Fragen an das höhere Selbst

von Heiko Gärtner
04.11.2014 22:11 Uhr

Nur als Warnung vorweg: Heute wird es wieder einmal ein etwas abstrakter Text und ich bin gerade noch nicht ganz sicher, ob ich alles so beschreiben kann, wie ich es gerne möchte. Ich weiß ja nicht einmal genau, ob ich alles so verstanden habe, wie es hat verstanden werden wollen.

In einem kleinen Örtchen haben wir auf einem Spielplatz eine Mittagspause gemacht und dort unter einem Kakibaum, die Bananen schnabuliert, die wir kurz zuvor von einem Minisupermarkt geschenkt bekommen haben. Nachdem wir uns etwas entspannt hatten und nachdem alle erreichbaren Kakis geerntet waren, kamen wir auf die Idee, einige Dinge auszutesten, die wir schon länger wissen wollten. Mit Hilfe des kinesiologischen Muskelreflexionstests befragten wir dabei gegenseitig unsere Muskeln. Zunächst ging es um Heikos Bein, das seit Andorra nun fast permanent schmerzte. Laut Aussage der Muskeln war es jedoch nichts bedrohliches, sondern ein starker Entgiftungsprozess, der im Zusammenhang mit seiner Leber und dem Hüftmuskel stand. Dies sorgte dafür, dass der Oberschenkelmuskel an einer Stelle so sehr verkrampfte, dass er sich wie ein Drahtseil durch sein Bein zog. Dadurch wiederum drückte er auf eine Vene und sorgte so dafür, dass das Bein immer wieder einschlief. Heikos muskuläre Gedächtnis war davon überzeugt, dass die Schmerzen und auch die Durchblutungsstörungen verschwinden würden, sobald der Entgiftungsprozess abgeschlossen war. Doch wie lange würde das dauern? Es musste eine Lösung geben, wie man diese Verkrampfung zumindest lockern und die Schmerzen damit mildern konnte. Wärmesalbe, Massage, Entspannungspausen und das Senden von Energie sind da vielleicht Ansätze. Falls euch weitere einfallen, sind wir für Vorschläge offen.

Das zweite Thema, das wir austesteten waren Parasiten. Über sie hatten wir in letzter Zeit viel gelesen und recherchiert und so war das Interesse gestiegen, ob sie uns auch persönlich betreffen. Ganz offensichtlich habe ich damit schon einige Probleme. Heiko hatte bereits vor der Reise mit dem Thema gearbeitet und bei ihm schien soweit alles in Ordnung zu sein. Doch meine Muskeln zeigten eindeutig, dass ich durchaus ein paar kleine Biester im Körper hatte, die ich loswerden sollte.

Ich weis nicht mehr warum, aber schließlich kamen wir noch auf ein weiteres Thema.

Es ging um Frauen, Liebe, Partnerschaft und Sexualität in meinem Leben. Zu meiner großen Überraschung rieten mir meine Muskeln vollständig davon ab, jemals in meinem Leben eine Beziehung zu einer Frau einzugehen.

"Ist eine Lebenspartnerin für dich vorgesehen?" Fragte Heiko und drückte auf meinen Arm. Ich hatte keinerlei Kraft, was in der Sprache der Muskeln eindeutig nein hieß.

