Tag 331: Das Mönchskloster

von Heiko Gärtner
28.11.2014 22:45 Uhr

"Sollten wir nicht anrufen und fragen, ob die Mönche uns morgen auch wirklich zurück nach Arles bringen können?" Fragte ich die ältere Dame, die uns zu ihrem Auto führte, mit dem sie uns ins Kloster fahren wollte.

"Nö," antwortete die Frau, "die machen das schon!"

Etwas besorgt schaute ich Heiko, an der meinen Blick erwiderte. Wir sollten uns ja in Vertrauen üben und hier war offensichtlich die nächste Lektion. Wenn die Mönche nein sagten, dann standen wir am morgen mit unserem Gepäck in den Händen ohne Wagen mitten in der Walachei, 8km von Arles entfernt. Aber es würde schon gutgehen.

Im Kloster teilte man uns dann unsere Zimmer zu. Wir bekamen sogar jeder ein eigenes. Das Kloster war ein alter Hof, den die Mönche vor Jahren von einer reichen Familie aus Arles geschenkt bekommen hatten. Er lag ruhig und schön zwischen den Weinfeldern und schien zum Entspannen und erholen deutlich geeigneter zu sein als die hektische Stadt aus der wir kamen.

Um 19:45 Uhr klingelte es zur Messe und anschließend gab es das gemeinsame Abendessen. Es war lange her, dass wir einen Mönchsgottesdienst besucht hatten und da wir von unseren Gastgebern explizit eingeladen wurden, nahmen wir an der Veranstaltung teil. Das Problem war nur, dass wir nach dem Glockensignal noch den Weg aus dem labyrinthartigen Klostergebäude bis in die Kapelle finden mussten und so kamen wir ein klitzekleines Bisschen zu spät. Die Männer in den langen grauen Kutten standen bereits um den Altar versammelt im Licht der Kerzen. Es war ein sehr stimmungsvolles Bild und so konnten wir nicht verhindern, dass sowohl bei Heiko als auch bei mir als erstes der unchristliche Gedanke aufkam: "scheiße, warum können wir denn jetzt nicht fotografieren.

Die Mönche hatten einen Gesang angestimmt, der typisch für solche Zeremonien ist. Abgesehen von einem älteren Herren, der versuchte so tief zu singen, dass er damit ein Erdbeben auslösen konnte und von einem Mann auf der anderen Seite, der schiefer sang als eine rostige Gießkanne, klang der Chor sehr schön.

Mit nur einer knappen Stunde Schlaf in der letzten Nacht war die Messe für mich natürlich eine gewisse Herausforderung. In einem dunklen Raum dem Gesang und den Gebeten von Männern mit tiefen Stimmen zu lauschen, auf einer Sprache, die man nicht versteht und dabei wach und aufmerksam bleiben, war ein Ding der Unmöglichkeit. Zum Glück begann auch einer der anderen Mönche nach einiger Zeit lauthals zu schnarchen und so war es für mich nicht mehr ganz so unangenehm, dass mir ständig die Augen zufielen. Links vom Altar saß ein dicker glatzköpfiger Mönch, dessen Kopf auf seine Brust gesunken war und der sogar noch abwesender wirkte als ich selbst. Der Obermönch, der die Gebete Sprach und der die erste Stimme bei den Gesängen übernahm, hatte ein Schildkrötenartiges Aussehen und seine Kinnhaut sah in etwa so aus wie bei einem Leguan. Ein anderer Mann trug einen langen Spitzbart und ein weiterer hatte einen so runden Kugelbauch, dass er seine Robe oberhalb binden musste, da sonst die Schnur zu kurz gewesen wäre. So wie diese unterschiedlichen Mönchsgestalten zusammenstanden wirkte es fast, als wären sie extra für einen Film so zusammengecastet worden.

Spannend war vor allem, wie die Gebete auf uns wirkten. Wenn man nichts von den Worten versteht, sondern nur die Art wie sie klingen, dann spürt man die Energie die sie übermitteln umso deutlicher. Und in diesem Fall spürten wir beide, dass keine wirklichen Inhalte rüberkamen. Es handelte sich bei den Sätzen lediglich um leere Phrasen, die keine Aussage hatten. Sie waren nicht ernst gemeint. Es wurde viel über die Liebe Jesu und die Heiligkeit der Maria, über die Macht Gottes und die Verbindung zum heiligen Geist gesprochen, doch von einer göttlichen Kraft oder einer Heiligkeit in den Worten war nichts zu spüren. Anders war es mit dem Raum selbst. Als ich meine Hände nach außen hin öffnete, spürte ich deutlich wie windartige Kraft in meine rechte Hand hinein und aus meiner linken herausstömte. Heiko erzählte mir später, dass er das gleiche gespürt hatte.

