Tag 422: Die Wahrheit über Santa Klara

von Heiko Gärtner
02.03.2015 14:59 Uhr

Fortsetzung von Tag 421:

Klara von Assisi lernte Franz bei einem Gottesdienst kennen, den der junge Barfußmönch im Dom von Assisi hielt. Sie war von seiner Ausstrahlung und seinem Charisma so fasziniert, dass er ihr nicht mehr aus dem Kopf ging. Wirklich bekannt ist über die Beziehung der beiden nur sehr wenig, dafür ranken sich jedoch unglaublich viele Mythen darum, vor allem natürlich um die Frage, ob es sich bei ihrer Beziehung um eine leidenschaftliche oder um eine rein platonische handelte.

Als Klara Franz kennenlernte, hatte dieser sein Keuschheitsgelübde bereits abgelegt und viele Quellen gehen davon aus, dass die beiden zwar eine tiefe, spirituelle, nie aber eine körperliche Beziehung hatten. Als sich die beiden das erste Mal begegneten, war Klara jedoch gerade einmal 18 Jahre alt. Franz war 12 Jahre älter und galt als äußerst charismatischer und charakterstarker Mann, der sicher nicht ohne jede Attraktivität war. Es fällt also schon recht schwer zu glauben, dass es zwischen den beiden nie eine sexuelle Spannung gegeben hat.

Doch beginnen wir lieber am Anfang, denn auch Klaras Geschichte ist nicht uninteressant. Sie stammte aus einer adeligen Rittersfamilie, die sogar noch reicher war, als die von Franz. Der Legende nach hatte ihre Mutter bereits vor Klaras Geburt eine Vision, in der ihr bewusst wurde, dass von Klara ein Licht erstrahlen würde, dass die christliche Welt hell erleuchten ließ. Vielleicht nannte sie ihre älteste Tochter auch deshalb Klara, was ‚die Leuchtende’ heißt. Es ist natürlich nur eine Spekulation, aber die Tatsache, dass Klara eine Ritterstochter war, dürfte ihr auf der Attraktivitätsskala von Franz auch noch einmal einige Punkte eingebracht haben.

Ihre Mutter sorgte dafür, dass sie eine Ausbildung in einer Hauswirtschaftsschule bekam und außerdem Latein lernte. Trotz der Vision vor ihrer Geburt, wurde also zunächst auch bei ihr einmal alles daran gesetzt, sie auf ein standesgemäßes Leben vorzubereiten. Doch der eigentliche Druck kam wohl vom Vater. Die Mutter hatte vor der Geburt selbst mehrere Pilgerreisen nach Santiago und nach Israel unternommen und den Überlieferungen zufolge führte sie mit ihren Töchtern viele spirituelle Gespräche, die Klaras Verständnis von Gott und ihre Überzeugung für ihren Weg sicherlich mit prägten.

Der gleiche Bürgerkrieg der Franz seinen Gefängnisaufenthalt in Perugia einbrachte, führte auch dazu, dass Klaras Familie nach Perugia fliehen musste. Hier war der Grund jedoch nicht die Fede zwischen den Städten, sondern die Auseinandersetzung zwischen dem Adel und dem Bürgertum.

