Tag 176: Der lange Weg nach Porto

von Franz Bujor
28.06.2014 21:26 Uhr

Die letzten Tage waren mehr als nur anstrengend. Seit wir Barcelos verlassen haben, gab es keinen einzigen ruhigen Moment mehr. Immer und überall herrschte ein permanenter Geräuschpegel, dem wir einfach nicht entkommen konnten. Heute erreichte das Lärmchaos mit dem Weg nach Porto dann seinen absoluten Höhepunkt.

Die letzte Nacht war für mich durch die elende Scheißerei so anstrengend gewesen, dass ich kaum ein Auge zugebracht hatte. Diese Nacht kam mir das zu guten, denn nachdem ich einmal im Bett lag, schlief ich wie ein Stein bis zum Weckerklingeln am nächsten Morgen durch. Heiko erzählte mir zwar später, dass ich mich im Schlaf hin und her gewälzt hatte als schliefe ich direkt auf einem Ameisenhaufen, doch ich hatte davon nicht das Geringste mitbekommen. Für Heiko hingegen war die Nacht die Hölle. Sein Schädel brummte und dröhnte die ganze Nacht hindurch und seine Ohren erzeugten eine Art Überschall, der sich wie ein zweiter Raum in seinem Geist anfühlte. Das allein reichte bereits aus um einen wahnsinnig zu machen, doch dabei blieb es nicht. Porto hatte kein Nachtflugverbot und so kam es dass alle zehn Minuten ein Flugzeug über uns hinwegdröhnte. Alle 15 Minuten schlugen außerdem die Glocken des Kirchturms, der sich direkt vor unserem Fenster auf der anderen Straßenseite befand. Und alle 20 Minuten raste ein Auto über genau jede Straße, die wie alle hier aus Kopfsteinpflaster bestand. Es gab also ein wahres Konzert an nervigen und lauten Geräuschen, die einem das Schlafen fast unmöglich machten. Fast, denn ich hatte von all dem wie gesagt nichts mitbekommen.

Am Morgen fühlte sich Heiko wie frisch erschlagen. Ich war hundemüde und hätte mich locker noch drei weitere Stunden ins Traumland zurückziehen können. Ein deutliches Zeichen dafür, dass ich die Geräusche unterbewusst doch mitbekommen hatte. Jetzt verstanden wir auch, warum unsere Gastgeberin schwerhörig war und den ganzen Abend lang geschrien hatte, wann immer sie uns etwas erzählte. Was wir hingegen nicht verstanden war, wieso sie hier wohnte, denn mit dem ganzen Lärm war dies ein wirklich unwirtlicher Ort.

Als wir uns von der alten Dame verabschiedet und uns für die liebe Bewirtung bedankt hatten, erzählte Heiko mir noch eine andere Anekdote aus der Nacht. Seinem Darm war es nun ähnlich ergangen, wie meinem in der Nacht zuvor. Als er auf die Toilette geeilt war, musste er jedoch feststellen, das unsere Gastgeberin das Wasser im Gäste-WC abgedreht hatte. Zum Glück hatte sie uns am Abend eine Karaffe mit Wasser ins Zimmer gestellt, die Heiko nun im Klo entleeren konnte. Waage erinnerte ich mich daran, ihn in der Nacht mit der Karaffe an meinem Bett vorrübergehen gesehen zu haben. Doch ich hatte zuvor geglaubt, es war lediglich ein Teil des Traumes.