Doch wie kam es, dass die Mönche so viel Zeit damit verbrachten, mit Gott zu sprechen und dass man von der Kommunikation so wenig spürte. Es schien eine einbahnstraße zu sein, bei der Gott nicht besonders motiviert war zu antworten. Auffällig war auch, dass fast alle Mönche die kahlen Stellen auf dem Kopf hatten, die man sogar Mönchstonsur nennt, weil sie so typisch ist. In vielen Kulturen werden die Haare jedoch als Verbindung zum Außen, als Antennen für das energetische angesehen. In der Antlitzdiagnose stehen die Haare daher in Verbindung mit dem Göttlichen und mit dem Glauben an eine höhere Kraft. Wenn einem die Haare ausfallen, so ist dies ein Zeichen dafür, dass einem diese Verbindung fehlt. Ist es nicht spannend, dass es gerade bei Mönchen so oft vorkommt?

Nach der Messe ging es zum Abendessen. Auch hierfür gab es einen genauen Ablauf, wie es stattzufinden hatte. Zunächst wurde im Stehen gebetet. Dann las der Obermönch aus einem Ordner mit einlaminierten Seiten eine Geschichte vor. Einer der weniger wichtigen Mönche hatte zuvor drei Töpfe mit Suppe auf den Tisch gestellt, die jeweil zu etwa einem drittel voll waren. Während der Ritualgebete sahen wir traurig zu, wie der Dampf über der Suppe stetig weniger wurde. Als wir schließlich mit dem Essen begannen, war sie fast kalt. Dies war eine Sache, die wir gar nicht verstehen konnten. Das Essen zu zelebrieren und seine Dankbarkeit dafür auszudrücken, war eine wirklich edle und noble Sache. Doch dieses lange Ritual mit noch einer und noch einer Geschichte und dann noch einmal hierhin und dorthin Beten, bis das Essen zu schimmeln beginnt, das hatte nichts mehr mit Wertschätzung für die Nahrung zu tun. Es war in unseren Augen eine reine Schikane und es bewirkte sogar das Gegenteil. Essen zu wertschätzen bedeutet auch, es zu genießen und es nicht so lange auf dem Tisch stehen zu lassen, bis es eiskalt wird und seinen Geschmack verliert. Heiko suchte im Raum bereits nach einem Redestab, um einen Redekreis einzuberufen, bei dem er Einspruch gegen diese Tradition einlegen konnte. Doch ob die Mönche ihre Entscheidungen auf diese Weise trafen war fraglich. Die alte Dame, die uns hier her gefahren hat, hatte uns bereits erzählt, dass unter den Mönchen einige Männer mit leichten geistigen und körperlichen Behinderungen waren. Jetzt beim Essen wurde deutlich, dass es hier weniger um die Heilung und die Fürsorge für diese Menschen ging, sondern mehr um ihre Arbeitskraft. Der Kontakt hatte nichts liebevolles. Es wirkte eher deutlich unterkühlt und die drei Hauptmönche ließen sich von den anderen Brüdern regelrecht bedienen. Die Chance, dass Entscheidungen hier im Konsenz durch einen Redekreis beschlossen wurden, war also eher gering.

Dann kam das Hauptgericht. Es gab nudeln mit Schweinefleisch, Qieche mit Salami und Käse so wie ein Kartoffelgratain mit Sahnesauce und Käse überbacken. Lauter dinge also, die wir nicht aßen. Wir versuchten den anderen Mönchen unsere Essenspläne mitzuteilen doch das war schwieriger als gedacht. Denn hier kam uns ein weiteres Ritual der Mönche in die Quere, das wir nicht wirklich verstehen konnten. Alle Essenden schwiegen und im Hintergrund saß ein Mönch, der nichts essen durfte, und der die ganze Essenszeit über eine Geschichte aus der Bibel vorlas. Eine Geschichte am Anfang oder am Ende ließ man sich ja eingehen. Auch konnten wir einen Sinn darin erkennen, dass man das Essen schweigend einnahm. Doch die ganze Zeit über im Hintergrund eine Stimme zu hören, die irgendetwas erzählte, auf das niemand achtete, das kam uns schon sehr komisch vor. Die Mönche flüsterten unauffällig und wenn man sie sich genau betrachtete, dann schien jeder von dem Gebrabbel eher genervt zu sein. Auch konnte so keine wirkliche innere Stille auftreten. Doch am schlimmsten hatte es der Mönch erwischt, der vorlesen musste. Nicht nur, dass er genau wusste, dass ihm niemand zuhörte, er musste dafür auch noch hungern.

