Tag 1133: Die Geschäfte mit den Lourdes-Pilgern

von Heiko Gärtner
04.03.2017 03:27 Uhr

Fortsetzung von Tag 1132:

Im Schnitt gibt ein Besucher des Pilgerortes rund 50€ am Tag aus davon aber gerade einmal 2,50€ für Souvenirs und Andenken. In den Hochphasen sind das bei gleichzeitigen 28.000 Besuchern trotzdem immerhin 70.000€ pro Tag die sich auf die 220 Souvenirläden aufteilen. Pro Laden bleibt dann ein durchschnittlicher Umsatz von knapp 320€ am Tag, also rund 9.500€ im Monat. Hinzu kommen natürlich weitere Lourdesbesucher, die im Umkreis übernachten oder nur für einen einzigen Tag anreisen. Auf der anderen Seite muss man natürlich auch bedenken, dass die Saison maximal 6 Monate im Jahr andauert und dass davon auch noch Angestellte, Mieten, und Waren gekauft werden müssen. Ob das nun am Ende ein gutes Geschäft ist, oder nicht, möchte ich nicht beurteilen. Aber in Anbetracht der vielen Villen, die wir draußen vor der Stadt gesehen hatten, würde ich vermuten, dass es zumindest bei einigen ausreicht, um ein ganz passables Leben zu führen.

Am beliebtesten sind dabei die kleinen Wasserflaschen oder Kanister in Marienform oder mit aufgedruckten Bildern von der bekannten Marienstatue, die man ab 80 Cent pro Stück kaufen kann, um dann das heilige und heilender Wasser aus der Quelle hinein zu füllen. Darüber hinaus hängen die Vorlieben für die Souvenirs vor allem von der Nationalität des Besucher ab. Deutsche kaufen nach Angaben des Verbandes der Souvenirhändler vor allem Kerzen, die sie sich zu hause hinstellen und dann mit positivem Gedanken an Lourdes in einer kalten Winternacht anzünden. Spanier und Portugiesen würden so etwas nie machen, da es in ihrer Kultur keine Tradition mit gemütlichen Abenden bei Kerzenschein gibt. Sie kaufen hingegen vor allem bunte, farbenfrohe Marienstatuen und theatralische Dekorationen, die die meisten Deutschen als kitschig empfinden würden.

Die ersten geöffneten Souvenirläden erreichten wir erst kurz vor dem eigentlichen Heiligtum. Anhand der Bilder, die wir zuvor von der beeindruckenden Kirchenkontruktion gesehen hatten, hatte ich vermutet, dass sich diese außerhalb der Stadt auf einer einsamen Anhöhe befindet, umgeben von Bergen und Wäldern. Dieser Eindruck entstand jedoch vor allem dank des Geschicks der Fotografen, das Heiligtum in seinem besten Licht dastehen zu lassen. Wir bogen um eine Ecke, überquerten eine Brücke und standen plötzlich vor einem hohen Zaun, der einen gewaltigen Platz umschloss. An seinem Ende ragte die majestätische und sagenumwobene Kirche empor. Der Anblick war beides zu gleich. Absolut beeindruckend und schwer enttäuschend. Die Basilika mit ihren filigranen Türmen und den weiten, bogenförmigen Aufgängen wirkte tatsächlich wie aus einer anderen Welt. So wie sie war hätte sie eine Kulisse in Harry Potter darstellen können oder auch ein Schloss im Disney-Land. Was dieses aufwändige und imposante Gebäude an Bau- und Renovierungskosten verschlungen hatte, ließ sich nur erahnen. Und man muss sagen, die Investition zeichnete sich aus.

Der Gebäudekomplex war absolut einzigartig und faszinierend. Nichts desto Trotz fielen uns sofort die Worte von Anna wieder ein, die sie beim Mittagessen gesagt hatte. Bernadette hatte Maria zu Gesicht bekommen, weil sie ein einfaches Mädchen war. Nicht nur vom materiellen her, sondern auch vom Geist. Sie war nicht gebildet oder gar intellektuell und konnte weder lesen noch schreiben. Sie hatte keine komplexen Ansichten von der Welt, keine Konzepte oder Vorurteile darüber, wie etwas zu sein hatte. Sie war die Tochter eines Müllers und Maria war ihr an einem ganz normalen Tag in einer kleinen Felsgrotte begegnet. Eine direkte und einfache Erfahrung also ohne jedes Tamtam und ohne jeden Prunk. Genau wie in Fátima stand das, was die Kirche hier im Anschluss errichtet hatte in einem krassen Gegensatz zu dem, um das es eigentlich ging. Aus der einsamen und zurückgezogenen Erfahrung eines sonderlichen Mädchens wurde ein Massenfasching für alle. Ein beeindruckender, zweifellos, aber ein Fasching. Was auf den Bildern, die man von der Basilika von Lourdes überall zu sehen bekommt generell nicht zu erkennen ist, ist jedoch die unmittelbare Nachbarschaft des Heiligtums. Gleich hinter den majestätisch geschwungenen Aufgängen führt eine Straße vorbei auf der immer wieder Autos fahren und so die Illusion der Disney-Märchenwelt zerstören. Auf der gegenüberliegenden Seite luken die graubraunen Betonmauern einer Bausünde aus den siebziger Jahren zwischen den großen Torbögen hindurch.

