Tag 763: Glycerin als Ursache von Parkinson

von Heiko Gärtner
02.02.2016 22:51 Uhr

Unser Besuch in der Flachebene währte dieses mal nur sehr kurz. Heute ging es schon wieder in die Berge, zunächst nur langsam, dann immer Steiler. Wir kamen durch unendliche Olivenwälder, die fast komplett mit riesigen Netzen ausgelegt worden waren. Nachdem wir durch Antonio vom Oliven-Lepra erfahren hatten, achteten wir heute einmal genauer darauf. Keine einzige Olive, die auf den Netzen lag war verwertbar. Alle waren schrumpelig, eingefallen und verstrocknet. Es musste enorm viel Geld und Zeit gekostet haben, die Netze unter den Bäumen aufzuspannen. Do wofür? Für einen Berg voll wertloser Trockenoliven und eine Handvoll gesunder Früchte, die kaum genug Öl für nur eine einzige Flasche ergaben? Wie sollte sich das rechnen? Es war natürlich denkbar, dass die guten Oliven noch alle am Baum hingen und erst später hinab fielen, doch wenn das so war, dann stellte sich noch immer die Frage, warum man die Netze bereits jetzt ausgelegt hatte. Hätte man noch gewartet, bis überhaupt eine Chance bestand, das gute, reife Oliven auf ihnen landen konnten, dann hätte man sich zumindest einen Großteil der Arbeit gespart, die man nun zum Aussortieren brauchte.

Wenn man sich die Felder einmal genauer ansah, dann war es eigentlich kein Wunder, dass die Oliven am Baum verdorrten. Die Böden unter den Bäumen wurden jedes Jahr bereinigt und sahen aus wie geleckt. Jedes noch so kleine Blatt, das vom Olivenbaum fiel oder von umliegenden Bäumen hier her geweht kam, wurde weggefegt und verbrannt. Wie sollte der Boden so auch nur einen Funken Energie und Nährstoffe bewahren? Alles was der Baum in Blätter umwandelte, kam dem Boden anschließend nicht mehr zu gute, sondern ging ihm für immer verloren. Genau wie die Oliven selbst. Andere Pflanzen, die Nährstoffe hätten zurückbringen können, gab es nicht mehr, da sie entweder ausgerissen oder vergiftet wurden. Der Boden hatte also nur das Kontingent an Nährstoffen, dass er vor dem Beginn der Bewirtschaftung besaß und dieses wurde nun nach und nach aufgebraucht. So ging es bereits seit Jahren und da wunderte man sich dann am Ende allen Ernstes darüber, dass die Bäume keine gesunden Früchte mehr ausbilden konnten? Waren wir wirklich so blauäugig um zu glauben, dass dies für immer gutgehen konnte?

Die Gegenmaßnahmen gegen die schlimme und vollkommen unerklärbare Olivenkrankheit kamen uns ebenso absurd vor. Immer wieder wüteten Männer mit Kettensägen in den Hainen, um die Olivenbäume bis auf einen kleinen Grundstummel zurückzuschneiden. Hauptäste und -stämme wurden ebenso abgeschnitten wie frische Triebe. Ich bin mir unsicher, ob die Zeit, in der die Bäume ihre Früchte austragen wirklich auch die Beste für den Baumbeschnitt ist. Doch sicher ist es keine gute Idee, die Hauptstämme einfach gerade abzuschneiden, so dass das Regenwasser oben in den Stumpf einziehen kann und der Baum von innen zu Schimmeln beginnt. Aber was weiß ich schon.

Unser erstes Dorf lag auf einer Anhöhe von rund 150 Metern. Es war winzig und die Kirche musste bereits vor einigen Jahren aufgegeben worden sein. Es gab mehrere Gebäude, die zur Gemeinde gehörten doch alle waren verfallen, schimmlig und vergammelt, hatten eingeschlagene Fenster sowie kaputte Türen und schienen so baufällig, dass sie kaum noch nutzbar waren. Ein Mann erklärte uns, dass es keinen Pfarrer mehr im Ort gäbe. Wir könnten aber kurz weiter bis zum nächsten laufen, denn der wäre nur 9km entfernt, also zu Fuß nicht weiter als eine halbe Stunde.

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„Sind sie schon einmal 9km am Stück gelaufen?“ fragte ich den Mann, denn ich fand diese Zeitangabe mehr als nur unrealistisch. Doch er ließ sich nicht beirren und war felsenfest davon überzeugt, dass er locker 9km in einer halben Stunde wandern konnte, wenn er es nur wollte.

