Tag 199: Castelo de Vide

von Franz Bujor
19.07.2014 21:09 Uhr

Noch 6 Tage bis zu Tobias’ 1. Weltreisegeburtstag

Für unsere 35km Etappe segnete uns das Wetter heute mit einer komplett geschlossenen Wolkendecke. Wir standen extra früher auf, damit wir nicht allzu Spät in Castelo de Vide ankamen. Nicht so früh wie gestern, aber doch eine Stunde früher als sonst. Nachdem wir uns von unserem Gastgeber verabschiedet hatten, starteten wir pünktlich zum Regenbeginn. Es plätscherte mal wieder in guter portugiesischer Manier kräftig drauf los. Doch wie zuvor dauerte auch heute der Regen nicht lange und zum Wandern war er sogar recht angenehm.

Der Weg führte uns auch heute durch eine savannenhafte Steppe mit vielen Felsen und Olivenbäumen. Ohne die übliche Hitze wirkte die Landschaft jedoch längst nicht mehr so unwirtlich, wie an den Vortagen. Sie war sogar wirklich schön und oft blieben wir fasziniert stehen, um die Eindrücke auf uns wirken zu lassen.

Nach etwa 10km erreichten wir einen Stausee, an dem wir von nun an für eine lange Zeit entlangwanderten. Hier trafen wir auch auf unser neues Haustier und Herdenmidglied. Nachdem wir nun schon Hunde und Katzen adoptiert hatten, war dieser Freund sicher der ungewöhnlichste. Er war eine Libelle mit fast komplett durchsichtigen Flügeln, die nur an den Enden je einen schwarzen Punkt hatten. Auf den ersten Blick sah es so aus, als ob es sich um drei Insekten handelte, die in einer Reihe nebeneinander herflogen. Erst bei genauerem Hinschauen konnte man die durchsichtigen Flügel erkennen, die die Flatterpunkte mit dem Libellenkörper verbanden. So eine Libellenart hatten wir beide noch nie zuvor gesehen.

Der kleine Flieger flog eine ganze Weile vor und neben uns her und es wirkte, als wolle er uns irgendetwas mitteilen. Leider war unser Libellisch noch schlechter als unser Portugiesisch und so verstanden wir sie nicht besonders gut. Doch der kleine Kerl war hartnäckig und begleitete uns von nun an bis zu dem Punkt, an dem sich der Weg vom See trennte. Er flog immer ein Stück vor oder hinter uns, dann schwebte er auf gleicher Höhe, dicht über dem Boden. Schließlich schoss er nach vorne und eilte uns voraus, nur um im nächsten Moment umzudrehen und wieder auf uns zu warten. Als Heiko ein paar Fotos machte, wartete die Libelle geduldig und holte sogar noch zwei Freunde dazu. Dann begleitete sie uns weiter.

Trotz der Bewölkung und trotz der relativ seichten Strecke, schlauchte uns die Etappe heute sehr. Deutlich merkten wir, dass unsere Schuhe langsam ihrem Lebensende zugingen und auch die Tagesetappe von gestern hing uns noch in den Knochen. Schließlich wurde die Landschaft dann auch noch hügeliger und der Weg damit noch anstrengender. Zeitgleich riss die Wolkendecke auf und es wurde schwülwarm. Als vor uns die ersten Häuser auftauchten, glaubten wir uns bereits am Ziel. Hinter dieser Hügelkuppe musste es liegen. Doch weit gefehlt. Hinter der Hügelkuppe lag nichts als eine Kreuzung mit der Nationalstraße und auf dieser mussten wir nun noch 6,5 Kilometer den Berg hinaufwandern.

Die Burg oben auf dem Gipfel eines Berges hatten wir bereits zuvor schon gesehen, doch hatten wir bis zu diesem Moment gehofft, dass sie nichts mit unserer Stadt zu tun haben würde. Der Name: Castelo de Vide hätte uns bereits warnen können, denn Castelo heißt übersetzt Burg. Trotzdem wollten wir es nicht wahrhaben. Doch es half nichts. Wir mussten den Berg bis zu seiner Spitze erklimmen. Unsere Wagen zerrten an uns wie Bleikugeln und der Aufstieg wollte und wollte einfach nicht enden. Ich versuchte meinen Körper dazu zu zwingen, aufrecht weiterzugehen und sich nicht nach vorne zu beugen, wie eine alte, bucklige Schildkröte. Doch er wollte einfach nicht.

Er war erschöpft und der Schildkrötenstil war gerade sein Ding, da konnte ich zetern und fluchen was ich wollte. Dass ich mir durch die Haltung in den Nacken und die Schultern so sehr verspannte, dass ich sie nun kaum noch bewegen kann, war ihm in diesem Moment egal. Die Erschöpfung führte außerdem dazu, dass ich irgendwie in eine Gedankenspirale des Selbstzweifels geriet. Mein Selbstzweifel-Ich plapperte die ganzen 6 Kilometer durch und erzählte mir ununterbrochen, was für eine Niete ich war. Am Ende konnte ich mich selbst nicht mehr leiden und war richtig wütend auf mich, sowohl wegen der buckligen Haltung, als auch wegen der ganzen negativen Gedanken. Zum Glück verflog beides wieder recht schnell, nachdem wir die Wagen an einem Platz abgestellt hatten und ich mich auf die Suche nach einem geeigneten Schlafplatz machte.

„Nach dieser Anstrengung brauchen wir ein gutes drei Sterne Hotel mit einer ordentlichen Badewanne und schönen, bequemen Betten, die länger sind als wir uns die eine anständige Matratze haben!“ sagte Heiko irgendwann auf halbem Weg an das Universum gerichtet. Der Wunsch ging wirklich in Erfüllung und keine halbe Stunde später zogen wir in ein freundliches, klimatisiertes Zimmer im Hotel Sol e Serra, direkt im Zentrum der Stadt.

Eigentlich hatten wir uns vorgenommen, das Zimmer nicht mehr zu verlassen, wenn wir es erst einmal bekommen hatten. Doch Castelo de Vide war tatsächlich die erste richtig schöne Kleinstadt, durch die wir in Portugal gekommen sind. Es dauerte nicht lange, da hatte uns die Burg schon wieder nach draußen gelockt. Mit Stadtbesichtigung und Essenssuche verbrachten wir noch drei weitere Stunden und einige weitere Kilometer auf den Beinen. Wie sich herausgestellt hatte, war die Strecke zwischen Nisa und Castelo de Vide doch keine 35km lang gewesen, aber mit der Stadtrunde sind wir fast wieder auf den gleichen Stand gekommen. Jetzt sind wir daher nun endgültig Platt für heute und freuen uns nur noch auf Entspannung.

Spruch des Tages: Was will uns diese Libelle wohl sagen?

Höhenmeter: 170 m

Tagesetappe: 29,5 km

Gesamtstrecke: 3946,97 km

Franz Bujor
Franz Bujor ist Wandermönch, Web-Nomade und Autor. Nach einem Studium in Kulturwissenschaften, bei dem er unter anderem bei einem Maya-Volk in Guatemala gelebt und in einem Kinderheim in Serbien gearbeitet hat, war er zunächst als Erlebnispädagoge und Wildnismentor tätig. 2014 ließ er sein bürgerliches Leben hinter sich und reist seither zu Fuß und ohne Geld um die Welt. Neben seinem eigenen Entwicklungsweg schreibt Franz besonders gerne über geschichtliche und gesellschaftliche Themen.

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