Tag 1015: Priester-Fußball

von Heiko Gärtner
15.10.2016 01:32 Uhr

29.09.2016

Vor dem Schlafengehen warfen wir noch einmal einen Blick auf die Karte um unsere aktuelle Lage noch einmal neu einzuschätzen. Auf der einen Seite war der Weg an der Donau entlang wirklich optimal. Er war perfekt ausgebaut, es gab unglaublich viele schöne Ecken und immer wieder kam man an Orte, die wie aus einem Märchenland erschienen. Auf der anderen Seite war der Verkehr eine absolute Katastrophe. Es gab seit Tagen kaum noch eine ruhige Minute und selbst hier in unserem Bootshaus hörte man noch immer die Autos vorbeirauschen. Gab es nicht vielleicht doch eine bessere Lösung um nach Deutschland zu gelangen? Nach eingehender Prüfung mussten wir sagen, dass wir mit den aktuellen Mitteln leider überhaupt nichts sagen konnten. So vertagten wir das Krisengespräch zum Thema "Wegfindung im praktischen und wörtlichen Sinne" auf den nächsten Nachmittag, in der Hoffnung, dass wir dann wieder einen Internetzugang haben würden. Die Hoffnung wurde erfüllt und so konnten wir nun unter Einbeziehung aller verfügbaren Informationen mit gutem Gewissen sagen, dass wir hier ziemlich in der Scheiße saßen. Wer sich einmal für den Donauweg entschieden hatte, der musste es auch durchziehen. Ausweichmöglichkeiten an dieser Stelle bedeuteten entweder, dass man in ein Nachbartal mit noch mehr Hauptstraßen und Autobahnen kam, oder dass man kreuz und quer über die Berge gehen musste. Der Niedeösterreichische Jakobsweg, der von hier aus nach Linz führte schaffte es allein an einem einzigen Tag gute 100 Höhenmeter zusammenzubringen, indem er jeden Berggipfel mitnahm, den er finden konnte. Ohne Rad- und Jakobsweg musste man an den normalen Straßen entlang gehen, doch auch dies war ein Spiel mit dem Teufel. Denn Österreich hatte sich offenbar als kompletes Land gegen eine Streetview-Aufzeichnung entschieden und so konnte man leider nicht das geringste darüber sagen, ob eine Straße befahren war oder nicht. Die Chance war also groß, dass ich einen kompletten Nachmittag damit verbrachte, eine Alternativstrecke herauszusuchen, die am Ende zehn Mal so anstrengend war wie der Donauradweg, uns aber trotzdem nur an Hauptstraßen entlang führte. Sinnvoll wirkte das alles nicht und so schien es die einzige Lösung zu sein, uns in Hingabe zu üben und zu akzeptieren, dass unser Weg immer mal wieder durchs Paradies und dann wieder durch die Hölle führte.

Um Punkt acht Uhr in der Früh wurden wir Halbsanft von unserem Gastgeber gweckt, der uns mitteilte, dass wir noch etwa 10 Minuten Zeit hatten, bis unser Schlafplatz als Trockenproberaum von den Ruderern in Beschlag genommen wurde. Wir waren also wieder einmal früh auf den Beinen. Nicht so früh wie unsere Zeltnachbarin allerdings, denn von der gab es nun bereits keine Spur mehr. Allerdings erfuhren wir, dass wir uns in Bezug auf die Dreistigkeit ihrer Campaktion am Abend geirrt hatten. Der Platz vor dem Bootshaus war tatsächlich offiziell als Zeltplatz ausgeschrieben und die Frau hatte sogar 7€ zahlen müssen, um dort zelten zu dürfen. Für einen Platz, der so ungünstig war, dass wir ihn selbst in den härtesten Phasen nicht als Notfalllösung akzeptiert hätten, war das ein stolzer Preis. Bis etwas zwei Kilometer vor Ybbs war der Weg selber heute relativ entspannt und er führte die meiste Zeit mitten durchs Grüne. Leider bedeutete das nicht, dass es deswegen Ruhig gewesen wäre, denn der Straßenlärm von der anderen Donauseite wehte zu uns herüber und etwa alle drei Minuten fuhr ein Güterzug an uns vorbei. Einer von ihnen war mit 2400 Neuwagen beladen, ein anderer mit unzähligen Tonnen an Kohle und ein dritter mit einer Ration Zuckerrüben, mit der man ein ganzes Volk hätte versorgen können. Die Werte, die hier innerhalb von 9 Minuten über die Schienen donnerten durften also locker in den zweistelligen Millionenbereich gehen. Wenn man so darüber nachdachte, war es unter diesem Aspekt gleich noch weniger sinnvoll, dass sich der angebliche Terrorismus auf die Städte richtete. Wenn man wirklich der Europäischen Wirtschaft schaden, dabei aber nach möglichkeit keine Menschen töten wollte (Denn das wollte offensichtlich niemand, wenn man bedenkt, wie gering die Opferzahl in der Regel ist), dann waren Güterzüge definitiv ein deutlich einfacheres und effektiveres Ziel.