Ein Stück weiter die Straße hinauf befand sich ein Heim für AIDS-Kranke Patienten. Es wurde ebenfalls von der Kirche betrieben und so versuchten wir unser Glück dort. Die Mitarbeiter reagierten sehr freundlich und zuvorkommend, doch die Heimleiterin teilte dieses Entgegenkommen leider nicht. Erstaunlich fand ich an dieser Stelle gar nicht so sehr, dass sie uns nicht aufnehmen wollte, sondern dass sie keinerlei Interesse an irgendeiner Form des Kontaktes hatte. Da kamen zwei Wanderer aus Deutschland die sich mit allen Formen von Naturmedizin beschäftigten und bereits durch halb Europa gereist waren in ein Zentrum für AIDS-Kranke, und ich frage nicht einmal nach, ob sie irgendeine Form von Wissen haben, das mich bei meiner Arbeit unterstützen könnte?

Immerhin wird offiziell noch immer davon ausgegangen, das AIDS eine unheilbare Virusinfektion ist. Jeder, der sich damit beschäftigt und dem etwas an seinen Patienten liegt sollte doch zumindest ein kleines Interesse daran haben, neue Informationen und Heilungsansätze kennenzulernen, um die Chance auf einen Erfolg zu erhöhen. Zumindest dann, wenn man wirklich ein Interesse an einer Heilung hat und nicht nur den Glauben an einen Krankheitsmythos aufrecht erhalten will, den es zumindest in der Propagierten Form eigentlich gar nicht gibt. Doch über AIDS schreiben wir an anderer Stelle später noch einmal ausführlicher, denn das Thema ist riesig und würde heute definitiv den Rahmen sprengen.

Einer der Mitarbeiter bot an, den zuständigen Pfarrer anzurufen und ihm nach einem Schlafplatz zu fragen. Während er das tat schaute ich mich ein bisschen in den Gängen um. Einige Patienten standen herum oder liefen umher. Sie sahen wirklich fertig aus. Nicht krank in dem Sinne, sondern eher wie Junkies oder Menschen, die einen starken geistigen Schaden davongetragen hatten. Sie wirkten traurig und resigniert, so als hätten sie jede Freude am Leben schon vor Urzeiten aufgegeben. Sie sahen nicht aus, wie Opfer einer schweren Krankheit, sondern eher wie Insassen einer Psychiatrie, die man mit extremen Psychopharmaka ruhig gestellt hatte.

Der Mitarbeiter kehrte zurück und informierte mich über die Neuigkeiten. Der Pfarrer hätte wahrscheinlich einen Platz für uns, doch der lag fünfzehn Kilometer von hier entfernt oben auf einem Berg und komplett abseits unseres Weges. Nach der Rechnung des Mannes von vorhin war das zwar nur eine knappe Dreiviertelstunde, doch in der realen Welt war es undenkbar. Wir mussten uns also wieder auf den Weg machen und hoffen, dass wir in unserer Richtung etwas fanden. Zuvor jedoch gab mir die Köchin noch einen Teller mit Nudeln mit. Das war es also, was die Patienten hier zum Essen bekamen. Pasta, die aus nahezu Nährstofffreiem Getreide bestand, dessen Gluten-Anteil so hoch gezüchtet wurde, dass er unseren Darm verklebte. Na da musste man ja förmlich wieder gesund werden.

Der zweite Ort lag noch einmal gut dreihundert Meter oberhalb des ersten. Als wir ihn erreichten waren wir wieder einmal komplett nassgeschwitzt. Genau richtig also, um es sich anschließend in einem kalten, ungeheizten Raum gemütlich zu machen.