Gerade merke ich, dass ich die Situation nicht so wiedergeben kann, wie sie war. Die Erinnerungen verschwimmen bereits und ich merke, dass es auch eigentlich nicht darum geht. Ich weiß das irgendwie eine tiefe Trauer in mir war, die ich nicht begründen konnte. Mit aller Macht versuchte ich, Fragen so zu formulieren, dass ich doch wieder Kraft hatte, wenn es um eine romantische, partnerschaftliche und sexuelle Beziehung zu Frauen ging. Doch ich hatte keine Chance. Die Aussage meines höheren Selbst war eindeutig. Auch wenn ich es schaffte, komplett in meine Kraft zu kommen, mein wahres Sein zu Leben und all meine Stärken und Gaben zu nutzen, auch dann sagte mein höheres Selbst noch immer nein zu einer Beziehungspartnerin. Es sagte mir ohne jeden Zweifel, dass ich meinen Weg alleine gehen musste. Nicht alleine im Sinne eines Eremiten, der keinen Kontakt zu anderen Menschen hatte. Eine Herde wie die mit Heiko und Paulina war ok und sogar wichtig, nur eben keine Partnerin im herkömmlichen Sinne. Auch nicht in Form von freier Liebe, von Harems, von Freundschaften mit besonderen Vorzügen oder von Prostituierten. Ja, ich weiß, aber wir haben einfach mal alles ausgetestet. Warum sich mein höheres Selbst so entschieden hat, war mir absolut unklar. Ein Teil davon schien mit meiner Ahnenkette zu tun zu haben, ein Teil mit meinem Familiensystem und ein Teil mit meiner Seele und den Entscheidungen, die ich selbst bisher in meinem Leben getroffen hatte. Ein zentraler Schlüssel schien meine Verbissenheit und mein übertriebenes Verlangen zu sein, sexuelle Erfahrungen zu machen, während ich gleichzeitig alles daran setzte, diese zu verhindern. Es dauerte noch den ganzen Nachmittag, bis mir langsam bewusst wurde, worum es dabei ging. Zunächst spürte ich nur, dass ich mich mit meinem Ego und meinem Verstand mit allen Mitteln gegen diese Aussage weigerte. Ich wollte nichts davon akzeptieren und es gelang mir nicht, die Erkenntnis als etwas positives anzusehen. Plötzlich aber begriff ich die Botschaft, die mir mein höheres Selbst und meine Muskeln Geschenk hatten und es fiel mir wie Schuppen von den Augen.

Mein Wunsch nach einer Lebenspartnerin bestand eigentlich nur aus dem Wunsch nach Sexualität, die ich mir selbst aber aus irgendeinem Grund nicht gönnte. Mehr konnte ich mir nicht vorstellen. Ich wollte es nie wahrhaben, weil ich es primitiv fand und mich selbst nicht als so oberflächlich wahrnehmen wollte, doch im Grunde ging es nicht um einen tiefen Seelenkontakt, um eine bereichernde Beziehung, um eine intensive und allumfassende Liebe. Es ging mir einfach um Sex, und das auf einer so subtilen Ebene, dass ich es selbst nicht einmal merkte. Im bewussten Leben spielte das Thema kaum eine Rolle. Hier ging es darum, Bücher zu schreiben, zu reisen, Essen und Schlafplätze zu finden, zu forschen und mich zu entwickeln. Unterschwellig jedoch war das Thema immer präsent.

Mit Paulina haben wir oft darüber gesprochen, dass es wichtig für sie ist, dass sie die Wandlungen und Entwicklungen, die sie durchläuft für sich selbst und nicht für Heiko oder für uns macht. Jetzt erst wurde mir bewusst, dass mich das Thema genauso, wenn nicht noch stärker betraf. Nur noch einmal eine Nummer abstrakter. Dass man sich in einer Beziehung für den Partner verändert ist keine Seltenheit. Wahrscheinlich passiert dies in 99% aller Partnerschaften. Ich hingegen versuche mich die ganze Zeit für die Idee einer Partnerschaft zu entwickeln, die selbst gar nicht existiert. "Wenn ich es schaffe, in meine Männlichkeit zu kommen, dann stehen die Frauen auf mich und ich bekomme endlich eine Partnerin!" "Wenn ich ein berühmter Autor und Weltreisender bin, dann werde ich geliebt!" "Wenn ich täglich mein Muskelaufbautraining mache, dann bin ich irgendwann attraktiv genug um ein Frauenschwarm zu werden!" All diese Gedanken waren unbewusst meine Motivationen, die ich jedoch selbst vor mir verheimlichte. Selbst meine Trichterbrust und meine mangelhafte Durchblutung zu kurieren wollte ich in erster Linie schaffen, um damit besser beim anderen Geschlecht anzukommen. Mit einem Schlag wurde mir bewusst, wie sich diese zweifelhafte Motivationskette wie ein Roter Faden durch mein Leben zog. Es war vollkommen egal, ob es darum ging, gesund, erwachsen, stark, sportlich, flexibel, weise oder gelassen zu werden. Es war egal ob es darum ging, eine Geschichte zu erzählen, ein Abenteuer zu erleben, Straßenkunst zu erlernen oder ein kundiger der Antlitzdiagnose zu werden.

