Tag 258: Sie ist wieder da!

von Heiko Gärtner
16.09.2014 19:10 Uhr

Nur ein Vogel, den man freilässt, kann auch zurückkehren! Heute zeigte sich in doppelter Hinsicht, dass dieser Satz viel Wahrheit enthält. Vor etwas mehr als drei Wochen wurden wir gleich von zwei treuen Begleiterinnen verlassen. Von Paulina und von unserer großen Kamera. Vor ein paar Tagen schien die Situation mit Paulina dann so festgefahren, dass wir keine Zukunft mehr sehen konnten. Alle drei standen wir mit dem Kopf vor der Wand und konnten nicht sehen, dass nur einen Meter links von uns eine Tür hindurchführte. Paulina war in ihren Existenzängsten gefangen und wir in dem verzweifelten und verbohrten Versuch, sie daraus zu befreien. Erst als wir alle losließen und uns von der Wand in unseren Köpfen zurückfallen ließen, konnte sich diese Misere auflösen. Und richtig! Auch wenn wir zunächst alle Hoffnung verloren hatten und unser Vertrauen kaum mehr weiter reichte, als wir uns selbst hätten werfen können, entspannte sich die Situation wieder. Paulina konnte aufatmen, konnte sich selbst ihre Existenzängste eingestehen und annehmen, so dass sie nicht mehr so bedrohlich wirkten. Es war nun wieder einfach ein Thema, an dem man arbeiten konnte. Jetzt war es ihr auch möglich, die Entscheidung die sie treffen wollte, wirklich zu treffen. Ein Jahr und 3 Monate legte für sich selbst die Vorbereitungszeit fest. Dann wird sie zu unserer Herde dazu stoßen und uns auf unserem weiteren Weg begleiten. Der 22.12.2015 ist der Stichtag! Das zweite Weihnachten auf Weltreise feiern wir dann also nicht mehr als Duo, sondern als Kreis.

Und wie, als wäre es von der Schöpfung genau so geplant worden, traf heute auch unsere neue Spiegelreflexkamera ein. Vielen Dank an Canon für die Bereitstellung der EOS 70D, mit der Heiko nun wieder ein ganzer Fotograf ist und nicht nur ein halber! Endlich kann er wieder experimentieren und sich in die Materie einarbeiten. Die Ergebnisse könnt ihr dann ab sofort wieder selbst bewundern. Oder auch kritisieren, wenn ihr wollt, das bleibt natürlich euch überlassen.

Außerdem bedanken wir uns noch einmal herzlich bei Susi für die natürliche Sonnencreme, die sie uns geschenkt hat. Und natürlich bei Heikos Eltern fürs Schicken und für die große Ration an Nüsschen und Gewürzen, die sie uns beigelegt haben.

Damit sind unsere Wagen jetzt zwar wieder einmal bis zum Zerbersten gefüllt, aber wir können endlich mal wieder Gerichte kochen, die nicht immer nur nach den gleichen zwei Zutaten schmecken. Es lebe die Varianz!

Bevor ich jedoch von heute erzähle, muss ich noch kurz etwas zu unserem Abend gestern berichten. Die Herberge selbst war nicht besonders schön, da sie aus zwei Riesenschlafsälen bestand, die eher wieder an den Camino de Norte erinnerten. Woher so viele Pilger kommen sollten und was anschließend mit ihnen geschah, blieb uns ein Rätsel. Denn in allen Orten, die wir auf diesem Jakobsweg schon durchquert hatten, hatte es nie mehr als 2 bis 5 Betten gegeben.

Das schöne an der Herberge war jedoch ihr Außengelände. Es befand sich in einem mittelalterlichen Gebäude und von seinem Hof aus hatte man einen schönen Blick über die Burg und den Kirchturm. In dieser Kulisse kochten wir uns erst unser Abendessen und schauten dann Harry Potter. Konnte es dafür ein würdigeres Ambiente geben?

