Tag 196: Platten ohne Ende

von Franz Bujor
16.07.2014 21:08 Uhr

Noch 9 Tage bis zu meinem 1. Weltreisegeburtstag...

Heikos Rücken schmerzte auch am Morgen noch immer so stark, dass er sich nicht bücken konnte. Es sah recht lustig aus, wie er sich seine Schuhe anzog, ohne dabei den Rücken zu beugen, aber ihm war dabei natürlich gar nicht zum Lachen. Über den Tag hinweg wurde es etwas besser, aber es schmerzt noch immer.

Gestern Abend hatten wir bei unserem Stadtrundgang einige Wegweiser für den GR 12 gefunden, ein Fernwanderweg der am Rio Tejo entlang in Richtung Spanien führte. Heute folgten wir diesem Weg um dem endlosen Schnellstraßengeschlappe zu entgehen. Der Weg war wunderschön, hatte aber leider auch seine Tücken. Ordentliche Tücken!

Er schickte uns immer wieder bergauf und bergab über Sandwege und Geröll und das bei Temperaturen von weit über 40°C im Schatten. Wir hatten mit vielem gerechnet, aber dass es der Sommer ist, der uns so in die Knie zwingt, hätten wir uns nicht träumen lassen. Es war schwer vorstellbar, dass wir uns noch immer in Europa befanden. Die steppenartige Landschaft in der brüllenden Hitze, hätte locker auch in Afrika liegen können. Über einen Löwen, der an uns vorüberstreift, hätten wir uns heute nicht einmal gewundert. Das Problem war nur, dass es in den 22 Kilometern bis zur nächsten größeren Stadt keine Zivilisation gab. Also keine Straßen, keine Häuser, an denen man nach Wasser oder Essen hätte fragen können und auch sonst nichts, das einem helfen konnte. Die Natur selbst war wie gesagt eine reine Steppe. Außer Dornen und trockenem Gestrüpp bot sie nichts und so kamen wir uns bald etwas verloren vor. Solche Gegenden in Europa zu finden hatten wir nicht vermutet. Und auch das Wetter war deutlich härter, als gedacht.

Es dauerte nicht lange und wir hatten schon wieder den ersten Platten. Die Hitze machte das Gummi unserer Reifen so weich wie Butter und das in einem Land, in dem es nichts als Dornen gab. Ich zog gut ein Dutzend kleine Stacheln aus dem Reifen, bevor ich den nächsten einsetzte.

Anschließend kamen wir an den anstrengendsten Teil der heutigen Reise. Es war ein steiler Abhang, der so steil war, dass mich mein Wagen drei Mal wieder zurück nach unten Zog, bis ich es schaffte, die Kraft aufzubringen, um ihn nach oben zu ziehen. Es war reine Wut und reiner Wille, mit dem ich meine Last nach oben wuchtete. Mit Muskelkraft hatte es wenig zu tun. Heiko stand oben und grinste über meinen Wutschrei, mit dem ich die ganze Steppe auf mich aufmerksam gemacht hatte. Doch zu einem dummen Spruch fehlte auch ihm die Kraft. Von hier an ging es weiter Bergauf und das Wasser floss uns in Strömen von den Armen, von der Stirn und in die Augen. Dabei begleitete uns ständig die Angst vor den Dornen, denn wir hatten nur noch einen Ersatzschlauch.

Schließlich sahen wir ein Kohlekraftwerk vor uns. Wo so ein Kraftwerk war, musste es auch eine Straße geben und wenn es eine Straße gibt, dann musste man auf ihr auch gefahrlos in den nächsten Ort kommen. Doch die einzige Straße, die wir fanden führte uns wieder zurück an den Fluss und auf die Dornenwege. Nach einem weiteren gnadenlosen Anstieg kamen wir dann von der anderen Seite wieder auf das gleiche Kraftwerk zu. Wir waren also fast im Kreis gelaufen. Von hier aus beschlossen wir, uns direkt an den Kraftwerkszaun zu halten, bis wir irgendwo einen Ausgang aus der Steppe fanden. Die bestmögliche Option war ein Kiesweg entlang einer Bahnschiene, über die das Kraftwerk mit Kohle beliefert wurde. Wir folgten ihr einige Hundert Meter, dann war Heikos reifen platt. Bei der Mantelkontrolle fand ich mehr als 20 Minidornen.