Als sie zurück nach Assisi kamen war es zunächst Agnes, Klaras jüngere Schwester, die auf Franz aufmerksam wurde und beschloss, sich ihm anzuschließen. Als sich Franz und Klara näher kennenlernen, werden sie gute Freunde und merken, dass sie sich in vielerlei Hinsicht ergänzen und unterstützen. Ob sie sich dabei auch ineinander verliebten ist ungewiss. Auf einer gewissen Ebene taten sie es bestimmt. Viele sind auch der Ansicht, dass es vor allem Klara war, die sich unsterblich in Franz verliebte und das dieser zwar seine Liebe erwiderte, dabei jedoch auf einer rein platonischen Ebene blieb. Wie immer die Verbindung zwischen beiden auch ausgesehen haben mochte, sie war jedenfalls stark genug um Klara dazu zu bewegen, ihr Elternhaus zu verlassen und ihr Leben grundlegend auf den Kopf zu stellen. Ihr Vater hatte eine standesgemäße Hochzeit für sie geplant durch die sich die Macht und der Einfluss der Familie vergrößern sollte. Klara war bewusst, dass sie auf diese Weise lediglich ein Werkzeug im Machtplan ihres Vaters war und war damit überhaupt nicht einverstanden. Franz bestärkte ihren Wunsch, aus dem System auszubrechen und ihr Leben selbst zu in die Hand zu nehmen, um so ihrem göttlichen Auftrag folgen zu können. In der Nacht zum 19. März 1212 schlich sie sich heimlich aus dem Haus ihrer Eltern machte sich auf den Weg zu Franziscos Gemeinschaft unten an der Portincola-Kapelle. Hier wurde sie von Franz feierlich in die Gemeinschaft aufgenommen. Als Zeichen dafür, dass sie ihren Weg zu Gottes Ehren ernst meinte und dass es für sie kein Zurück mehr in das alte Adelsleben gab, ließ sie sich von Franz in einem feierlichen Ritual den Kopf kahlscheren. Anschließend kleidete auch sie sich in ein einfaches Gewand und legte ihr Gelübde für Armut, Keuschheit und Gottesgehorsam ab.

Ihrer Familie blieb ihr Verschwinden nicht lange unbemerkt und um nicht erwischt zu werden, versteckte sie sich in dem kleinen Benediktiner-Kloster San Paolo delle Abbadesse. Doch es dauerte nicht lange, bis ihr Vater sie auch hier aufspürte. Voller Wut stürmte er gemeinsam mit einigen anderen Vertretern seiner Familie in die Kirche, in der sich Klara versteckt hielt. Klara berief sich aus das heilige Asylrecht der Kirchen, doch das war ihrem Vater egal. Er wollte sie aus der Kirche herauszerren und Klara klammerte sich wie ein Schraubstock am Altar fest. Dabei riss sie sich das Kopftuch herunter und präsentierte dadurch ihren kahlgeschorenen Schädel. Entsetzt ließ ihr Vater los und wich zurück. Mit bestimmten und deutlichen Worten stellte sie unmissverständlich klar, dass sie ihre Wahl getroffen hatte und dass es für sie keinen Weg mehr zurück gab. Ihr Vater konnte meckern und fluchen so viel er wollte. Sie