So laut wie die Nacht wurde auch der heutige Tag. Wir wanderten über die Kopfsteinpflasterstraßen am Flughafen entlang und gerieten dabei immer tiefer in ein ausladendes Industriegebiet. Wie damals in Gijón wurden auch hier dichte graue und gelbe Rauchfahnen in den Himmel geblasen, bei denen keiner Wusste, was für Stoffe sie mit sich führten. Gesund sahen sie jedenfalls nicht aus. Links und rechts von uns tauchten nun auch noch Autobahnen auf, die sich vor uns zu einem riesigen Verkehrskreuz vereinten, das fast nicht zu überwinden war. Wir versuchten die Einheimischen nach einem Weg zu fragen, der uns ins Centrum von Porto führte, ohne dass wir dabei das Fegefeuer durchqueren mussten, doch es war zwecklos. Die Menschen waren wirklich nicht unfreundlich, aber in Bezug auf unsere Fragen absolut nutzlos. Da gab es zum einen die Zuschwaller, die uns einen kompletten Vortrag über Gott und die Welt hielten Dabei legten sie großen Wert darauf, jedes im Portugiesischen existierende Wort mindestens drei Mal zu verwenden, sofern es nicht das geringste mit einer Wegbeschreibung zu tun hatte. Worte wie ‚links’, ‚rechts’, ‚geradeaus’, ‚weiter bis zur Ecke,’ etc. schienen absolut Tabu zu sein. Dann gab es noch die Keine-Ahnung-Haber. Dies war eigentlich noch die beste Kategorie, denn sie gaben immerhin offen und ehrlich zu, dass sie nichts wussten. Trotzdem war es erschreckend zu sehen, dass es tatsächlich fast niemanden gab, der sich in seiner eigenen Stadt auskannte. Zumindest nicht, wenn es darum ging, irgendwo zu Fuß hinzukommen. Antworten wie: „Am Besten nehmt ihr die Metro bis nach .... und steigt dann in die Line 4“ oder „Ich kann euch sagen, wie ihr über die Autobahnen in die Innenstadt kommt, aber ich führte da dürft ihr mit euren Wagen nicht drauf laufen!“ bekamen wir zu Hauf. Doch am aller schlimmsten waren die notorischen ‚Ja’-Sager. Man fragt so etwas wie: „geht es hier nach Porto?“ und als Antwort erhält man ein freudiges „Ja!“ und ein Kopfnicken. Wenn man dann weitergeht landet man jedoch meist in einer Sackgasse oder irgendwo, wo man ganz sicher nicht landen wollte. Begegnet man den gleichen Menschen dann auf dem Rückweg erneut, grüßen sie einen freundlich und sind sich keiner Schuld bewusst. Derartige Situationen brachten uns heute einige Male dicht an die Verzweiflungsgrenze. Es kam nicht selten vor, dass wir nicht nur Porto, sondern die gesamte iberische Halbinsel verfluchten und uns am liebsten gleich nach Schweden oder Dänemark gebeamt hätten. Dort gab es immerhin gutes Essen.

Denn genau dies war ein weiteres Problem. Seit Wochen bestand unsere Ernährung fast ausschließlich aus Brot mit Wurst und Oliven. Von einigen Inseln der Kulinarik einmal abgesehen. Die immer gleichen Bars mit den immer gleichen Bocadilos oder Sandwiches hingen uns langsam wirklich zum Hals heraus. Bei mir, wie die letzte Nacht gezeigt hatte ja nicht nur im übertragenen, sondern auch im wörtlichen Sinne. Da sich unsere Mägen von der Komplettentleerung noch immer nicht ganz erholt hatten, verzichteten wir heute darauf, bei den Bars nachzufragen, bei denen wir bereits wussten, was es geben würde. Andere gab es jedoch nicht und so wurde dies der zweite Tag, an dem wir fast vollständig ohne Nahrung unterwegs waren. Ein Umstand, der weder unsere Stimmung noch unseren Energielevel sonderlich hochhalten konnte.

An unserem Autobahnkreuz jedenfalls hatten wir keine andere Wahl, als einmal komplett über alle Autobahnen hinweg auf die andere Seite zu schlappen. Es fühlte sich ein bisschen so an, als würde man durch ein Kriegsgebiet laufen, bei dem auf allen Seiten Kanonen abgefeuert werden. Nur dass es sich bei unseren Kanonen um Motoren handelte, und dass wir keine Angst davor haben mussten erschossen zu werden. In all dem Lärm wurden wir dann von einem jungen Sportwagenfahrer überholt, der seinen Wagen extra so aufgemotzt hatte, dass sein Motor besonders laut erklang. Es reichte ihm also nicht, dass es laut war, er musste unter allen lauten Geräuschen das lauteste sein, damit man ihn unter all den anderen noch immer wahrnehmen konnte. Auf eine abstruse Art konnte man das sogar nachvollziehen, doch ist es nicht traurig, dass wir so abgestumpft sind, dass wir wirklich so ein Mittel brauchen um uns damit Anerkennung zu erschaffen?

