Tag 1022: Materialtausch mit Hindernissen

von Heiko Gärtner
29.10.2016 00:31 Uhr

04.10.2016

Pünktlich um 9:00 machten wir uns auf den Weg, um den Schlüssel im Rathaus abzugeben, damit wir im Anschluss weiter zum Treffpunkt mit Heikos Eltern wandern konnten. Um einen geeigneten Ort für unsere Umpackaktion zu finden, hatte ich gestern die Dorfpolizisten interviewt, die gleich eine Etage über uns ihr Büro hatten. Von ihnen hatten wir erfahren, dass der Radweg auf der gegenüberliegenden Donauseite an einem Felsen endete und daher nur im Sommer mit einer Fähre passierbar war. Auf unserer Seite gab es nur den Kaiserhof, der in Frage kam, denn danach war die Straße für Autos verboten und für sehr lange Zeit kamen auch keine Häuser mehr. Den Kaiserhof als Treffpunkt zu wählen wäre aber sicher nicht schlecht, meite man, da er zurzeit ohnehin geschlossen hatte und eine gute Möglichkeit zum Unterstellen bot. Außerdem gäbe es dort einen Campingplatz, auf dem man sicher problemlos bleiben könne, wenn die Aktion zu lange dauerte und wir nicht mehr weiter kamen. Fast die gleiche Aussage bekamen wir nun in der früh auch von unserer Kontaktdame bei der Stadt. Da es noch immer regnete und wir nicht riskieren wollten, nachts irgendwo im Regen stehen zu müssen, fragten wir sie, ob es dennoch eine Notfalllösung währe, dass wir evtl. noch einmal zurückkehren und eine weitere Nacht im Vereinshaus schlafen könnten. Eben nur dann, wenn alle Stricke reißen sollten. Wie auch am Vortag tätigte sie einen Anruf bei ihrer Chefin und bekam von dieser die Antwort, die sie dann an uns weiterleitete. Dieses Mal war es jedoch keine Zusage, sondern eine fadenscheinige Ausrede von einer Gruppe, die den Raum leider fast die ganze Nacht und auch gleich schon am frühen Morgen wieder in beschlag nehmen würden, und die aus irgendeinem Grund leider nicht im Kalender eingetragen war. Darum hatte die Dame von der Stadtverwaltung nichts davon wissen können, obwohl diese normalerweise alle Termine verwaltet. Der wahre Grund für die Ablehnung dürfte wahrscheinlich die Angst gewesen sein, dass wir uns vielleicht heimlich in den Räumen einnisten wollten. Es war also wirklich wie wir es schon immer vermutet hatten. Eine Nacht war für die meisten Menschen in Ordnung, eine zweite war aber definitiv zu viel. Das war ja auch absolut in Ordnung, aber es war spannend, das noch einmal herauszufinden. Vor allem unter diesem Aspekt. Wieder mussten wir feststellen, dass wir die Italiener oftmals zu unrecht als wenig Gastfreundlich eingestuft hatten, denn dort hatten wir viele Male die Frage gestellt bekommen, wie viele Tage oder Wochen wir denn bleiben wollten.

