Tag 1105: Verzögerungstaktik

von Heiko Gärtner
27.01.2017 01:37 Uhr

09.01.2016

Ich weiß, ich neige dazu, alles so lange wie möglich hinauszuzögern und dann Panik zu bekommen, wenn die Zeit knapp wird. Heute wurde dieses alte Muster noch einmal wieder präsent. Wir machten eine Pause in der Sonne, angelehnt an eine alte Natursteinmauer und nach dem Picknick begannen wir einige Fragen über mein muskuläres Gedächtnis an mein höheres Selbst zu stellen. Dass auch für mich noch einige Wandlungsschritte anstehen würden, um die alten Kordeln meines Marionettendaseins zu lösen und so frei leben, wachsen und erschaffen zu können, stand außer Frage. Ich wusste auch bei den meisten Schritten, was genau anstehen würde, warum es ansteht und wie es letztlich werden sollte. Doch fast alles davon machte mir Angst – klar, sonst wären es wohl auch keine Wandlungsschritte – und bei vielem hatte ich noch keinerlei Vorstellung, wie ich es umsetzen wollte. Das rituelle Schutztattoo nach der Tradition der Aborigines beispielsweise, das alle Tiere und damit auch alle Kräfte und Qualitäten des Medizinrades vereint. Ich weiß, dass es zu mir gehört und dass es ein wichtiger Schritt ist, um die Kordeln zu lösen, die mir noch immer fest im Rücken sitzen. An der Stelle, an der die Aufmerksamkeit am geringsten ist und die deshalb einen besonderen Schutz benötigt. Aber wie soll ich mir ein Tattoo stechen lassen, wenn ich A) ohne Geld lebe und daher keinen Tätowierer bezahlen kann und B) ständig unterwegs bin und nicht einmal weiß, wo ich wann sein werde, um einen Termin auszumachen? Diese offenen und in meinen Augen unlösbaren Fragen in Kombination mit meiner noch immer starken Angst davor, mir überhaupt irgendetwas in die Haut stechen zu lassen, führte dazu, dass ich das Thema so gut wie möglich wieder verdrängt habe. Nicht nur das Tattoo, sondern auch andere Schritte, die in eine ähnliche Richtung gehen, noch mehr Überwindung kosten und mich noch mehr ängstigen.

Aber ist jemals etwas besser geworden, weil man es aufgeschoben hat? Vor gut zweieinhalb Jahren haben wir in einer ähnlichen Testung zum ersten Mal etwas über meinen Medizinkörper herausgefunden. Damals gab mir mein höheres Selbst eine Frist von gut einem Jahr, um meine Trichterbrust und meine Vorhautverengung zu korrigieren. Als wir es herausgefunden haben, stand ich zu 100% hinter der Entscheidung. Klar machten mir auch diese Schritte Angst, aber ich wusste und spürte, dass es zu mir gehörte und dass ich diese Wandlung durchleben wollte. Es dauerte jedoch keine Woche, bis mir meine Mutter all diese Schritte durch ihre indirekte Sorgenbekundungen wieder ausgeredet hatte. Und schon damals kamen wie gleichen Fragen hinzu: Wie soll ich das alles finanzieren? Wie soll ich das während der Reise umsetzen. Die Frist lief ab und ich hatte weder eine Wandlung durchlaufen noch anderweitige Lern- oder Entwicklungsfortschritte gemacht. Ich stand weiterhin am altbekannten Punkt und drehte mich im Kreis. Dass meine Seele damit nicht einverstanden war, ist nicht besonders verwunderlich und so forderte sie beim nächsten Mal eine Wandlung, die mir noch schwerer fallen würde. Warum? Seit meiner frühsten Kindheit habe ich nicht nach meinem Herzen gelebt, sondern nach dem, was andere von mir wollten. Ich habe meine Seelenstimme also stets verachtet und ignoriert. Nun möchte ich wieder mit ihr in Kontakt treten und mich von ihr leiten lassen. Aber warum sollte sie mir nach all der Zeit vertrauen, dass ich sie nicht beim ersten kleinen Problemchen wieder zum Mond schieße und stattdessen auf die Wünsche von außen höre? Warum sollte sie sich die Mühe machen, mich zu leiten, wenn sie nicht wusste, ob ich die Leitung wirklich annehmen konnte? Wenn ich also wieder mit ihr arbeiten wollte, dann musste ich ihr zeigen, dass ich es auch wirklich ernst meine. Nicht nur ein bisschen ernst á la, wir probierens mal und schauen was passiert, wenn nicht kann ich ja einfach wieder zurück gehen. Nein, voller Ernst im Sinne von vollem 100%igem Vertrauen. Es ist ähnlich wie in der biblischen Geschichte über den Vater, von dem Gott verlangte, dass er seinen eigenen Sohn als Opfer darbringt. Es ging nicht darum, dass Gott unbedingt einen unschuldigen jungen töten wollte, sondern darum, den größtmöglichen Vertrauensbeweis einzufordern. Von allem, um das ihn Gott hätte bitten können, war diese Aufgabe für ihn die schwerste. Hätte er sich selbst auf den Opfertisch legen und anzünden sollen, wäre ihm dies bei weitem leichter gefallen. Hätte er seinen ganzen Hof und all sein Habe verbrennen sollen, wäre es kaum ein Problem gewesen. Aber den geliebten Sohn zu Opfern? Dies konnte er nur, weil er zu 100% vertraute, dass Gott immer das richtige tun und immer die richtige Entscheidung treffen würde, egal wie seltsam oder abstrakt sie auch sein mochte und wie schwer und unlösbar sie sich anfühlte.

