Tag 310: Der Aussiedlerhof

von Heiko Gärtner
08.11.2014 20:35 Uhr

Das MMS zeigt seine Wirkung. Vor ein paar Tagen haben wir mit einer neuen Entgiftungskur begonnen. Wie sie genau wirkt und was es damit auf sich hat, werde ich die Tage noch einmal genauer erklären. Vorausgesetzt, wir kommen mal wieder etwas besser mit unserer Zeit zurecht. Im Moment will es einfach vorne und hinten nicht damit ausgehen. Auch wenn wir gar nicht so genau verstehen warum, denn um Heikos Bein zu entlasten, haben wir unsere Tagesetappen deutlich verkürzt. Ok, dafür haben wir die Pausenzeiten wieder deutlich verlängert und man muss schon auch sagen, dass uns das Leben im Moment sehr hart zuspielt. Ich meine, wir müssen in Schlössern übernachten und mitten im November noch immer die Sonne aushalten. Während sich die Menschen andernorts bereits über Regen und Nasskälte freuen können, müssen wir noch immer im T-Shirt durch die warme Herbstlandschaft wandern. Könnt ihr euch vorstellen, wie hart es für unsere Regenkleidung sein muss, dass sie nun schon seit Monaten auf unserem Wagen versauert und sich absolut nutzlos fühlt? Und dann diese ständigen Pausen! Immer wieder müssen wir anhalten, uns einen windstillen Platz auf einer Bank oder an einer Hauswand suchen und uns entspannen. Manchmal müssen wir dabei sogar in saftige Äpfel oder noch schlimmer in Bananen, Pommes Frites oder Hähnchen beißen. Und schließlich müssen wir das dann auch noch verdauen, während uns die Sonne auf den Bauch scheint. Ist das nicht schrecklich?

Doch zurück zu unserer Entgiftungskur. Sie führte gestern nämlich dazu, dass Heikos Bauch die Sache mit dem Verdauen nicht mehr ganz so ernst nahm. Zu entgiften bedeutet nunmal auch, dass die Gifte zunächst aus den Depots in die Blutbahnen getrieben werden und das führt fast unweigerlich zu einer Erstverschlimmerung. In unserem Fall bedeutete es, dass uns eine leichte bis mittelschwere Übelkeit überkam. Bei mir war es vor allem ein Schwindelgefühl. Heiko hingegen spuckte alle paar hundert Meter einen Schwall Galle auf den Boden. Zwei mal hätte ich deswegen fast mitgespeit, doch ich konnte mich gerade noch zurückhalten.

Heute haben wir unsere Dosis dann wieder etwas herabgesetzt und beschlossen, dass wir die Sache doch lieber etwas ruhiger angehen. Damit war das Schlechtigkeitsgefühl nahezu verschwunden. Nach dem Verlassen von unserem Château kehrten wir an den Kanal zurück und folgten ihm wieder nach Osten.

In Hombs hatten wir diesmal etwas Pech. Ausgerechnet heute gab es ein Weinfest, das im Gemeinderaum stattfand, so dass dieser nicht für uns zur Verfügung stand. Zwei Passanten auf der Straße erzählten uns von einem kleinen Aussiedlerhof, der von einer Familie aus der Schweiz geführt wurde. Auf den ersten Blick wirkte das nach einer recht guten Option, wenngleich es bedeutete, dass wir ein kleines Stück zurückgehen mussten. Auch Heiko schien nicht abgeneigt zu sein und so machten wir uns auf den Weg. Erst nach einigen Hundert Metern wurde mir bewusst, dass Heiko das Gespräch kaum mit angehört hatte, da ihn die Schmerzen im Bein zu sehr ablenkten. Er hatte sich also auf mein Urteil verlassen und ich hatte nicht genügend darüber nachgedacht, um die Sache wirklich einschätzen zu können. Ich hatte es zwar im Bauchgefühl, aber dennoch traf ich die Entscheidung voreilig. Es waren bereits nach Angaben der Franzosen 3km in die falsche Richtung, und dies war wahrscheinlich sogar untertrieben. Außerdem lieferten wir uns mit erreichen des Hofs vollständig der Gunst der Schweizer aus. Wenn sie nein sagten, standen wir vollkommen im nichts, ohne eine weitere Option. Hinzu kam, dass wir außer einer Fertigsuppe und vier rohen Eiern nichts mehr zu Essen hatten. Wir brauchten also nicht nur den Schlafplatz von ihnen, sondern auch die Verpflegung. Das war verdammt hoch gepokert. Zu hoch. Dämlich hoch, vor allem weil wir auch einfach in die andere Richtung bis zum nächsten Ort hätten gehen und dort unser versuchen können.

