hobby gefunden. 1975 sollten diese Bände veröffentlicht werden. Sie befanden sich bereits im Druck, als die ganze Aktion vom neuen Bischof von Fátima doch noch gestoppt wurde. Er hielt die Druckerpressen an, ließ die bereits gedruckten Werke vernichten und verhinderte die Veröffentlichung vollständig. Was für eine ungeheure Macht mussten der Mann oder seine Organisation haben, dass sie es schafften, einen Verlag in diesem Stadium des Prozesses von einer Veröffentlichung abzuhalten? Sie hatten bereits eine Menge Geld ausgegeben und ihnen war klar, dass die Bände unter den gläubigen Christen der absolute Renner werden mussten. Sie verzichteten damit also auf ein Millionengeschäft! Wer macht so etwas in einer kapitalistischen Gesellschaft, wenn er nicht durch wirklich, wirklich gute Argumente davon überzeugt wird?

Jahre später wurden zwei der 24 Bände doch noch veröffentlicht, beide jedoch so stark zensiert, dass sie kaum noch interessante Informationen enthielten. Vor seinem Tod gelingt es Alonsos noch einige weitere kleine Publikationen zu veröffentlichen, aus denen hervorgeht, dass es sich bei dem Geheimnis von Fátima um Informationen über die obersten Machtstrukturen im Vatikan handelt. Lucia dementiert diese Behauptungen nicht, obwohl sie sonst alle Veröffentlichungen dementierte, die sie für falsch hielt.

1978 wird Johannes Paul II zum Papst gewählt, der Papst, der später bei dem Attentat verletzt wurde. In dieser Zeit werden auch die ersten Stimmen laut, dass es inzwischen mehrere 3. Geheimnisse gibt, bei denen es sich um Fälschungen handelt. Das Attentat selbst fand am 13. Mai 1981 statt. Der Papst wurde damals angeblich genau in dem Moment angeschossen, als es auf das Bild der Fátimaerscheinung auf dem Pullover eines Mädchens blickte. Dabei muss man sich natürlich fragen, warum der Papst so intensiv auf den Pulli des Mädchens gestarrt hat...

Auf jeden Fall überlebte er das Attentat und brachte, wie wir von der jungen Dame aus dem Geburtshaus der Kinder erfahren haben, die Kugel aus seiner Brust mit nach Fátima. Das Attentat ist aber aus einem anderen Grund spannend. Drei Jahre später sagte der damalige Kardinal Ratzinger in einem öffentlichen Interview, dass das dritte Geheimnis noch nicht preisgegeben werden könne, weil die Welt dafür noch nicht bereit sei. Es ziele auf heikle Ereignisse in der Zukunft ab und man wolle eine Massenpanik oder eine Sensationsgeilheit verhindern. Man könne dem Vatikan aber vertrauen, dass er sich um die Angelegenheiten kümmere. Als das Geheimnis dann im Jahr 2000 von dem gleichen Mann veröffentlicht wurde, hieß es plötzlich, dass es sich dabei nur um Ereignisse in der Vergangenheit handele, die keine Bewandtnis mehr hätten. Die letzte Prophezeiung wäre die des Papstattentates von 1981 gewesen. Natürlich kann man jetzt sagen, der Kerl war zu diesem Zeitpunkt bereits ein alter Mann und da kann es schon mal vorkommen, dass er vergisst, was er 15 Jahre zuvor gesagt hat, doch in seiner Position hätte er da vielleicht doch etwas acht geben sollen. Klarer hätte er sich selbst kaum einen Lügner nennen können. Fünf Jahre zuvor wurde übrigens ein Buch mit dem Namen „Ratzinger-Report“ veröffentlicht, dass sein Interview von 1984 in zensierter Form enthält. Durch die Zensur verliert es jede Aussagekraft und das Buch wurde mit einer Erstauflage von 1 Million gedruckt. Warum wollte man, dass die verfälschte Aussage des Kardinals so weit unter den Menschen verbreitet wurde? Wie kommt man überhaupt darauf, ein solches Buch zu schreiben und gleich eine Million Mal zu drucken? Das kommt mir ziemlich übertrieben vor.

Noch weitaus spannender ist jedoch, dass es Lucia auch nach der Veröffentlichung des dritten Geheimnisses jedes Wort darüber verboten wurde. Bis zu ihrem Tod im Jahr 2005 durfte sie mit niemandem darüber sprechen. Warum hätte man ihr den Mund verbieten sollen, wenn doch bereits alles gesagt war?