Alles ist eins. Der Vater selbst war also Gott und er war es auch selbst, der sich diese Aufgabe stellte um in das vollkommene Vertrauen und damit ins Gottbewusstsein zu kommen. Eine ähnliche Aufgabe bekommt jeder, der sich auf den Weg zur Erleuchtung, zur Glückseligkeit oder zur vollständigen Heilung macht. Jeder Medizinmann, jeder Schamane geht bei seiner Ausbildung zum Heiler durch den Tod um dann von neuem Aufzuerstehen. Einige gehen diesen Schritt aufgrund von Krankheiten oder Verletzungen, andere durch Prüfungen und Aufgaben. Immer aber geht es darum, den Mut zu finden, genau das zu tun, was einem die größte Angst macht und von dem man sich immer sicher war, das man es niemals machen würde. Was das ist, kann sehr unterschiedlich sein, da jeder andere Ängste und persönliche Grenzen hat. Was für den einen die größte Barriere ist, die er sich vorstellen kann, ist für den anderen nicht einmal ein Wimpernzucken wert. In meinem Fall sind es alle Formen von körperlicher Veränderung, die mir Angst einjagen und mit denen ich in so tiefe Resonanz gehe, dass ich fast zu vibrieren anfange. Der erste Schritt war damals das Ausreißen meiner Haare. Schon das hat mich vollkommen fertig gemacht und letztlich ging es dabei nur um eine Frisurveränderung. Ein Tattoo ist da schon etwas anderes und wenn es dann sogar noch weiter geht, fängt sich langsam alles an zu drehen bei mir. Solange mir klar war, dass ein Tattoo irgendwann einmal auf meinen Rücken kommt, es aber keinen konkreten Zeitraum gab, sah ich das alles noch relativ entspannt. Jetzt aber stand da plötzlich ein Datum: Innerhalb des nächsten Monats!

Und nicht nur das. Für einen anderen Schritt hatte ich gerade einmal eine Woche Zeit und für einen dritten lediglich ein viertel Jahr. Sofort verfiel ich wieder in meine beliebte Panikzone und beschäfftigte mich vornehmlich mit folgendem Gedankengang: Oh Gott! Ohgottogottogottogottogott! Wie soll ich das nur schaffen! Oh Gott! ...“ Zum Glück bekamen wir am Nachmittag einen Platz in einer religiösen Gemeinschaft, die einen Internetraum hatte, in dem wir in Ruhe recherchieren und genauer nach testen konnten. Für den ersten Schritt innerhalb dieser Woche konnte ich nun einige Lösungen herausfinden, die mit etwas Glück funktionieren müssten. Wegen dem Tattoo fanden wir heraus, dass es wahrscheinlich von Heiko nach einer Vorlage gestochen werden soll. Finanziell ist es damit wieder machbar und es bekommt auch einen deutlich stärkeren rituellen Charakter. Nur hat Heiko in seinem Leben natürlich noch nie ein Tattoo gestochen und weder er noch ich haben eine Idee, wie wir das anstellen sollen. Am Abend schrieb ich deshalb noch einmal mit Darrel, dem Medizinmann, der uns schon bei so vielen Wandlungsschritten weitergeholfen hat. Wir verabredeten uns für ein Gespräch via Skype für morgen Abend und ich bin gespannt, was es für neue Erkenntnisse bringen wird.

Spruch des Tages: Was du heute kannst besorgen, verschiebe lieber nicht auf morgen

Höhenmeter: 310 m Tagesetappe: 19 km Gesamtstrecke: 20.221,27 km Wetter: kalt aber sonnig Etappenziel: Religiöse Gemeinschaft Centre La Licorne, kurz hinter 34150 Saint-Jean-de-Fos, Frankreich

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Heiko Gärtner
Heiko Gärtner ist Wildnismentor, Extremjournalist, Survivalexperte, Weltreisender und einer der führenden Experten auf dem Gebiet der Antlitz- und Körperdiagnostik. Nachdem er einige Jahre als Agenturleiter und Verkaufstrainer bei einer großen Versicherungsagentur gearbeitet hat, gab er diesen Job auf, um seiner wahren Berufung zu folgen. Er wurde Nationalparkranger, Berg- und Höhlenretter, arbeitete in einer Greifenwarte und gründete schließlich seine eigene Survival- und Wildnisschule. Seit 2014 wandert er zu Fuß um die Welt und verfasste dabei mehrere Bücher.

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