Tag 1222: Nach Hause zum Vater

von Heiko Gärtner
16.08.2017 07:50 Uhr

07.05.2017

 Heute erreichten wir Tewkesbury, eine kleine Stadt in Mittelengland in der es ein äußerst beeindruckendes Kloster gibt. Wie üblich war es eigentlich nicht unser Ziel, direkt durch eine Stadt zu wandern, aber um nach Wales zu gelangen hatten wir keine andere Wal. Der kleine britische Staat ist so abgeschirmt durch Autobahnen, Städte, Flüsse, Zuglinien und Berge, dass ich froh war, überhaupt einen Weg gefunden zu haben, der einigermaßen erträglich erschien. Zu unserer Überraschung wurde es sogar ein sehr schöner Weg, denn obwohl die Stadt belebt und verkehrsstark war, gab es viele Schleichwege über die man sich relativ ruhig hindurchschummeln konnte.

„Ist es noch immer ein aktives Kloster?“ fragten wir eine Frau, die uns den Weg dorthin erklärte.

„Ja sicher!“ antwortete sie, „noch genau wie früher!“

„Also leben noch immer Mönche dort?“

„Mönche? Nein, Mönche gibt es dort keine mehr!“

Ich musste lächeln, denn solche Gespräche waren auch hier keine Seltenheit.

Das Kloster selbst war heute im Privatbesitz und nicht mehr zugänglich. Mann konnte lediglich noch durch das große Eingangsportal schauen und einen Blick auf den Fuhrpark erhaschen, den die aktuellen Besitzer sich aufgebaut hatten. Zwei Porsche, Oldtimer, ein Jaguar und ein Mercedes gehörten dazu, den Rest konnte ich nicht erkennen. Man kann also sagen, dass die Käufer des Klosters den Lebensstil der alten Mönche durchaus gebührend fortsetzten.

Warum Franz von Assisi einen neuen Orden gründete um Bettelmönch zu werden, anstatt sich einem bestehenden anzuschließen wird damit auch immer deutlicher. Die Abtei war früher ein Benediktinerkloster gewesen, genau wie das Kloster Melk in Österreich. Und man kann sagen, dass dieser Orden eher mal auf Prozen denn auf Kleckern stand. Die noch verbliebende Kirche war ein Monument, das mindestens ebenso beeindruckend war, wie die Kathedrale von Winchester.

Als wir sie betraten war gerade Messe. Kurz zuvor hatten die Priester die gesamte Halle mit Weihrauch geräuchert und der duftende Rauch lag noch immer in der Luft. Durch die hohen, kunstvollen Fenster fiel das Sonnenlicht herein, das nun in deutlichen Strahlen bis auf den Boden sichtbar war. Vorne am Altar stand ein Chor, der zu den Anweisungen eines weiß gewandeten Dirigenten eine Hymne sang, die einem eine Gänsehaut über den Rücken jagte. Nicht weil sie so schlecht war, sondern weil sie wirklich eine imposante und ergreifende Stimmung erzeugte. Rund ein Dutzend Pfarrer und Priester stand am Altar und gestaltete den Gottesdienst. Es war noch einmal eine andere Show, als die, die wir damals in Italien an Weihnachten gesehen hatten. Diese Leute hier verstanden es, wie man eine erhabene Stimmung erzeugte, und auch wenn es nicht wirklich spannender war, als die üblichen Messen, war man dennoch irgendwie gefesselt.

Erst später erfuhren wir, dass es kein gewöhnlicher Gottesdienst war, sondern die Verabschiedung eins langjährigen Pfarrers, der nun in Ruhestand ging. Heiko hatte einige Tage zuvor einen Bericht von ihm in einer Kirchenzeitung gelesen.

Man hatte Bauchspeicheldrüsenkrebs bei ihm diagnostiziert und er hatte über diesen Befund und seine Erfahrung damti geschrieben. Seine erste Reaktion war es, in Panik zu verfallen und mit einem Schlag alles anzuzweifeln. Gab es wirklich einen Gott, wenn er ihn einfach so sterben ließ? Letztlich waren es dann seine Kinder, die ihn wieder zurück holten. Ihre erste Reaktion nach der Botschaft ihres Vaters über seine Krankheit war es, in den Garten zu gehen und Federball zu spielen. Der Vater war verwirrt und fragte, warum sie das taten.