Die Strecke bis zum Kaiserhof betrug etwa fünf Kilometer und das Timing für das Treffen mit Heikos Eltern war fast perfekt. Nicht einmal 500m vor dem Campingplatz hörten wir plötzlich ein Hupen hinter uns, das definitiv keine Aufforderung war, auf die Seite zu gehen. Freudig und frierend stiegen Karl und Anneliese aus dem Auto und umarmten uns mit einigem Widerwillen. Nicht weil sie uns nicht umarmen wollten, oder weil sie sich nicht freuten uns zu sehen, sondern weil wir klatschnass und eiskalt waren. Wenige Minuten später trafen wir uns dann auf dem Parkplatz des Kaiserhofs und genau wie es uns die Polizisten vorausgesagt hatten, gab es hier einen großen Dachüberstand der wie geschaffen war, um alles aus und einzupacken und um unsere Wagenreapraturen vorzunehmen. Das einzige, was wir nun noch brauchten, war das Ok, der Wirtsleute, aber wir waren absolut sicher, dass dies kein Problem sein sollte. Wer könnte etwas dagegen haben, wenn man sich bei diesem Wetter für ein paar Stunden unterstellte, um ein paar Sachen umzupacken, noch dazu wenn alles für einen guten Zweck war? Auf der ganzen Welt gab es da sicher nicht viele Leute, aber dummerweise waren zwei von ihnen hier auf dem Kaiserhof bei Aschach zu finden. Die ersten Anzeichen hatte es bereits am Campingplatz gegeben. Überall hatten große Schilder gestanden, auf denen in dicken, roten Buchstaben "ACHTUNG! PRIVATBESITZ - ZUTRITT STRENG VERBOTEN!" stand. Welcher halbwegs vernünftige Mensch würde dies an seinen Campingplatz schreiben? Man schrieb ja auch nicht an ein Café oder ein Restaurant "Privathaus! - Eintritt streng untersagt!" Klar können Touristen nervig sein, aber wenn man sie nicht mag ist es wohl keine gute Idee, an einen Radweg zu ziehen und dort ein Hotel mit einem Campingplatz aufzumachen. Man wird ja auch nicht Kindegärtner, wenn man Kinder nicht ausstehen kann, oder Gärtner, wenn man keine Pflanzen mag. Die Schilder hätten uns also schon eine Warnung sein können, doch bis zu dem Moment, an dem wir an der Tür klingelten, dachten wir uns noch nichts dabei. Dann aber sprang die Tür auf und eine kleine, grimmige Bissgurke schaute heraus, die uns sofort missmutig anfunkelte. Ich begann, von unserer Reise und unserem Anliegen zu erzählen, doch sie schnitt mir sehr bald das Wort ab und meinte: "Die Chefs sind nicht da! Ich kann euch nicht helfen!"

"Nein, nein!" versuchte ich zu besänftigen, "wir wollen überhaupt nichts von Ihnen. Wir müssten nur kurz unsere Sachen umpacken und würden uns für diese Zeit gerne bei Ihnen unterstellen." "Das geht nicht! Die Chefs sind nicht da und ich kann da nichts entscheiden! Außerdem haben wir geschlossen!" Ich versuchte es noch einmal, erklärte nun das ganze Projekt, wies auf das schlechte Wetter hin und betonte, dass es uns wirklich um nichts weiter als etwas Regenschutz ginge. Doch die Frau wollte sich nicht zu einer anderen Aussage hineißen lassen, als dass sie es uns nicht erlauben dürfe, weil ihre Chefs nicht im Haus und auch nicht erreichbar waren. "Sehe ich das richtig, dass Sie dann auch nicht befugt sind, es uns zu verbieten?" fragte ich. "Nein ich kann dazu überhaupt nichts sagen!" antwortete sie bissig. "Also haben Sie persönlich nichts dagegen, wenn wir den Unterstand nutzen und dann mit Ihrem Chef sprechen, wenn dieser wiederkommt?" "Ich kann dazu nichts sagen!" wiederholte sie und wir beschlossen, dies einfach mal als ein OK zu werten. Noch immer konnten wir uns nicht vorstellen, dass irgendjemand etwas dagegen haben sollte. Während der letzten Worte des Gesprächs war ein weiterer Mann hinter mir aufgetaucht, der ebenfalls mit der Frau vom Kaiserhof sprechen wollte. Er war ein Besucher des Campingplatzes und wollte eigentlich seine Standgebür bezahlen, doch nachdem die Frau das Gespräch mit mir beendet hatte, schlug sie ihm einfach die Tür vor der Nase zu. Und das obwohl sie gesehen hatte, dass er mit ihr sprechen wollte. Mehrfach versuchte er zu klopfen, rief laut "Hallo!" und betätigte die Türglocke, aber die grantige Dame rührte sich nicht.

