Tag 1159: Sturmgewalten

von Heiko Gärtner
26.03.2017 00:05 Uhr

06.03.2017

Außer der kleinen Herberge, in der wir übernachten durften gab es im Ort noch eine Pizzeria mit dem Namen „a fleur de peau“, die gleichzeitig eine Art Kulturzentrum war. Sie wurde von einem jungen Mann betrieben, der aus Paris hier hergezogen war, weil er dem Großstadtleben den Rücken kehren wollte. Das Konzept ging auf. Er musste sie hier nicht mit tausenden von anderen Restaurants und Kneipen einen Konkurrenzkampf bis aufs Messer liefern, sondern konnte seinen Laden einfach frei gestalten und aufziehen, so wie er es für richtig hielt. Dabei war es ihm gelungen, jede Zielgruppe in der Umgebung abzugreifen, die man sich nur vorstellen konnte.

Es gab einen Restaurantbereich mit Tischen und gemütlich gehobener Atmosphäre für alle die Essen gehen wollten. Auf der anderen Seite gab es einen Bar und Lounge-Bereich um Abends fortzugehen, sich mit Freunden zu treffen und etwas zu trinken. Hier fühlte sich vor allem die Jugend angesprochen. Mehrmals in der Woche veranstaltete er außerdem besondere Abende, an denen es Kartenspiele für die Rentner, Konzerte und Unterhaltungsprogramme für Jugendliche und Erwachsene oder Kickertourniere und Spieleabende für Familien und Kinder gab. Die Lounge wurde gleichzeitig noch als Ausstellungsraum für lokale Künstler genutzt, so dass er zum einen eine stilvolle Dekoration bekam und gleichzeitig noch am Bilderverkauf mitverdienen konnte. Und zu guter Letzt hatte er natürlich noch einen Lieferservice für Pizzen und andere Gerichte. Damit gab es so gut wie nichts mehr, was er nicht abdeckte. Vor allem aber genoss er die Ruhe und die entspannte Stimmung hier auf dem Land. Natürlich ging es auch hier hin und wieder turbulent zu, aber verglichen mit Paris, war es ein Kinderspiel. Uns beschenkte er an diesem Tag mit zwei Pizzen, von denen man tatsächlich guten Gewissens sagen konnte, dass sie mit zu den besten zählten, die wir auf unserer Reise bekommen hatten.

Wenn wir gestern geglaubt hatten, dass die Welt kurz vor dem Untergang stand, so hatten wir nicht den Hauch einer Ahnung davon, was uns heute erwarten würde. Bereits in der Nacht hatte das Unwetter draußen vor der Tür getobt wie ein Schulleiter mit Leim auf dem Stuhl. Jetzt am Morgen schien es jedoch, als wollte der Sturm die Welt einfach in zwei Hälften reißen. Aus sicherheitstechnischen Gründen dauerte unsere Wanderung gerade einmal sechs Kilometer und bereits auf dieser kurzen Strecke wurden wir schon mehrere Male fast von der Straße geweht. Immer wieder flogen uns Äste um die Ohren und einmal kamen wir an eine Stelle, an der erst wenige Minuten zuvor ein halber Baum heruntergerissen worden war. Die lustlos zusammengeschusterten Stromleitungen tanzten im Wind als wären es Luftschlangen und als dann auch noch eine Mülltonne an uns vorüber flog und ihren Inhalt dabei vor unseren Füßen verteilte, beschlossen wir, dass es nun wirklich Zeit zum Ankommen war.

Glücklicherweise waren die Stadtverwalter der nächsten Ortschaft ebenfalls der Meinung, dass es untragbar war, jemanden bei diesen Bedingungen draußen herumlaufen zu lassen und wir bekamen einen großen und äußerst geräumigen Festsaal als Schutz. Von hier aus konnten wir dem Schauspiel nun als unbeteiligte Zaungäste zusehen, was unsere Begeisterungsfähigkeit für die Naturgewalten durchaus etwas erhöhte.

Spruch des Tages: Nicht so stürmisch!

Höhenmeter: 60 m Tagesetappe: 16 km Gesamtstrecke: 21.250,27 km Wetter: bewölkt, kalt und regnerisch, hin und wieder leichter Sonnenschein Etappenziel: Gemeindehaus der Kirche, 86600 Jazeneuil, Frankreich

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Heiko Gärtner
Heiko Gärtner ist Wildnismentor, Extremjournalist, Survivalexperte, Weltreisender und einer der führenden Experten auf dem Gebiet der Antlitz- und Körperdiagnostik. Nachdem er einige Jahre als Agenturleiter und Verkaufstrainer bei einer großen Versicherungsagentur gearbeitet hat, gab er diesen Job auf, um seiner wahren Berufung zu folgen. Er wurde Nationalparkranger, Berg- und Höhlenretter, arbeitete in einer Greifenwarte und gründete schließlich seine eigene Survival- und Wildnisschule. Seit 2014 wandert er zu Fuß um die Welt und verfasste dabei mehrere Bücher.

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