Spanische Volksfeste

von Franz Bujor
15.06.2014 18:17 Uhr

Um 17:00Uhr sollte es in Arcade zum großen Kampf zwischen den Franzosen und den einheimischen Spaniern kommen. In irgendeinem Jahr vor einigen Jahrhunderten fand genau hier auf der Brücke über dem Fluss die historische Schlacht statt, die Spanien vor den bösen Franzosen rettete. Galizien war bereits eingenommen worden und die französische Armee hielt unaufhaltsam auf den Rest von Spanien zu! Wirklich unaufhaltsam? Nicht ganz! Ein kleines Dorf an der Westküste leistete noch immer akuten Widerstand. Mit Mistgabeln, Sensen und Keulen verteidigten sie ihre steinerne Brücke und schlugen die Eindringlinge in die Flucht. Spanien war gerettet.

Unser portugiesischer Pilgerfreund erzählte uns begeistert von dem kommenden Spektakel, das dieses große historische Ereignis nachstellen sollte. Über unsere Witze zu diesem Thema konnte er nicht wirklich lachen, weil die Schlacht für ihn ein ernstes Thema war. „Warum haben die Franzosen nicht einfach die nächste Brücke genommen?“ fragte ich mit ironischem Unterton und deutete dabei auf die moderne Eisenbahnbrücke in hundert Metern Entfernung. Er sah mich streng an und wollte gerade mit einer Erklärung beginnen, als er merkte, dass die Frage nicht ernst gemeint war. Wir konnten die Veranstaltung nicht ganz so ernst nehmen und waren auch nicht wirklich froh darüber, das die Franzosen verloren hatten. „Eigentlich ist es auch ein bisschen Schade, denn wenn die Geschichte anders verlaufen wäre, dann gäbe es hier jetzt vielleicht anständiges Essen!“ scherzte Heiko.

Dabei konnten wir uns über das Essen heute nicht beschweren. In der Bar hatten wir einen guten Kartoffelsalat und frisch frittierte Sardinen bekommen. Was die Sardinen anbelangt, waren wir äußerst skeptisch und wollten sie schon verschenken, als wir feststellen mussten, dass die Dinger sogar schmecken konnten, wenn man sie richtig zubereitete. Wer hätte das gedacht?

Um 17:30 kamen die ersten gewandeten Krieger und wanderten gemeinsam hintereinander über die Brücke. Franzosen und Spanier friedlich Seite an Seite und ohne einen spektakulären Kampf. Zu diesem Zeitpunkt glaubten wir noch daran, dass dieser schon noch kommen würde, doch wir wurden endtäuscht. Später wanderte die ganze Bagage wieder zurück, dann gab es Musik und eine langweilige Rede. Anschließend wieder Musik und noch eine Rede. Danach folgte abermals Musik und dies war nun der Zeitpunkt an dem wir den Schauplatz verließen, weil wir beschlossen, das wir unsere Zeit auch sinnvoller nutzen konnten. Das einzig Spannende an diesem Spektakel waren die Gesichter der Menschen. Obwohl es ein Freudenfest sein sollte, war kein einziger unter ihnen, der lächelte oder fröhlich schaute. Von den Jungs, die vor und nach den Soldaten von der Brücke ins Wasser sprangen vielleicht einmal abgesehen.

Im Ort trafen wir auf eine ältere Frau, die eine starke Gehbehinderung hatte. Sie war in Gütersloh aufgewachsen wo ihr Vater bei Bertelsmann gearbeitet hatte. Seit er in Rente war, lebten sie hier. „Jedes Jahr machen sie dieses Schauspiel!“ klagte sie, „Ich hasse es! Es war damals schon eine brutale Schlacht, bei der sich Menschen gegenseitig umbrachten! Es ist Geschichte und ich finde man sollte sie auch Geschichte lassen. Es gibt keinen Grund, sie wieder aufleben zu lassen!“ In diesem Moment hörte man die Schüsse aus den Gewähren der französischen Soldaten. Zwei Minuten lang war es laut. Dann war die Schlacht vorbei. Wir hatten also wirklich nichts verpasst. Und die Frau hatte Recht! Warum wurden ausgerechnet solche Kriegsgeschehen als Feiertage hochgehalten?