Was auch immer Lucia in ihrer Marienbegegnung gehört hatte, es war sicher nicht das, was heute als drittes Geheimnis in den Museum aus dem Santuário ausliegt. Was es war wird man vielleicht nie erfahren, aber vielleicht ist das auch gar nicht so wichtig. Wir haben die Sache daher einmal von der anderen Seite aufgezogen. Was könnte eine Nonne wohl für eine Botschaft überbringen, die für den Vatikan so brisant ist, dass er ihre Veröffentlichung auf jeden Fall verhindern muss? Was wäre das schlimmste, das Maria über die katholische Kirche sagen konnte? Es musste schon ein ordentlicher Angriff sein, denn dass der Vatikan ein korrupter Haufen machtgeiler Egomanen ist, der vor Mord, Völkermord, Manipulation und Kindesmissbrauch nicht zurückschreckt, ist ja gemeinhin bekannt und es stört eigentlich niemanden. Ein Senator aus Rom sagte sogar einmal in einem Interview gegenüber dem Focus: “Sie müssen verstehen, dass in meinem Land die Mafia, die Regierung und der Vatikan alle die gleichen Leute sind, und sie haben wirklich nur eine Sorge: den Schutz ihrer Vermögenswerte”

Howard Dee, der ehemalige philippinische Botschafter im Vatikan, sagte, dass Kardinal Ratzinger ihm persönlich bestätigt habe, dass die Botschaften von Akita und Fátima von ihrem Inhalt her identisch sind. Die Akita Prophezeiung lautet folgendermaßen: “Das Werk des Teufels wird sogar die Kirche in einer Weise infiltrieren, dass man Kardinäle gegen Kardinäle, Bischöfe gegen Bischöfe sehen wird. Die Priester, die mich (Maria) verehren,  werden von ihren Mitbrüdern verachtet… Kirchen und Altäre werden geplündert, die Kirche wird voll derer sein, die Kompromisse akzeptieren, und der Dämon wird viele Priester und geweihte Seelen unter Druck setzen, um den Dienst des Herrn zu verlassen.”

Unsere eigene Vermutung war ähnlich. Was wäre, wenn die Gottesmutter Maria in einer Begegnung, die vom Vatikan als authentisch anerkannt worden war, dazu riet, den Vatikan aufzulösen, weil er dem wahren Glauben im Wege steht? Das würde den Papst in eine ordentliche Bedrängnis bringen, aus der er sich nicht so leicht herausmanövrieren könnte. Denn immerhin gilt er als Vertreter Gottes auf Erden und damit als direkt von Gott ermächtigt. Angenommen das wäre wirklich der Fall, dann wäre es Gott sicher nicht Recht, dass sein Vertreter das ihm zugesprochene Amt derart missbraucht, wie es seit Jahrhunderten üblich ist. Ich an Gottes stelle hätte da schon länger mal ein Machtwort gesprochen. Stellt euch einmal vor, was passieren würde, wenn Milliarden von gläubigen Katholiken überall auf der Welt erfahren würden, dass Gott persönlich dem Vatikan seine Macht entzogen hat. Dass ab sofort jeder Mensch dazu aufgefordert ist, den Glauben in sich selbst zu suchen, seine Verantwortung selbst zu übernehmen und auf die göttliche Stimme in seiner eigenen Seele zu hören. Martin Luther hat damit schon einmal eine Spaltung der Kirche ausgelöst und so ein Ereignis könnte durchaus wieder passieren. Um so etwas zu verhindern lohnt es sich dann doch schon mal, eine Seherin für 90 Jahre wegzusperren, einige Lügen aufzutischen und zwei kleine Kinder auf mysteriöse Weise einen qualvollen Tod sterben zu lassen.

Nach den ganzen Recherchen war auch diese Nacht wieder deutlich kürzer als geplant. Dennoch verließen wir Fátima heute endgültig und kehrten dem Santuário den Rücken zu. Damit ist nun auch das zweite Kapitel unserer Reise abgeschlossen und wir wenden uns nun dem Ort zu, in dem der Vatikan seinen Hauptsitz hat. Rom wird unser nächstes großes Etappenziel und ich bin gespannt, was der Papst auf unsere Fragen antwortet, wenn wir ihn dort treffen!

Doch anders als erwartet verfolgte uns Fátima auch heute ein gutes Stück auf unserem Weg. Gut drei Kilometer außerhalb der Stadt kamen wir in den eigentlichen Ort Fátima. Es war der Ort, der bereits vor dem ganzen Prophezeiungswahn existiert hatte und er sah noch immer so aus wie damals. Es gab einen kleinen Friedhof, eine kleine, unspektakuläre Kirche und das Rathaus des Ortes. Außen herum standen ein paar Häuser. Das war alles. Kein Prunk, keine Hotels, keine Widmungen, keine Statuen kein nichts. Nicht einmal Bilder zeugten von dem Trubel, der sich drei Kilometer weiter abspielte. Jetzt verstanden wir auch, wie der ganze Komplex hatte entstehen können. Es hatte dort wirklich nichts gegeben, als eine Schafsweide und die kleine steinerne Hütte der Kinder. Der perfekte Ort also, um eine komplett durchgeplantes Heiligtum zu entwerfen. Der weitere Tag verlief weitgehend Ereignislos. Die Sonne brannte vom Himmel als würde sie dafür bezahlt und wir schwitzten wieder einmal wie die Weltmeister. Um die Mittagsstunden machten wir eine Pause im Schatten und holten dabei den fehlenden Schlaf der letzten Nächte nach.