Das Gebäude ist jedoch kein Hotel, das man dreister Weise hier her gebaut hatte, um sich ein ordentliches Stück vom Wallfahrtskuchen abzuschneiden. Das wäre auch nicht möglich gewesen, denn bereits vier Jahre nachdem Bernadette ihre Marien-Erscheinungen hatte, wurde das gesamte Gelände rund um die Grotte mit seiner Größe von 52 Hektar von der katholischen Kirche gekauft. Nein, der unansehnliche Betonbunker ist ein weiterer Kirchenkomplex mit großen Aulen und Gebetssälen, der von der Kirche selbst hier erbaut worden war. Entlang des langgezogenen Platzes gibt es noch eine ganze Reihe weiterer Gebäude, die ebenfalls der Kirche gehören und die das eigene kunstvolle Heiligtum nach allen Regeln der Kunst verschandeln. Es gibt keinen Aussichtspunkt in der Stadt, von dem aus man auf das Santuario blicken kann, ohne dass es zumindest teilweise von einem maroden Bauwerk mit einer schimmelfleckigen, bröckeligen Fassade verdeckt wird. Was allein ein bisschen Farbe hier ausmachen würde, lässt sich kaum beschreiben. Doch offensichtlich hält es niemand für nötig, diese Investition zu tätigen. Spannend ist, dass das Heiligtum nicht direkt von der Kirche, also vom Vatikan selbst betrieben wird, sondern von einer ausgelagerten Betreiberfirma, die mit 292 fest angestellten Mitarbeitern und rund 120 Saisonkräften einer der größten Arbeitgeber in Lourdes geworden ist.

Den offiziellen Angaben zufolge finanziert sich die Gesellschaft ausschließlich über Spendengelder, Kollekten und Vermächtnisse, die sie zur Verfügung gestellt bekommt, sowie aus den Einnahmen durch den Verkauf von Büchern, CDs, Zeitschriften und Videos über Lourdes, die von der Betreibergesellschaft herausgegeben werden. In Frankreich gibt es wie gesagt keine Kirchensteuer, weshalb diese Einnahmequelle schon einmal flach fällt. Nach Informationen des Generaldirektors des Heiligtums Francis Dehaine ist die Instandhaltung der Wallfahrtsstätte daher nicht immer ganz einfach. Allein die Ausgaben für die Gehälter der Angestellten, für Anschaffungen, Strom und andere Permanentposten belaufen sich Jährlich auf rund 18 Millionen Euro. Hinzu kommen die Renovierungskosten, die sich ja nicht nur auf die Basilika selbst, sondern auch auf die 22 anderen Kirchen und Kapellen auf dem Gelände, sowie auf die Pilgerheime, die Krankenstation etc. beziehen. Ohne großzügige Spenden und Vermächtnisse von gläubigen Lourdes-Begeisterten sieht es da finanziell oft knapp aus. 2007 machte das Heiligtum sogar einen Verlust von 58.000€, da die Spendenkasse nicht genug gefüllt wurde. Auf den ersten Blick erscheint diese Art der Betreibung daher etwas unüberlegt zu sein. Auf der einen Seite ist der Vatikan, der ja letztlich Besitzer und Nutznießer des Heiligtums ist, eine der reichsten Organisationen der Welt.