Wir kehrten zum Auto zurück und brachten alles zum Dachunterstand. Doch gerade als wir beginnen wollten, die ersten Sachen rauszuräumen, tauchte die Alte über uns auf dem Balkon auf und begann mit einer Hass und Schimpftirade, die jedem Fass den Boden ausschlug. Sie verlangte, dass wir augenblicklich von ihrem Grundstück verschwanden und das weite suchten und drohte sogar damit, die Polizei zu rufen. Dabei verstrickte sie sich so sehr in ihrer Fluchtirade, dass sie nicht einmal mehr für eine Sekunde zuhören konnte. Sie wollte nichts wissen, sondern einfach nur dafür sorgen, dass wir verschwanden. Doch das war noch nicht alles, denn nun tauchte wieder der Mann auf, der seinen Stellplatz bezahlen wollte und bat um eine Auskunft. Ihn erwischte es gleich noch schlimmer, denn er wurde nun auch noch beschuldigt, bereits seit Tagen unerlaubter weise hier auf dem Platz zu stehen. Die Frau bezichtigte ihn also allen ernstes als Lügner und wollte ihm ein Vielfaches des Geldes abzocken, was er hätte zahlen sollen. Außerdem wäre es ja eine Frechheit, dass der Mann nicht einfach zu ihr gekommen wäre. Er hätte ja schließlich klingeln können. "Aber ich habe doch geklingelt!" sagte er und wurde langsam ärgerlich, "Sie haben mir nur nicht aufgemacht!" "Trotzdem! Das ist keine Art! Sie hätten einfach klingeln können!" schnautzte sie ihn an. "Entschuldigung!" meinte der Mann nun wirklich ärgerlich, "aber Sie müssen nicht gleich so unfreundlich werden! Ich bin ein Gast und habe einen gewissen Service verdient, wenn ich hier zwanzig Euro die Nacht für einen Stellplatz zahlen soll, bei dem ich nicht einmal eine Toilette bekomme!" "Ich bin doch nicht unfreundlich!" schnauzte die Frau zurück. Bis zu diesem Zeitpunkt hatten wir alle fünf versucht, die Sache noch irgendwie friedlich zu lösen. Nun aber war jeder von uns so dicht vor der Explosion, dass es einfach nicht mehr auszuhalten war. Heiko war der erste, der die Initiative ergriff und die Frau in ihrem selbstgefälligen Redefluss unterbrach.

"Jetzt machen Sie aber mal einen Punkt!" schrie er, "Sie sind das unfreundlichste und unmöglichste Wesen, das wir auf unserer ganzen Reise mit 18.000km getroffen haben. Sie beschuldigen hier einen ehrenwerten Gast, ein Lügner zu sein und wollen ihn betrügen und sie lassen es nicht einmal zu, dass Menschen, die für ein soziales Projekt eine Wanderung machen, nicht vollkommen im Regen stehen müssen. Was sind Sie blos für ein Mensch?" Damit hatte er die Schleusen geöffnet, denn nun war jedem von uns klar, dass falsche Höflichkeit nicht weiter von nöten war. Zum ersten Mal war die Frau nun bereit, zumindest für einen kurzen Moment zuzuhören, so dass wir wenigstens ein Paar Argumente vorbringen konnten. Das einzige, was sie letztlich doch umstimmte, war die Drohung, dass wir in der Presse öffentlich machen würden, dass dieses Gasthaus das unmöglichste in ganz Österreich war. "Glauben Sie wirklich, dass ihren Chef das freut?" fragte Karl. Als ganz so dumm wollte sie dann doch wieder nicht darstehen und so meinte sie schließlich, dass wir bleiben und alles mit dem Chef ausmachen könnten, wenn dieser wieder im Haus wärde. Doch nun wollten wir nicht mehr. So viel Anfeindung und dann so viel Heuchelei war es uns einfach nicht wert. Lieber suchten wir uns irgendwo anders einen Platz. Dummerweise war das leichter gesagt als getan, denn außer dem Kaiserhof gab es hier wirklich nichts. Sogar die Fähre gehörte dem Gasthof. Das einzige, was wir letztlich fanden waren einige Garagen hinter dem Hof, die nur Teilweise zum Hotel zu gehören schienen. Hier konnten wir nun erst einmal in Ruhe wenn auch im Regen frühstücken. Kurz darauf trafen wir noch einmal den Mann mit dem Wohnmobil wieder. Er hatte noch eine Weile versucht, die Frau zu erreichen, um ihr das Geld für den Stellplatz zu geben, doch außer einer weiteren Diskussion und vielen Anschuldigungen hatte es nichts gebracht. Letztlich war er dann einfach gefahren. Wenn sie sein Geld nicht wollte, dann war das auch in Ordnung und man muss sagen, dass man den Mann vollkommen verstehen konnte.