Am Abend unterhielten wir uns noch eine ganze Weile mit dem Deutschen Mitpilger, der uns über viele Dinge vor allem zum Thema Giftstoffe im Alltag ausfragte. Dabei wurde mir noch eine weitere Sache bewusst. Alle Gifte, mit der wir uns selbst zerstören, vom Aluminium über Kunststoffe mit Weichmachern, Teer, Pestizide, Chemische Nahrungsergänzungsmittel und so weiter, wurden erst in den letzten 150 Jahren erfunden. Es ist genau jene Zeitspanne, die wir als Moderne bezeichnen und auf deren Errungenschaften wir so unendlich stolz sind. Alles was vor der Erfindung der Elektrizität, der Entdeckung des Erdöls und der Verwendung von Aluminium war, ist in unseren Augen finsteres Mittelalter. Es ist Steinzeit, mit der wir nichts mehr zu tun haben wollen und von der wir uns so meilenweit abheben. Doch genau diese modernen Errungenschaften sind es auch, die die Überbevölkerung produzieren, die uns die Massenproduktion, die Umweltzerstörung, den Stress, den Auto- und Fluglärm und die vielfältige Vergiftung mit unzähligen chemischen Stoffen einbringen. Es sind die Wellen unserer Handys, des Internets und der Funkmasten, die unser Blut verklumpen lassen. Heute ist es uns fast unmöglich geworden, uns ein Leben ohne diese modernen Stoffe und Erfindungen auch nur vorzustellen. Es kommt uns vor, als wäre es schon immer so gewesen, und würde auch immer so bleiben. Doch wir sprechen tatsächlich über nicht mehr als 150 Jahre. In dieser Zeit haben wir es geschafft, mehr zu zerstören, als alle Generationen seit der Gründung Roms. Von der Kolonialisierung vielleicht einmal abgesehen. Ist das nicht ein Wahnsinn? Wenn wir es in nur 150 Jahren geschafft haben, dass wir zu einem Drittel an Herzversagen und zu einem Drittel an Krebs sterben, wenn wir uns Materialien erschaffen haben, die uns bereits zur Hälfte Steril gemacht haben und wenn wir es schafften, nahezu jedes Lebensmittel zu vergiften, das existiert, wie wollen wir diesen Fortschritt dann in Zukunft noch steigern? Müssen wir wirklich erst aussterben, bevor wir aufwachen?

Heute Morgen verließen wir die Herberge wieder einmal später als gedacht. Die Sonne stand bereits wieder hoch am Himmel und es war heiß wie selten zuvor. Der Weg jedoch war wunderschön und führte uns wieder durch kühle, schattige Wälder mit urigen, knorrigen Bäumen. Als wir Redondela erreichten, machten wir eine Pause auf dem Marktplatz. Auch hier wurden wir wieder Zeuge eines Festtagsumzugs, der jedoch ohne einen Kampf blieb. Dafür erinnerte er von der Stimmung an eine Beerdigung. Keine normale, sondern die einer Mutter Theresa oder eines Mahatma Gandhis. Der einzige Unterschied bestand in den Dudelsackspielern, die versuchten, die Stimmung mit ihrem Gedudel etwas aufzuhellen. Es gelang nur mäßig. Spannend war aber, dass weder Heiko noch ich Dudelsackspieler mit Spanien in Verbindung gebracht hätten. Doch es ist nicht das erste Mal, dass wir welche sahen. Anscheinend ist der Sack hier wirklich ein traditionelles Instrument.

Von hier aus wollten wir eigentlich den traditionellen Jakobsweg verlassen und auf die flachere Küstenroute wechseln. Doch leider kannte sich niemand in der Gegend aus, weder die Spanier, noch die deutsche Familie, die hier 28 Jahre lang gelebt hatte. Das einzige, was sie uns sagen konnten war, dass es eine Schnellstraße bis nach Vigo gab. Doch auf 12km Schnellstraßenwanderung hatten wir keine Lust. Vor allem, weil der Weg auch danach nicht ausgeschildert war und wenn wir überall auf so hilfreiche Wegbeschreiber stießen, dann waren wir ohne Karte und Wanderführer aufgeschmissen.