Je weiter wir uns Porto näherten, desto abstruser wurde das ganze. Wir kamen in gettoähnliche Bezirke, die halb verfallen und voller Graffiti und Müll waren. Dann änderte sich das Bild wieder vollständig und es sah wieder eher nach einem Dorf aus, durch das wir liefen. Eine Frau befreite ihr Gemüsebeet von Unkraut. Direkt neben der Autobahn und neben einem vor Jahrzehnten verlassenen Hochhausrohbau, der nie fertiggestellt wurde.

Auch die Tiere hatten sich an den Lärmpegel angepasst. Die Vögel schrien hier etwa drei oder vier Mal so laut wie im Wald. Wenn ein LKW vorrüberfuhr erhöhten sie ihre Stimmen sogar noch einmal und schafften es dadurch noch immer hörbar zu sein und den LKW zu übertönen. Auch die Hunde kläfften und bellten was das Zeug hielt und schafften es tatsächlich, uns noch mehr auf die Nerven zu gehen, als der Straßenlärm.

Doch das schlimmste war, dass es in dieser ganzen Einöde aus Industriegebieten, Hochhausgettos, Müllhalden und Schnellstraßen so gut wie keine Hinweisschilder gab. Menschen nach dem Weg zu fragen hatte sich als so erfolglos herausgestellt, dass wir es irgendwann aufgaben. Unsere Karte hatte die ganzen kleinen Vororte nicht einmal im Ansatz verzeichnet und auf den Straßenschildern stand von Porto nichts geschrieben. Wir mussten uns also allein auf unsere Intuition und den Stand der Sonne verlassen. Ich weiß leider nicht, wie oft wir damit richtig lagen und wie oft wir riesige Umwege machten, ohne es überhaupt zu merken. Doch langsam näherten wir uns der Innenstadt immer weiter an.

Auf dem folgenden Weg entdeckten wir ein großes Sport- und Freizeitgeschäft. Seit wir in Portugal waren, war dies der erste Laden, in dem man Sportartikel kaufen konnte. Dementsprechend gigantisch fiel der Markt auch aus. Wir betraten ihn mit zwei Zielen. Zum einen wollten wir schauen, ob es hier neue Schuhe für uns gab und zum anderen waren wir auf der Suche nach neuen Getränkeflaschen, die weder aus Aluminium noch aus Plastik bestanden. Doch beides erwies sich als unmöglich. Schuhe gab es auf mehr als zehn Reihen, doch darunter waren nur circa 12 Paare in unseren Größen. Die Hälfte davon waren so eng geschnitten, dass sie einem bereits nach wenigen Kilometern die Zehen einquetschten. Die übrigen waren entweder härter als Beton oder so weich, dass wir ihnen keine 200km zutrauten, bis sie auseinander fielen. Dazu waren die meisten auch noch derart teuer, dass es fast weh tat. Die Mission Schuhe kaufen war damit also gescheitert. Mit den Flaschen sah es ähnlich aus. Es gab zwar Unmengen davon, jedoch nur drei, die aus Edelstahl bestanden. Alle anderen waren aus Plastik oder Aluminium. Wie konnte es sein, dass wir unsere Trinkgefäße nur noch aus giftigen Materialien herstellen? Die Edelstahlflaschen waren Thermosflaschen in drei verschiedenen Größen, von denen jedoch keine die Passnorm eines handelsüblichen Fahrradflaschenhalters hatte. Noch so ein Mysterium, das uns nicht einleuchtete. Spannend war auch, dass uns im Laden niemand sagen konnte, ob die Flaschen wirklich aus Edelstahl bestanden. Weder auf der Produktbeschreibung noch am Regal war etwas vermerkt. Der Verkäufer, der an der Information die hinterlegten Daten zu den Flaschen abfragte, kam schließlich mit der folgenden Antwort zurück: „Sie besteht aus Metall. Sonst ist keine weitere Information vorhanden. Ich möchte Ihnen daher auch nichts Falsches sagen!“ Nach einer gut einstündigen und absolut erfolglosen Suche verließen wir frustriert den Laden. Bevor wir nun weitergehen konnten, brauchten wir erst einmal eine kleine Picknickpause.