Der Regen dauerte bis zum Nachmittag an, so dass wir die meisten Arbeiten im durchnässten Zustand erledigen mussten. Wenigstens die Garagen boten jedoch einen leichten Dachüberstand, so dass wir uns immer wieder unterstellen konnte. Die meiste Zeit des Tages verbrachten wir nun damit, unsere Reifen mit neuen Mänteln zu beziehen, die Kugellager zu tauschen, neue Schilder an unseren Wagen anzubringen und einen kompletttausch unserer Kleidung zu organisieren. All dies war natürlich wieder nur dank der großzügigen Hilfe unserer Sponsoren möglich, bei denen wir uns an dieser Stelle noch einmal herzlich bedanken wollen. Danke also zunächst einmal an Schwalbe für die neuen Marathon Plus Reifen, an agrolager.de für die neuen Kugellager und an Gerhard Brunner für die neuen Steckachsen. Dank eurer Hilfe laufen unsere Räder nun endlich wieder rund! Danke auch an Scarpa, Pedag und Falke für die neue Rundumversorgung unserer Füße! Danke an Carinthia für die neue Regen- und Winterkleidung. Alle vier Jacken machen auf den ersten Blick einen sehr guten Eindruck und wir werden demnächst noch einmal genauer berichten, wie sie sich auf unserer Reise machen. Danke an Bergans für die Regenhose, die Heiko nun wieder davor bewahrt, bei jedem Tropfen Wasser, der vom Himmel fällt gleich nasse Beine zu bekommen. Danke an Outdoorpacks für die neuen Packsäcke und an Ortlieb für die genialen Fototaschen und den neuen Duffle-Bag, der nun wieder sicher verschließbar in Heikos Wagen ruht. Danke an Kompass für die Wanderkarten und an BikeLine für die Wegführer, mit denen wir nun wieder sicher und zielgenau unsere Reiseroute planen können. Danke an Tatonka für das Handy-Case und an SanDisk für die neuen Speicherchips. Und natürlich auch ein großes Dankeschön an Burgschneider und an den Ritterladen für die Roben und den Ledergürtel, mit denen ich nun wirklich als Mönch unterwegs sein kann. Vor allem die viele neue und natürlich auch ungewöhnliche Kleidung machte die Umpackaktion zu einem besonderen Highlight. Das erste Mal in so eine Mönchsrobe zu schlüpfen ist schon ein seltsames Gefühl und auch Heiko musste sich erst einmal daran gewöhnen, dass all die Kleider, die er bislang getragen hatte, nun durch etwas vollkommen neues ersetzt wurde. Alles war irgendwie ungewohnt, aber auf eine angenehme, positive Art. Nach dem Gespräch mit dem Hausdrachen des Kaiserhofs, war es uns zunächst unerklärlich, warum jemand so eine Schreckschraue in sein Gasthaus setzen konnte, wenn er doch wusste, dass sie jeden Gast vertreiben würde, der auch nur daran dachte, hier einen Halt zu machen. Als dann am Mittag jedoch der Chef des Hofs auftauchte verstanden wir ihn Plötzlich. Das Privileg, der unfreundlichste Mensch der Welt zu sein, hatte nicht allein die Frau gepachtet. Der Beteiber selbst war keinen deut besser. Er fuhr mit dem Auto zu uns heran, schaute uns mit bösem Blick an und begann zu meckern, ohne auch nur eine einzige Frage zu stellen. Beim ersten Maö beschränkte er sich darauf, einen möglichst unangenehmen Eindruck zu hinterlassen. Als er am späten Nachmittag zurückkam, griff er jedoch zu aktiveren Mitteln. Er müsse nun in die Garage fahren, weshalb wir unseren Kram endlich wegräumen sollten, meinte er. Als wir ihn fragten, welche Garage er denn bräuchte, wurde ihm klar, dass er soweit nicht gedacht hatte.