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Eine ältere Dame führte uns zu ihrem Sohn, der gerade dabei war eine große Weihnachtskrippe zu bauen. Er war der Präsident der Region und damit nicht nur für diese Ortschaft sondern auch für alle im Umkreis zuständig. Es dauerte eine Weile, bis er seine Kontakte durchtelefoniert hatte, doch dann bekamen wir einen Raum in einem leerstehenden Haus, das eigentlich für Immigranten erbaut worden war. Es musste sich um ein EU-Förderprojekt gehandelt haben, durch dass die Gemeinde die Mittel für den Bau eines neuen und modernen Gebäudes erhalten hatte. Doch als es fertig war kam heraus, dass es keine Genehmigung für ein Migrationsprojekt in dieser Region gab und das Gebäude wurde nie in Betrieb genommen. Es war maximal zwei oder drei Jahre Alt und sah auf den ersten Blick aus, als wäre es gerade erst fertiggestellt worden. Doch bereits beim zweiten Blick stellte man fest, dass es schon wieder am Zerfallen war. Aus den feuchten Wänden trat das Salz aus und bildete zentimetergroße Kristalle. Die Türrahmen waren aufgequollen und verschimmelt. Teilweise waren sie so verzogen, dass man die Türen jetzt schon nicht mehr schließen konnte. Dafür bildeten sie an anderer Stelle dicke spalte, durch die der Wind fegte. Überall befanden sich schwarze Schimmelflecken, die sich über das feuchte Holz freuten wie Kinder über den Weihnachtsmann. Pino, unser Gastgeber bekam selbst die Krise, als er den Zustand dieses Gebäudes sah. Vor allem die klemmende Eingangstür brachte ihn fast zur Weißglut.

Nachdem etwas Ruhe eingekehrt war und wir die meisten Fragen geklärt hatten, sprachen wir Pino auf sein Händezittern an. Er hatte Parkinson und allein das Halten eines Telefons an sein Ohr bereitete ihm schon große Schwierigkeiten. Erstaunlicherweise war er trotz dieser Schwierigkeiten ein begeisterter Bastler und baute die Weihnachtskrippe vollkommen alleine mit einer unglaublichen Präzision, die vielen Menschen auch ohne Muskelzuckungen unmöglich gewesen wäre. Erst vor ein paar Tagen hatte Heiko über die Auswirkungen von Glyzerin auf unser Nervensystem gelesen. Der Stoff, der in nahezu allen Waschmitteln, Seifen, Putzmitteln und in vielen Kosmetika enthalten ist, durchdringt sogar die Blut-Hirnschranke und ist so in der Lage unser zentrales Nervensystem dauerhaft zu schädigen. Auch darüber schreiben wir demnächst noch einmal ausführlicher. Wir sprachen mit Pino darüber und regten an, einmal auf alle Produkte zu verzichten, die Glycerin und Aluminium enthalten, da diese dafür bekannt waren, Parkinson auszulösen oder verstärken können. Doch wieder waren wir überrascht, wie wenig er darüber wissen wollte.

„Wenn wir auf der Reise jemanden treffen würden“, meinte Heiko später, „der ein Heilmittel oder eine Therapie für Tinnitus kennt, dann würde ich mich so lange auf seinen Schoß setzen, bis ich alles darüber erfahren habe. Ich würde ihn meinetwegen füttern, wenn es hilft. Vielleicht bin ich da komisch, aber ich kann mir nicht vorstellen, warum jemand so wenig Interesse an einer möglichen Heilung für eine so einschneidende Krankheit aufbringen kann.“

Spruch des Tages: Man kann niemandem helfen, der keine Hilfe will.

Höhenmeter: 490 m

Tagesetappe: 28 km

Gesamtstrecke: 13.600,27 km

Wetter: überwiedend bewölkt

Etappenziel: Misericordia (Italienischer Rettungsdienst), 84085 Carratù, Italien

 

Fortsetzung von Tag 761:

Wir waren begeistert, vor allem weil sie dann auch noch schön scharf waren. Zum Essen lud er noch einen Freund ein, der bei der Post arbeitete und zu viert lachten und scherzten wir, bis wir Bauchschmerzen bekamen. All der Stress, den wir an diesem Tag erlebt hatten war wie weggeblasen. Teilweise konnten wir uns nicht einmal mehr daran erinnern, dass es noch immer der gleiche Tag war.

Schließlich führte uns Don Franco noch in die Kirche. Komplett in der Stille und bei Nacht wirkte sie noch weitaus beeindruckender und mystischer, als sie ohnehin schon war. Don Franko zeigte uns alle Besonderheiten und er war selbst so begeistert von den Kunstwerken, die man hier finden konnte, dass wir aus dem Staunen gar nicht mehr herauskamen.

„Was heißt das eigentlich, was ihr da immer sagt?“ fragte er, „Dieses ‚Waow!’ Was bedeutet es?“

Wieder mussten wir lachen.

