Tag 418: Santa Maria degli Angeli

von Heiko Gärtner
24.02.2015 21:56 Uhr

Da uns die Mönche einluden, noch einen weiteren Tag in ihrem Kloster zu verbringen, entschlossen wir uns, dass wir Assisi und Santa Maria degli Angeli, also der Geburtsstadt und der Todesstadt des heiligen Franziskus noch etwas Zeit geben wollten. Außerdem tat es uns sicher nicht schlecht, uns vor der Überquerung von Italiens Zentralgebirge noch ein wenig Erholung zu gönnen.

Eigentlich wollten wir heute ja etwas über die Geschichte vom heiligen Franziskus erzählen, aber leider war es uns bislang nicht vergönnt, besonders viel darüber in Erfahrung zu bringen. Susen erzählte uns zwar beim Mittagessen einige grobe Umrisse, aber für ein richtiges Verständnis fehlen uns noch viele Details. Vor allem seine Beziehung zu Santa Klara wird ziemlich im Dunkeln gehalten. Für eine ausführliche Recherche bräuchten wir mal wieder ein gut funktionierendes Internet. Doch der Internetgott hat sich offensichtlich mit der katholischen Kirche verkracht und macht einen großen Bogen um Italien. Denn unser Kloster verfügte zwar wie auch das Kloster in Rom über ein offenes w-LAN-Netz, doch das funktionierte nicht und von den Mönchen kannte sich leider keiner damit aus. Also mussten wir die geschichtlichen Hintergründe des Pilgerortes an dem wir uns nun aufhielten noch etwas zurückstellen und uns dafür die Gegenwart etwas genauer betrachten.

So wanderten wir in der Früh hinunter nach Santa Maria degli Angeli, um uns dort die Basilika anzuschauen. Aus der Ferne war Assisi noch einmal auf eine ganz andere Art beeindruckend. Vor allem das Bollwerk der Franziskuskirche ragte anmutig über das Land empor.

Santa Maria degli Angeli hingegen erwies sich als nicht besonders sehenswert. Außer der Basilika gab es hier nichts Interessantes. Nicht einmal eine Altstadt durch die man schlendern konnte war auszumachen. Die Basilika selbst hatte in ihrem Inneren viele spannende Ecken, war jedoch im Gesamtkonzept nicht besonders schön. Die Wänden und die Decken waren schlicht weiß gestrichen und nur an einigen Ecken gab es Gemälde, Statuen und anderen Kirchenschmuck. Dort wo eigentlich der Altar hätte stehen müssen, stand hingegen eine kleine Kapelle, also eine Kirche in der Kirche. Wir bekamen keine genauen Informationen, aber die Vermutung lag nahe, dass dies die ursprüngliche Kapelle war, die auch schon zu Franziscos Zeiten hier stand. Die Basilika musste dann anschließend um sie herum gebaut worden sein.

Ein lautes Poltern ließ uns aufschrecken. Der Kirchenhausmeister schlenderte durch die Gänge und rückte die Bänke so zurecht, dass sie alle in einer Linie standen. Das laute Poltern das dabei entstand hallte von den Kirchenwänden wieder und ließ sie erzittern. Den Schaulustigen und Gläubigen machte das jedoch nichts aus und der Hausmeister war auch nicht der Typ, der sich um die Meinung anderer scherte.

Links vom Hauptschiff standen die Beichtstühle, die oben über der Tür alle ein rotes und ein grünes Licht hatten. Wenn ein Mensch zur Beichte kam, dann leuchtete das „Besetzt“-Zeichen auf. Das war mal moderne Massenbeichte mit Konzept.

