Tag 1028: Interviewmarathon

von Heiko Gärtner
04.11.2016 18:39 Uhr

10.10.2016

Als wir in der Früh aufwachten, waren wir alleine. Unseren Wecker hatten wir eigentlich auf halb zehn gestellt, um wieder einmal so richtig ausschlafen zu können, doch aus irgendeinem Grund waren wir bereits um 8:00 Uhr hell wach. Am Abend hatten wir zum ersten Mal seit dem wir Frankreich verlassen hatten wieder an einem richtigen Familienleben teilgenommen, hatten mit der ganzen Familie zusammen Abendbrot gegessen, hatten Heikos Neffen ins Bett gebracht und es uns dann mit einem selbst gemachten Waldbeereis auf dem Sofa im Wohnzimmer bequem gemacht. Nun waren alle bereits auf der Arbeit oder in der Schule und wir hatten das Haus zunächst für uns alleine. Die freie Zeit nutzten wir, um uns ein wenig in Osterhofen umzuschauen. Viel sahen wir allerdings nicht, denn gleich als wir den Marktplatz erreichten lachte uns die Redaktion der Osterhofener Zeitung entgegen und wenige Minuten später saßen wir dort mit einem Tee bei unserem ersten Interview. Es dauerte fast drei Stunden und ging weit über ein normales Zeitungsinterview hinaus, sondern wurde viel mehr zu einem persönlichen, intensiven Gespräch in dem wir fast genauso viel über unseren Interviewpartner erfuhren, wie er über uns. Kaum waren wir wieder im Freien, standen wir auch schon vor dem nächsten Redaktionsbüro, in dem die zweite, regionale Zeitung geschrieben wurde. Hier verbrachten wir nun den Rest unseres Nachmittages bei einem gemütlichen Zusammensitzen mit Lebkuchen, Tee Gebäck und später sogar Leberkässemmeln. Diese Art der Überlebensstrategie hatten wir bislang vollkommen vernachlässigt. Wir hatten uns als Nahrungsquellen immer auf Minimärkte, Gemüsehändler, Schlachter, Bäckereien und Privatpersonen spezialisiert, aber wer hätte gedacht, dass man von Zeitungsredaktionen so gut versorgt wird?

Unsere zweite Interviewpartnerin hatte selbst ebenfalls ein sehr bewegtes Leben und wusste nicht nur viele spannende Geschichten zu erzählen, sondern verriet uns auch einige sehr interessante Informationen über ganz unterschiedliche Themen. Ihr Vater beispielsweise war Atomphysiker gewesen und so kannte sie sich mit Atomkraft noch einmal auf eine andere Art und Weise aus, als es die meisten von sich behaupten können. Dies hatte ihr einmal ein recht herbes Wortgefecht mit einem Atomkraftexperten der Grünen eingebracht, den sie interviewen sollte. Er hatte für die sofortige Abschaltung aller Kraftwerke plädiert und auf dieser Meinung die Wahlkampfstrategie für seine Partei aufgebaut. Unsere Reporterin hatte seine Sicht der Dinge jedoch nicht einfach im Raum stehen lassen, sondern ein wenig hinterfragt. Dem Politiker war dies jedoch nicht besonders gelegen gekommen und als er merkte, dass er nicht einfach ein wenig bloße Propaganda in den Raum stellen konnte, sondern ernstzunehmende Argumente brauchte, wurde er direkt ausfallend und begann auf die Medien und alle zu schimpfen, die ständig irgendwelche Meinungen propagierten. In gewisser Weise hatte er damit ja sogar Recht, nur war seine Motivation an dieser Stelle nicht, die Propaganda zu verhindern, sondern eine eigene aufzubauen. Was ihm und auch mir bis zum Gespräch mit der Reporterin nicht bewusst war, ist, dass die Hauptgefahr, die von einem Kernkraftwerk ausgeht eigentlich erst nach der Abschaltung entsteht. Solange das Kraftwerk läuft, wird die aus der Kernspaltung gewonnene Energie gleichmäßig abgeleitet und in elektrischen Strom umgewandelt. Schaltet man es jedoch ab, verschwinden dadurch natürlich nicht die radioaktiven Materialien und sie hören auch nicht einfach zu Strahlen auf, nur weil man die Energie nicht mehr verwendet. Es ist ähnlich, wie ja auch der Wind nicht plötzlich zu blasen aufhört, nur weil man kein Windkraftwerk mehr aufs Feld stellt. Die Energie entsteht also weiterhin und sie erhitzt die Brennstäbe, die nun gekühlt werden müssen, ohne dass das Kraftwerk selbst aber die Energie dafür erzeugt. Wenn die Aussagen der Reporterin stimmen, dann waren sowohl Fokushima als auch Tschernobyl bei den jeweiligen Atomkatastrofen nicht in Betrieb, sondern gerade abgeschaltet. Dies machte die Katastrophen überhaupt erst möglich.