„Es ist nur ein Ausdruck von Begeisterung oder Erstaunen!“ sagte ich, „Eine richtige Bedeutung hat es nicht!“

Der kleine Pfarrer freute sich und nahm das Wort von nun an in seinen Wortschatz mit auf.

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„Mögt ihr Archäologie?“ fragte er dann und führte uns in einen Seitenraum neben der Sakristei. In einer Ecke befand sich ein Loch im Boden, so dass man auf die darunterliegenden Gewölbe blicken konnte. In der Mitte unter uns lagen mehrere Knochen und Schädel. Vor einiger Zeit waren einige Bauarbeiter bei der Restaurierung der Kirche darüber gestolpert. Von wem die Knochen stammten war ungewiss, doch wir entwickelten unsere eigenen Theorien. „Wahrscheinlich gab es eine Zeit, in der jeder, der in der Kirche nicht richtig mitsingen wollte, einfach dort unten in das Loch geworfen wurde!“ spekulierte Heiko und erntete dafür einen Knuddler von Don Franko. Immer wenn wir etwas sagten, was er besonders lustig, sympathisch oder bemerkenswert fand knuddelte er uns. Er war wie ein kleiner Teddy mit einer Zipfelmütze und einem Schal. Auf seine Weise hatte er den Weg gefunden, den wir am Mittag gesucht hatten. Er war ständig von schwierigen und oft nervigen Menschen umgeben, die ihn sicher nicht selten zur Weißglut brachten und doch hatte er sich seine Wärme, seine Fröhlichkeit und seine Offenherzigkeit erhalten. Er strahlte auf eine Weise, die einen ebenfalls zum Strahlen brachte. Dies war seine Art des Heilens. Er heilte durch seinen Humor, durch sein Lächeln und seine Umarmungen. Er war ein Mensch, der es verstand, einem das Gefühl zu geben, willkommen, geborgen und wertgeschätzt zu sein.

Wir waren nun beim Altar angekommen und er zeigte uns seinen Arbeitsplatz. Hinter dem Tisch aus weißem Stein, der von einer Engelsstatue getragen wurde, befand sich ein kleines Podest. Von hier aus hielt der Pfarrer seine Messe.

„Oh, du hast ein bisschen nachgeholfen, damit die Zuhörer dich auch sehen können, hinter dem Riesentisch!“ neckte Heiko.

„Jaja,“ sagte er und lachte, „ohne dieses Ding wundert sich immer jeder, warum sich die Messe von ganz alleine hält!“

Bevor wir schlafen gingen schaute er noch einmal in unseren Raum und wollte dieses Mal alles über unsere Kleidung wissen.

„Die deutsche Kleidung ist noch richtige Qualitätsware!“ meinte er, „Hier in Italien bekommt man inzwischen nur noch den billigen Kram von den Chinesen-Märkten. Die Sachen halten keinen Tag mehr und sind so voller Gifte, dass man sie kaum noch anziehen kann!“

Auch am Morgen konnten wir nicht gehen, ohne noch ausgiebig mit Don Franco zu frühstücken. Er wünschte uns mehrmals einen segenvollen Weg und betonte einige Male, dass wir ein Geschenk des Himmels waren. Wir sahen das genauso. Vor allem an einem Tag wie gestern hatten wir den Glauben an die Menschheit schon fast wieder vollkommen aufgegeben. Und dann tauchte so ein herzlicher Mann auf, der einen wieder davon überzeugte, dass es doch noch etwas gutes in unserer Spezies gab. Es war das erste Mal seit langem, dass es uns schwer fiel, uns zu verabschieden.

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„Wenn ihr keinen Platz zum übernachten in Taurianova findet, dann kommt einfach wieder her. Wann immer ihr in diese Stadt kommt, könnt ihr euch gewiss sein, dass ich euch herzlich empfangen werde!“

Dann zogen wir los. Das Wetter war grau und trübe, aber die Strecke heute war wieder bedeutend schöner als die letzte. Wir wanderten auf einer ebenen Straße durch Olivenhaine und Orangenwälder in denen es fast keine Menschen gab. Einmal kamen wir sogar an einer gigantischen Kiefer vorbei, die über uns wie eine natürlich gewachsene Halle in den Himmel ragte. Man brauchte diesen Baum nur anzusehen und spürte sofort, dass er eine unglaubliche Kraft besaß. Erst als wir in die Stadt kamen, wurde es wieder unangenehmer. Nach einer so friedlichen Strecke wie heute fiel es uns gleich noch einmal mehr auf, wie grässlich diese Ansammlungen von Verkehr, Menschenmassen und Betonbunkern waren.