In der Früh konnten wir dann sogar noch einen kurzen Blick in die Kirche werfen. Die Maler und Bildhauer, die sie gestaltet hatten, hatten definitiv einen guten Sinn für Humor und Ironie. So stand beispielsweise eine Jesusstatue direkt neben dem Gemälde eines Papstes. Jesus wurde nackt, mit nichts als einem Stofffetzen um den Zipfel abgebildet, wie er von Peitschenstriemen übersäht und völlig abgemagert das Leid der Welt auf seinen Schultern trug. Neben ihm hing der dicke Papst mit seinen speckigen Gesicht und seiner Kutte, die locker eine Million Euro gekostet hatte und schaute selbstgefällig auf den Kirchenbesucher hernieder. Links der Ursprung, rechts das, was wir daraus gemacht haben. Deutlicher hätte man es kaum abbilden können.

Wie um dazu einen Gegenpol zu schaffen, hatte ein anderer Bildhauer in einer anderen Ecke der Kirche eine Statue von einem jungen Jesus geschaffen. Er wirkte so, als könnte er später einmal der Papst werden. Der kleine dicke Junge stand in prächtig, violetter Kutte und hochnäsigem Gesichtsausdruck dar und hielt sein Kreuz wie ein Zepter in der rechten Hand. In der linken Hand hielt er seine Kreuz-Nägel und mit dem rechten Fuß trat er auf einen Totenschädel, ähnlich wie es bei den Franziskanermönchen so üblich ist, die irgendwo in Stein gehauen werden. Warum trampeln diese Heiligen immer auf Totenköpfen herum?

Doch die ganze Kirche spiegelte das wieder, was der kleine Jesus zum Ausdruck brachte. Im Nahmen einer heiligen Sache wurden hier selbstgefällig Reichtümer angehäuft, die eigentlich für die Armen gedacht waren. Die Klingelbeutel, die neben dem Altar lagen, sprachen ihre eigene Sprache. Sie waren größer als mancher Picknickkorb und es waren mindestens 6 Stück. Wie viel von diesen Kollekten wirklich bei bedürftigen ankommt?

Bis zum Päckchen waren es heute gut 12 Kilometer, die wir fast ausschließlich durch Orangenplantagen wanderten. Dass Kaki so übel gespritzt wird, dass man sich damit beim Probieren fast vergiftet, haben wir ja bereits erzählt. Doch wer hätte gedacht, dass es bei Orangen sogar noch schlimmer ist? Das Pärchen aus Österreich hatte uns gewarnt und aus zahllosen Artikeln und Fernsehdokumentationen wussten wir über die Anbaumethoden von Obst und Gemüse ebenfalls sehr viel. Auch in der Türkei waren wir damals Zeuge der Spritzattacken geworden. Dort hatten die Feldarbeiter das Gift aus Pumpcontainern versprüht, die sie auf dem Rücken trugen. Sie arbeiteten ohne jede Schutzausrüstung und atmeten die fein verteilten Gifttropfen mit jedem Atemzug ein. Einmal konnten wir sogar beobachten, wie ein Bauer sein Feld besprühte, während seine Frau neben ihm das Picknick fürs Mittagessen zubereitete. Er achtete nicht einmal auf sie und sprühte genau in ihre Richtung. Damals waren schockiert über diesen leichtsinnigen Umgang mit giftigen Substanzen und die geringe Wertschätzung die hierbei der eigenen Gesundheit entgegengebracht wurde. Klar, die Menschen werden sich der Schädlichkeit nicht in vollem ausmaß bewusst gewesen sein, doch dass ein Pflanzenvernichtungsmittel nicht gesund sein kann, müsste wohl jedem klar sein.

Heute jedoch kamen wir durch eine Gegend, die allem noch einmal die Krone aufsetzte Zwischen den Orangenplantagen floss Wasser in kleinen Kanälen, dass die Bäume bewässerte. Es war jedoch nicht einfach Wasser. Es hatte eine leicht trübe, milchige Farbe und roch wie ein ganzer Chemiebaukasten, den man zu heftig geschüttelt und dann im Zimmer ausgekippt hatte. Der Geruch war dumpf und erinnerte an eine Mischung aus Terpentin, Teer und Paraffinen. Sofort brannte es in unseren Atemwegen. Die Nase setzte sich zu und verschleimte und der Hals kratze und begann zu jucken.