Wenn nicht sogar die reichste überhaupt. Auf der anderen Seite kümmert er sich dann aber nicht selbst um seine Besitztümer, sondern beauftragt kleinere Organisationen damit, die auf Biegen und Brechen gerade so mit ihren Finanzmitteln hinkommen. Sollte man nicht von der weltweit größten Glaubensgemeinschaft annehmen, dass sie zumindest in ihren eigenen Reihen ein bisschen mehr Solidarität zeigt? Immerhin ist es ja vor allem die katholische Kirche, die von dem Hype und den Kult um Lourdes, Bernadette und ihren Visionen profitiert. Ereignisse und Orte wie diese sind es schließlich, die die Kirche und den Glauben für die Menschen greifbar und plastisch machen, so dass sie ihn gerade in unserer heutigen Zeit nicht aus den Augen verlieren. Selbst wenn bei all den Wallfahrtsreisen, die überall in Europa von fast jeder Kirchengemeinde organisiert werden, um hin und wieder nach Lourdes zu reisen, am Ende kein finanzieller Gewinn übrig bleibt, so festigt es doch die Verbundenheit der Menschen und ihren Bezug zu ihrer Religion. Wer mit seinem Pfarrer nach Lourdes gefahren ist und dies als positives Ereignis in Erinnerung behält, ist auch eher bereit, sich für seine Gemeinde zu engagieren, als jemand, der zwar auf dem Papier katholisch ist, aber eigentlich nicht so genau weiß, was das überhaupt bedeutet. Gerade in einer Zeit, in der die Kirche damit zu kämpfen hat, dass ihr immer mehr Schäfchen davon laufen, sollte man ja eigentlich meinen, dass sie daran interessiert ist, jeden zu unterstützen, der dieser Entwicklung entgegenwirkt.

Doch auf den ersten Blick macht es den Anschein, als sei eher das Gegenteil der Fall. So kostete beispielsweise der Besuch des Papstes Benedikt XVI im Jahr 2004 insgesamt rund 1,8 Millionen Euro, die aber nicht vom Vatikan sondern von der Stadt Lourdes und von der Betreiberfirma gezahlt werden mussten. Erst einmal finde ich es spannend, dass eine einfache, vom Papst gehaltene Messe 1,8 Millionen Euro kostet, sobald er sich dabei außerhalb des Pedersdoms befindet. Ein Großteil geht dabei natürlich auf das Konto der Logistik und der Sicherheitsvorkehrungen. Man braucht Leibwachen, Transportkolonnen und dergleichen mehr, man muss Stadtteile sperren, Häuser räumen lassen, Gullydeckel verschweißen und so weiter und so fort. Ein weiterer Teil bezieht sich auf die sichtbare Vorbereitung des Stadt und der Kirchen, in denen der Papst seine Messen hält und hier muss man ganz klar sagen, dass dies der Stadt sicher nicht geschadet hat, weshalb es auch nur fair ist, wenn sie diesen Teil mit trägt. Und schließlich braucht so ein Papst natürlich auch eine Portokasse und eine angemessene Garderobe, die irgendwie bezahlt werden will.

Im Falle des Papstbesuches von 2004 sollte das Geld vor allem durch Spenden aufgetrieben werden. Da man jedoch von Anfang an befürchtete, dass dies nicht klappen würde, verwandelte man den Papst in einen Rockstar und verkaufte zumindest für die vorderen Reihen Eintrittskarten für 12€ pro Stück. Trotzdem konnte die Betreiberfirma auf diesem Wege gerade einmal 400.000€ einnehmen. Ein herber Schlag, zumindest für den ersten Moment. Tatsächlich flossen in der darauffolgenden Woche nach einem leichten Druck auf die Tränendrüse dann doch noch die fehlenden 1,4 Millionen an Spendengeldern zusammen.

Was für ein glücklicher Zufall. Oder was für eine geschickte Strategie? Ein bisschen auffällig ist es schon, dass es der wahrscheinlich reichsten Organisation der Welt auf irgendeine Weise immer wieder gelingt, sich selbst als Arm zu präsentieren. Was also ist, wenn man die Ausgliederung des Heiligtums an eine Tochterfirma nicht unter moralischen Gesichtspunkten sondern unter wirtschaftlichen betrachtet? Von dieser Seite aus gesehen, wirkt die Entscheidung gar nicht mehr unsinnig, sondern geradezu genial. Würde der Vatikan all seine Besitztümer selbst bewirtschaften und finanzieren, hätte er immense Unkosten, die sein Kapital schmälern würden. Gleichzeitig wüsste aber jeder auch, dass er mehr Geldmittel zur Verfügung hat, als er jemals ausgeben könnte, was sich ganz sicher nicht positiv auf die Spendermoral auswirken würde. Durch das Auslagern von Stätten wie dieser hier, kann man also gleich zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen.

Auf der einen Seite muss man sich von Rom aus um nichts mehr kümmern, da ja alles extern geregelt wird. Auf der anderen Seite hat man eine Untergruppierung erschaffen, die trotz des eigenen Reichtums bedürftig und daher unterstützenswert wirkt. Gerade weil die Finanzierung des Heiligtums immer auf Messersschneide steht und gerade weil es oft nicht reicht, um alle nötigen Renovierungsarbeiten zu tätigen, funktioniert es. Es weckt ein Mitgefühl in den Menschen und den Wunsch, selbst auch etwas beizutragen weil immer die latente Angst besteht, dass es andernfalls vielleicht eines Tages nicht mehr existieren könnte. Damit diese Angst nicht abklingt und Lourdes nicht in Vergessenheit gerät, ruft das Heiligtum alle Gläubigen zwei Mal im Jahr zum Spenden auf. Auch die Kollekten nach den zahlreichen Messen, die in Lourdes auf allen sprachen stattfinden kommen dem Heiligtum zu gute. Das heilige Wasser aus der Quelle in der Grotte, in das viele der Pilger ihre Hoffnung auf Heilung setzen ist jedoch umsonst. Hier zahlt man nur für die netten Kanister und Plastikflaschen. Dies ist auch wichtig, denn andernfalls würde man die Besucher verärgern und sich als Kaltherzig darstellen.