würde eine Nonne werden ganz gleich, was er auch immer tun mochte. Fürs erste gab sich die Familie geschlagen, doch der Frieden hielt nicht lange an. Denn als sich jedoch nur 16 Tage später auch noch Agnes ihrer älteren Schwester anschloss, da war es für den Vater endgültig zu viel. Nun schreckte er selbst vor Gewalt nicht zurück. In der ersten Zeit blieben sie bei den Benediktinerinnen oder lebten unten in der kleinen Kapelle in der Gemeinschaft von Franz, der sie bei sich aufnahm. Doch das Problem dabei war, dass Frauen in der Gemeinschaft so wie sie beim Papst angemeldet war nicht vorgesehen waren. Gemeinschaften, in denen Männer und Frauen gleichberechtigt nebeneinanderleben durften, gab es in dieser Zeit nahezu überhaupt nicht. Und die wenigen, die es gab, wurden von der Kirche als Ketzer bis auf den Tod verfolgt. Langfristig konnte Klara also nicht bei den Franziskanern bleiben. In ein bereits bestehendes Kloster einzutreten kam für Klara jedoch auch nicht in Frage, denn weibliche Bettelorden gab es zu dieser Zeit nicht. Das Armutsgelübde war bislang den Männern vorenthalten, während die Frauenklöster zwar in Abgeschiedenheit, jedoch mit einem gewissen Luxus lebten. Das war jedoch nicht das, was sich Klara geschworen hatte und so kam für sie nichts anderes in Frage, als eine eigene Gemeinschaft zu gründen. Als Franz die Kapelle von San Damiano fertiggestellt hatte, die er Aufgrund seines ersten Missverständnisses im Gespräch mit Jesus hatte Franz bereits vor Jahren damit begonnen, die Kapelle von San Damiano zu renovieren. Diese gehörte der gleichen Benediktiner-Gemeinschaft, die Franz auch schon die Kapelle in Santa Maria degli Angeli zur Verfügung gestellt hatte. Nun erklärten sie sich bereit, San Damiano der Gemeinschaft von Klara zu überlassen. Gemeinsam mit ihrer leiblichen Schwester Katharina und einer Freundin aus Perugia gründete sie hier ihren eigenen Orden. Ähnlich wie es bei Franz nicht lange gedauert hatte, bis seine Gemeinschaft die ersten Brüder anzog, dauerte es auch nicht lange, bis Klara eine kleine Anhängerschaft um sich versammelt hatte. Unter ihnen waren neben Agnes und Katharina auch noch ihre dritte Schwester Beatrice, sowie eine ihrer Tanten, was für ihren Vater ein ordentlicher Schock gewesen sein musste. Als diese schließlich starb, schloss sich auch Klaras Mutter dem Kloster ihrer Tochter an. Über die Familiensystematik, die dahinter stand konnte ich leider nichts herausfinden, aber wenn fast die gesamte weibliche Mitgliedschaft einer Familie nahezu zeitgleich in ein Kloster zieht, dann wird da wahrscheinlich auch einiges im Argen gelegen haben. Auch Klaras Hang zur selbstzerstörerischen Askese kam wahrscheinlich nicht von ungefähr.