Die Motivation dahinter war nie die Sache selbst, sondern immer die Anerkennung dafür. Ich wollte nicht lernen um zu lernen, sondern weil ich damit beeindrucken wollte. Niemand konkreten, sondern Frauen an sich. Und hinter dem Wunsch nach Anerkennung stand immer auch der Wunsch nach Sexualität. Plötzlich wurde mir bewusst, dass ich nichts von dem was ich tat wirklich für mich machte, sondern immer für jemand anderen. Auch wenn dieser andere gar nicht existierte sondern nur eine Idee in meinem Kopf war. Es war ein Gedankenkonzept, das ich beeindrucken wollte.

Doch wenn man etwas nicht für sich selbst, sondern für jemand anderen macht, dann kann man auch keine Freude daran empfinden. Und genau dies war der Punkt, den ich in letzter Zeit einfach nicht lösen konnte. Warum machte es mir keinen Spaß mehr zu lernen, mich zu wandeln und zu entwickeln? Warum sah ich jede Entwicklungschance nur noch als Belastung und als Rückschlag an?

Wer etwas lernt, weil er damit andere beeindrucken will, der will nicht den Lernprozess erleben, er will den Erfolg spüren. Er will die Anerkennung, das Ergebnis seiner Bemühungen und die dicken Streicheleinheiten für sein Ego. Es geht nicht um die Sache selbst, sondern um die Siegestrophäe am Ende und am besten ist es, wenn man sie bekommt, ohne dass man dafür wirklich etwas geleistet hat. Jeder Hinweis darauf, dass man nicht auf dem richtigen Weg ist, dass man nicht dabei ist zu Siegen und das man die Trophäe nicht bekommen wird, ist damit ein Schlag in die Magengrube. Wenn es mir nur um die Anerkennung geht, kann ich mich über Kritik nicht freuen, weil sie das Gegenteil von Anerkennung ist. Wie also will ich mich an meinem Lernweg erfreuen? Es ist wie in der Schule, wo es nur darum geht, eine gute Note zu bekommen, nicht aber, mit Leidenschaft neues Wissen zu erlernen, das einen begeistert.

Wer jedoch lernen will, weil es ihm für sich selbst wichtig ist, der kann sich an jeder Kritik, an jedem Rückschlag und an jeder neuen Herausforderung erfreuen, weil sie ihm die Möglichkeit geben, in seinem Prozess weiter zu kommen. Ich erinnere mich gerade an einen Satz, den unser Professor in Theaterpädagogik einmal sagte: "ein Schauspieler, der mit Leidenschaft dabei ist, ist oft gelangweilt, wenn er von seinen Kritikern gelobt wird. Denn er kann aus diesem Lob nichts lernen. Nur wenn er Kritik bekommt, dann freut er sich darüber, weil er dann weiß, worauf er noch achten muss. Auf Anerkennung spekuliert nur ein schlechter Schauspieler und er wird auch immer ein schlechter bleiben."

Bereits damals war ich beeindruckt, wie viel Wahrheit in diesem Satz steckte, und doch hatte ich nicht gemerkt, auf welcher Seite ich stand.

Doch was hat das ganze jetzt mit der Aussage meines höheren Selbst zu tun, dass eine Lebenspartnerin und auch Sexualität in meinem Leben nichts zu suchen haben?

Ich kann die Frage nur so beantworten, wie ich sie gerade für mich begriffen habe. Möglicher Weise ist das Schwachsinn oder nur die halbe Wahrheit. Vielleicht werde ich bald auch schon wieder etwas ganz anderes darunter verstehen.