"Na alle!" sagte er schließlich, "Ihr sollt einfach zusammenpacken und verschwinden! Langsam kommt mir das sehr verdächtig vor, dass ihr hier so lange herumlungert! Das ist ein Privatgrundstück! Hier kann nicht einfach jeder kommen und seinen Kram herumräumen, wie es ihm passt!" Für einen kurzen Moment übelegte Heiko, ob er den Mann fragen sollte, wovor er denn so eine Angst habe. Glaubte er wirklich, dass wir hier waren um ihn zu überfallen oder ihm etwas zu stehlen? Glaubte er wirklich, dass wir Verbrecher oder Terroristen waren? Das seine unfreundlichkeit aus Angst geboren war, war offensichtlich, aber er war bereits so Starrköpfig, dass es keinen Zweck gehabt hätte, mit ihm zu reden. Jedes Wort war verschwendete Energie und Lebenszeit, denn es führte nur dazu, dass er noch mehr in Rage geriet und noch unfreundlicher wurde. Es war schon ein Armutszeugnis für unsere heimischen Gefielde, wenn man noch einmal auf die gesamte Reise zurückblickte. In Frankreich hatten wir das erste Mal eine große Reifenpanne gehabt und mussten damals vor einem Haus unsere Speichen reparieren. Die Besitzer waren gekommen, hatten gefragt, ob wir etwas brauchen und hatten uns sogar Tee gebracht. In Spanien hatten wir Werkstätten angetroffen, in denen man uns neue Deichselaufhängungen und sogar neue Achsen angefertigt hatte, ohne etwas dafür zu verlangen. In Spanien! Dem Land, in dem wir teilweise fast durchgedreht wären, weil wir es oft als so unfreundlich erlebt hatten. Selbst im Kosovo und in Bosnien hatten uns die Menschen beim Reparieren geholfen, uns Werkzeug zur Verfüfung gestellt und teilweise über Stunden mit improvisierten Materialien un Werkzeugen Ersatzteile mit uns gebastelt. Als wir uns vor eineinhalb Jahren mit Heikos Eltern in Slowenien getroffen haben, ist unser Gastwirt sogar durch die komplette Umgebung gefahren, um irgendwo einen Menschen zu streffen, der uns Steckachsen konstruieren konnte und dieser Mann hat dies dann noch als Freundschaftsdienst gemacht, ohne uns auch nur ein einziges Mal gesehen zu haben. Und jetzt, da wir nur noch ein paar Kilometer von zuhause entfernt sind bekommen wir nicht nur keine Hilfe, sondern auch noch jeden Stein in den Weg gelegt, den man hatte finden können. Denn mit dem Meckern und schlechte Stimmung verbreiten war es noch nicht getan. Als der Mann merkte, dass wir noch eine Weile brauchen würden, bis wir unsere Sachen wieder verstaut hatten, parkte er sein Auto in unmittelbarer Nähe, und begann es mit einem Kärcher zu reinigen, so dass wir mitten in der Sprühwolke standen. Es hatte den ganzen Tag geregnet und alles sprach dafür, dass es noch in der Nacht wieder damit anfangen würde. Nichts war also zu diesem Zeitpunkt sinnloser, als eine Autowäsche. Es sei denn natürlich, man konnte damit anderen das Leben schwer machen. Die Frage war jedoch noch immer, warum dies dem Mann so wichtig war?