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Gerade als wir die Stadtgrenze erreicht hatten rief Don Franco an. Er hatte mit den Mönchen aus dem Cappucciner-Kloster gesprochen und sie hatten einen Platz für uns. Es dauerte noch eine knappe Stunde, bis wir das Kloster in den Wirrungen dieser unübersichtlichen Stadt fanden. Dann aber wurde uns klar, dass wir ohne Don Franco niemals einen Platz innerhalb dieser Mauern bekommen hätten. Es war ein altes Kloster, das kurz vor seinem Verfall stand. Um zu verhindern, dass es sich vollkommen in Wohlgefallen auflöste, hatte die Kirche vier Mönche aus Indien einfliegen lassen, die sich um den Wiederaufbau und um den sturen alten Mann kümmern sollten, der als einziger Mönch noch immer hier lebte. Er hatte sich geweigert in ein anderes Kloster umzuziehen und so hatte man eine Alternativlösung finden müssen. Die meisten Räume des Klosters waren unbewohnbar aber wir bekamen einen kleinen Saal, der normalerweise von den Pfadfindern genutzt wurde. Der indische Bruder führte uns ein wenig in der Ruine herum und wies uns auf die vielen schönen Details hin, die es ihm und seinen Leuten besonders schwer machten, den alten Schuppen vor dem Einstürzen zu bewahren. Fast überall lief beim Regen das Wasser durch die Decke und die Regenrinne vom Dach der Kirche endete auf einem Balkon, der mit Betonmauern umgeben war. Wenn es regnete wurde er zu einem Schwimmbecken und das Wasser hatte sich seinen Weg durch die Wände ins Innere der Gebäude gesucht. Die Mönche hatten eine recht abstrakte Konstruktion gebaut, mit denen sie das Wasser vom Dach in den Vorhof leiten wollten, doch auch sie sah nicht so aus, als würde sie wirklich funktionieren.

Für den Rest des Tages hatten wir weitgehend unsere Ruhe. Erst am Abend wurde es wieder lebhaft, denn der Raum unter uns wurde an eine Gruppe von pensionierten Polizisten vermietet, die sich hier täglich zum Saufen trafen.

Spruch des Tages: Ende gut, alles gut

Höhenmeter: 550 m

Tagesetappe: 21 km

Gesamtstrecke: 13.572,27 km

Wetter: überwiedend bewölkt

Etappenziel: Oratorio, 84099 Filetta, Italien

Hier könnt ihr uns und unser Projekt unterstützen. Vielen Dank an alle Helfer!

Fortsetzung von Tag 760:

Die Frau, die in ihrem Buch über das Aurensehen und die Möglichkeit berichtet, es zur Heilung einzusetzen, beschrieb auch ihren eigenen Weg und ihren eigenen Umgang mit ihrer Gabe. Ähnlich wie Heiko heute Mittag kam auch sie immer wieder an einen Punkt, an dem sie sich zwischen ihrer Rachsucht und der Hingabe zu ihrem Können entscheiden musste. Sie lernte einen Mann kennen, in den sie sich verliebte und der sie seiner Mutter vorstellte. Die Mutter entpuppte sich jedoch als wahrer Drachen und stichelte, mäkelte und zeterte ständig an ihr herum. Die Frau sei nicht gut genug für ihren Sohn und solle sich daher zum Teufel scheren!

Die junge Frau wurde so wütend, dass sie für einen Moment alles vergaß. Vor ihrem geistigen Auge sah sie all ihre gescheiterten Beziehungen und sie hatte das Gefühl, dass diese Frau ihr nun auch noch die einzige Hoffnung verbauen wollte, dieses mal einen Partner zu bekommen, der wirklich zu ihr passte. Der Zorn und der Hass kochten in ihr auf und sie spürte, dass sie sich an dieser Frau rächen wollte. Es war leicht für sie, denn auf energetischer Ebene war die Mutter schwach und wehrlos. Ein kleiner Stoß in die Aura hätte ausgereicht um sie zu Fall zu bringen und danach hätte sie sie in tausend Stücke reißen können. Sie war bereit, über jede Grenze zu gehen, koste es, was es wolle!

Koste es, was es wolle?