Schließlich erreichten wir die erste Metrostation und damit einen guten roten Faden, der uns in die richtige Richtung führen konnte. Wir folgten der Metro, bis diese im Boden verschwand. Hier war nun zum ersten Mal Porto Centrum ausgeschildert. Der einzige Nachteil war, dass es sich bei dem Weg um einen Fußweg entlang einer sechsspurigen Schnellstraße handelte. Eine Schnellstraße, die durchgängig befahren war. Das heißt auf allen sechs Fahrbahnen fuhren die Autos mit einem Abstand von ca. 10 bis 20 Metern. Wir verstanden unsere eigenen Worte nicht mehr.

Anders als die Straße schien der Fußweg jedoch so gut wie nie benutzt zu werden. Denn die Bäume hatten ihn mit ihren Wurzeln fast vollständig zerstört. Zum Teil hatten wir hier auf diesem Fußweg entlang einer Hauptverkehrsstraße zum Zentrum der zweitgrößten Stadt des Landes größere Probleme mit unseren Wagen, als auf den felsigen Trampelpfaden im Gebirge. Und dann, von einem Moment auf den nächsten, endete der Weg und wir standen mitten auf der Schnellstraße. Wenn wir uns nicht in den Verkehr einfädeln wollten, dann blieb uns nur noch die Möglichkeit, nach links in eine kleine Seitenstraße abzubiegen. Doch damit verloren wir schon wieder unsere Richtung. Kurz darauf kamen wir an eine Feuerwehrstation. Wenn sich in dieser Stadt jemand auskannte, dann ja wohl die Feuerwehrmänner! Doch weit gefehlt! Sie empfahlen uns erst die Schnellstraße von der wir gerade kamen und dann die Metro. Schließlich meinten sie, wir sollten einfach entlang der Metroschienen laufen, die sich etwas östlich von uns befanden.

Die Idee war zwar gut, doch leider nicht umsetzbar, denn die Metro verlief an einer Stelle, an der es keine Wege gab. Wir folgten also wieder unserer Intuition. Schließlich kamen wir an eine Brücke, auf der wir den äußeren Stadtring überquerten. Von hier haus konnte es also nicht mehr allzu weit sein und wir waren sogar ungefähr an der Stelle, an der wir landen wollten. Hier begann auch unser Stadtplan von Porto, der jedoch leider genauso sehr auf Minimierung und Reduzierung gesetzt hatte, wie unsere große Straßenkarte. Später fanden wir übrigens heraus, dass es von Portugal genau zwei unterschiedliche Straßenkarten gab. Eine davon besaßen wir bereits. Die andere hatte einen größeren Maßstab und zeigte nur entweder den Norden, die Mitte oder den Süden des Landes. Doch auch diese Karten waren nicht genauer und brachten daher genauso wenig, wie die, die wir schon hatten. Um uns auf den letzten Kilometern vor der Innenstadt nicht noch einmal vollkommen zu verfransen fragten wir einen Passanten mit Hund. Jemand, der es gewohnt war, seinen Hund Gassi zu führen, der würde sich doch wohl auskennen. Seine Antwort lautete etwa folgendermaßen: „Also ganz einfach! Ihr geht hier rechts, dann die nächste links bis zu Kreuzung, dann geradeaus und dann... Nein! Das ist quatsch, wartet! Ihr geht hier gegenüber in dieses Gebäude, geht dann auf der anderen Seite wieder heraus, geht dann gleich links, nein rechts. Also ihr kommt dann in eine Sackgasse und der folgt ihr dann bis zu einer Kurve und geht dann nach rechts und dann gleich wieder links und dann... Nein, nein, das ist zu komplex! Ganz anders! Ihr geht einfach hier diese Straße hinunter bis zu dem großen, gelben Gebäude, das ihr da vorne seht. Dann biegt ihr rechts ab und geht einfach immer geradeaus, bis ihr ins Zentrum kommt. Da könnt ihr gar nichts falsch machen!“