Wir blieben also auf dem bergigen Weg, was wir bereits eine halbe Stunde später bitter bereuten. Der Berg, der zwischen Redondela und Santa Baia lag, war steiler als alle zuvor. Das Wasser lief an uns herunter, wie bei einem Sturzbach. Hätten wir auf halber Höhe den Mann nicht getroffen, der uns Wasser mit Eiswürfeln in unsere Flaschen füllte, wären wir wahrscheinlich einfach ausgedörrt. Am Ende hätten wir dann genauso ausgesehen, wie die Schlange, die am Wegesrand lag.

In Santa Baia kamen wir zur städtischen Pilgerherberge, die jedoch von dem kleinen, gemütlichen Café Flora betreut wird. Zuvor hatten wir uns einen kühlen Raum gewünscht, in dem wir zu zweit schlafen konnten. Nun gab uns der Barmann wirklich genau das, was wir wollten. Die Herberge selbst kostete 6€ aber im Keller gab es einen kühlen Raum mit Notfallmatratzen, der zurzeit nicht benutzt wurde. Hier durften wir uns ausbreiten.

Vor dem Café fanden wir einen schönen schattigen Platz zum Arbeiten und entspannen. Dabei lernten wir eine Pilgerin kennen, von der wir noch Informationen über einen weiteren giftigen Alltagsgegenstand bekamen, über den wir uns bislang aus naheliegenden Gründen noch keine Gedanken gemacht hatte. Sie erzählte uns, dass sie vor kurzem einen Bericht über Tampons gesehen hatte. Dabei war aufgedeckt worden, dass die Baumwollprodukte nicht nur giftige Bleichmittel sondern auch hohe Pestizidbelastungen enthalten. Die Scheidenschleimhaut nimmt diese Stoffe extrem gut auf und leitet sie in den Organismus. In diesem Bereich konnten Stoffe vom Körper sogar noch besser aufgenommen werden, als über ein Zäpfchen. Der Bericht habe sich eher zurückgehalten, doch es wurde vermutet, dass die belasteten Tampons in einer direkten Verbindung mit Gebärmutterhalskrebs und mit einem Rückgang der Orgasmusfähigkeit vieler Frauen stehen.

Als wir später noch einmal über dieses Thema nachdachten, kam uns ein weiterer Gedanke. Wenn es wirklich stimmte, dass die Lustfähigkeit der Frauen durch Tampons verringert wurde, dann ließ das wieder einmal zwei Vermutungen zu. Entweder, es handelt sich dabei um eine Panne in der Herstellung, über die niemand nachgedacht hat, oder aber die Substanzen werden ganz bewusst und mit genau diesem Ziel verwendet. Warum sollte das jemand machen? Sexualität ist einer unserer stärksten Triebe und damit auch ein Mittel mit dem man uns besonders gut kontrollieren kann. Unsere ganze Werbung baut zu einem sehr großen Teil auf dem sexuellen Verlangen der Menschen auf und arbeitet hauptsächlich mit dem Versprechen, dass dieses durch ein verwendetes Produkt erfüllt werden kann. Vor allem bei Männern funktioniert das hervorragend. Noch besser funktioniert es jedoch, wenn man sicher stellt, dass das Sexualbedürfnis möglichst unbefriedigt bleibt. Beispielsweise, in dem man einem der Partner die Lust daran verdirbt....

Spruch des Tages: Jeder Tag an dem du nicht lächelst, ist ein verlorener Tag.

 

Höhenmeter: 280 m

Tagesetappe 19 km

Gesamtstrecke: 3287,47 km

Franz Bujor
Franz Bujor ist Wandermönch, Web-Nomade und Autor. Nach einem Studium in Kulturwissenschaften, bei dem er unter anderem bei einem Maya-Volk in Guatemala gelebt und in einem Kinderheim in Serbien gearbeitet hat, war er zunächst als Erlebnispädagoge und Wildnismentor tätig. 2014 ließ er sein bürgerliches Leben hinter sich und reist seither zu Fuß und ohne Geld um die Welt. Neben seinem eigenen Entwicklungsweg schreibt Franz besonders gerne über geschichtliche und gesellschaftliche Themen.

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