Tag 309: Wolkenschlösser

von Heiko Gärtner
06.11.2014 19:38 Uhr

Nicht nur unser Kontakt zu den Menschen wird langsam wieder wie früher, auch der Kontakt zu den Tieren nimmt zu. Auf unserem Weg begegnen wir nun immer wieder Kühen, Pferden und Eseln, die uns wieder anschauen und sogar ein Stück neben uns herlaufen. Vorgestern Nachmittag in Trébes hatte ich außerdem eine Begegnung mit einer Ratte, die mir fast über den Fuß gelaufen ist. Ich war gerade auf dem Weg zur Touristeninformation, als sie mir entgegen kam. Wahrscheinlich hatte sie das gleiche Ziel wie ich gehabt und ebenfalls festgestellt, dass das Büro geschlossen hatte.

Gestern wurden wir dann von einem riesigen Vogelschwarm überrascht. Es schein ganz so, als würden sich die gefiederten Freunde nun in wärmere Gefilde aufmachen und hätten sich dafür schon einmal versammelt. Sie bildeten beeindruckende Formationen über unseren Köpfen und wirkten fast wie dunkle Wolken. Es war ein faszinierendes Schauspiel, das uns da geschenkt wurde. Keines das man täglich erleben darf.

Heute sahen wir derartige Vogelmassen nicht mehr, dafür jedoch einen einzelnen Spatzen, der hoch oben, auf dem höchsten Ast einer Zypresse saß und dort einen Alleinunterhalter mimte. Er schnatterte, zwitscherte und trällerte was das Zeug hielt und bemühte sich, dabei nicht von seinem Thron geschaukelt zu werden.

Die Zypresse stand auf einem Friedhof und dieser Friedhof wiederum befand sich in einem kleinen Ort namens Puichéric. Es war der erste Friedhof seit langem, der uns wieder wirklich faszinierte. Puichéric war einst ein reicher Ort gewesen, in dem viele Weingutbesitzer lebten und ebenso reich wie sie gelebt hatten wurden sie auch begraben. Die alten Gruften und Mausoleen strahlten etwas mystisches aus, eine unheimliche Atmosphäre, die einen damit rechnen ließ, jeden Moment irgendwo einen Geist zu sehen. Eine der Gruften bestand aus einem Podest auf dem ein mächtiger und reichverzierte Sarkophag aus dunklem Stein stand. Ich würde jede Wette eingehen, dass dies der Sarg von Dracula war, der jede Nacht dort herauskam um sich eine Jungfrau zu greifen.

Hoch über der Ortschaft thronte das mittelalterliche Bollwerk von Kirche und direkt daneben befand sich die alte Burg. Auf der Suche nach dem Bürgermeister hatte ich kurz zuvor die Burgherrin kennengelernt. Sie stammte aus Österreich und war mit ihrem Mann vor einigen Jahren hier hergezogen. Die beiden hatten sich in Griechenland kennengelernt und wollten gemeinsam eine Pension auf dem Land eröffnen. An ein ganzes Schloß hatten sie dabei eigentlich nicht gedacht, doch als sie es zum ersten mal sahen, waren sie sofort verliebt und konnten gar nicht anders, als es zu kaufen. Wir konnten ihre Entscheidung mehr als nur gut nachvollziehen. Die Burg war einfach klasse. Vor allem der Garten, von dem aus man über das ganze Tal bis hin zu den Pyrenäen Blicken konnte. Hier verbrachten wir einen Großteil des Nachmittages auf zwei Liegestühlen und ließen uns die Herbstsonne auf den Bauch scheinen. Am Himmel rasten die Wolken an uns vorbei und bildeten die abstraktesten Figuren. Wie schnell sie sich veränderten!