Den letzten Satz wiederholte er noch gut vier Mal um sicher zu gehen, dass wir auch ja nichts falsch machten. Dann ging er weiter. Wir folgten seiner Beschreibung, nachdem wir sie anhand eines Planes an einer Bushaltestelle überprüft hatten. Sicher ist sicher! Sie stimmte tatsächlich und wir gelangten endlich in die Innenstadt. Dabei erreichten wir einen Park, in dem wir uns die erstbeste Bank im Schatten suchten. Hier sanken wir erschöpft in uns zusammen. Seit dem Besuch im Sportladen hatten wir keine einzige Pause mehr gemacht und die lärmende Strecke hatte uns ordentlich in die Knie gezwungen. Der Park selbst war der erste Ort in Porto, an dem es einigermaßen leise und einigermaßen schön war. Seit wir Santiago verlassen haben, haben wir viele Menschen getroffen, die uns von Porto geradezu vorgeschwärmt hätten. Sie sei eine der schönsten Städte der Welt und wenn wir sie uns nicht ansehen würden, dann wäre es, als hätten wir Portugal nicht gesehen. Doch bislang hatten wir diese Begeisterung nicht teilen können. Es war wie immer. Die Innenstadt mochte schön sein, doch nur dann, wenn man mit dem Auto oder mit der Bahn direkt hineinfuhr. Durchwanderte man die ganze Stadt, so offenbarte sie einem auch all ihre hässlichen Seiten und die waren in Porto mehr als in vielen anderen Städten definitiv die Hölle. Auf unserer Parkbank fassten wir daher einen Entschluss: Egal, was wir in dieser Stadt auch noch an Schönheiten zu sehen bekommen sollten, es war die Strapazen nicht wert. Porto würde definitiv die letzte wirklich große Stadt auf unserer Reise sein, die wir besuchen! Vielleicht mit Ausnahme von Rom, denn dort wollten wir mit dem Papst ja noch ein paar Takte über seine Kirche und dessen Vertreter bitten. Doch vielleicht sollten wir den Papa lieber überreden, sich mit uns irgendwo auf einer Wiese vor der Stadt zu treffen.

Plötzlich gesellte sich eine Möwe zu uns und setzte sich neben uns auf die Wiese. Sie begann damit einige seltsame Verrenkungen zu machen, die an Yoga-Übungen erinnerten. Als wir ihr einige Brotkrumen zuwarfen wurde sie immer zutraulicher. Auch Olivenkerne faszinierten sie, wenngleich sie die meisten davon sofort wieder ausspuckte. Die hellste war sie jedoch nicht, denn wenn das Fressen, das wir ihr zuwarfen auch nur 30cm zu weit weg landete, dann fand sie es nicht wieder. Warum Möwen im Film „Findet Nemo“ so verarscht wurden konnten wir recht gut verstehen. Dann aber überraschte uns unser neuer fliegender Freund mit einem wirklich coolen Kunststück. Heiko warf ihm ein Stück Salami zu und er fing es direkt aus der Luft. Wenn Hunde so etwas schaffen ist es eine ordentliche Leistung, aber bei einer Möwe?

Wirklich überzeugen konnte uns auch die Innenstadt von Porto nicht. Es gab viele beeindruckende Gebäude und vom Park aus hatte man einen eindrucksvollen Blick über den Fluss und die Meeresmündung, doch es fehlte uns eindeutig an harmonischen und entspannenden Flecken. Die Stadt war eine einzige Reizüberflutung der wir kaum standhalten konnten. Wir mögen mit der Zeit etwas empfindlich geworden sein, doch es war uns unmöglich, uns vorzustellen, wie man hier leben konnte. Wie wollte man jemals wieder Ruhe und Entspannung finden? Wie wollte man jemals in Kontakt mit seiner eigenen inneren Stimme kommen? Wie wollte man ein inneres Gleichgewicht aufbauen? Es mochte möglich sein, doch vorstellen konnten wir es uns nicht. Es war eine Stadt, die viele schöne Postkartenmotive abgab, doch sobald man neben den Bildern auch die Geräusche, die Hektik und die Gerüche mitbekam, war es mit der Idylle vorbei. Trotzdem war Porto zum europäischen Touristen-Highlight-Ziel des Jahres 2014 gewählt worden. Dementsprechend voll war es in der Stadt und dementsprechend schwierig war es einen kostenlosen Hotelplatz zu bekommen.

