Tag 1130: Verführende Köder

von Heiko Gärtner
04.03.2017 02:35 Uhr

02.02.2017

Als wir das letzte Mal Internet hatten und somit in der Lage waren, mit Heidi zu telefonieren, waren wir wieder einmal auf ein spannendes Thema gestoßen. Sie hatte das Angebot bekommen, in ein kleines Zimmer unter ihrer momentanen Wohnung zu ziehen, und hatte dies als sehr verlockend empfunden. Der Haken war nur, dass sie eigentlich geplant hatte, den festen Wohnsitz so bald wie möglich wieder gegen ihren Bulli einzutauschen, in dem sie wohnen und sich gleichzeitig auf das Leben draußen in der Natur vorbereiten konnte. Nun war die Versuchung natürlich groß, den Schritt aus der Komfortzone heraus noch ein wenig zu verzögern und stattdessen noch ein Stück weiter hinein zu gehen. Denn die Winter-Übergangs-Wohnung bestand lediglich aus einem Zimmer mit Matratze, während sie bei ihrem neuen Angebot sogar eine Küche zur Verfügung hatte. Es gab eine Menge Argumente, die dafür sprachen und doch spürten Heiko und ich während des Gesprächs sofort, dass es nicht die richtige Entscheidung war. Irgendetwas passte hier nicht, das war ganz offensichtlich. Nur konnten wir zu diesem Zeitpunkt noch nicht genau sagen, was es war.

In den letzten zwei Tagen machten wir uns noch einmal mehrere Gedanken dazu und stellten fest, dass es auch dieses Mal nur wieder ein kleiner Ankerpunkt für ein viel größeres Thema war. Das jeder von uns eine innere Gottstimme, also eine Intuition hat, die genau weiß, was gut für einen ist und was einen in Richtung Erleuchtung führt haben wir ja schon genauer geschildert. Auch dass es passend dazu einen Gegenspieler gibt, der einen vom rechten Weg abbringen will um die Spannung zu erhöhen und somit den Entwicklungserfolg letztlich überhaupt erst möglich zu machen auch. Je nachdem, wie unsere Lebensgeschichte gestrickt ist, kann dieser Gegenspieler oder auch Verwirrer in unterschiedlichen Rollen auftreten, darunter auch als eine Art Puppenspieler, der uns durch eine seelische Besetzung kontrolliert und damit weite Teile unseres Lebens und unserer Erfahrungen bestimmt. So wie ich meinen Marionettenspieler in Form meiner Mutter hatte, hatte auch Heidi den ihrigen. Und dieser sorgte dafür, dass auch sie immer wieder inszenierte Erfahrungen machte, die sie von ihrem Weg abbrigen sollten. Und genau dazu gehörte auch die Situation mit den Vermietern der Wohnungen bzw. Zimmer. Es war kein Angebot, das sie weiter bringen und sie unterstützen sollte, sondern etwas, das sie ganz gezielt von der Weiterentwicklung abbringen sollte. Das Prinzip dahinter war recht einfach. Je größer die Komfortzone wird, die wir um uns herum aufbauen, desto größer wird auch die Hemmschwelle, sie zu verlassen. Es ist das, was wir gemeinhin „inneren Schweinehund“ nennen. Ohne diesen inneren Schweinehund würden wir uns stets für das entscheiden, was uns am besten tut. Wir würden regelmäßig Sport treiben, unseren Körper und unseren Geist in Schuss halten, gesunde Sachen essen und vieles mehr. Aber immer wenn wir auf die Idee kommen, etwas derartiges zu tun, stoßen wir auf eine innere Blockade, einen Widerstand, der sich nur schwer überwinden lässt. Gerade dann, wenn wir drauf und dran sind etwas zu tun, das in uns die Lebensgeister weckt, das und Kraft gibt, uns Glücksgefühle beschert und in uns ein langanhaltendes Zufriedenheitsgefühl auslöst, kommt in uns plötzlich eine starke Unlust auf. Wir wissen, dass es uns gut tun würde und das wir uns im Anschluss wahnsinnig Dankbar sein werden wenn wir es machen, aber trotzdem können wir nicht einfach damit loslegen. Es ist eine Art Anti-Sucht, die wir hier verspüren. So wie wir von vielen anderen Dingen wissen, dass sie uns schaden, aber trotzdem das Verlangen haben, sie zu tun, haben wir hier das Verlangen es nicht zu tun, obwohl wir wissen, dass es uns hilft. Rein logisch betrachtet ist das doch absurd, oder?