Um zu verhindern, dass sich die Dornen auch in den anderen Reifen bis zum Schlauch durchdrückten, suchte ich vorsichtshalber auch diese ab und bearbeitete sie mit unserem Taschenmesser. Bei zwei Reifen war das eine gute Idee. Beim dritten war es jedoch bereits zu spät. Als ich einen Dorn herauszog hörte ich es zischen und der Reifen wurde Platt. Damit hatten wir nun einen Platten mehr als Ersatzschläuche. Das bedeutete, dass wir einen flicken mussten, ohne dass wir dazu ein Wasserbecken zur Verfügung hatten. Heiko fand gleich drei Löcher. Als wir beide Reifen repariert hatten, und uns wieder ans Wandern machen wollten, hörten wir ein lautes Zischen und Heikos Reifen war schon wieder platt. Nach weiteren Flick- und Reperaturaktionen, passierte uns das gleiche noch einmal, nur etwa zwei Meter vom Ausgangspunkt entfernt. Es war zum Mäuse melken! Wenn wir uns alles hätten vorstellen können, dann nicht dass unsere Reise einmal in ernsthafte Gefahr geriet, wegen eines Platten. Unser Flickzeug war nahezu aufgebraucht. Viel durfte jetzt nicht mehr passieren.

Als wir eine halbe Stunde später die Schnellstraße sahen, atmeten wir erleichtert auf. Wer hätte gedacht, dass wir uns jemals so über eine Schnellstraße freuen würden?

Auf ihr war der nächste Ort ebenfalls bald erreicht und dort gab es sogar einen kleinen Supermarkt, der uns mit Wasser und frischem Obst versorgte. An einer Bar bekamen wir außerdem ein Sandwich und wir erfuhren, dass der nächste Ort mit Hotels, Feuerwehr, Pensionen oder anderen Schlafmöglichkeiten noch gut 16 Kilometer entfernt war. Als der Wirt mein entsetztes Gesicht sah, bat er mich einen Moment zu warten. Kurz darauf hatte er einen Schlafplatz für uns aufgetrieben. Hier im Ort und gleich um die Ecke. Es war ein Partyhaus, so wie wir es in Frankreich immer bewohnen durften. Nur eben auf Portugiesisch. Am Wochenende hatte hier eine Feier stattgefunden und noch immer lagen alle Spuren der Feier im Haus verteilt. Es roch ein wenig nach verwesender Wurst und in einer Ecke ganz hinten im Saal lag ein toter Vogel. Sonst war es aber ein guter Schlafplatz. Da es keine weiteren Restaurants gab, fragten wir bei den Privatpersonen nach etwas zu essen. Es dauerte nur etwa zehn Minuten, dann hatten wir Säcke voll mit Kartoffeln, Tomaten, Orangen, Eiern und Zwiebeln. Es war so viel, dass wir es nicht Essen konnten und es waren alles Sachen aus dem eigenen Garten. Leider war es auch zu viel, um alles morgen mitzunehmen und so wird uns nichts anderes übrig bleiben, als einen Teil dazulassen und zu hoffen, dass ihn jemand verwendet, bevor er kaputt geht. Es ist ein bisschen Schade, dass man entweder überhaupt nichts bekommt, oder dann so viel, dass man nicht mehr weiß was man damit anfangen soll. Später kamen dann sogar noch zwei Frauen zu unserem Festsaal und schenkten uns weitere Früchte und Zwiebeln. Und am Abend kam der Wirt aus der kleinen Bar und lud uns zum Essen oder auf ein Getränk in sein Etablissement ein. Als wir uns zum Arbeiten in den Park setzten, waren wir bereits vollkommen in die Dorfgemeinschaft integriert. Schließlich hielt sogar noch ein Auto mit zwei Jugendlichen vor uns, die uns Tunfisch, Wasser und Würstchen anboten. Das ist der Unterschied zwischen den Dörfern und den Städten hier. Auf dem Dorf wird man gemästet und in den Städten ist man kurz vorm Verzweifeln, weil man nichts auftreiben kann. Aber lieb sind die Menschen hier! Daran gibt es nichts zu rütteln.

Spruch des Tages: Da hat der Teufel seinen Sack ausgeschüttet.

 

Höhenmeter: 290 m

Tagesetappe: 21 km

Gesamtstrecke: 3872,47 km

Franz Bujor
Franz Bujor ist Wandermönch, Web-Nomade und Autor. Nach einem Studium in Kulturwissenschaften, bei dem er unter anderem bei einem Maya-Volk in Guatemala gelebt und in einem Kinderheim in Serbien gearbeitet hat, war er zunächst als Erlebnispädagoge und Wildnismentor tätig. 2014 ließ er sein bürgerliches Leben hinter sich und reist seither zu Fuß und ohne Geld um die Welt. Neben seinem eigenen Entwicklungsweg schreibt Franz besonders gerne über geschichtliche und gesellschaftliche Themen.

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