Tag 1110: Neue Erfahrungen mit alten Bekannten

von Heiko Gärtner
07.02.2017 00:56 Uhr

14.01.2016

Der Wind hatte auch in der Nacht nicht nachgelassen und blies uns gleich in der Früh noch immer genauso stark entgegen, wie am vorherigen Nachmittag. Die Wanderung am Kanal entlang hätte eigentlich wunderschön und entspannt sein sollen, doch mit diesem Sturm ließ sie sich einfach nicht genießen.

Unser erstes Etappenziel war Capestang, wo wir zunächst einen Baumarkt und einen Supermarkt aufsuchten, in der Hoffnung hier eine neue Sitzmatte für Heiko zu finden. Eine Hoffnung, die leider nicht erfüllt wurde. In der Innenstadt schauten wir uns die Kirche an, wobei ich von einer quirligen und leicht überdrehten Frau angesprochen wurde, die gerade den Kirchenboden reinigte. Sie wollte wissen ob ich Pfarrer war und fühlte sich geehrt, einen echten Wandermönch in ihrer Kirche anzutreffen. So geehrt, dass sie uns gleich einmal mit sämtlichen Informationsblettern und Broschüren überhäufte, die sie finden konnte. Sicher wollten wir alles, über diese Kirche erfahren und sie wollte uns auf jeden Fall dabei helfen. Als wir stattdessen jedoch nach dem Kontakt zum Pfarrer fragten, sank ihre Begeisterung schlagartig. Im Ort gab es keinen und eine Nummer habe sie nicht. Stattdessen gab sie mir die Nummer der Kirchenvorsteherin, die mir letztlich aber nicht wirklich weiterhelfen wollte.

Der nächste Ort lag noch einmal gut 15 Kilometer gegen den Wind entfernt und so war es bereits später Nachmittag, als wir hier eintrafen. Gleich am Ortseingang erinnerte ich mich, dass ich hier vor zwei Jahren nach dem Bürgermeister gesucht hatte. Ein Ehepaar aus der Nachbarschaft zeigte mir die genaue Adresse und gab uns außerdem noch ein Lunchpaket und zwei Becher Suppe mit auf den Weg. Irgendwie erinnerte ich mich auch vage daran, dass meine Suche damals nicht besonders erfolgreich ausgegangen war. Genau so war es auch heute. Der Unterschied bestand nur darin, dass damals kein Samstag war und wir später direkt ins Rathaus hatten gehen können. Dadurch hatten wir dann einen kleinen Raum bekommen und dieser wiederum hatte es uns ermöglicht, die Stadt unter die Lupe zu nehmen und auf die Heilerin zu treffen, die damals Heikos Rücken und die Verstrickungen mit Hans gelockert hatte. Auf eine gewisse Weise war es schon paradox, dass wir nach dem Lösen meiner Seelenverstrickungen nun wieder genau die Orte bereisten, die wir damals bei Heikos Lösungsprozess besucht hatten. Und das wir sie beide Male komplett unterschiedlich wahrnahmen.

Dieses Mal verließen wir den Ort abermals mit leeren Händen und da am Kanal du Midi für weitere 12km keine Ortschaft kommen wollte, gingen wir von unserem Weg ab, direkt auf einen kleineren Ort in der Nähe zu. Noch einmal erlebten wir das selbe Spiel wie gestern Abend. Nach langem Suchen fand ich die Bürgermeisterin, nur um von ihr zu erfahren, dass es auch hier ein Dorffest gab und sie uns deshalb keinen Platz anbieten konnte. Dieses Mal aber funktionierte der Trick mit der Nahrungssuche nicht, da ich noch immer hoffte, auf diese Weise eine Lösung zu finden. Wir bekamen zwar einiges an Essen, aber keine Bleibe für die Nacht. Sogar die Künstlerin des Ortes lehnte uns ab. Sonst hatten wir mit Künstlern in Frankreich fast immer Glück gehabt. Nicht einmal eine Garage wollte man uns anbieten. Langsam wuchs mein Frust gegenüber den Menschen wieder ins Unermessliche. Wie konnte man nur so unmenschlich sein?

Ein Ort weiter wiederholte sich das Spiel dann ein drittes Mal. Hier trafen wir zwar auf zwei Familien, die uns ein Angebot machten, doch beide Angebote waren bei weitem schlechter als jeder Platz in der Natur. Das erste war eine Ruine mit halb verfallenem Dach, in dem es nicht einmal einen Fußboden gab. Hier auf die spitzen Steine eine Luftmatratze zu legen wäre vollkommen unmöglich gewesen. Vom Aufbau eines Zeltes ganz zu schweigen. Das zweite war eine Art Garage, die jedoch bis zur Decke mit Gerümpel voll gestellt war. Auch hier gab es keine Möglichkeit für ein Zelt, aber auch weder Strom noch eine Heizung. Wir bedankten uns und ließen die Stadt hinter uns, um nach einem windgeschützten Platz Ausschau zu halten. Im Dunkeln schien dies eine unlösbare Aufgabe zu sein, aber wie hatten Glück. In einer kleinen Mulde hinter einem Wald aus Schilf entdeckten wir einen Platz, der vollkommen im Windschatten lag. Hier war es gefühlt mindestens 10 Grad wärmer als überall sonst und der Wind riss nicht an unserem Zelt. Nur zwei Meter weiter wurde man schon wieder weggerissen, doch hier war es friedlich.

Spruch des Tages: Nur weil man etwas schon mal gesehen hat, heißt es nicht, dass es einem deshalb Sicherheit bietet.

Höhenmeter: 90 m Tagesetappe: 27 km Gesamtstrecke: 20.330,27 km Wetter: extremer, kalter Gegenwind Etappenziel: Zeltplatz auf einem Feld, kurz vor 11120 Ginestas, Frankreich

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Heiko Gärtner
Heiko Gärtner ist Wildnismentor, Extremjournalist, Survivalexperte, Weltreisender und einer der führenden Experten auf dem Gebiet der Antlitz- und Körperdiagnostik. Nachdem er einige Jahre als Agenturleiter und Verkaufstrainer bei einer großen Versicherungsagentur gearbeitet hat, gab er diesen Job auf, um seiner wahren Berufung zu folgen. Er wurde Nationalparkranger, Berg- und Höhlenretter, arbeitete in einer Greifenwarte und gründete schließlich seine eigene Survival- und Wildnisschule. Seit 2014 wandert er zu Fuß um die Welt und verfasste dabei mehrere Bücher.

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