Ähnlich wie der innere Verführer bei der Sucht, der uns lauter Argumente liefert, warum es doch jetzt genau richtig ist, Süßigkeiten zu Essen, eine Zigarette zu rauchen, Alkohol zu trinken oder an den Spielautomaten zu gehen, liefert uns der innere Schweinehund lauter Argumente, warum es doch jetzt in diesem Moment besser ist, das was uns gut tut lieber nicht zu machen. „Heute ist es doch viel zu kalt dafür! Sie nur, du bekommst eine leichte Erkältung, damit ist es sicher nicht gut, das zu machen? Es ist schon so spät, machen wir das lieber morgen!“ Und so weiter und so fort. In Heidis Fall gab es nun sogar eine ganze Argumentationskette, die offensichtlich dafür sprach, nicht in den Bulli zu ziehen, sondern das Wohnungsangebot anzunehmen. Mit einer richtigen Küche konnte man sich doch viel besser ernähren und das half einem ja schließlich auch bei der Entwicklung. Außerdem hatte man hier permanent Internet und konnte daher jederzeit mit uns telefonieren, sowie alles organisieren und in die Wege leiten, das noch erledigt werden musste. Und vor allem: Hier war es einfach nicht so kalt. Auf den ersten Blick sind das tatsächlich relativ gute Argumente und das müssen sie auch sein, denn sonst würde man sich kaum von seinem Gegenspieler überzeugen lassen. Wichtig zu verstehen ist jedoch, dass es Köder sind, die einen dazu bringen, das zu vergessen, was man eigentlich erreichen will. Und dies funktioniert eben nur dann, wenn sie nicht als Köder erkannt werden. Ein Fisch, der einen Köder klar als Köder auf einem Haken erkennt, wird nicht hinein beißen. Dies tut er nur dann, wenn er es wirklich für eine gute Idee hält, den Köder zu schlucken, weil er davon überzeugt ist, dass es ihn nährt. Unser innerer Schweinehund argumentiert also stets so, dass wir glauben uns einen größeren Gefallen damit zu tun, unsere Pläne aufzugeben, als sie umzusetzen. Der Haken, der in Heidis Fall hinter den Köderargumenten verborgen lag war der, dass sie immer leichter ins alte Fahrwasser zurückgetrieben werden konnte, je größer ihre Hemmschwelle vor dem Draußen-Sein wurde, je mehr also ihre Angst davor wuchs.

Hier waren wir dann bereits beim zweiten Werkzeug des Gegenspielers angelangt. Je mehr wir uns in unsere Komfortzone zurückziehen, desto leichter sind wir verführbar, da wir immer mehr bereit sind, alles anzunehmen, das unseren Komfort noch weiter vergrößert und uns vor dem augenscheinlich bösen, gefährlichen Äußeren noch besser schützt. Wer autark draußen im Wald lebt, braucht eine permanente Aufmerksamkeit und muss genau erkennen, was ihm einen echten Vorteil bringt und was nicht. Daheim auf seinem Sofa kann man hingegen abschalten, die Dinge geschehen lassen und sich vollkommen der Kontrolle durch jemand anderen hingeben. Es ist ein bisschen wie bei dem klassischen Prinzip eines Couch-Potatoes. Wenn wir einem Menschen am Anfang seines Lebens die Frage stellen, ob er lieber einen sportlich agilen Körper haben möchte, mit dem er springen, toben und herumtollen kann wie ein Streetrunner, der geschärfte Sinne hat, mit denen er die Bewegungen der Schnurrhaare einer Maus aus 100m Entfernung wahrnehmen kann und der die Konzentrationsfähigkeit eines Shaolinkriegers besitzt, oder ob er liebe eine fettes Walross werden möchte, das kaum mehr vom Sofa aufstehen kann, ohne einen Herzinfarkt zu bekommen und das nicht einmal mehr seine eigenen Knie sehen kann, wenn es nach unten blickt, dann würde er sich wohl kaum für das letztere entscheiden. Das es dennoch Menschen gibt, die den zweiten Weg wählen liegt daran, dass ihnen dieser Weg am Anfang wie das Paradies präsentiert wird. Man bekommt leckeres Essen aufs Zimmer gebracht, kann in einer spannenden und actionreichen Medienwelt versinken, ohne je selbst in Gefahr zu geraten und vieles mehr. Erst, wenn man bereits so tief im Sumpf steckt, dass man das Gefühl hat, ohnehin nicht mehr herauszukommen, wird einem bewusst, dass man einem Köder aus den Leim gegangen ist, der einen komplett von dem Weggebracht hat, was man im Leben eigentlich erreichen wollte. Bei Heidi schien es zunächst nur ein kleiner Schritt zu sein, aber es war ein Schritt in eine Richtung, die sie nicht zu sich selbst, zu uns als Herde, zu ihrer Beziehung mit Heiko und zu ihrer eigenen Entwicklung brachte, sondern die all dies viel mehr ins Wanken geraten ließ. Auffällig war dabei vor allem das stufenweise zurückgleiten. Zunächst war da die immense Begeisterung, aus der Gesellschaft auszubrechen und zumindest erst einmal als Individualist in einem Bulli zu leben. Dann wurde klar, dass dies im Winter nicht gerade die angenehmste Lösung war und so kam zunächst eine Indoor-Wohnmöglichkeit auf sie zu, die nahezu nichts bot, außer etwas Wärme. Diese wieder zu verlassen war keine große Hemmschwelle, denn es war ja einfach nur ein unpersönlicher Raum im nichts. Doch gerade als die Entscheidung, sie zu verlassen und den Weg im Bulli fortzusetzen immer näher rückte, tauchte nun das nächste Verführungsangebot auf und zeigte ihr ein Zimmer mit mehr Komfort für weniger Geld, das man schon deutlich schlechter verlassen konnte.