In Chancelaria wollten wir eigentlich einkehren, doch in der kleinen Ortschaft gab es nichts als eine Post und ein ‚Centro Social’ mit Altenheim. Als besonders sozial stellten sich die Heimleiter leider wieder einmal nicht heraus. Es wirkte fast so, als gäbe es hier die Regel, dass niemand sozial sein durfte, der es außen auf der Tür stehen hatte. In Spanien und Portugal war es wirklich einfacher, ein kostenloses Bett in einem 5 Sterne Hotel zu bekommen, als eine Abstellkammer für ein paar Isomatten in einer kirchlichen oder sozialen Einrichtung. Mit dieser hier hatten wir dann wohl gleich doppelt Pech, denn es war ein kirchliches, soziales Heim. Ich brauchte nicht lange, bis mich die Leute dort wieder so wütend machten, dass ich einfach gehen musste. Es war nicht das Problem, dass sie uns nicht helfen wollten, sondern viel mehr die große Ignoranz und die tödliche Gleichgültigkeit mit der sie uns begegneten. Draußen herrschten 38 Grad im Schatten und das einzige, was sie uns rieten war, 12 Kilometer weiter in den nächsten Ort zu wandern. Dabei verweigerten sie uns sowohl Essen als auch Wasser und verwiesen uns lediglich auf eine kleine Bar am Ortsausgang. Diese hatte dann auch noch geschlossen. Wir hatten noch einiges an Obst und auch unser Wasser reichte noch für den Rest des Tages, doch das konnten die Heimleiter nicht wissen. Sie wussten auch nichts darüber, wie viel Erfahrung wir bereits mit diesem Wetter gemacht hatten oder wie gut wir noch beieinander waren. Es interessierte sie auch nicht. Das einzige worum es ging war, uns wieder loszuwerden. Konnten oder wollten sie nicht sehen, dass sie mit diesem Verhalten riskierten, jemanden in den Tod zu schicken? In unserem Fall war es kein wirkliches Problem, sondern nur der Unmut darüber, dass wir nun schon wieder so spät ankommen würden, dass wir kaum noch zu etwas kamen, doch es hätte ja auch anders sein können.

Der besagte nächste Ort hieß Torres Novas und war sogar recht hübsch. Wir wurden nach einem kurzen Gespräch in das Hotel Dos Cavaleiros eingeladen, wo wir uns noch lange mit der Dame von der Rezeption unterhielten. Sie war die Tochter des Hotelbesitzers und machte eigentlich ein Studium zur Krankenschwester. Im Hotel half sie nur aus, um ihren Vater zu entlasten. Als wir mit ihr über die Situation in Portugal im Allgemeinen und in Fátima im Besonderen sprachen, erklärte sie uns, dass Portugal noch bis vor wenigen Jahren einen Diktator hatte, der so ziemlich jeden Fortschritt verhindert hatte. Die Portugiesen hatten daher lange Zeit nur wenig über die Vorgänge in der übrigen Welt mitbekommen. Auch das jeder Haushalt einen Fernseher besaß, war in Portugal eine eher neue Erscheinung. Ein Großteil der Bevölkerung war bereits sehr alt und stand auch heute noch nicht auf große Veränderungen. So kam es, dass sie aus Gewohnheit immer wieder den gleichen Präsidenten wählten, einfach weil sie ihn mochten. Dass er noch nie irgendetwas bewirkt hatte, spielte dabei für sie keine Rolle.

 

Spruch des Tages: Sie müssen verstehen, dass in meinem Land die Mafia, die Regierung und der Vatikan alle die gleichen Leute sind, und sie haben wirklich nur eine Sorge: den Schutz ihrer Vermögenswerte (Senator aus Rom)

Höhenmeter: 130 m

Tagesetappe: 23 km

Gesamtstrecke: 3807,47 km

Franz Bujor
Franz Bujor ist Wandermönch, Web-Nomade und Autor. Nach einem Studium in Kulturwissenschaften, bei dem er unter anderem bei einem Maya-Volk in Guatemala gelebt und in einem Kinderheim in Serbien gearbeitet hat, war er zunächst als Erlebnispädagoge und Wildnismentor tätig. 2014 ließ er sein bürgerliches Leben hinter sich und reist seither zu Fuß und ohne Geld um die Welt. Neben seinem eigenen Entwicklungsweg schreibt Franz besonders gerne über geschichtliche und gesellschaftliche Themen.

Schreibe einen Kommentar:

Speichere Namen, Email und Webseite im Browser fur zukunftige kommentare