Tag 1332: Rumtreiber oder Segen?

von Heiko Gärtner
24.01.2018 18:12 Uhr

Fortsetzung von Tag 1331:

Sind Sie ein Rumtreiber?

In der nächsten Ortschaft wollte ich in einem Laden nach etwas zum Essen fragen und wurde von einer alten Frau angesprochen. „Are you a stranger?“ fragte sie, war übersetzt so viel heißt wie „Sind die ein Fremder“ oder ein „Rumtreiber“? Ich bejahte und erzählte, dass wir für einen guten Zweck umherreisten und dass ich hoffte etwas essen zu bekommen, damit wir am Abend nicht hungern müssten. Die Frau gab sich mitfühlend und interessiert, bis die Verkäuferin zurück kehrte und sagte: „Tut mir leid, aber der Chef ist nicht da, da kann ich nichts machen!“

„Oh, na dann noch einen schönen Abend!“ sagte die Alte schnell und verschwand hinter einem Warenregal.

Franz bei der Neuberechnung der Route.

Franz bei der Neuberechnung der Route.

Die Segnung

Später kam ich an das Haus des alten Pärchens, das als einziges neben der Landwirtschaftsschule lag, in der wir übernachten durften. Sie lebten in einem kleinen Häuschen direkt an der Hauptstraße und waren sichtlich vom Leben gezeichnet. Die Frau hatte keinen Zahn mehr im Mund und der Mann wirkte, als hätte er kaum mehr einen Tropfen Blut im Körper. Es wäre also nachvollziehbar gewesen, wenn sie frustriert oder ängstlich gewesen wären doch das war nicht der Fall. Vier Mal schaute die Frau in die Tüte mit Lebensmitteln, die sie uns zusammengestellt hatte, ging alles noch einmal durch prüfte, was noch fehlen könnte und legte noch etwas hinzu.

Fernwanderung

Fernwanderung

„Ein Pfarrer sind Sie nicht, wenn ich das richtig verstanden habe!“ sagte sie dann, „aber ein Mönch, richtig?“

„Richtig!“ sagte ich.

„Würden Sie mich und meinen Mann dann segnen?“ fragte sie hoffnungsvoll.

Wir hatten selbst schon einige Segnungen von Pfarrern und Mönchen erhalten und es hatte meist sehr gut getan. Eine Segnung, so mystisch das zunächst auch klang, war letztlich nichts anderes, als die Aussprache guter Wünsche und kraftvoller Worte für den anderen, die vom Herzen kamen und bei denen man sich mit Gott, der Urquelle oder dem Alles verband.

„Ja, sehr gern!“ antwortete ich.

Heiko Gärtner mit wehendem Haar

Heiko Gärtner mit wehendem Haar

„Mann! Herkommen, es wird gesegnet!“ schrie sie ins Innere des Hauses, woraufhin ihr Mann an die Tür trat. Ich schloss die Augen, stellte mir vor, wie eine helle, liebende und schützende Lichtsäule zwischen uns dreien, Mutter Erde und dem Universum entstand und versuchte alles loszulassen, so dass die Worte durch mich hindurch fließen konnten. Die beiden waren christlich und brauchten daher auch christliche Symbole, um den Segen annehmen zu können. Also bekreuzigte ich mich und sagte: „Im Namen des Vaters, des Sohnes und des heiligen Geistes!“ Dann legte ich je eine Hand auf ihre Köpfe und fuhr fort: „Lieber Vater! Bitte segne diese beiden Menschen, so dass sie ein erfülltes und glückliches Leben voller Gesundheit und Lebensfreude führen können, dass sie den Herbst Ihres Lebens genießen und die Früchte ernten können, die sie in den vergangenen Jahren gesät und gepflegt haben. Schenke ihnen liebe Menschen, die für sie da sind und die stets ein offenes Ohr für sie haben. Schenke ihnen deine Liebe und lass sie erkennen, dass du stets in allem bist, so dass sie sich vor nichts fürchten müssen. Amen.“

Keks-Experte Heiko Gärtner bei der neusten Geschmacksprobe

Keks-Experte Heiko Gärtner bei der neusten Geschmacksprobe

Die Frau war sichtlich gerührt und legte mir nun nach allem, was sie mir ohnehin schon geschenkt hatte auch noch einen Geldschein mit in die Tüte.

„Falls ihr morgen Früh noch etwas braucht, bevor ihr weiter zieht, kommt gerne vorbei und fragt!“ sagte sie zum Abschied.

Fortsetzung folgt...

Spruch des Tages: Nur weil man eine Grenze überquert, heißt das nicht, dass dadurch alles besser wird.

Höhenmeter. 60m

Tagesetappe: 17 km

Gesamtstrecke: 25.180,27 km

Wetter: bewölkt, teilweise Regen

Etappenziel: Mehrzweckraum der Stadt, Antrain, Frankreich

Heiko Gärtner
Heiko Gärtner ist Wildnismentor, Extremjournalist, Survivalexperte, Weltreisender und einer der führenden Experten auf dem Gebiet der Antlitz- und Körperdiagnostik. Nachdem er einige Jahre als Agenturleiter und Verkaufstrainer bei einer großen Versicherungsagentur gearbeitet hat, gab er diesen Job auf, um seiner wahren Berufung zu folgen. Er wurde Nationalparkranger, Berg- und Höhlenretter, arbeitete in einer Greifenwarte und gründete schließlich seine eigene Survival- und Wildnisschule. Seit 2014 wandert er zu Fuß um die Welt und verfasste dabei mehrere Bücher.

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