Rechts vom Altar führte eine Tür in einen hinteren Bereich, der mit dem vielversprechenden Hinweis „Rosengarten“ gekennzeichnet war. Die Realität hinter dem Schild war jedoch eher ernüchternd. Hinter einigen Gängen und einer kleinen Kapelle führte ein schmaler Gang zwischen Außenwand und Hauptstraße hindurch, der von einer struppigen Rosenhecke eingefasst war. Das war alles. In der Rosenkapelle kniete gerade eine Familie, die gemeinschaftlich ein heiliges Lied trällerte während sie andächtig vor einer kleinen Öffnung in der Wand saßen. Auf den ersten Blick wirkte es als würden sie beten, doch das elektronische Klicken der Handykameras, mit denen sie ganze Serienaufnahmen machten verriet, dass es ihnen nicht wirklich um den guten Draht zu Gott sondern lediglich um ein Foto von ihm ging. Oder von was auch immer sich hinter diesem Gitter befand. Als sie den Blick schließlich freigaben und sich mit noch immer gezückten Handys drei Mal bekreuzigten und verneigten um anschließend ein Abschlussbild zu machen, kamen wir selbst in das Vergnügen, das fotogene Heiligtum zu sehen. Nur sahen wir leider nichts. Es war eine kleine Kammer, mit zwei kleinen Statuen und einem Kreuz. Wenn es hier etwas Besonderes gab, dann war es uns entgangen.

Gerade als wir die Kirche wieder verlassen hatten, meldete sich Susen bei uns und lud uns auf ein Mittagessen in einem kleinen typisch umbrischen Fastfoodrestaurant ein. Das typisch umbrische ging uns dabei zwar etwas abhanden, weil es sich bei den Spezialitäten um ein besonderes Brot mit deftigem Käse und Schweinefleisch handelte, aber wir freuten uns trotzdem über eine Stärkung zum Mittag. Für uns gab es Hühnchenfleisch mit gegrillten Kartoffeln und gegrilltem Gemüse. Alles wurde so zubereitet, dass man den Köchen dabei zuschauen konnte. Im Hintergrund brannte ein riesiges Feuer in einem offen Kamin. Leider herrschte auch hier eine unangenehme Lautstärke die sich aus der Raumakustik, den vielen Menschen und den Hintergrundgeräuschen aus der Küche zusammensetzte. Wenn man sich unterhalten wollte, dann musste man fast schreien. Da wir nicht unhöflich sein wollten, nahmen wir diesen Lärm auf uns, obwohl wir vom ersten Moment an spürten, dass er uns nicht gut tat. Vor allem Heiko spürte die Auswirkungen in Form eines Ohrendröhnens noch bis spät in die Nacht hinein.

Bei unserem Gespräch ging es wieder hauptsächlich um Rons Krankheit und um die Lebensthemen, die damit verbunden waren. Es war wieder einer dieser Momente, in denen einen das Leben einer Extraportion Ironie auf dem Silbertablett präsentiert, dass jede Situation ein Spiegel für einen selbst ist. So versuchten wir zweieinhalb Stunden lang Ron klarzumachen, wie wichtig es für ihn war, dass er seine eigenen Bedürfnisse ernst nahm, dass er Grenzen setzte, dass er auf sein inneres Gefühl hörte und sich selbst so stark lieben lernte, dass er Schädliches ohne zu zögern ablehnen konnte. Und in all dieser Zeit kamen wir nicht auf die Idee, das wir gerade genauso handelten wie Ron. Aus der Angst heraus jemanden zu verletzen oder als unhöflich angesehen zu werden, schluckten wir unsere Gefühle dem Ort gegenüber herunter und hielten durch. Ganz nach dem Motto, wir werden es schon aushalten, bis es vorbei ist. Dabei war die Situation ja nicht nur für uns unangenehm. Auch Susen und Ron konnten kaum etwas verstehen und selbst wenn sie es nicht wahrnahmen so war auch für sie das permanente Hintergrundgeräusch nicht gerade hilfreich. Hätten wir also vorgeschlagen, das Essen mitzunehmen und uns einen angenehmen Platz in einem Park oder vielleicht sogar bei den beiden zuhause zu suchen, dann hätte es für uns alle vier ein wesentlich schönerer Tag werden können. Doch all das wurde uns erst am Abend klar, als die Situation längst vorbei war.