Je weiter wir uns von Wien entfernten, desto weniger wurde auch der Radverkehr. Morgens waren wir auf unserer Strecke nun weitgehend alleine und erst gegen Mittag kamen die ersten Drahteselfahrer an uns vorbei. Heute ergaben sich daraus drei Gespräche. Das erste war mit einem Pärchen, die ihre Fragen vom Rad aus stellten und dabei immer vor uns her fuhren. Es war eine komische Art um sich zu unterhalten, weil man immer das Gefühl hatte, der Gesprächspartner fuhr einem davon, aber es hatte den Vorteil, dass es keinerlei Zeit kostete. Das zweite Gespräch war jedoch in jederlei Hinsicht deutlich angenehmer. An einer Biegung wurden wir von zwei Wesen überholt, die ganz offensichtlich auch schon eine längere Tour hinter sich hatten. Sie waren bepackt bis unters Kinn, hatten ihre Helme sicherheitsbewusst hinten auf ihre Taschen geschnallt und ihre Räder mit je einer französischen Flagge verziert. Man musste also nicht erst fragen, woher die beiden Stammten. Ihr Englisch hielt sich bedeutend in Grenzen und unser Französisch war ebenfalls wieder ordentlich eingerostet, doch weder ihnen noch uns machte es etwas aus. Es waren einfach herzliche, lebensfrohe leute mit denen man gerne Zeit verbrachte und schon nach den ersten Worten wussten wir wieder, warum wir uns in Frankreich immer so wohl gefühlt hatten. Sich mit Österreichern zu unterhalten war nett, aber bei den Franzosen war es trotzdem noch einmal etwas anderes. die beiden hatten die letzten Monate damit verbracht, von Frankreich aus an der Donau entlang bis nach Rumänien zum Delta zu fahren und befanden sich nun wieder auf dem Weg in die Heimat. Ein leichter Trip war es nicht gewesen und ihre Erfahrungen mit den Mücken deckten sich weitgehend mit unseren. Aber es war eine gute Reise gewesen und man spürte die Kraft und Lebensfreude, die sie dadurch gewonnen hatten.

Die dritte Begegnung, die wir heute Hatten war mit einer Kanadierin, die ebenfalls eine längere Europatournee machte. Obwohl sie selbst mit begrenztem Budget unterwegs war schenkte sie uns zwei Euro für ein Frühstück. Dabei erzählte sie uns vom Trans-Canada-Trail, der im kommenden Jahr fertiggestellt werden sollte. Heiko hatte schon vor vielen Jahren von ihm gehört, doch damals hieß es, dass er zum größten Teil aus Trampelpfaden und Holzfällerrouten bestand. Anlässlich des 150. Geburtstag des Landes (Wir waren ebenfalls erstaunt: Kanada ist tatsächlich erst 150 Jahre alt) wurde dieser Trail nun aber zu einem durchgängien Radweg ausgebaut und wird wie gesagt bald fertig gestellt. Soweit sie es überschlagen konnte hatte er eine Länge von rund 12.000km und führte wirklich einmal komplett durch das ganze Land. Wenn das mal keine Aufforderung war, über den großen Teich zu segeln! Als wir Ybbs erreichten schlugen wir erst einmal wieder die Hände über dem Kopf zusammen. Der Weg führte uns aus dem Gründen wieder direkt auf die Hauptstraße und darauf noch zwei Kilometer durchs Industriegebiet. Trotz all des Lärms waren wir von dem hier ansässigen Sägewerk beeindruckt in dem gigantische Mengen an Holz herumkutschiert wurden. Später erfuhren wir, dass die Baumstämme alle in Kontainer verfrachtet und nach Japan gebracht wurden, wo der Großabnehmer seinen Sitz hatte. Früher hatte es das Sägewerk hier nicht immer leicht, doch nach dem Tsunami und der Fokuschima-Katastrophe hatte das Geschäft zu boomen begonnen und seither konnte sich der Betreiber vor Aufträgen kaum mehr retten.

