Tag 1330: Wandern in der Irischen Republik

von Heiko Gärtner
24.01.2018 15:56 Uhr

02.08.2017

Heute haben wir einen neuen Rekord aufgestellt, was das Nasswerden anbelangt. Die Schuhe waren trotz Heizung über Nacht nicht getrocknet und da es bereits regnete, als wir das Haus verließen, hatten sie innerhalb von Minuten den alten Stand wieder erreicht. Zunächst war es noch warm und schwül, so dass wir uns schwer damit taten, die Regenkleidung als unumgänglich zu betrachten und sie wirklich anzulassen. Dann plötzlich drehte der Wind und der Regen wurde eiskalt. Nun war die Frage nicht mehr, ob es eine Möglichkeit gab, trocken zu bleiben und sich dennoch kühler zu kleiden, sondern ob man nicht noch irgendetwas zum Drunterziehen hatte, das einen vor der Kälte schützte.

Ein auffallend blauer Traktor

Ein auffallend blauer Traktor

Abgesehen vom Sauwetter, für das Irland ja berühmt ist, war es jedoch heute eine wirklich schöne Wanderung. Wir durchquerten ein komplett einsames Grenzgebiet und wanderten bis auf den letzten Kilometer vor der geplanten Zielortschaft auf kleinsten Nebenstraßen wo wir nahezu für uns alleine waren. Dass dies die Menschen an Irland mochten, konnten wir nun schon wieder verstehen.

Um nicht wieder so ein Desaster wie die letzten Tage zu erleben, versuchten wir dieses Mal den Pfarrer bereits im Voraus anzurufen. Dies gestaltete sich jedoch aus verschiedenen Gründen schwerer als gedacht. Zum einen regnete es wie aus Eimern, was ich möglicherweise bereits erwähnt habe. Außerdem befanden wir uns nun nicht mehr in Großbritannien, sondern hatten irgendwo inmitten des grüngrauen Einerlei die Grenze zur Republik Irland überschritten. Das bedeutete, dass wir hier eine andere Landesvorwahl wählen mussten und diese hatte ich vorsorglicher Weise nicht mit herausgesucht. Wir mussten also zunächst einen Einheimischen finden, der uns hier weiterhelfen konnte.

Ein kleiner See mitten in den grünen Wiesen

Ein kleiner See mitten in den grünen Wiesen

Der erste Ire, den wir trafen, war ein freundlicher wenn auch schrulliger alter Mann mit nur einem halben Ohr, der leider nicht die geringste Ahnung hatte, welche Landesvorwahl seine Heimat hatte. Er gab mir jedoch ein paar Telefonbücher in denen ich relativ erfolglos herumblättern durfte. Schließlich trafen wir einen weiteren Mann, der mir sein Telefon zur Verfügung stellte, so dass ich auch ohne eine Ländervorwahl anrufen und herausfinden konnte, dass die im Internet angegebene Nummer falsch war.

Wir mussten unser Glück also doch wieder direkt vor Ort versuchen und standen damit prompt erneut vor verschlossenen Türen. Das die Einheimischen hier nun bedeutend freundlicher waren, als ihre nördlichen Nachbarn konnte man leider nicht behaupten. Man behandelte uns wie Aussätzige, starrte uns an, folgte uns teilweise sogar mit Sicherheitsabstand um herauszufinden, ob wir etwas böses im Schilde führten und war nicht einmal bereit, uns ein Telefon zu leihen, damit ich beim Pfarrer aus dem Nachbardorf anrufen konnte. „Geht doch einfach hin!“ sagte die Frau kalt, „es sind ja nur drei Kilometer!“ Der einzige Ort, an dem mir zumindest mit einem Telefon ausgeholfen wurde, war die Dorfkneipe. Hier erreichte ich den Mann, der gewissermaßen als Oberpfarrer für die Region zuständig war. Seine Aussage lautete in knappen Worten zusammengefasst: „Leckt mich am Arsch und schert euch dorthin wo der Pfeffer wächst!“

Landschaftlich unterscheidet sich Irland nicht so sehr vom Rest der britischen Inseln

Landschaftlich unterscheidet sich Irland nicht so sehr vom Rest der britischen Inseln

Ich muss sagen, ich bin wirklich etwas stolz auf mich , dass ich es schaffte, diese Aussage nicht einfach so stehen zu lassen und wütend aber machtlos den Rückzug anzutreten. Ich lieferte mir einen erbitterten Streit mit dem Mann, der da einfach behauptete, ein Pfarrer zu sein, obwohl er sich unchristlicher verhielt als man es sich nur vorstellen konnte. Eine seiner Begründungen warum er uns nicht helfen wollte war, dass wir ja auch keine Hilfe von ihm bekommen hätten, wenn wir ihn gar nicht erst erreicht hätten. Andere Highlight waren: „Warum helfen dir denn nicht einfach die Leute, die dir eh schon das Telefon leihen?“ oder „Was fällt dir überhaupt ein, mich hier zuhause anzurufen?“ Bei Letzterem muss man vielleicht erwähnen, dass es die offizielle Nummer der Kirche war, die auch im Kirchenmagazin ausgeschrieben wurde und die als Kontakt auf der Homepage zu lesen war.