Der Junge antwortete: „Weil heute großartiges Wetter ist und wir schon lange nicht mehr Federball spielen konnten! Du hast Krebs, in Ordnung, aber das ist ja kein Grund, warum man das Leben nicht mehr genießen sollte. Komm und spiel mit! Dir geht es ja nicht schlecht! Du hast keine Beschwerden und keine Schmerzen. Alles was sich geändert hat ist, dass du nun weißt, dass du irgendwann in naher zukunft sterben wirst. Aber das muss dich jetzt doch nicht stören. Wir haben von dir gelernt, dass der Tod nichts anderes ist, als dass du zum Vater nach hause gehen darfst. Das ist doch nicht schlimm, sondern sogar etwas schönes! Wovor hast du also Angst? Warum verdirbt dir das die Laune? Warum sollte das ein Grund sein, um dein Leben in diesem Moment nicht mehr zu genießen? Und in diesem Moment scheint die Sonne, also ist es der richtige Moment um Federball zu spielen!“

Der Pfarrer brauchte eine Weile, bis es ihm gelang, seine Söhne als Mentoren in diesem Bereich anzunehmen, doch dann wurde ihm klar, dass sie Recht hatten. Unzählige Male hatte er genau das in seinen Messen gepredigt, warum also sollte er nun, wo es ihn selbst betraf plötzlich aufhören, daran zu glauben?

Genau dieser Mann empfing uns nach dem Gottesdienst im Eingangsbereich der Kirche und hieß uns freudig willkommen. Er hätte uns sogar zu sich eingeladen, aber bei all dem Trubel um seine Veranstaltung und mit den Gästen, die er heute im Haus hatte, hielten wir dies letztlich doch nicht für eine so gute Idee.

Wir beschlossen also, die Kathedrale und den Ort zu verlassen und nach einem kurzen Zwischenstopp bei einem Karavanhändler und einer Wanderung entlang eines Flusses, erreichten wir Deerhurst, eine kleine Ortschaft mit einer mittelalterlichen Kirche, die fast ebenso groß war, wie die Klosterkirche. Ok das ist vielleicht etwas übertrieben, aber für diesen winzigen Ort wirkte sie trotzdem riesig. Gleich neben der Kirche befand sich ein Haus mit etwa dem selben Baujahr, in dem ich den Kirchenverwalter vermutete. Dieser war jedoch vor einigen Jahren verstorben und nun wurde das Haus von einer eher griesgrämigen Frau bewohnt, sie es hasste, dass hin und wieder Kirchenbesucher in ihren Garten stolperten. Widerwillig rief sie die Pastorin an und kam kurz darauf mit einem Gesicht zurück, als wollte sie mir den Weltuntergang verkünden.

„Ich habe die Pastorin erreicht,“ sagte sie, „und aus irgendeinem Grund sagt sie, dass ihr wirklich hier übernachten könnt. Später wird noch jemand kommen und euch Essen bringen. Achtet nur darauf, dass dies hier ein Privatgrundstück ist, auf dem ihr nichts verloren habt. Auf dem Kirchengelände könnt ihr euch aufhalten.“

Dabei überreichte sie mir einen Teller mit Kuchen. Alles an ihr zeigte deutlich, dass es nicht ihre Idee gewesen war, uns damit zu beschenken und dass sie es hasste, dies tun zu müssen. Aber die Pastorin hatte ihr anscheinend aufgetragen, uns schon mal etwas anzubieten. Ich weiß es nicht genau, aber ich würde vermuten, dass die Pastorin heute ebenfalls in der Abtei von Tewkesbury war und dass sie uns dort bereits gesehen hatte.

 

Spruch des Tages: Wovor hast du Angst, du gehst doch nur nach Hause?

Höhenmeter: 30 m

Tagesetappe: 15 km

Gesamtstrecke: 22.402,27 km

Wetter: Sonnig, überwiegend windstill

Etappenziel: Kirche, Deerhurst, England

Hier könnt ihr uns und unser Projekt unterstützen. Vielen Dank an alle Helfer!

Heiko Gärtner
Heiko Gärtner ist Wildnismentor, Extremjournalist, Survivalexperte, Weltreisender und einer der führenden Experten auf dem Gebiet der Antlitz- und Körperdiagnostik. Nachdem er einige Jahre als Agenturleiter und Verkaufstrainer bei einer großen Versicherungsagentur gearbeitet hat, gab er diesen Job auf, um seiner wahren Berufung zu folgen. Er wurde Nationalparkranger, Berg- und Höhlenretter, arbeitete in einer Greifenwarte und gründete schließlich seine eigene Survival- und Wildnisschule. Seit 2014 wandert er zu Fuß um die Welt und verfasste dabei mehrere Bücher.

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