Mammographie

von Franz Bujor
12.06.2014 18:26 Uhr

Als wir vom Hotel auf die Straße traten war es bereits heißer als gestern zur Mittagszeit. Es versprach also, ein wirklich, wirklich sonniger Tag zu werden. Wir verließen die Schnellstraße und kamen auf den Jakobsweg zurück, der sich zwischen Bäumen und Weinfeldern hindurchschlängelte. Im Schatten war es angenehm zu gehen. Man durfte nur nicht in die Sonne geraten. Jetzt ohne einen Hut zu wandern war mehr als nur gefährlich. Zum Glück hatte der Strohhut seine beiden Selbstmordversuche in Santiago überlebt, so dass wir beide noch immer eine Kopfbedeckung hatten.

Einige Kilometer weiter kamen wir nach Caldas de Reis, wo wir uns ein Frühstück, bzw. Mittagessen besorgten. In einer Bäckerei bekam ich dabei außerdem eine Packung Kekse geschenkt, die ich anschließend weiterverschenken wollte. Ich hätte nicht gedacht, dass dies hier noch schwieriger sein könnte, als jemanden um Hilfe zu bitten. Die Menschen waren so misstrauisch, dass sie mich für das Angebot fast gelyncht hätten. Und das, obwohl ich dazu sagte, dass ich kein Zucker aß und die Kekse daher nicht selbst würde essen können. Doch die Menschen hatten solche Angst davor, etwas von einem Fremden anzunehmen, dass sie so schnell wie möglich weitergingen. Die fehlende Hilfsbereitschaft, die wir so oft erfahren hatten, hatte also wirklich in erster Linie mit Angst zu tun. Vertraue niemandem! Nicht wenn er dich um etwas bittet und auch nicht wenn er dir etwas anbietet! Heiko erinnerte sich an einen Mann, den er einmal getroffen hatte. Er war sehr reich, dabei aber auch sehr unglücklich gewesen und hatte deshalb beschlossen einen Teil seines Geldes an Menschen zu verschenken, von denen er glaubte, dass sie es verdient hatten. Er ging mit 10.000€ durch die Straßen und bot sie den Menschen als Geschenk an. Einigen wollte er alles geben, anderen einen kleinen Teil, doch niemand wollte es annehmen. Jeder vermutete, dass es sich bei seinem Geschenk um eine Finte handelte. Nicht einmal als er den Betrag in 1 bis 5 Euro aufspaltete wollten es die Leute annehmen. Nach 10 Tagen gab er enttäuscht auf. Doch das war noch nicht alles! Er legte einen Teil des Geldes in seine Tasche, so dass es herausschaute und ließ beides am Straßenrand stehen. Es dauerte keine 10 Minuten, bis es jemand gestohlen hatte. Als Geschenk, wollte es niemand annehmen, weil er moralische Bedenken hatte, doch es sich einfach aus einer Tasche zu nehmen, war für die Menschen ok. Das sagt einiges über uns aus, oder?

Meine Kekse wurde ich dann schließlich aber doch noch los. Ich verschenkte sie an andere Pilger, die sich riesig darüber freuten. Von Pilger zu Pilger war es also etwas anderes. Hier konnte man ohne Probleme Geschenke annehmen und verteilen. Geben ist bekommen! Es dauerte keine Stunde bis wir auf zwei Französinnen trafen, die uns einfach so zwei Packungen mit Trockenfrüchten schenkten.

Um aus der Stadt herauszukommen fragten wir einen deutschen Pilger nach dem Weg. Die Einheimischen taten sich oft schwer damit, den Weg in die entgegengesetzte Richtung zu beschreiben, doch der Pilger war ihn ja gerade erst vor ein paar Minuten gegangen und so brauchte er sich für die Beschreibung nicht anstrengen. Er wanderte gemeinsam mit vier anderen Männern, die jedoch schon etwas schneller unterwegs gewesen waren. Seine Frau hingegen hatte er zu hause gelassen. „Sie geht nie weiter als vom Haus bis ins Auto und vom Auto bis ins Büro, da konnte ich sie nicht überreden!“ sagte er. Damit lag seine Frau im absoluten Schnitt der Deutschen. 800m gehen wir durchschnittlich am Tag. 30km wären das Minimum, um unseren Körper fit zu halten.