Wir probierten es bei einigen Hotels, gaben es aber schließlich auf. Mein absolutes Highlight war dabei das Gespräch mit einer jungen Dame in einem Hotelrestaurant. Hinter der Tür mit der Aufschrift ‚Hotel’ gelangte man entweder direkt in ein Treppenhaus oder links in ein Restaurant. Dort fragte ich die Frau an der Bar, ob sie auch zum Hotel gehöre. Sie nickte und ich erklärte ihr dass wir ohne Geld reisten und einen Schlafplatz suchten. Daraufhin bat sie mich um einen Moment Geduld, um die Sache mit ihrem Chef zu besprechen. Als sie gut 10Minuten später wiederkam, reichte sie mir einen Zettel und meinte, dass dies das beste Angebot sei, das man uns machen könnte. Auf dem Zettel waren die verschiedenen Gänge eines Menüs aufgelistet. Darunter stand: „30€ Pro Person“

„Ich wollte doch gar nichts zu essen, sondern ein Zimmer im Hotel!“ sagte ich irritiert.

„Oh, da sind Sie hier falsch,“ antwortete sie mit einem Lächeln, „mit dem Hotel haben wir nichts zu tun!“

Als mir der Hotelier kurz darauf auch noch absagte, hatte ich die Schnauze voll. Der Tag war einfach zu anstrengend gewesen um den Abend mit lauter erfolglosen Anfragen zu verbringen. Wir brauchten eine andere Lösung!

Diese wartete zum Glück bereits gleich zwei Straßen weiter. Es war die Feuerwehr, die wie damals in Barcelos einen Raum für Bereitschaftsdienstler und reisende parat hielt. Es war nicht der ruhigste und auch nicht der schönste Platz, aber es war ein Platz! Nur die Badezimmer durfte man hier nicht betreten. Heiko versuchte sich zu duschen, hatte auf dem Weg dorthin aber bereits so schwarze Füße, dass er sich doch dagegen entschied. Er wollte nicht dreckiger aus dem Bad kommen, als er hineingegangen war. Noch etwas schlimmer waren die Toiletten. Abschließen konnte man die Türen nicht und auf den Klobrillen klebte noch der Urin der letzten zwanzig Einsatznächte.

Doch einem geschenkten Gaul schaut man nicht ins Maul und wir waren mehr als nur dankbar dafür, heute nicht noch einmal zwanzig Kilometer aus der Stadt hinauswandern zu müssen, um einen Alternativplatz zu bekommen.

Am Abend drehten wir noch einmal eine weitere Runde durch die Innenstadt, um ein paar Fotos zu machen und um etwas zu essen aufzutreiben. Mit den Fotos hatten wir Erfolg. Mit dem Essen jedoch nicht. Es war fast unglaublich, aber auch in Porto gab es nur die gleichen Bars und Cafés wie überall sonst. Das einzige asiatische Restaurant, das wir finden konnten lehnte uns ab. So blieb uns letztlich nichts anderes übrig, als mit einigen trockenen Brötchen vorlieb zu nehmen, die wir mit unserem letzten verbleibenden Stück Käse aufwerteten. Lieber Gott des Essens! Bitte schenke uns morgen und in den kommenden Tagen irgendeine Art von gesunder und leckerer Nahrung!

Spruch des Tages: Nie wieder Großstädte!

Höhenmeter: 190 m

Tagesetappe 26 km

Gesamtstrecke: 3500,47 km

Franz Bujor
Franz Bujor ist Wandermönch, Web-Nomade und Autor. Nach einem Studium in Kulturwissenschaften, bei dem er unter anderem bei einem Maya-Volk in Guatemala gelebt und in einem Kinderheim in Serbien gearbeitet hat, war er zunächst als Erlebnispädagoge und Wildnismentor tätig. 2014 ließ er sein bürgerliches Leben hinter sich und reist seither zu Fuß und ohne Geld um die Welt. Neben seinem eigenen Entwicklungsweg schreibt Franz besonders gerne über geschichtliche und gesellschaftliche Themen.

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