Tag 1142: Langstreckenmarathon mit Abendspaziergang

von Heiko Gärtner
12.03.2017 00:45 Uhr

15.02.2016

Es ist wie verrückt, aber sobald etwas auch nur ein bisschen touristisch wird, geht sofort alles drunter und drüber. Tagelang kann man sich auf ein Konzept verlassen und kommt damit astrein durch. Und dann, nur weil irgendwo ein Fahrradweg auftaucht, funktioniert plötzlich nichts mehr. Dank der dünnen, aber geballten Besiedelung hier hatten wir nach einem erfolglosen Versuch in einer Ortschaft schnell unsere dreißig Kilometer beisammen. So viel also zum Thema, wir schlendern mal gemütlich durch Frankreich. Der nächste Ort war so klein, dass es nicht einmal ein Rathaus gab und anschließend kamen wir in ein stadtähnliches Gebilde das auch nicht gerade vielversprechend aussah. Hier bot man uns dann aber eine Pilgerherberge für Jakobswanderer an, die jedoch einen kleinen Haken hatte. Sie lag drei Kilometer südlich der Stadt auf dem Jakobsweg, also genau in die Richtung, in die wir nicht gehen wollten. Die Mitarbeiter der Stadt fanden zwar selbst auch, dass dies nicht gerade eine gute Lösung war, konnten und aber dennoch keine andere anbieten. Nicht, dass es nicht auch ausreichend leere, ungenutzte Säle im Zentrum gegeben hätte, aber man hatte sich hier nun einmal auf die Jakobsherberge eingeschossen und somit war keine andere Lösung auch nur noch denkbar. Wieder einmal waren wir zugleich entsetzt und fasziniert davon, wie sehr wir Menschen unsere Flexibilität an der Pforte abgeben, wenn wir erst einmal eine Lösung für ein Problem im Kopf haben. Damit wir die Pilgerherberge nutzen konnten, musste eine Frau die drei Kilometer nach draußen fahren und wir mussten einen großen und komplett kalten Raum mit Elektroheizern erwärmen. Für sie wie für uns war die Pilgerherberge also die Lösung, die am meisten Aufwand und Zeit kostete. Und doch kamen alle naheliegenden Lösungen nicht in Frage. Sie boten uns sogar an, uns mitsamt der Wägen mit dem Auto hinzufahren, was noch mehr Zeit und Geld bedeutet hätte, aber der kleine, ungenutzte aber ohnehin geheizte Saal um die Ecke, der war leider nicht möglich. Ein bisschen skurril ist das schon, oder?

Autofahren kam nicht in Frage und so beschlossen wir noch einmal einen kleinen Abendspaziergang von drei Kilometern einzulegen und dem Jakobsweg in die entgegengesetzte Richtung zu folgen, in die wir eigentlich gehen wollten. Spannend war, dass wir uns hier in einer Flachebene von mehreren hundert Kilometern in jede Richtung befanden, es der Jakobsweg aber trotzdem schaffte, die drei Hügel auszusuchen, die es hier gab. Wir waren schwer beeindruckt. Seit tagen waren wir nahezu komplett eben gewandert und kaum trifft man auf den Jakobsweg, geht es nur noch bergauf und bergab. Noch dazu an einer großen und nicht gerade angenehmen Straße entlang. Wenige Kilometer weiter führte der Fahrradweg vollkommen einsam mitten durch die Wälder. Aber für Jakobspilger war das nichts. Die mussten an der Straße entlang und jeden Hügel mitnehmen, den man finden konnte. Ob die Verantwortlichen für den Weg wohl bewusst mit einer Topografie-Karte dagesessen waren und kleine Kreuzchen auf die höchsten und niedrigsten Punkte gezeichnet hatten, um diese dann zu verbinden und die Sache Jakobsweg zu nennen? Ich weiß es nicht, aber es erscheint ein bisschen so.

Wie sich herausstellte, waren die Längenangaben wieder einmal geschönt gewesen. Nach drei Kilometern kam erst einmal gar nichts, außer ein Schild mit der Aufschrift: „Pilgerherberge 2,5km“. Anscheinend wurde unser Abendspaziergang wohl doch noch ein bisschen länger.

Spruch des Tages: Na komm, ein klein bisschen weiter geht noch!

Höhenmeter: 60 m Tagesetappe: 32 km Gesamtstrecke: 20.908,27 km Wetter: sonnig, sommerlich und warm Etappenziel: Pilgerherberge, 5km südlich von 33830 Belin-Béliet, Frankreich

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Heiko Gärtner
Heiko Gärtner ist Wildnismentor, Extremjournalist, Survivalexperte, Weltreisender und einer der führenden Experten auf dem Gebiet der Antlitz- und Körperdiagnostik. Nachdem er einige Jahre als Agenturleiter und Verkaufstrainer bei einer großen Versicherungsagentur gearbeitet hat, gab er diesen Job auf, um seiner wahren Berufung zu folgen. Er wurde Nationalparkranger, Berg- und Höhlenretter, arbeitete in einer Greifenwarte und gründete schließlich seine eigene Survival- und Wildnisschule. Seit 2014 wandert er zu Fuß um die Welt und verfasste dabei mehrere Bücher.

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