Er wusste von seiner Frau, Mutter, Köchin oder was auch immer das Verhältnis zwischen ihm und der Bissgurke war, dass wir mit der Presse zusammenarbeiteten und drauf und dran waren, die schlechteste Kritik über ihn zu schreiben, die er sich vorstellen konnte. Und doch war er nicht bereit, auch nur ein einziges Mal zu überlegen, ob er die Sache vielleicht wieder gerade biegen konnte. Es kam nicht einmal die Idee auf, dass wir vielleicht keine Feinde waren. In seinem Kopf bauten sich die absurdesten Theorien über uns auf und doch stellte er uns keine einzige Frage, um herauszufinden, ob wir harmlos waren oder nicht. Von der Bissgurke wusste er, dass wir für ein soziales Projekt unterwegs waren, was immer das auch bedeuten mochte, denn soweit hatte die gute Dame ja auch wieer nicht zugehört. Wie sehr muss man sich bewusst dafür entscheiden ein Arschloch sein zu wollen, wenn man darauf so reagiert? Da kamen Leute an deinem Gasthof vorbei, die zuvor bereits 18.000km durch Europa gewandert waren und die jeden ihrer Schritte genaustens dokumentierten. Allein aus wirtschaftlicher Sicht und reiner Profitgier musste es mir da doch schon ein Anliegen sein, diesen irgendwie weiterzuhelfen, um gute Werbung zu bekommen. Vor allem, wenn die Hilfe so einfach möglich war. Dass man "Nein" sagte, wenn wir nach Essen oder Schlafplätzen fragte, war vollkommen nachvorllziehbar. Hier baten wir um eine echte Leistung, die jemand umsonst für uns tun sollte. Aber in diesem Fall baten wir um nichts. Die Wirtsleute hätten uns allein dadurch helfen knnen, dass sie einfach nichts machten. Es war kein finanzieller Aufwand nötig, niemand hatte Arbeit mit uns, wir nutzten keine Räumlichkeiten, machten nichts schmutzig und konnten nicht einmal jemanden stören, da der Gasthof ja geschlossen hatte. Wären wir in der Hauptsaison aufgetaucht, an einem sonnigen Ferientag, an dem tausende von Touristen hier vorbeikamen, die wir durch unsere Umbauaktion vielleicht vom Einkehren hätten abhalten können, dann hätte man es ja ebenfalls verstehen können. Aber es gab keinen Gast außer dem Mann, der in der Früh wutentbrannt abgereist war, weil man ihn betrügen wollte. Und nicht einmal die Wirtsleute selbst konnten sich durch uns belästigt fühlen, da das Wetter so schlecht war, dass sich ohnehin niemand im Freien aufhielt. Wenn sie nicht bewusst immer wieder zu uns gekommen wären, um sich über uns aufzuregen, dann hätten sie nicht einmal etwas von uns mitbekommen. Selbst wenn wir nun nicht mit einer Mission unterwegs gewesen wären, sondern einfach nur zwei Reisende waren, die sich ein wenig die Welt anschauen wollten, dann waren wir noch immer Touristen, die ein Problem hatten. Müsste das in einer zivilisierten Welt nicht eigentlich ausreichen, dass man einander half? Als am Nachmittag eine Gruppe chinesischer Radler bei uns vorbeikam, die ein kaputtes Fahrradventil hatten, haben wir sie ja auch nicht verscheucht und gesagt: "Ihr könnt hier keine Panne haben, diesen Platz haben wir bereits in Beschlag genommen!" Es gab hier ein Problem, also haben wir das gemacht, von dem man glauben sollte, dass es jeder Mensch tun würde. Wir haben ihnen dabei geholfen, die Ursache ihrer Reifenpanne zu suchen und diese so gut wie möglich behoben. Leider konnten wir nicht allzu viel ausrichten, weil ihr Fahrradverleih ihnen nicht einmal einen Ansatz von Material oder Werkzeug zum Reparieren mitgegeben hatte. Es waren 10 Fahrräder vom gleichen Verleih und keines hatte Flickzeug, Ersatzventile oder auch nur eine Luftpumpe dabei. Auch das ist äußerst bedenklich. Wenn man all diese Erfahrungen einmal zusammen nimmt, angefangen bei den Mückenzimmern vom Vorabend, der Art und Weise, wie die Klöster auf uns reagiert hatten und der Ablehnung, die die pakistanische Grillgruppe erfahren hatte bis hin zum Kaiserhof, dann musste man sagen, dass dies kein gutes Licht auf diesen Teil von Österreich warf. Immer mehr hatten wir das Gefühl, dass es hier nur noch um eine reine Abzocke ging. Man muss ja bedenken, dass es Reisende wie wir sind, die den Pensionen hier den kompletten Lebensunterhalt bezahlen. Natürlich nicht genau wie wir, aber in etwa. Und ohne die Langzeitreisenden mit keinem oder geringen Budget, wären die Fernwanderwege niemals so berühmt geworden, dass sie auch Kurzzeiturlauber mit größerem Geldbeutel hätten anlocken können. Und doch wurden die Gäste, egal in welcher Form hier nur selten wirklich geehrt. Das liebste schien es zu sein, wenn man einfach auf seinem Fahrrad blieb und nur das Geld seitlich in die Gärten warf, ohne dabei anzuhalten und lästige Forderungen zu stellen. Service, Qualität, Freundlichkeit oder gar Herzlichkeit waren Qualitäten die man hier einfach nicht bieten musste. Der Donauradweg zog so viele Besucher an, dass einfach jeder Gasthof voll wurde, egal wie mies er seine Gäste auch behandelte. Das heißt nicht, dass wir mit unserem Besuch hier unzufrieden sind. Es ist ja noch immer ein Wahnsinn, wie gut wir durchkommen und wie viele Menschen wir treffen, die uns auf so unterschiedliche Art und Weise helfen und unterstützen. Wir selbst können uns wirklich nicht beschweren und wollen es auch gar nicht. Es ist nur einfach auffällig, dass gerade hier, wo der größte Gewinn mit Reisenden erzielt wird, gleichzeitig auch so viel Ablehnung zu finden ist.

