Tag 197: An die Straße gefesselt

von Franz Bujor
17.07.2014 18:33 Uhr

 

Festsäle in Portugal sind wahrlich etwas anderes als in Frankreich. Der einzige Raum, der nicht so versifft war, das man meinte man würde im Müll stecken bleiben, war der Vorraum von der Herrentoilette. Es war auch der einzige Raum, der einigermaßen kühl war und nachdem wir reichlich Pappe auf dem Boden verteilt hatten, trauten wir uns sogar unsere Isomatten auszubreiten. Das einzige Problem, das es jetzt noch gab, waren die Unmengen an Fliegen, die im Raum ihr Unwesen trieben. Sie waren lästig und aggressiv und viele von ihnen hatten offenbar zu viel an Pestiziden geschnüffelt. Wenn sie sich auf einen setzten und einen zwickten, dann juckte es schlimmer als bei Mückenstichen. Einige Minuten hielten wir es aus, dann eröffneten wir die Fliegenjagd und stellten den kleinen Biestern nach. Obwohl wir alles an Fenstern, Türen und Luftschlitzen abgedichtet hatten, kam es uns so vor, als würden für jede erschlagene Fliege drei neue kommen. Irgendwann verloren wir den Überblick, doch es müssen weit mehr als 60 Fliegen gewesen sein. Erst später entdeckten wir den Grund für diese fliegende Massenversammlung. In einer Plastiktüte an der Wand hing eine ganze Schweinskeule, die der Verwesung preisgegeben worden war. Für die Fliegen war es das reinste Paradies. Wir konnten hingegen nicht verstehen, wie man so mit Lebensmitteln umgehen konnte. Eine solche Keule kostete beim Schlachter rund 100€.

Am nächsten Morgen wollten wir den Ort so schnell wie möglich verlassen. Wenn man sich für eine längere Zeit in einem stinkenden Raum aufhält, dann gewöhnt sich die Nase irgendwann daran und es stört einen nicht mehr so. Über Nacht scheint sich dieses Prinzip jedoch ins Gegenteil zu verkehren, denn in der Früh nahm ich den Geruch als ekelhafter wahr, denn je zuvor. Noch am Mittag hatte ich den Geruch in der Nase und das, obwohl wir im Schatten unter einem Baum saßen, weit entfernt von fauligem Fleisch und zugeschissenen Toiletten.

Doch so schnell wie wir wollten, ließ uns der Platz wieder einmal nicht gehen. Mein rechter Reifen war schon wieder Platt und diesmal gab es ganze sieben Löcher zu flicken. Als die Arbeit getan war, hatten wir gleich den zweiten Platten, noch ehe wir auch nur einen Schritt getan hatten. Damit stand eindeutig fest, dass Wald- und Feldwege bis aufs weitere für uns Tabu waren. Ab sofort würden wir uns an Straßen halten, so lange, bis wir in kühlere Regionen mit weniger Dornengewächsen kamen. Oder wenigstens in Regionen, in denen die Dornensträucher nicht mit einem Freischneider gestutzt wurden. Denn das war eigentlich das größte Problem. Durch die verdammten Dinger flogen die trockenen Dornenzweige überall herum und man hatte keine Chance mehr, ihnen auszuweichen.

Zum Glück erwies sich die Bundesstraße hier als weitgehend unbefahren und so war es keine schlechte Strecke, die wir heute wandern konnten. Städte oder Ortschaften zum Auftanken von Reserven oder Plätze, die einem Schatten boten, waren jedoch wieder einmal absolute Mangelwahre. Gut also, dass wir von gestern noch genügend Vorräte bei uns hatten.

Als wir an einer Wegkreuzung den ersten, ausladenden Baum fanden, der uns genug Schatten für ein Mittagspäuschen bot, wurden wir von einem Defender überholt, der genau auf unserem Pausenplatz hielt. Er hatte ein ausklappbares Zelt auf dem Dach und war so ausgestattet, dass man bei seinem Anblick wirklich glaubte, man sei in Südafrika. Ein Mann und eine Frau stiegen aus und begrüßten uns. Sie waren gerade auf dem Rückweg von einer vierzehntägigen Spanienreise und schenkten uns frisches Wasser, einige weitere Zutaten für unser Mittagessen und neue Sonnencreme. Gerade über das letzte freuten wir uns besonders, denn unsere Reserven waren inzwischen vollkommen aufgebraucht und die Hitze brutzelte uns die Haut langsam von den Knochen. Die beiden hatten sich vor Jahren auf dem Jakobsweg kennengelernt, woraufhin sie von Dresden nach Portugal gezogen war. Das freie Leben begeisterte die beiden, wie nichts anderes. „One Life – Live it!“ – „ein Leben – Lebe es!“ stand auf dem Wagen. Der Satz war nicht nur ein Spruch, er war ein Lebensmotto. Doch es gestaltete sich schwieriger als gedacht, denn während sie einen Job bei Siemens hatte, musste er seine eigene Firma am Laufen halten. Zeit fürs Reisen blieb da kaum noch. Der Defender verbrachte die meiste Zeit in der Garage.

Von unserem Picknickplatz waren es noch knapp 10 Kilometer bis nach Gavião, der nächsten größeren Stadt, in der es überhaupt eine Chance auf einen Schlafplatz gab. Wie sich herausstellte, war auch diese fast vollständig ausgestorben. Die einzige Pension der Stadt hatte geschlossen und als Alternative gab es nur die Feuerwehr. Diese nahm uns auch bereitwillig auf und gab uns einen Platz für unsere Isomatten im Trainigsraum der Feuerwehrleute. Der einzige Haken ist, dass die Jungs morgen früh um 7:00 Uhr mit ihrem Trainig beginnen werden. Mit Ausschlafen wird es dann wohl eher nichts...

Spruch des Tages: One Life – live it!

 

Höhenmeter: 250 m

Tagesetappe: 16 km

Gesamtstrecke: 3872,47 km

Franz Bujor
Franz Bujor ist Wandermönch, Web-Nomade und Autor. Nach einem Studium in Kulturwissenschaften, bei dem er unter anderem bei einem Maya-Volk in Guatemala gelebt und in einem Kinderheim in Serbien gearbeitet hat, war er zunächst als Erlebnispädagoge und Wildnismentor tätig. 2014 ließ er sein bürgerliches Leben hinter sich und reist seither zu Fuß und ohne Geld um die Welt. Neben seinem eigenen Entwicklungsweg schreibt Franz besonders gerne über geschichtliche und gesellschaftliche Themen.

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