Die Stimmung auf dem Weg zum Hof war mehr als nur gereizt. Heikos Bein schmerzte und machte ihm jeden Schritt zur Qual. Daher störte es ihn umso stärker, dass ihn diese Schritte auch noch in die Richtung führten, aus der wir kamen. Er war sauer. Ich konnte es zwar verstehen, war aber ebenfalls sauer, weil ich überzeugt war, dass es nicht meine, sondern unsere gemeinsame Entscheidung war. Dennoch wuchsen das schlechte Gewissen und das ungute Gefühl in mir, weil ich mich blind auf das Urteil von Heiko und den Passanten verlassen hatte, ohne meinen eigenen Kopf zu bemühen. Ein Fehler, der mir in letzter Zeit einfach zu oft passierte.

Zumindest in Punkt eins hatten wir jedoch Glück. Die Hofherrin reagierte Verhalten positiv und sagte uns einen Schlafplatz zu. Wenngleich sie auch noch nicht sagen konnte, wo sie uns unterbringen wollte. Später zeigte sie uns dann einen Wohnwagen im Garten, den wir heute beziehen durften. Das war definitiv besser als nichts. Doch es war auch nicht die Art von herzlichem Empfang, die ich mir aufgrund der Aussagen der Passanten erhofft hatte. Wie sah es wohl mit Essen aus? Eine Dusche wurde uns jedenfalls nicht angeboten und auch die Toilettenbenutzung schien nicht besonders erwünscht zu sein. Der Sohn unterhielt sich eine Weile mit uns, ohne wirklich locker zu werden. Seine Mutter wimmelte uns nur kurz ab und meinte, dass sie keine Zeit hätte, da sie sich um die Tiere kümmern müsse.

Unser Gefühl, dem Hof und seinen Bewohnern gegenüber war gemischt. Auf der einen Seite war es ein cooler Platz, mit den freilaufenden Pfauen, Gänsen und Hühnern. Auf der anderen Seite wirkte alles so seltsam verschlossen und fast ein bisschen unheimlich. Von dem was wir mitbekamen, setzten sie vieles um, was wir bei unseren Recherchen als wichtige Schritte zur Gesundheit herausgefunden haben. Der Verzicht auf Funkstrahlung beispielsweise. Aber vielleicht wurde es hier ein bisschen übertrieben. Ein bisschen zu Öko, zu verschroben und zu weltfremd. Vielleicht war das auch nur ein Gefühl.

Jetzt jedenfalls sitzen wir hier in unserem Wohnwagen, können uns an die Wärme des Nachmittages kaum noch erinnern und hoffen darauf, dass die Dame mit dem beeindruckenden Damenbart, der uns verdächtig an Captain Jack Sparrow erinnert, doch noch mit etwas Nahrung versorgt. Andernfalls wird es eine hungrige Nacht.

Spruch des Tages: Die richtige Ernährung ist viel, aber nicht alles!

 

Höhenmeter: 10m

Tagesetappe: 15 km

Gesamtstrecke: 5988,37 km

Heiko Gärtner
Heiko Gärtner ist Wildnismentor, Extremjournalist, Survivalexperte, Weltreisender und einer der führenden Experten auf dem Gebiet der Antlitz- und Körperdiagnostik. Nachdem er einige Jahre als Agenturleiter und Verkaufstrainer bei einer großen Versicherungsagentur gearbeitet hat, gab er diesen Job auf, um seiner wahren Berufung zu folgen. Er wurde Nationalparkranger, Berg- und Höhlenretter, arbeitete in einer Greifenwarte und gründete schließlich seine eigene Survival- und Wildnisschule. Seit 2014 wandert er zu Fuß um die Welt und verfasste dabei mehrere Bücher.

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