Hinter Caldas de Reis suchten wir uns einen Platz im Schatten, um unser Picknick zu veranstalten. Eine Frau um die 60 gesellte sich zu uns und freute sich über die Orangen, die wir ihr anboten. Sie wanderte ebenfalls von Porto aus und genoss es, den Weg für sich alleine zu beschreiten. Sie erzählte uns, dass sie vor einigen Jahren Brustkrebs hatte, diesen mit Hilfe einer OP jedoch besiegen konnte. Ihrer Schwester erging es nicht so gut. Bei ihr wurde der Brustkrebs während der Schwangerschaft diagnostiziert und sie starb kurze Zeit später. „Ich weiß, dass es wichtig ist, an sich selbst zu arbeiten, wenn man Krebs hat und dass die Krankheit immer mit großen psychischen Themen verbunden ist. Doch bei einem selbst ist es oft schwer sie zu verstehen. Bei meiner Schwester und auch bei einer Freundin von mir fiel es mir deutlich leichter, die Zusammenhänge zu erkennen. Meine Freundin wählte damals einen anderen Weg. Sie wusste nicht, woran es lag, dass sie den Krebs bekommen hatte und änderte daher alles in ihrem Leben. Dennoch bekam sie eine Chemotherapie. Sie nahm sich fest vor, zumindest so lange zu überleben, bis ihre Kinder erwachsen waren und genau das hat sie auch geschafft. Sie lebte zehn Jahre länger, als die Ärzte es ihr prophezeit haben.“

Brustkrebs war in der Familiensystematik unserer Gesprächspartnerin ein großes Thema. Ihre Oma hatte ihn gehabt, ihre Mutter auch und nun sie und ihre Schwester. Über die Erbanlagen lässt sich bis heute nicht sagen, ob die Veranlagung zu Brustkrebs vererblich ist, doch auf der psychologischen Ebene ist es eindeutig, wie die entsprechenden Lebensthemen von einer Generation an die nächste weitergegeben werden. „Ich hoffe nur,“ sagte sie, „Ich konnte das Thema lösen, bevor ich es auch an meine Tochter weitergegeben habe.“ Doch die Chancen für die Tochter stehen gut. Sie hat zunächst versucht eine Karriere zu machen, war dann jedoch im Burnout gelandet. Als sie merkte, dass dies nicht ihr Leben sein konnte, brach sie alle Zelte ab und lebt seither mit ihrem ägyptischen Mann in Ägypten, wo sie gemeinsam eine Kite-Surfing Schule haben. „Am Anfang hat es sich komisch angefühlt, dass sie nach Ägypten auswandern wollte, doch jetzt finde ich es großartig! Ich habe sie nie zuvor so glücklich und zufrieden erlebt und das ist ja die Hauptsache!“ Auch der Kontakt sei deutlich besser gewesen. In der Zeit in der sie alle in Hamburg gelebt hatten, hatten sie sich einmal im Monat besucht. Nun schrieben sie täglich, telefonierten viel und alle paar Wochen flog die Mutter mit einem günstigen Flieger nach Ägypten, um die Tochter zu besuchen. Teurer, als mit dem Auto nach Süddeutschland zu fahren sei dies auch nicht, meinte sie.