Vertrieben vom Hochdruckreiniger suchten wir uns noch einmal einen neuen Platz für die letzten Organisationen. Mit einer kurzen Suppenpause und einer Kuchenpause hatten wir nun fast den ganzen Tag für die Umräumaktion benötigt. Nun war es bereits nach 18:00 Uhr und langsam wurde es Zeit, sich wieder zu verabschieden. Dieses Mal aber war der Abschied nur für kurze Zeit, denn bald schon werden wir nach Neumarkt und Postbauer-Heng wandern und dort der alten Heimat noch einmal einen Besuch abstatten. Nach heute freuen wir uns gleich noch einmal mehr darauf, denn auch wenn wir in den vergangenen Monaten viele leckere Sachen bekommen hatten, hatte es doch nur wenig gegeben, das der Kochkunst von Anneliese das Wasser reichen konnte. Allein die Schokobananen und die Zwetschkenstrudel, die wir heute Essen durften, haben uns dies wieder in Erinnerung gerufen. Während sich Heikos Eltern nun wieder auf den Weg nach Deutschland machten, wanderten wir in die Abendstimmung hinein. Gerade ging die Sonne hinter den Bergen unter und ließ die Wälder entlang der Donau in einem leutenden Orangerot erstrahlen. Die letzten Kilometer legten wir im Dunkeln zurück, bis wir schließlich einen einsamen Gasthof erblickten, in dem noch Licht brannte. Hier fragten wir nach Ideen für einen Schlafplatz und bekamen daraufhin gleich ein Gästezimmer. Die Wirtin erklärte sich sogar noch bereit, die Rippchen und den Schweinebraten, die Anneliese uns mitgegeben hatte in der Restaurantküche aufzuwärmen. Damit konnten wir den Abend dann noch mit einem Schlemmermahl ausklingen lassen.

Spruch des Tages: Manche Personen hatten echt eine schwierige Kindheit. Bei anderen wurde die Schaukel einfach zu nah an der Hauswand gebaut.

Höhenmeter: 120 m Tagesetappe: 26 km Gesamtstrecke: 18.713,27 km Wetter: überwiegend sonnig und warm Etappenziel: Gemeindesaal des Pfarrhauses, 93351 Painten, Deutschland

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Heiko Gärtner
Heiko Gärtner ist Wildnismentor, Extremjournalist, Survivalexperte, Weltreisender und einer der führenden Experten auf dem Gebiet der Antlitz- und Körperdiagnostik. Nachdem er einige Jahre als Agenturleiter und Verkaufstrainer bei einer großen Versicherungsagentur gearbeitet hat, gab er diesen Job auf, um seiner wahren Berufung zu folgen. Er wurde Nationalparkranger, Berg- und Höhlenretter, arbeitete in einer Greifenwarte und gründete schließlich seine eigene Survival- und Wildnisschule. Seit 2014 wandert er zu Fuß um die Welt und verfasste dabei mehrere Bücher.

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