Und wie stellten man sich die Zeit nahm, ihnen bei ihrem Schauspiel zuzusehen. Dabei gaben sie sich solche mühe. Für einen Moment lang sah eine der Wolken aus wie ein riesiges Gesicht mit Knollnase. Dann hatte es sich bereits wieder so sehr verschoben, dass man beim besten Willen keine Gesichtszüge mehr erkennen konnte. Wie im Zeitraffer bauschten sich die Wolken auf, wurden größer und größer und zogen dann aus unserem Blickfeld. Sie zogen in Richtung Mittelmeer. Dorthin, wo uns auch unser Weg führen sollte. Es war leicht zu verstehen, warum man sagte, das Gedanken wie Wolken wären, die kommen, riesengroß erscheinen, sich immer weiter aufbauschen können und dann wieder vorüberziehen, als hätte es sie nie gegeben. Sie waren so präsent beeinflussten unser Leben so immens. Und doch waren sie nie greifbar. Man konnte sie nicht bannen, nicht festhalten nicht konservieren und nicht zurückholen. Selbst wenn sie wiederkehrten oder wenn man ihnen nachlief waren sie nicht mehr die selben. Sie hatten vielleicht ähnliche Formen, doch sie waren etwas vollkommen neues.

Es tat gut einfach nur so da zu liegen und den Himmel zu beobachten. Selbst hier auf der Reise nahmen wir uns noch immer zu wenig Zeit für solche Momente. Momente, die reine Lebensqualität waren. Zeitloses sein, ohne jede Absicht. Für einen Moment war die Verbindung mit der Welt wieder deutlich zu spüren. Wir waren eins mit ihr. Wir waren die Wolken, die vorüberzogen und sich selbst dabei beobachteten.

Dann gab es Mittagessen und wir tauschten die Wolken gegen Kartoffeln, Möhren und Tomaten aus dem Garten.

Die Geschichte der Burg war weitgehend unbekannt, da es nur wenige Aufzeichnungen gab, die erhalten waren. Sicher war jedoch, dass sie aus dem 14. Jahrhundert stammte und in ihren Anfängen auf dunkle Weise in die Geschichte der Katharer verwickelt war. Die Katharer waren eine Gruppe von Christen, die versucht haben, einen Mittelweg zwischen den Naturreligionen und dem Christentum zu finden. Das kam bei der Katholischen Kirche nicht besonders gut an und es dauerte nicht lange, bis die Katharer verfolgt wurden. Die heilige Inquisition wurde eigens für die Verfolgung der Katharer ins Leben gerufen. Erst später weitete man sie dann auf alles aus, was der Kirche irgendwie unangenehm war. Hexen m Beispiel. Heute heißt die Inquisition übrigens "heilige Glaubenskongregation". Sie verbrennt niemanden mehr öffentlich und auch die Folterbefragungen gibt es nicht mehr, doch die Institution kümmert sich noch immer um den Schutz der Kirche vor Lehren, die mit dem christlichen Glauben im Widerspruch stehen. Der letzte bekannte Leiter der Institution war übrigens ein Kardinal aus Deutschland, der vor allem deshalb berühmt geworden ist, weil er später zum Papst ernannt wurde. Es ist der selbe Kardinal, der auch sehr viel Zeit damit verbracht hat, die Geheimnisse von Fatima unter Verschluss zu halten. Es ist kein geringerer als unser lieber Papa Ratzi. Ob es ein Zufall ist, dass er nach dieser Aufgabe und nach der ganzen Fátima-Geschichte dann zum Papst wurde?

Das die Katharer keinen allzu guten Stand in Europa hatten, lässt sich auch daran erkennen, dass sich das Wort 'Ketzer' ebenfalls von ihrem Namen ableitet.

Für uns jedoch war die Burg ein perfekter Zufluchtsort, an dem wir nicht nur einen außergewöhnlich urigen Schlafplatz im Burgzimmer und leckeres Essen sondern gleich auch noch eine Massage bekamen.

Spruch des Tages: Trust and listen to your instinct! (Axelle)

Höhenmeter: 8m

Tagesetappe: 9 km

Gesamtstrecke: 5973,37 km

Heiko Gärtner
Heiko Gärtner ist Wildnismentor, Extremjournalist, Survivalexperte, Weltreisender und einer der führenden Experten auf dem Gebiet der Antlitz- und Körperdiagnostik. Nachdem er einige Jahre als Agenturleiter und Verkaufstrainer bei einer großen Versicherungsagentur gearbeitet hat, gab er diesen Job auf, um seiner wahren Berufung zu folgen. Er wurde Nationalparkranger, Berg- und Höhlenretter, arbeitete in einer Greifenwarte und gründete schließlich seine eigene Survival- und Wildnisschule. Seit 2014 wandert er zu Fuß um die Welt und verfasste dabei mehrere Bücher.

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