Im Weitergehen erinnerte sich Heiko an eine Begegnung, die er auf dem letzten Jakobsweg vor vier Jahren hatte. Damals hatte er sich lange mit einer Frauenärztin unterhalten, die ihm viel über Brustkrebs und die Machenschaften der Onkologie erzählt hatte. Irgendwie waren sie auf das Thema Mammographien und auf deren Zuverlässigkeit gekommen. Die Ärztin erzählte, dass sie immer wieder Fälle hatte, in denen Frauen zu ihr kamen, die von einem anderen Arzt eine Brustamputation verordnet bekommen hatten. Meist waren es jüngere Frauen, die mit ihrer Weiblichkeit und ihrer Sexualität noch ganz und gar nicht abgeschlossen hatten und die daher eine zweite Meinung einholen wollten, bevor sie etwas unternahmen. Bei ihrer eigenen Untersuchung stellte die Gynäkologin immer wieder fest, dass es keine Anzeichen von Brustkrebs gab. Verunsichert durch diese widersprüchlichen Ergebnisse forschte sie genauer nach, wie zuverlässig dieser Test war, der so routinemäßig tag-täglich durchgeführt wurde. Das Ergebnis war erschreckend. Bei 2000 untersuchten Frauen war gerade einmal eine dabei, die von der Früherkennung profitierte. 10 Frauen hingegen bekamen eine Fehldiagnose. Das bedeutet im Klartext, dass sie Krebs diagnostiziert bekommen obwohl sie kerngesund sind. Die Diagnose hat dann natürlich zufolge, dass sie in den meisten Fällen eine lange, schmerzhafte und äußerst gefährliche ‚Behandlung’ über sich ergehen lassen müssen.

„Nur um sicher zu gehen,“ hatte Heiko damals mit äußerst zynischem Unterton in der Stimme gefragt, „mit ‚behandelt’ meinst du, sie bekommen ihre vollkommen gesunde Brust abgeschnitten oder sie werden mich Chemotherapien vollgestopft, bis ihnen die Haare ausfallen, die Zähne wegfaulen und ihre Organe innerlich verrotten, so dass sie schließlich draufgehen?“

„Das sind drastische Worte, aber die beschreiben es sehr genau,“ bestätigte die ehemalige Ärztin.

„Ich finde ehrlich gesagt nicht, dass das zu drastisch formuliert ist!“ protestierte Heiko, „denn wenn man es einmal ganz faktisch betrachtet, dann ist es Mord, was da passiert. Ich finde nicht, dass man das durch schöne Worte herunterspielen sollte.“

„Da hast du auch wieder Recht. Erst vor kurzem habe ich eine Studie entdeckt, bei der herauskam, dass 0,4 Prozent der Frauen, die eine Mammographie machen ließen an Brustkrebs sterben. Bei Frauen, die keine Früherkennungsuntersuchungen machen ließen waren es hingegen nur 0,3 Prozent. Die Mammographie als solche ist also bereits ein Verfahren, dass mehr schadet als es hilft. Und der Schaden reicht tatsächlich bis hin zum Tod von Menschen, die ohne die Vorsorge gesund geblieben wären.“

Nur noch mal um das ganze auch in der richtigen Relation zu sehen: In China gilt Brustkrebs nicht einmal als eine Krankheit. Er wird als eine Energieblockade im Körpers wahrgenommen, die mit einigen Stunden medizinischen Qi Gongs wieder ausgeglichen wird. Auch wenn es die Ärzte hier nicht wahrhaben wollen, gibt es in China tatsächlich keine Brustkrebsfälle mit Todesfolge. Die Qi Gong Therapie, die ja nicht einmal als eine Therapie angesehen wird, hat eine Heilungsquote von 100%!

Einige Kilometer weiter südlich trafen wir auf ein australisches Pärchen, das uns frisch geerntete Kirschen anbot. Wir, die wir nichts vom normalgewordenen Mistrauen gegenüber Geschenken wussten, nahmen sie dankbar an und bereuten es keine Sekunde. Sie waren fantastisch!