Die unterschwellige Motivation, alles primär aufgrund eines sexuellen Verlangens zu tun, ist so hartnäckig, dass sie sich immer wieder einschleicht. Ich kann mir natürlich sagen, dass ich ab sofort lernen und mich entwickeln möchte, um meiner selbst willen, doch würde ich mir damit nicht nur etwas vor machen? Würde die unbewusste Motivation nicht die gleiche bleiben? Wäre das Verlangen nach Anerkennung nicht noch immer zentral?

Ich muss verstehen und begreifen, dass ich mein Sein nur dann wirklich annehmen kann, wenn ich es aus ganzem Herzen für mich selbst und nicht für die Anerkennung erreichen will. Solange auch nur der Hauch einer Chance besteht, dass ich damit dann doch jemanden beeindrucken kann, werde ich es aus dieser Motivation heraus versuchen und immer wieder scheitern. Bei der Serie "How I Met your mother" wurde das Prinzip einmal sehr gut beschrieben. Auch hier ging es um eine konkrete Partnerschaft, aber das macht eigentlich keinen Unterschied. Es ging darum, das Robin für Ted die Aussicht offen gehalten hatte, dass sie eines Tages vielleicht doch noch zusammen finden würden. So lange dieser Hoffnungsschweif am Horizont stand, befand er sich an ihrem Haken. Er konnte nicht loslassen und versuchte krampfhaft mit allen Mitteln um erreichen, dass dieses "Vielleicht" ein Gewiss und vor allem ein Jetzt wird. Erst als klar wurde, dass diese Chance niemals existieren würde, wurde er vom Haken gelassen und konnte wieder in den Fluss des Lebens zurück. Nichts anderes ist es bei mir, auch wenn meine Robin imaginär ist. Ich muss loslassen und ins Fließen kommen, damit ich mit Freude und Begeisterung lernen kann, damit ich mich über Kritik, Herausforderungen Fehler, und Hinweise des Universums freuen kann und damit ich mich selbst als derjenige annehmen kann, der ich bin. Was dann ist, weiß niemand.

Doch darin besteht die Schwierigkeit mit der ich gerade schon wieder kurz davor bin, mich selbst zu verarschen. Wenn ich loslasse und akzeptiere, dass ich ohne Partnerin bleiben werde, um damit zu erreichen, dass es irgendwann vielleicht doch möglich ist, wird es nicht funktionieren. Es ist das gute alte Prinzip einer beliebten Binsenweisheit in der Partnersuche: "du musst aufhören, krampfhaft zu suchen, dann kommt jemand von ganz alleine!" Das ist richtig, doch wenn du aufhörst zu suchen, DAMIT dann jemand von ganz alleine kommt, dann hört man nicht wirklich auf zu suchen.

Es geht also nicht darum, so zu tun, als würde ich loslassen, es geht darum wirklich loszulassen. Eine Herausforderung, bei der ich wahrscheinlich noch einige Male in die Finte laufen werde. Jetzt werde ich wohl erstmal eine Nacht darüber schlafen, und alles noch einmal auf mich wirken lassen.

Spruch des Tages: Loslassen und Tee trinken.

 

Höhenmeter: 120m

Tagesetappe: 16 km

Gesamtstrecke: 5920,37 km

Heiko Gärtner
Heiko Gärtner ist Wildnismentor, Extremjournalist, Survivalexperte, Weltreisender und einer der führenden Experten auf dem Gebiet der Antlitz- und Körperdiagnostik. Nachdem er einige Jahre als Agenturleiter und Verkaufstrainer bei einer großen Versicherungsagentur gearbeitet hat, gab er diesen Job auf, um seiner wahren Berufung zu folgen. Er wurde Nationalparkranger, Berg- und Höhlenretter, arbeitete in einer Greifenwarte und gründete schließlich seine eigene Survival- und Wildnisschule. Seit 2014 wandert er zu Fuß um die Welt und verfasste dabei mehrere Bücher.

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