Im Kloster nahmen wir dann ein zweites Mal an der Messe teil. Diesmal waren wir aufgefordert mitzusingen, was sich als ziemlich sinnlos erwies, da wir uns bei den italienischen Sätzen ununterbrochen die Zunge brachen. Der einzige Erfolg war, dass wir uns nicht mehr entspannen konnten, so dass die Messe insgesamt eher zum genervtsein beitrug, als zur inneren Einkehr. Wieder kam in uns der Gedanke auf, ob so ein Gottesdienst überhaupt dazu führen kann, die Verbindung zu seiner inneren Stimme und damit auch zum göttlichen zu stärken. Viele andere Religionen wählen dafür immerhin die Meditation, bei der man wirklich mit sich selbst in der Stille ist. Das Christentum hingegen versucht seine Gottesverbindung durch einen durchstrukturierten Vortrag zu erreichen, der, wenn man es ehrlich betrachtet, eine Art Show oder Event ist. Kann das überhaupt funktionieren? Ist es nicht etwa das gleiche, als wolle man die geistige Erleuchtung im Kino oder im Theater finden? Wenn dieser Vergleich nicht gerechtfertigt ist, wo ist dann der Unterschied zwischen einer Inszenierung im Theater und einer in einer Kirche? Wie kann man zu sich und damit zu Gott finden, wenn man in Gedanken die ganze Zeit bei dem ist, was einem jemand anderes aus einem Buch vorliest? Je öfter wir in der letzten Zeit Gottesdienste besuchen, desto häufiger kommt in uns die Frage auf, ob die Kirche überhaupt dazu gedacht ist, den Menschen ihre eigene Spiritualität nahezubringen oder ob sie nicht viel mehr davon ablenken soll. Ich weiß das sind harte Gedanken aber habt ihr euch diese Fragen schon einmal wirklich ernsthaft gestellt?

Nach dem Abendessen kam einer der Mönche noch einmal auf uns zu und bot uns an, dass wir gerne auch noch länger bleiben könnten. „Zwei Tage, drei Tage, eine Woche, einen Monat, egal, so lange ihr wollt. Gerne könnt ihr dann etwas mit im Garten helfen und euch mehr in die Gemeinschaft einbringen und nebenbei könnt ihr ja weiter an euren Büchern schreiben.“

Das Angebot selbst klang nicht schlecht, doch die Art mit der er es uns offerierte hatte einen unangenehmen Beigeschmack. Irgendwie steckte eine Forderung darin, die wir nicht richtig einordnen konnten. Es wirkte, als wollte er versuchen uns zu rekrutieren und ganz im Kloster zu behalten. Er ging, noch bevor wir auf sein Angebot reagieren konnten und er schaffte es, dass wir uns irgendwie schuldig fühlten, bei dem Gedanken es abzulehnen. Dennoch, oder gerade deswegen war für uns klar, dass für uns die Zeit gekommen war, wieder aufzubrechen. Das Nomadentum lag uns schon immer im Blut und es scheint als hätten wir es im letzten Jahr wirklich zum Leben erweckt. Irgendwo einmal einen Tag Pause zu machen war ok, aber spätestens nach dem zweiten Tag trieb es uns weiter. Wir wollten wieder raus. Raus auf die Straße, raus in die Welt, raus in das Leben, dass mit all seinen Abenteuern hinter dem Horizont auf uns wartete.

Spruch des Tages: Ein Mensch mit gütigem, hoffendem Herzen fliegt, läuft und freut sich; er ist frei. Weil er geben kann, empfängt er; weil er hofft, liebt er. (Franz von Assisi)

 

Höhenmeter: 190 m

Tagesetappe: 5 km

Gesamtstrecke: 7666,77 km

Wetter: bewölkt aber nicht kalt

Etappenziel: Kloster San Bose, 06081 Assisi, Italien

Heiko Gärtner
Heiko Gärtner ist Wildnismentor, Extremjournalist, Survivalexperte, Weltreisender und einer der führenden Experten auf dem Gebiet der Antlitz- und Körperdiagnostik. Nachdem er einige Jahre als Agenturleiter und Verkaufstrainer bei einer großen Versicherungsagentur gearbeitet hat, gab er diesen Job auf, um seiner wahren Berufung zu folgen. Er wurde Nationalparkranger, Berg- und Höhlenretter, arbeitete in einer Greifenwarte und gründete schließlich seine eigene Survival- und Wildnisschule. Seit 2014 wandert er zu Fuß um die Welt und verfasste dabei mehrere Bücher.

Schreibe einen Kommentar:

Speichere Namen, Email und Webseite im Browser fur zukunftige kommentare