Auf dem Tisch gab es nur ein einziges Gericht, dass für uns in Frage kam. Es bestand aus Linsen und etwas, das wir aus der Entfernung noch nicht definieren konnten. Dummerweise stand dieses Gericht am anderen Ende des Tisches und war so für uns unerreichbar. Als es schließlich zu uns herüber kam, war es bereits leer. Das war noch etwas, das wir nicht verstanden. Von derartigen Gemeinschaften waren wir es gewohnt, dass jeder stets darauf achtete, dass alle von allem etwas abbekamen, sofern sie es wollten. Doch hier achtete niemand darauf. Wenn man vor einem Gericht saß, dass man mochte, dann haute man rein. Hatte man etwas, das man nicht mochte oder auch gar nicht essen konnte, dann hatte man eben Pech. In unserem Fall traf letzteres ein. Die Köchin, die sich am intensivsten über die Geschichtenerzählerstimme hinwegsetzte, organisierte uns noch einen Rest Suppe, sowie zwei Äpfel und einen halben, nur wenig angeschimmelten Granatapfel. Wir erklärten ihr, warum wir bestimmte Dinge nicht aßen und sie konnte es gut nachvollziehen. Dennoch war sie der Ansicht, dass ein Bisschen Gift, nicht schaden könne. Vor allem, dass wir keinen Wein tranken, irritierte die Mönche. Der Obermönch verheimlichte nicht, dass er uns für unsere Essensregeln verurteilte. Es war schon spannend, dass Menschen an einem Ort, bei dem es eigentlich um Heilung gehen sollte, so eine geringe Meinung von gesundem Essen haben.

Am nächsten Morgen erfuhren wir, dass wir doch wieder von der alten Dame abgeholt wurden. Die Mönche hatten sie noch einmal angerufen und ihr zu verstehen gegeben, dass heute ein voller und anstrengender Tag war, so dass sie nicht in die Stadt fahren konnten. Sie erzählte uns später, dass sie sich nicht getraut hatte nachzufragen, was denn so wichtig an diesem Tag war. Dafür hatte sie zu viel Achtung vor den Mönchen und ihrer Arbeit.

Auch zum Frühstück gab es eigentlich nichts, das den Körper wirklich genährt hätte. Es gab Butter, Kekse und Marmelade, dazu Kaffee oder Tee. Der Tee war klasse und die Köchin reichte uns wieder je einen Apfel. Sie war spannenderweise die einzige, die uns mit Herzlichkeit begegnete. Der Mönch, der für Gäste zuständig war, verabschiedete uns mit einem knappen: „Ich muss jetzt Arbeiten! Machts gut!“

Noch ehe wir uns versahen, war er verschwunden.

„Ich muss jetzt Arbeiten!“ Dieser Satz ging uns noch eine Weile im Kopf herum. Denn der Mönch war anschließend in die Messe gegangen. Wie viel Freude konnte er an seiner Verbindung zu Gott empfinden, wenn er den Gottesdienst als Arbeit empfand, die erledigt werden musste?

Wie dem auch sei. Der Schlafplatz war jedenfalls großartig und das Kloster hat uns definitiv unsere verspannten Hintern gerettet. Denn in der Nacht zog ein solches Gewitter auf, dass wir uns nicht einmal trauten, die Computer anzuschließen, weil wir angst hatten, sie würden durch die Spannungsspitzen explodieren. Das Wasser prasselte zu Boden und der Donner ließ uns mehrere Male zusammenzucken.

Heute war es dann aber wieder ruhig. Wenn die Wassermassen in der Nacht hereinbrachen, dann war ja alles in Ordnung. Zumindest solange wir einen Indoor-Schlafplatz hatten.

Pünktlich um neun holte uns die ältere Dame von der Jakobsgesellschaft wieder ab. Hier war nun wieder ein Punkt, den wir nicht verstanden. Sie selbst hatte ein Gästezimmer, extra für Jakobspilger, dass sie jedoch nur gegen Geld anbieten wollte. Stattdessen fuhr sie nun zwei mal hin und her und investierte dadurch mehr Zeit und Geld, als wenn sie uns einfach in das Zimmer gelassen hatte. Doch inzwischen hatte sie uns irgendwie ins Herz geschlossen und so rief sie in der früh noch einige andere Jakobsgemeinschaftsmitlglieder an, die uns vielleicht für heute Abend einen Platz anbieten konnten. Sie erwischte eine Frau, die zwar nicht direkt an unserem Zielort lag, aber laut Beschreibung zumindest in der richtigen Richtung. Erst am Mittag stellte sich dann heraus, dass die Beschreibung leider vollkommen falsch war. Also wanderten wir doch ohne Zieladresse in die nächste Stadt und versuchten unser Glück auf eigene Faust.

Spruch des Tages: Fröhlichkeit ist kein Ziel. Es ist eine Art zu leben. (Spruch in einem Restaurant)

Höhenmeter: 13 m

Tagesetappe: 18 km

Gesamtstrecke: 6245,37 km

Heiko Gärtner
Heiko Gärtner ist Wildnismentor, Extremjournalist, Survivalexperte, Weltreisender und einer der führenden Experten auf dem Gebiet der Antlitz- und Körperdiagnostik. Nachdem er einige Jahre als Agenturleiter und Verkaufstrainer bei einer großen Versicherungsagentur gearbeitet hat, gab er diesen Job auf, um seiner wahren Berufung zu folgen. Er wurde Nationalparkranger, Berg- und Höhlenretter, arbeitete in einer Greifenwarte und gründete schließlich seine eigene Survival- und Wildnisschule. Seit 2014 wandert er zu Fuß um die Welt und verfasste dabei mehrere Bücher.

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