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In ihr gab es eine zarte Stimme, die diese Frage noch einmal wiederholte. Es war die Stimme ihres inneren Heilers: „Ist es dir das wirklich wert? Willst du dein Leben und deine Gabe wegwerfen, nur um ein einziges Mal Rache zu üben?“

Als sie das hörte musste sie anfangen zu lachen. Ihre Wut und ihr Hass kamen ihr plötzlich vollkommen lächerlich vor. Wie war sie überhaupt auf diese Idee gekommen? Was juckte es sie überhaupt, was diese Frau dachte? Hatte sie nicht schon oft genug bewiesen, dass sie über solchen Dingen stand? So viele Prüfungen hatte sie bereits bestanden und jetzt wollte sie wegen so einer lächerlichen Situation alles aufgeben? Wenn das kein Grund zum Lachen war, was dann?

Ein bisschen so fühlten wir uns auch. Natürlich besaßen wir nicht, oder zumindest noch nicht, die Fähigkeit Auren zu sehen, aber unser Ziel war es einen friedvollen, heilenden Weg zu gehen. Natürlich dehnte auch ein Gewalttäter auf seine Weise die Liebe aus, aber das war nicht die Art und Weise, die wir uns für unser Leben vorstellten. Wir waren Heiler, keine Schläger und in sofern stellte uns das Leben auch Prüfungen, die uns auf unserem Heilerweg weiterbringen konnten. Verstanden hatten wir das Prinzip schon einmal, jetzt mussten wir nur noch danach leben. Und das fiel uns gerade noch nicht ganz so leicht, denn es wäre gelogen, wenn ich behaupten würde, ich hätte keine Rachegedanken in Bezug auf unsere drei Angreifer gehabt.

Nachdem wir die LKW-Werkstatt verlassen hatten, wanderten wir weiter bis in den nächsten Ort, um uns dort direkt an die Polizei zu wenden. Zunächst machten wir jedoch einen kleinen Abstecher zur Kirche, um schon einmal nach einem Schlafplatz Ausschau zu halten. Der Pfarrer ließ uns telefonisch Mitteilen, dass er in etwa einer halben Stunde hier eintreffen würde. Genug Zeit also, um aufs Präsidium zu gehen.

Die „Policia Municipale“ befand sich direkt im Rathaus. Am Schalter saß eine junge Frau, die unseren Bericht freundlich aufnahm. Da niemand eine andere Sprache als Italienisch konnte und unser Italienisch nur für Standartfragen reichte, wurde es eher eine Präsentation als eine Erzählung.

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„Da kam ein Auto, hielt neben uns an und der Mann griff nach dem Handy und BÄHM!“

Heiko und ich hüpften durch das Präsidium, spielten Autos, wedelten mit unserem kaputten Telefon herum und simulierten eine Schlägerei mit insgesamt fünf Personen. Auf jedem Spieleabend wären wir mit dieser Show die Stars gewesen. Die Polizisten waren eher mittelmäßig beeindruckt und sie waren erstaunlich schlecht darin, Pantomime zu deuten. So mussten wir einige Szenen etwa drei bis vier Mal spielen, ehe sie verstanden wurden. Am Ende teilte man uns mit, dass wir leider auf dem falschen Amt gelandet waren. Die Schlägerei hatte außerhalb der Stadtgrenzen stattgefunden, wodurch sie in den Aufgabenbereich der Carabinieri fiel. Aber immerhin hatten wir die Beamten auf diese Weise eine knappe Stunde lang gut unterhalten.

Wir folgten der Beschreibung der jungen Beamtin zum Büro der Carabinieri und wurden auf halber Strecke schon wieder von einem Auto angehalten, das uns den Weg abschnitt. Ich wollte schon fast nach meinem Pfefferspray greifen, denn ich hatte aus den Erfahrungen ja gelernt, als der Fahrer etwas über den Pfarrer sagte. Er sei ein Freund des Geistlichen und hätte gerade mit diesem gesprochen. Hier im Ort sähe es mit Schlafplätzen schlecht aus, aber im nächsten gäbe es verschiedene Möglichkeiten. Der Pfarrer wolle sich daher mit uns treffen.