Ein Heilwasser sollte schließlich jedem zur Verfügung stehen. Lustig fand ich hingegen die Darstellung des Umgangs mit dem Kerzenverkauf. Überall auf dem Gelände konnte man kleinere und größere Wachskerzen kaufen, die in großen Containerregalen auslagen. Darunter standen Preise: 5€ für alle Besucher aus Eurostaaten, 5,5 britische Pfund für Besucher aus Großbritannien, 8$ für unsere Freunde aus Amerika und 8 Franken für die Gäste aus der Schweiz. Offenbar hielt man die letzten beiden Volksgruppen für zahlungswilliger, dümmer oder unsympathischer, je na nachdem wie man es betrachten will. Auf jeden Fall wird deutlich, dass man hier einiges an Geld lassen soll, wenn man eine solche Kerze mitnehmen oder anzünden möchte. Natürlich gibt es niemanden, der kontrolliert, ob man auch wirklich bezahlt und man kann sich die Kerzen theoretisch auch einfach so nehmen. Dennoch verbietet es das moralische Empfinden den meisten Menschen dies zu tun. In einem Interview wurde Pierre Adias, der Pressesprecher des Heiligtums gefragt, wie es mit der Zahlungsmoral der Gäste in Bezug auf die Kerzen aussah. Seine Antwort lautete: "Nein, es zahlt nicht jeder für die Kerzen. Aber das ist uns klar und wir kontrollieren das nicht, denn wir wollen auch für Menschen, die wenig Geld haben, zugänglich sein." Die Kerzen, die ohne Bezahlung mitgenommen werden, werden daher einfach als Geschenke verbucht, was alle einnahmen aus den Kerzenverkäufen wiederum zu Spenden macht. In dieser Hinsicht ist die Kirche einfach genial! Niemand sonst schafft es eine einfache weiße, massenproduzierte Kerze, mit einem Herstellungspreis von ein paar Cent für 5 bis 8 Euro zu verkaufen, die einnahmen als Spenden zu deklarieren und am Ende noch als Wohltäter dazustehen.

Das verdient meiner Meinung nach wirklich einmal Respekt! Was man sagen kann ist, das Lourdes definitiv nicht unter Besuchermangel leidet und dass dadurch einiges an Geld ins Fließen kommt. So beläuft sich der Jahresumsatz mit den Pilgern aus aller Welt insgesamt auf sage und schreibe 2,5 Milliarden Euro. Das ist mehr, als in jedem anderen Marien-Pilgerort der Welt, von denen es immerhin weit mehr als 900 Stück gibt. Wie viel von dem Geld am Ende wirklich hängen bleibt und ob es nicht vielleicht doch ausreichen würde, um die Stadt nicht ganz so sehr nach Slum aussehen zu lassen, lässt sich aber nur schwer abschätzen.

Fortsetzung folgt...

Spruch des Tages: Es gibt 4 Dinge, die nicht einmal Gott weiß: 1. Wie viele Frauenorden es auf der Welt gibt. 2. Wohin diese Franziskaner ständig reisen. 3. Was die Jesuiten wirklich denken 4. Wie viel Geld die katholische Kirche hat.

Höhenmeter: 130 m Tagesetappe: 25 km Gesamtstrecke: 20.724,27 km Wetter: Bewölkt mit vielen Schauern Etappenziel: Fallschirmschule, 64450 Lasclaveries, Frankreich

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Heiko Gärtner
Heiko Gärtner ist Wildnismentor, Extremjournalist, Survivalexperte, Weltreisender und einer der führenden Experten auf dem Gebiet der Antlitz- und Körperdiagnostik. Nachdem er einige Jahre als Agenturleiter und Verkaufstrainer bei einer großen Versicherungsagentur gearbeitet hat, gab er diesen Job auf, um seiner wahren Berufung zu folgen. Er wurde Nationalparkranger, Berg- und Höhlenretter, arbeitete in einer Greifenwarte und gründete schließlich seine eigene Survival- und Wildnisschule. Seit 2014 wandert er zu Fuß um die Welt und verfasste dabei mehrere Bücher.

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