Wenn man nun also ein Kraftwerk abschaltete, benötigte man relativ große Mengen an Energie, um das Kraftwerk für die nächsten Jahre, oder gar Jahrzehnte herunterzukühlen, damit es nicht im Nachhinein, also im stillgelegten Zustand noch zu einer Kernschmelze und damit zu einer Atomkatastrophe kommt. Hier in der Gegend gibt es zwei Atomkraftwerke, die direkt neben einander stehen und auch zueinander gehören. Ausgehend von der Problematik mit der Brennstabkühlung fragte die Reporterin, ob es nicht sinnvoller wäre, erst eines abzuschalten und dieses dann mit der Energie des zweiten zu kühlen, bis es aus dem Gefahrenbereich war. Anschließend konnte dann ja das zweite vom Netz gehen, das man dann ebenfalls kühlen musste, wobei man nun natürlich eine andere Energiequelle brauchte. Dennoch wäre diese Variante schonender, als die Radikallösung, bei der alle gleichzeitig abgeschaltet werden sollten. Der besagte Politiker war damals nicht gewillt gewesen, sich auf diese Diskussion einzulassen, doch letztlich hatte man sich genau für diese Lösung entschieden und eines der beiden Kraftwerke war nun vor einigen Jahren stillgelegt worden.

Über die Erzählungen von der Atomstromproblematik kamen wir auf Politik im Allgemeinen, wobei die Reporterin hier ebenfalls einen sehr interessanten Standpunkt vertrat. Dass in Deutschland jeder Politiker im Schnitt sieben verschiedene Lobbyisten hat, die ihm im Bundestag sogar bis aufs Klo folgen, um seine politischen Entscheidungen zu beeinflussen ist ja inzwischen allgemein bekannt. Das dies kein Zustand ist, ist auch jedem klar, doch nur wenige machen sich die Mühe, die Situation einmal aus der Sicht der Politiker selbst zu sehen. Es ist vielmehr eine Art Volkssport geworden, dass wir über unsere Regierungschefs herziehen, sie verspotten und kritisieren, ganz gleich, ob sie einmal etwas erreichen wollten oder nicht. Der Großvater unserer Reporterin war einer der Gründungsväter der CDU und hatte die Politik daher seit Beginn unserer Bundesrepublik sehr nah mitbekommen. Von ihm und seinen Freunden und Bekannten hatte sie daher immer wieder sehr persönliche Einblicke bekommen und war dabei zu der ÜBerzeugung gelangt, dass gerade unsere abwertende Einstellung den Politikern gegenüber extrem zum Übel beitrug. Verglichen mit einem LKW-Fahrer oder einer Kassiererin bei Aldi, verdiente man als Politiker natürlich eine ordentliche Stange Geld. Verglichen mit Geschäftsführern, Vorstandsvorsitzenden und Managern in der freien Wirtschaft, mit Schauspielern, Fußballern oder Sängern, war es jedoch eher ein Hungerlohn. Und genau hierin bestand das Problem. Als hochraniger Politiker gehörte man Zwangsläufig zur High-Society, ob einem dies nun passte oder nicht. Es gehörte zum Job, einen sehr gehobenen Lebensstyl zu führen, und seine Zeit mit den reichsten und mächtigsten Menschen seines Landes zu verbringen.