„Wir haben gerade noch einen Termin mit den Carabinieri“, erklärte ich, „dann haben wir Zeit für den Pfarrer.“

„Kein Problem“, sagte der Mann, „Ich gebe ihm Bescheid, dann kommt er euch auf der Wache besuchen.“

Die Polizisten von der städtischen Polizei hatten uns erzählt, dass sie ihre Kollegen von der landesweiten Behörde bereits telefonisch informiert hätten. Doch der dicke, gemütliche Beamte, der uns die Tür öffnete wusste von nichts. Er bat uns in sein Büro und wir führten unser Pantomimentheater noch einmal von vorne auf. Dieses Mal hatten wir es ja schon gut geprobt. Dann folgte der ernsthaftete Teil der Zusammenkunft. Wir sollten genau beschreiben, was wir für Autos gesehen hatten und wie sich der Tatverlauf ereignet hatte. Außerdem machten wir Angaben zum Ort und zu den anwesenden Personen. Spannenderweise wollte der Polizist nicht mehr als Größe, Haarfarbe und Alter des Angreifers wissen. Seine beiden Komplizen blieben nahezu unbeschrieben. Als wir erwähnten, wo sich die Schlägerei ereignet hatte und dass wahrscheinlich der Besitzer des Nahestehenden Hauses darin verwickelt war, war der Polizist nicht überrascht. Er sagte nichts, doch seine Mimik sprach Bände. Sein Gesicht sagte in etwa: „Aha, der mal wieder!“

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Nachdem alles aufgenommen war fragte der Beamte: „Wie sieht’s aus, wollen wir gemeinsam hinfahren und dem Mann einen Besuch abstatten?“

Die Versuchung war groß. Rachegedanken hatten uns auf dem ganzen Weg hierher begleitet und die Idee, den Kerl noch einmal mit einer Polizeistreife zu besuchen, um ihm etwas Angst zu machen schien verführerisch. Aber was würde es bringen? Wir waren ohnehin schon spät dran und die Aktion würde den kompletten Nachmittag verschlingen. Am Ende waren wir dann keinen Schritt weiter nur dass wir uns noch mehr Aufregung, Stress und Scherereien aussetzten. Lustig war nur, dass offenbar auch der Polizist Lust darauf hatte, sich den Kerl endlich einmal vorzunehmen. Dennoch lehnten wir ab.

„Nein!“ sagte Heiko, „eigentlich möchten wir den Fall nur aufgeben, damit alles seinen rechten Weg geht. Außerdem bräuchten wir ein offizielles Schreiben, das wir bei unserer Versicherung einreichen können.“

„Achso!“ sagte der Mann und schien sich plötzlich wieder daran zu erinnern, dass er als Polizeibeamter eigentlich verpflichtet war, ein Protokoll zu führen. Er setzte sich an seinen Schreibtisch und tippte los. Kurz darauf läutete es an der Tür. Ein junger Mann kam herein, den wir erst nach einigen Augenblicken als Pfarrer identifizierten, weil er so gar nicht in das Bild passen wollte. Sein Name war Don Antonio und er war gekommen, weil er mit dem Autofahrer gesprochen hatte. Wir erzählten ihm von unserer Reise, was leider dazu führte, dass der Polizist nicht weiterschreiben konnte. Denn er musste erst einmal die Ohren spitzen und sich an dem Gespräch beteiligen.

Dann hielt er ein längeres Pläuschchen mit dem Pfarrer ab und schließlich wandte er sich wieder seinem Bericht zu.

„Wollt ihr etwas essen oder trinken?“ fragte Don Antonio und machte sich kurz danach auf, um uns zwei Sandwichs, zwei Packungen Kekse und zwei Flaschen Saft zu besorgen. Das war mal ein Service, den man wohl nur selten auf einer Polizeiwache geboten bekam.

So verbrachten wir also den Großteil des Nachmittags damit, belegte Brote und Kekse zu futtern, während wir dem Polizeibeamten beim Berichtschreiben zusahen.

Don Antonio hatte uns zwei Adressen gegeben, an die wir uns wenden sollten. Eine war eine Art kirchliche Jugendherberge, in der man uns um eine Stunde vertröstete, bis wir eine Antwort bekommen sollten. Wir sogen daher weiter zur zweiten Adresse, wo man uns ebenfalls mitteilte, dass unsere Kontaktperson nicht da war. Also machte ich mich wieder auf eigene Faust auf die Suche und stand schließlich vor einem alten, imposanten Kirchenportal. Links davon gab es eine kleinere Tür mit einer Klingel. Alles sah aus, als wäre es unbewohnt, doch ich versuchte er trotzdem. Wenige Augenblicke später öffnete sich über mir ein Fenster und ein freundliches Gesicht unter einer schwarzen Mütze kam zum Vorschein.