Die katholische Kirche ist hier nun wieder die Hauptkirche

Die katholische Kirche ist hier nun wieder die Hauptkirche

Der Hauptgrund für seine Ablehnung steckte jedoch in dem Satz: „Woher weiß ich denn, dass ihr nicht plötzlich mit einer Waffe hinter mir steht, wenn ich euch einlade?“ verborgen. Er hatte Angst. Er war noch nie darum gebeten worden, irgendjemandem zu helfen und ging tatsächlich davon aus, dass er uns nicht trauen konnte, da wir bestimmt versuchen würden ihm irgendetwas negatives antun zu wollen. Irgendwie schien auch das noch eine Folge des Krieges zu sein, in dem jeder das Gefühl vermittelt bekommen hatte, niemandem trauen zu können. Vielleicht lag es an dem Grenzgebiet hier, denn es bezog sich ja nicht nur auf den Pfarrer sondern auf alle Menschen, denen wir begegneten. Sie sprudelten geradezu über vor Misstrauen, Missgunst und Skepsis. Heiko, der die Zeit bis zu meiner Rückkehr in der Kirche verbrachte, wurde dort allein vier Mal von Einheimischen aufgesucht, die ihn ausquetschen wollten, warum er denn als Fremder ausgerechnet in ihrer Kirche saß. Ich habe keine Ahnung, was hier damals wirklich vorgefallen ist und wie schlimm es war, aber das was es mit den Menschen gemacht hat, ist wirklich grauenhaft. So unangenehme, abstoßende, unhilfreiche und zugleich aufdringliche Menschen haben wir noch nirgendwo kennengelernt. Ihr erinnert euch vielleicht noch, was ich damals darüber geschrieben habe, wie es sich in dem Sinti und Roma Dorf angefühlt hatte. Im Nachhinein betrachtet war dies die reinste Willkommensparty gegenüber dem, was hier erlebten. Während ich den Pfarrer also fragte, ob er nicht doch ein Herz habe, ob nur ein Funken Glaube und Gottvertrauen in ihm steckte oder ob er den Titel des Pfarrers im Lotto gewonnen hatte, schlug sich Heiko nun mit seiner Hobby-Stasi-Gefolgschaft herum. Am Anfang blieb er noch höflich, aber nach dem dritten Mal war es damit dann vorbei.

Die Grenze wischen grauem Himmel und nebligen Feldern verschwindet

Die Grenze wischen grauem Himmel und nebligen Feldern verschwindet

„Pssssst! Das ist eine Kirche und hier wird gebetet nicht gequatscht!“ harschte er den Mann an, der ihn gerade anquatschen wollte.

„Aber ich wollte doch nur wissen....“ stammelte der Mann.

„Nein! Du bist in einer Kirche, also setz dich hin und bete, wie es sich gehört!“ schnitt Heiko ihm das Wort ab. Der Mann war so überrascht und irritiert, dass er sich tatsächlich sofort auf eine Bank setzte und ein paar Sekunden lang so tat als würde er beten. Dann verschwand er auf dem schnellsten Wege nach draußen.

Wie immer hängt der Himmel voll mit schweren Gewitterwolken

Wie immer hängt der Himmel voll mit schweren Gewitterwolken      s

Heiko blätterte indes in einem Kirchenmagazin und stieß dabei über eine Lobeshymne der Kirche an sich selbst nach der nächsten. Fünf Pilgerreisen zu heiligen Orten wurden angeboten oder beschrieben, um zu zeigen was die Kirche alles unternahm. Es gab einen Erfahrungsbericht über die Missionarsarbeit irgendwo in einem Dritte Welt Land, in der ein tapferer Pfarrer seit über zehn Jahren in schier unvorstellbarer Armut lebte, um den lausigen Heiden das Christentum näher zu bringen. Doch die dummen Säcke wollten einfach nicht! Es gab Berichte darüber, was alles für die Armen und die Obdachlosen in diesem Land getan wurde, wo man wieder Essen und Geld für ein Charity-Projekt gesammelt hatte, dass am Ende nur wieder die Krebs-Forschungsabteilung eines Milliardenschweren Pharmakonzerns unterstütze.

Die Berge verschwinden in den Wolken

Die Berge verschwinden in den Wolken

Das alles noch einmal zu vergleichen und zu sehen, wie die Menschen hier wirklich drauf waren, machte schon ein sehr komisches Gefühl im Bauch. Das einzige Wort, dass mir dazu in den Sinn kam, war „Heuchelei“ und das aber vom Feinsten.

Am Ende schaffte ich es übrigens, den Pfarrer dazu zu bringen uns zumindest einmal persölich anzuhören und seine Entscheidung noch einmal zu überdenken. Innerhalb von drei Tagen war dies am Ende das zweite Mal, dass wir ein 100%iges „NEIN!“ in ein Ja verwandeln konnten.

Spruch des Tages: Nur weil man eine Grenze überquert, heißt das nicht, dass dadurch alles besser wird.

Höhenmeter. 190m

Tagesetappe: 22 km

Gesamtstrecke: 25.115,27 km

Wetter: bewölkt

Etappenziel: Gemeindehaus, Montigny, Frankreich

Heiko Gärtner
Heiko Gärtner ist Wildnismentor, Extremjournalist, Survivalexperte, Weltreisender und einer der führenden Experten auf dem Gebiet der Antlitz- und Körperdiagnostik. Nachdem er einige Jahre als Agenturleiter und Verkaufstrainer bei einer großen Versicherungsagentur gearbeitet hat, gab er diesen Job auf, um seiner wahren Berufung zu folgen. Er wurde Nationalparkranger, Berg- und Höhlenretter, arbeitete in einer Greifenwarte und gründete schließlich seine eigene Survival- und Wildnisschule. Seit 2014 wandert er zu Fuß um die Welt und verfasste dabei mehrere Bücher.

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