Unter diesen war man jedoch immer auf eine gewisse Weise die Nulpe, weil man sich den Lebensstandart, der hier verlangt wurde, eigentlich nicht wirklich leisten konnte. Es sei denn natürlich, man ließ sich von Seiten unterstützen, die nicht direkt zum eigentlichen Gehaltsscheck gehörten. Damit befanden sich die Politiker also genau in der Position, die sie für Korruption am anfälligsten machen musste. Sie durften zum Reichtum und Glämmer hinschnuppern, so dass das Ego geweckt und gereizt wurde, waren aber gleichzeitig nicht soweit dabei, dass die Wünsche erfüllt werden konnten. Besonders deutlich wurde es am Beispiel eines ehemaligen Finanzministers, den ihre Mutter persönlich gekannt hatte. Sein ganzes Umfeld hatte ihn bei der Wahl unterstützt und war dementsprechend stolz, als er den Posten schließlich bekommen hatte. Dann aber war er bereits nach kurzer Zeit wieder zurückgetreten und hatte stattdessen einen Job als Vorstandsvorsitzender der Sparkasse angenommen. Völlig entgeistert und schockiert über diese Entscheidung, die alles zunichte machte, für das er so lange gekämpft hatte, fragte ihn die Mutter, wie es dazu gekommen war. Die Antwort war vollkommen klar und verständlich. Als er in die Politik eingetreten war, stand er automatisch im Rampenlicht und jeder wusst wer er war. Seine Kinder wurden von ihren Mitschülern bespuckt, seine Frau wurde öffentlich beleidigt und wo immer er hinging sah er Kommödianten, die ihn parrodierten und verarschten. Und bei all dem bekam er das Gehalt eines gehobenen Hochschullehrers. Wie hätte er also ablehnen sollen, als die Sparkasse ihm den Vorstandsposten anbot? Hier hatte er vollkommene Anonymität, war frei zu tun und zu lassen was er wollte, da sich kein Kabaretist oder Kommödiant für ihn interessierte. Die Kinder konnten auf eine Eliteschule gehen, in der sie unter lauter Söhnen und Töchtern von reichen aber unbekannten Männern und Frauen aufwuchsen, so dass sie keinen Hänseleien mehr ausgesetzt waren. Jedenfalls nicht mehr als den Üblichen, die es auf jeder Schule gibt. Erwähnenswert ist dabei natürlich auch noch das Gehalt, das nun im Jahr gute 5 Millionen Euro ausmachte. Konnte man es dem Mann da wirklich übel nehmen, dass er seinen Beruf noch einmal wechselte? War es nicht doch irgendwo verständlich, dass nicht nur er, sondern viele Politiker genau diese Laufbahn einschlugen? Und das der eine oder andere durchaus auch bereit war, dem einen oder anderen Unternehmen einen kleinen politischen Gefallen zu tun, wenn dafür die Wahrscheinlichkeit für ein solches Angebot stieg? Gleichzeitig führte dieses System aber auch noch dazu, dass die Option, in die Politik zu wechseln im Vergleich zu einer Karriere in der freien Wirtschaft relativ unattraktiv wurde. Dies wiederum bedeutete, dass diejenigen, die wirklich etwas von ihrem Job verstanden, tendenziell die Finger davon ließen und sich auf die großen Managerposten konzentrierten. Die Politik wurde also zwangsläufig für all jene interessant, die wussten, dass sie im Wirtschaftssektor unter normalen Umständen keine Chance hatten, nach ganz oben zu gelangen. Etwas böse ausgedrückt war es also meist die zweite Wahl, die sich an die Spitze des Staates setzte und die viele taten es nicht, weil ihnen das Regieren eine Herzensangelegenheit war, sondern weil sie es als Sprungbrett in eine Wirtschaftskarriere ansahen.