Als wir den beiden etwas über unsere Reise erzählten, luden sie uns gleich zu sich nach hause ein, vorausgesetzt, wir kamen nach Australien. Der Mann, der ein bisschen so aussah wie Crocodile Dundee und auch mindestens so cool war, arbeitete in einem Projekt, dass sich um die Verständigung von Aborigines und Einwanderer kümmerte. Wenn wir also nach Australien kamen, dann konnten wir von ihm sicher viel lernen und gezeigt bekommen. Noch ein Grund mehr, auch die andere Seite des Planeten zu besuchen.

Keinen Kilometer später kam noch ein weiterer Grund hinzu. Ein junges Pärchen aus Japan kreuzte unseren Weg und erzählte uns vom 88-Tempel-Weg. Dies war ein Pilgerweg in Japan, der an 88 unterschiedlichen Buddhistischen Tempeln vorbeiführte, die man alle besichtigen und bei denen man für eine gewisse Zeit mitleben durfte. Die beiden unterhielten eine Herberge an diesem Weg und waren nun nach Spanien gekommen um ein wenig Werbung für das Pilgern in Japan zu machen. Die junge Frau vertrug Spanien jedoch nicht ganz so gut. Immer wenn sie über die Grenze kam, bekam sie eine heftige Allergie. Sie war so stark, dass sie mit einem Mundschutz wanderte, der ein bisschen so aussah, als wollte sie gerade eine Bank ausrauben. In Portugal hatte sie das Problem nicht gehabt, erst ab der Grenze. Da sich die Natur nicht großartig unterscheidet, wird es wahrscheinlich eher an den Spritzmitteln liegen, die hier verwendet werden. Wie zur Bestätigung kamen wir kurz darauf an einer alten Einheimischen vorbei, die ihre Rosen mit einer Giftmischung aus einem Tank auf ihrem Rücken versorgte.

Am späten Nachmittag holten wir die beiden Portugiesen wieder ein. Sie hießen Sarah und Dee und waren gerade am Ende einer einjährigen Weltreise. Sie hatten sich Asien, Australien, Neuseeland, Lateinamerika und schließlich Europa angeschaut. Von Deutschland aus waren sie dann nach Santiago geflogen und wanderten nun die letzten Kilometer bis nach Porto, wo ihre Familie, ihre Wohnung und ihre Arbeit auf sie warteten. Gemeinsam wanderten wir zu einer kleinen Herberge, in der uns ein lustiger Mann in einem Rollstuhl empfing. Er machte einige Witze über die Pilger und meinte, als Deutscher müsse man hier auf der Straße vor der Herberge übernachten, nahm uns dann aber wohlwollend und gratis auf. Als wir ihn sahen mussten wir an eine Geschichte denken, die uns ein Mann gestern Nachmittag erzählt hatte. Genau jetzt befand sich irgendwo auf unserem Weg eine Frau aus Leipzig, die den Jakobsweg mit einem Rollstuhl zurücklegte. Sie war jedoch nicht nur gelähmt sondern auch blind und reiste gemeinsam mit einigen Freunden. Letztes Jahr hatte sie den französischen Jakobsweg bewältigt und dieses Jahr war der portugiesische dran. Dabei hatte sie diesmal auch ihren Mann mitgenommen, der ebenfalls im Rollstuhl saß. Wir hatten eigentlich gehofft, die beiden heute zu treffen, aber vielleicht passiert das ja morgen noch.

Spruch des Tages: Das Leben ist zu kurz, um sich zu langweilen.

Höhenmeter: 160 m

Tagesetappe 16 km

Gesamtstrecke: 3241,47 km

Franz Bujor
Franz Bujor ist Wandermönch, Web-Nomade und Autor. Nach einem Studium in Kulturwissenschaften, bei dem er unter anderem bei einem Maya-Volk in Guatemala gelebt und in einem Kinderheim in Serbien gearbeitet hat, war er zunächst als Erlebnispädagoge und Wildnismentor tätig. 2014 ließ er sein bürgerliches Leben hinter sich und reist seither zu Fuß und ohne Geld um die Welt. Neben seinem eigenen Entwicklungsweg schreibt Franz besonders gerne über geschichtliche und gesellschaftliche Themen.

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