Aber wie kann es nun sein, dass genau in diesem Moment zufällig ein solches Angebot kommt? Ist das nicht eher unwahrscheinlich?

Richtig, das ist es! Und es ist auch kein Zufall. Hier waren wir nun an dem Punkt, an dem es richtig spannend wurde. Erinnern wir uns noch einmal daran, dass alles eins ist und somit letztlich nichts anderes, als eine Art Traummatrix, die von dem einen, großen Bewusstsein erschaffen wird, von dem wir alle ein Teil sind. Wenn das so ist, dann gibt es weder ein Innen noch ein Außen, denn alles ist ein Spiegel des selben Bewusstseins. Wenn uns dies zu 100% bewusst ist und wir darin vollkommen aufgehen, erkennen wir natürlich, dass es außer uns selbst nichts und niemanden gibt. Es gibt also auch niemanden, der uns verwirren oder beeinflussen könnte. Wir sind reine Liebe und können dies mit all unserem Sein spüren. Solange das aber noch nicht der Fall ist, glauben wir, dass es mehrere Wesen im Universum gibt und dass wir nur eines davon sind. Da wir als Gottpartikel die Schöpfer unserer eigenen Welt sind, muss dieser Glaube auch durch unsere Erfahrung bestätigt werden, wodurch es in unserer Wahrnehmung möglich wird, dass wir durch einen anderen beeinflusst werden. Dies ist, wie im Falle einer Besetzung mit einem Seelenfragment, bei unserem Puppenspieler der Fall. Wir haben also eine andere Person, die direkt oder indirekt, bewusst oder unbewusst über unsere Handlungen, Entscheidungen und Gedanken bestimmt. Sie ist also gewissermaßen der Fahrer unseres Lebens-Autos während wir selbst nur als Beifahrer zuschauen. Bislang waren wir davon ausgegangen, dass diese Beeinflussung nur für unser Inneres gilt. Der Puppenspieler trifft also die Entscheidungen für uns, bestimmt über unsere Ängste, Sorgen und Gedanken und versorgt uns mit Erinnerungen in Form von Illusions-Bildern, die uns glauben machen, dass wir bestimmte Erfahrungen gemacht haben, die unsere Ängste und Glaubenssätze rechtfertigen. Jetzt, wo wir uns mit dem Thema noch einmal eingehender beschäftigt haben, wurde uns jedoch klar, dass die Macht des Puppenspielers, bzw. Gegenspielers weit darüber hinaus geht. Er kann nicht nur unser Inneres beeinflussen, sondern auch das Äußere, da es ja zwischen beidem letztlich keinen Unterschied gibt. So gibt es also auch hier wieder zwei Pole, zwischen denen wir uns bewegen. Die Welt in der wir leben ist zum einen das Produkt unserer eigenen Überzeugungen. Wir bekommen also stets das gespiegelt, was wir am stärksten glauben oder was wir ganz bewusst durch unsere eigene Visualisierungskraft erschaffen. Zum anderen ist die äußere Welt aber auch das Produkt des Gegenspielers, bzw. des Puppenspieler. Es ist also auch ein Spiegel dessen, was wir glauben sollen. Solange wir uns also noch nicht vollständig von unserem Puppenspieler gelöst haben und solange wir unsere eigene Schöpferkraft noch nicht vollständig erkannt haben, wird unser Umfeld in mehr oder minder großen Anteilen Fremderschaffen. Das zu erklären ist ein bisschen komplex und man versteht es wohl am besten mit einem Beispiel.

Fortzusetzung folgt...

Spruch des Tages: Der Köder muss dem Fisch schmecken, nicht dem Angler.

Höhenmeter: 210 m Tagesetappe: 16 km Gesamtstrecke: 20.667,27 km Wetter: bewölkt, kalt, trübe, hin und wieder Regenschauer Etappenziel: Nonnengemeinschaft Comunité Notre Dame de Fidelité, 65100 Lourdes, Frankreich

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Heiko Gärtner
Heiko Gärtner ist Wildnismentor, Extremjournalist, Survivalexperte, Weltreisender und einer der führenden Experten auf dem Gebiet der Antlitz- und Körperdiagnostik. Nachdem er einige Jahre als Agenturleiter und Verkaufstrainer bei einer großen Versicherungsagentur gearbeitet hat, gab er diesen Job auf, um seiner wahren Berufung zu folgen. Er wurde Nationalparkranger, Berg- und Höhlenretter, arbeitete in einer Greifenwarte und gründete schließlich seine eigene Survival- und Wildnisschule. Seit 2014 wandert er zu Fuß um die Welt und verfasste dabei mehrere Bücher.

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