„Da!“ rief Heiko plötzlich, „schau dir das an!“ er zeigte auf ein kleines weißes Schild, das im Baum hing. Es zeigte einen Totenschädel mit gekreuzten Knochen und einem Giftsprüher im Hintergrund. Darunter stand das Datum, an dem die Plantage mit Pestiziden verseucht wurde, gemeinsam mit einem Satz, der übersetzt etwa folgendes aussagt: „Aus sicherheitstechnischen Gründen ist das Betreten der Plantage für 30 Tage ab Auftragen der Spritzmittel nicht gestattet.“ Unten war dann noch die Bezeichnung des Giftmittels abgebildet.

Wie krass muss dieses Gift sein, wenn die Bäume mit Warnhinweisen versehen werden, die einen davon abhalten sollen, die Plantage zu betreten? Warnhinweise, auf denen ein Totenschädel abgebildet ist!

Später fiel uns noch etwas anderes auf. Wasser ist ein Informationsträger, der positive und negative Informationen abspeichern kann. Daher gibt es viele Menschen, die ihr Wasser segnen oder ihre Trinkflaschen mit positiven Wörtern beschreiben um es zu energetisieren. Wie sinnvoll kann es also sein, auf eine Frucht, die zum Großteil aus Wasser besteht, einen Totenschädel zu drucken?

Uns ist dabei die Lust auf Mandarinen und Orangen erst einmal vergangen. Sogar die leckeren Feigen, die neben den Feldern wuchsen, konnten uns nicht mehr aufmuntern. Denn sie mussten mindestens genauso viel Gift abbekommen haben, wie die Orangen selbst und auch wenn die Feigen zum Teil so lecker waren, dass man dafür töten würde, umbringen wollten wir uns damit dann doch nicht.

Als wir schließlich nach Manuel kamen und später auch na Pobla Llarga, dem Ort, an dem unser Paket auf uns wartete, wartete dort auch der nächste Schock auf uns. Die Plantagen reichten direkt bis an die Häuser heran. Eines der Schilder, das auf die hohe Giftgefahr hinwies, hing nicht einmal einen halben Meter von einer Hauswand entfernt. Auf der Straße spielten Kinder und nicht selten kickte eines mit einer herabgefallenen Orange herum. Das Schild mit dem warnenden Totenschädel interessierte jedoch niemanden.

In der Stadt wurden wir zunächst einmal nicht besonders freundlich begrüßt. Das Rathaus lehnte uns mit der gleichen Gleichgültigkeit ab, wie die Polizei. Der Pfarrer war ausgeflogen und andere Möglichkeiten schien es nicht zu geben. Als mich ein Barkeeper auf einen Festsaal hinwies, von dem die Rathausbeamten behauptet hatten, so etwas würde hier nicht existieren, beschlossen wir, das Rathaus ein zweites Mal aufzusuchen. Diesmal gab es komischerweise einen Platz für uns. Nicht im Festsaal aber in der Turnhalle und das war uns ja genauso Recht.

Spruch des Tages: Nur ein Vogel, den man freilässt, kann zurückkehren.

 

Höhenmeter: 30 m

Tagesetappe: 12,5 km

Gesamtstrecke: 5109,87 km

Heiko Gärtner
Heiko Gärtner ist Wildnismentor, Extremjournalist, Survivalexperte, Weltreisender und einer der führenden Experten auf dem Gebiet der Antlitz- und Körperdiagnostik. Nachdem er einige Jahre als Agenturleiter und Verkaufstrainer bei einer großen Versicherungsagentur gearbeitet hat, gab er diesen Job auf, um seiner wahren Berufung zu folgen. Er wurde Nationalparkranger, Berg- und Höhlenretter, arbeitete in einer Greifenwarte und gründete schließlich seine eigene Survival- und Wildnisschule. Seit 2014 wandert er zu Fuß um die Welt und verfasste dabei mehrere Bücher.

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