Das dritte Thema, auf das wir am Nachmittag zu sprechen kamen, war der Flüchtlingsstrom, der ja angeblich Europa überrollte und von dem wir bislang noch immer nichts mitbekommen hatten. Hier im Gemeindeumkreis waren offenbar tatsächlich mehrere Tausend Flüchtlinge untergekommen und dieses Mal stammte die Mehrheit, sod wie die Reporterin es mitbekommen hatte, tatsächlich aus Syrien. Doch auch sie war der Überzeugung, dass hier nicht alles mit rechten Dingen zuging und sie hatte sich viele der Fragen gestellt, die auch wir noch immer nicht beantworten konnten. Wie konnte es sein, dass vor allem junge Männer aus dem Kriegsgebiet flüchteten? Niemand, der jemals einen Flüchtlingsstrom miterlebt oder aus erster Hand davon erzählt bekommen hatte, konnte dies nachvollziehen. Bei jedem Krieg in der Geschichte waren es stets die Frauen, die Alten und die Kinder, die flohen, während die Männer im Krieg kämpften und dabei versuchten, die Heimat zu erhalten oder zurückzugewinnen, damit die Familie eines Tages wieder heimkehren konnte.

Warum aber flohen nun gerade diejenigen, die tatsächlich in ihrem Heimatland etwas ausrichten konnten? Und vor allem, warum flohen sie ohne ihre Familien? Wir wussten weißgott nicht viel über den Islam und die moslimischen Kulturen, aber wenn wir eines mitbekommen hatte, dann war es dass die Familie über alles ging. Ein Vater war durchaus bereit, für das Wohl oder auch nur den guten Ruf seiner Kinder oder seiner Frau zu sterben oder zu töten und er ging mit hocherhobenem Haupt ins Gefängnis, wenn es sein musste. Wie also passte es in diese Kultur, dass sich die Männer haufenweise selbst in Sicherheit brachten und dabei ihre Familien in der Gefahr zurückließen? Sagt was immer ihr wollt, aber ergibt das irgendeinen Sinn? Spannend war auch, dass die Flüchtlinge hier wirklich mit Bussen angekarrt wurden, wobei den Helfern vor Ort erzählt wurde, dass sie irgendwo in Europa zu Fuß aufgegriffen und das letzte Stück hier her gefahren wurden. Dies widersprach jedoch allem, was wir erlebt hatten, denn wenn es wirklich einen Flüchtlingsstrom gab, der zu Fuß durch Osteuropa in Richtung Deutschland zog, dann hätten wir irgendwo wenigstens einem einzigen von ihnen begegnen müssen. Weder sie noch wir konnten sagen, was hier gespielt wurde, aber irgendetwas stank an der sache gewaltig zum Himmel.

Seit wir die Redaktion betreten hatten, waren nun bereits mehrere Stunden vergangen und die anderen Kollegen hatten sich schon vor längerer Zeit verabschiedet um Feierabend zu machen. Ein Blick auf die Uhr verriet uns, dass es weit nach 16:00 Uhr war, höchste Zeit also, um nach hause zurückzukehren, denn wir wollten ja auch die gemeinsame Zeit mit Heikos Familie nutzen. Es wurde ein weiterer schöner Abend mit gutem Essen und gemütlichem Beisammensein.

Spruch des Tages: Die Massenmedien unserer Zeit bieten dem aufmerksamen Beobachter immerhin eine Chance, die Lüge von gestern mit der Lüge von heute vergleichen zu können. (Erich Limpach)

Höhenmeter: 20 m Tagesetappe: 4 km Gesamtstrecke: 18.811,27 km Wetter: grau und regnerisch Etappenziel: Haus von Heikos Eltern, 92353 Postbauer-Heng, Deutschland

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Heiko Gärtner
Heiko Gärtner ist Wildnismentor, Extremjournalist, Survivalexperte, Weltreisender und einer der führenden Experten auf dem Gebiet der Antlitz- und Körperdiagnostik. Nachdem er einige Jahre als Agenturleiter und Verkaufstrainer bei einer großen Versicherungsagentur gearbeitet hat, gab er diesen Job auf, um seiner wahren Berufung zu folgen. Er wurde Nationalparkranger, Berg- und Höhlenretter, arbeitete in einer Greifenwarte und gründete schließlich seine eigene Survival- und Wildnisschule. Seit 2014 wandert er zu Fuß um die Welt und verfasste dabei mehrere Bücher.

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