Auf das Industriegebiet folgte ein Komerz-Viertel, in dem sich so gut wie jeder Supermarkt angesiedelt hatte, den es in Europa gab. Danach konnten wir endlich von der Hauptstraße abgehen und kamen in den Innenstadtbereich, der wieder ruhiger und gemütlicher war. Der ältere Herr, dem wir gestern begegnet waren und der uns von seinem Sohn erzählt hatte, hatte uns auch vom Pfarer von Ybbs berichtet. Als dieser mir nun die Tür des Pfarrhauses öffnete, stellte ich fest, dass er tatsächlich exakt der Beschreibung entsprach, die wir bekommen hatten. Er war ein großgewachsener, sportlicher Typ mit schulterlangen, grauen Haaren und war genauso entspannt und freundlich, wie man es ihm zusagte. Einen Platz zum Schlafen bekämen wir selbstverständlich, wenngleich seine eigene Wohnung schon mit Flüchtlingen voll wäre. Kurz darauf saßen wir gemeinsam im Garten eines benachbarten Restaurants und aßen zu Mittag. Er hieß Johann und war nicht nur Pfarrer sondern auch Torwart und Kapitän der österreichischen Priester-Nationalmannschaft im Fußball. Bis zu diesem Zeitpunkt wussten wir nicht einmal, dass es eine solche Nationalmannschaft gab, doch es gab sie sogar schon seit vielen Jahren. Es gab sogar regelmäßig Europameisterschaften, die ebenfalls größtenteils von Johann organisiert wurden. Fast immer waren es die Polen oder die Kroaten, die den Titel holten, doch der amtierende Europameister war Portugal. Deutschland hatte nur ein einziges Mal an der Meisterschaft teilgenommen und das auch nur aufgrund einer hartnäckigen Initiative von Seiten Johanns, der nahezu jede deutsche Pfarrei angerufen hatte, um die Geistlichen zu motivieren. Dann im letzten Jahr hatte er es endlich geschafft und Deutschland war mit einer Mannschaft an den Start getreten. Doch lange hielt die Karriere nicht an. Sie wurden die letzten im Rennen und lösten sich gleich nach dem Abschlusspiel wieder auf. Für eine Nation, die so Fußballverrückt ist wie die deutsche, ist das nicht unbedingt eine Glanzleistung.

Spannend war auch, was uns Johann über die Flüchtlinge erzählte, die bei ihm im Pfarrhaus untergekommen waren. Insgesamt in der ganzen Gemeinde gab es rund 120 Menschen, die aufgenommen worden waren und 12 davon lebten bei ihm im Pfarrhof. Vier davon stammten jedoch aus der Slowakei und waren keine politischen Flüchtlinge, sondern eher eine ganz normale Familie, die gerade in einer Reihe von Problemen steckte, die es zu lösen galt und die deswegen Zeitweise nach Österreich ausgewandert waren. Der Rest stammte aus Tschetschenien. Syrer gab es keine. Wieder nicht. Nach all der Zeit hatten wir also noch immer keinen einzigen syrischen Flüchtling getroffen und auch noch keinen einzigen bestätigten Fall mitbekommen, bei dem wirklich syrische Flüchtlinge aufgenommen wurden. Langsam stellte sich also wirklich die Frage, wo die riesigen Massen waren, die laut Medien ganz Mitteleuropa überrollten und für so viele Probleme sorgten.

Spruch des Tages: Wir müssen gewinnen, alles andere ist primär!

Höhenmeter: 0 m Tagesetappe: 5 km Gesamtstrecke: 18.568,27 km Wetter: bewölkt und regnerisch Etappenziel: Gästezimmer von Heikos Schwester, Osterhofen, Deutschland

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Heiko Gärtner
Heiko Gärtner ist Wildnismentor, Extremjournalist, Survivalexperte, Weltreisender und einer der führenden Experten auf dem Gebiet der Antlitz- und Körperdiagnostik. Nachdem er einige Jahre als Agenturleiter und Verkaufstrainer bei einer großen Versicherungsagentur gearbeitet hat, gab er diesen Job auf, um seiner wahren Berufung zu folgen. Er wurde Nationalparkranger, Berg- und Höhlenretter, arbeitete in einer Greifenwarte und gründete schließlich seine eigene Survival- und Wildnisschule. Seit 2014 wandert er zu Fuß um die Welt und verfasste dabei mehrere Bücher.

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