„Warte kurz! Ich komme runter!“ rief er und allein durch den Gesichtsausdruck und die Stimme war mir klar, dass meine Suche für heute beendet war.

„Komm rein, komm rein!“ sagte er als er die Tür geöffnete hatte, „Kann ich dir etwas anbieten? Ein Wasser, einen Tee, einen Wein, ein Bier, eine Cola oder einen Saft vielleicht?“

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Er war so überschwänglich, dass ich gar nicht dazu kam, überhaupt etwas zu erzählen. „Komm setz dich erst mal! Willst du wirklich nichts trinken? Oder kann ich dir sonst etwas anbieten? Eine Schokolade vielleicht? Nein? Ok, ich glaube du möchtest erst reden, oder? Entschuldige, dass ich so komisch rede, ich bin ein bisschen erkältet.“

Es war so lange her, dass ich zu Beginn einer Unterhaltung etwas angeboten bekam, dass ich regelrecht überfordert war. Als ich mich jedoch wieder gefangen hatte, wurde es sofort ein angenehmes und lockeres Gespräch.

Wenige Minuten später waren Heiko und ich bei dem netten Kerl eingezogen, der sich Don Franko nannte. Nach dem abstrakten und oft unangenehmen Tag war der kleine Mann ein Geschenk des Himmels. Er war nicht nur nett und offenherzig, sondern auch lustig und immer zu Scherzen aufgelegt. Für ihn wie für uns war es eine wichtige und bereichernde Begegnung. Immer wieder besuchte er uns in unserem Übernachtungsraum und jedes Mal hatte er ein kleines Geschenk in Form eines Saftes, einer Süßigkeit oder etwas ähnlichem dabei. Er war der erste Mensch seit langem, der sich aufrichtig interessierte, nicht nur für uns als Gäste und die Reise als solche, sondern für das Leben an sich. Wir gerieten teilweise in regelrechte Bedrängnis mit unseren Sprachkenntnissen, weil er nicht nur ein echtes Gespräch mit uns führte und tiefergreifende Fragen stellte, sondern auch noch daran interessiert war, ob wir ihn wirklich verstanden oder nicht. Wenn wir ihn nicht verstanden, sondern einfach nur ja sagten, dann merkte er es sofort und versuchte seine Sätze noch einmal umzuformulieren. An diesem einen Abend lernten wir mehr Italienisch, als in den Wochen davor zusammen. Er fragte uns, ob wir Sport trieben und ließ sich unsere Frisbee vorstellen, die ihn tief beeindruckte.

„Wie funktioniert das? Was macht man damit?“ fragte er und schaute dann begeistert einem der Lehrvideos zu, die wir uns runtergeladen hatten. Er wollte alles über unser Diagnosebuch wissen und freute sich darüber, dass wir uns Zeit nahmen, es ihm zu erklären.

„Jungs, ich habe mir etwas überlegt!“ sagte er schließlich, als er noch einmal in unser Zimmer kam, „Ihr seit jung, ihr wandert um die Welt und ihr braucht viel Energie. Deswegen gibt es heute Abend zwei Pizzen für jeden. Was haltet ihr davon?“

Fortsetzung folgt...

Spruch des Tages: Wie heilsam doch eine schöne Begegnung mit einem angenehmen Menschen sein kann.

Höhenmeter: 550 m

Tagesetappe: 32 km

Gesamtstrecke: 13.551,27 km

Wetter: überwiedend bewölkt

Etappenziel: Gemeindehaus der Kirche, 84062 Monticelli, Italien

Hier könnt ihr uns und unser Projekt unterstützen. Vielen Dank an alle Helfer!

Heiko Gärtner
Heiko Gärtner ist Wildnismentor, Extremjournalist, Survivalexperte, Weltreisender und einer der führenden Experten auf dem Gebiet der Antlitz- und Körperdiagnostik. Nachdem er einige Jahre als Agenturleiter und Verkaufstrainer bei einer großen Versicherungsagentur gearbeitet hat, gab er diesen Job auf, um seiner wahren Berufung zu folgen. Er wurde Nationalparkranger, Berg- und Höhlenretter, arbeitete in einer Greifenwarte und gründete schließlich seine eigene Survival- und Wildnisschule. Seit 2014 wandert er zu Fuß um die Welt und verfasste dabei mehrere Bücher.

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