San Damiano war bereits bei den Römern als Kraftplatz bekannt und viele verfolgte Christen hatten hier in den Jahrhunderten zuvor schon Zuflucht gesucht. Einen besseren Ort für die Gründung einer neuen Gemeinschaft konnte es also kaum geben. Klara lebte hier von nun an ein zurückgezogenes Leben in Stille, Armut und geschwisterlicher Gemeinschaft. Den Überlieferungen zufolge soll sie sich liebevoll und mütterlich um ihre Glaubensschwestern gekümmert haben. Nachts streifte sie durch die Schlafräume und deckte die Schwestern zu. Wenn eine die Glocke zur Mitternachtsmesse nicht hörte, dann schaute sie nach und weckte sie sanft, damit sie das Gebet nicht verpasste. Ähnlich wie Franz hatte auch sie dabei eigentlich keine wirkliche Ordensgründung im Kopf, sondern wollte lediglich das Recht haben nach ihren eigenen Vorstellungen im christlichen Glauben zu leben und dem von Jesus vorgeschlagenen Weg zu folgen. Doch damit war die Kirchenspitze nicht einverstanden. 1215 wurde ein Gesetz erlassen, nachdem alle neuen Frauengemeinschaften eine alte Ordensregel mit einer strengen Klausur annehmen und einhalten müssen. Die Regeln der absoluten Besitzlosigkeit, des Geschwisterlichkeit und der Gastfreundschaft, so wie Klara sie sich vorstellte, passten dabei jedoch nicht ins Konzept. Sie waren nicht massentauglich genug und so versuchten die Kardinäle und der Papst immer wieder, ihren Orden an ihre Vorstellungen anzupassen. Bis zu ihrem Tod kämpfte Klara jedoch mit Händen und Füßen dagegen an. Um dennoch anerkannt zu werden setzte sie gemeinsam mit Franziskus eine Entsprechende Grundregel auf, die sie vom Papst bestätigen ließ. Zwei Jahre ging das gut. Dann wurde sie vom neuen Papst überarbeitet und sowohl das Recht auf Besitzlosigkeit als auch die enge Verbindung zu den Franziskanern wurden daraus gestrichen. Lasst euch das noch einmal auf der Zunge zergehen! Klara setzte sich wirklich ihr Leben lang erfolglos für ein ‚Recht auf Besitzlosigkeit’ ein. Ist das nicht absurd? Wie aber kommt es, dass man einer Glaubensgemeinschaft das Recht auf Besitzlosigkeit verwehrt? Was steckt dahinter? Denn eigentlich konnte es dem Papst in seinem Palast in Rom doch vollkommen wurscht sein, ob sich ein paar Frauen irgendwo in den Bergen dafür entschieden, alles an Eigentum abzugeben oder nicht. Doch ich vermute, es ging dabei um etwas anderes. Keinen Besitz zu haben bedeutet auch, sich vom Prinzip des ‚Haben-Wollens’ zu lösen. Es bedeutet, dass man sich nicht mehr damit beschäftigt, nach mehr zu streben, sondern dass man die Zufriedenheit im gegenwärtigen Augenblick sucht. Für Franz war es eines der wichtigsten Grundverständnisse, dass alles in der Schöpfung, von Kieselstein bis hin zum Mammutbaum, von Regentropfen bis zum Ozean, von der Eintagsfliege bis zum Menschen absolut gleichberechtigt war. Alles enthielt die gleiche Schöpfungskraft und war damit selbst ein Teil von Gott. In diesem Verständnis lag auch das Verständnis der bedingungslosen Liebe. Nichts zu besitzen bedeutete also in seinem, ebenso wie in Klaras Verständnis also auch, allem eine Eigenständigkeit zuzugestehen. Ein Baum, ein Grundstück, eine Goldmünze oder eine Karotte können niemals mir gehören, da sie einen eigenen Geist und damit auch ein eigenes Bewusstsein besitzen. Sie gehören also nur sich selbst. Nichts zu besitzen war gleichzeitig aber auch ein Symbol dafür, nichts zu bevorzugen. Es war ein Schritt, der von unserer Objektliebe weg und hin zur bedingungslosen Liebe führte. Mit diesem Verständnis stellten die beiden alles auf den Kopf, was in der damaligen wie auch in der heutigen Gesellschaft die Grundfeiler für die Macht der Mächtigen war. Hätte sich die Idee damals verbreitet, so hätte sie den Kirchenstaat wieder einmal ins Wanken bringen können. Vielleicht stärker als je zuvor. Das durfte natürlich nicht passieren. Einem Menschen, der nichts besitzt, kann man auch nichts wegnehmen und man kann ihm keine Angst vor einem Verlust eintrichtern. Ein Mensch, der nichts besitzen will, der lässt sich auch nicht mehr mit süßen Versprechungen ködern und so in die Richtung bringen, in der man ihn gerne haben will. Damit fallen zwei der wichtigsten Grundmechanismen der Manipulation weg, auf der unsere Gesellschaft sein Jahrhunderten wenn nicht Jahrtausenden aufbaut. Dies sollte als Grund dafür, den verschrobenen Nonnen und Mönchen klare Grenzen aufzuzeigen, wahrscheinlich ausreichen.

Doch Klara ließ sich so schnell nicht unterkriegen. Sie konnte gegen die Regel, die ihr vom Papst aufdiktiert wurde zwar nichts unternehmen doch sie musste sie ja auch nicht unbedingt besonders beachten. Darüber hinaus führte sie in ihrem Kloster in San Damiano einige Neuerungen ein, die bis dahin fast vollständig unbekannt waren. So gab es einmal in der Woche eine Vollversammlung mit allen Schwestern, bei der alle Angelegenheiten des Klosters besprochen wurden. Diese Versammlungen hatten sogar einen Touch von einem Redekreis, wie er in indigenen Völkern praktiziert wird. Alles, was auch nur einer der Anwesenden für wichtig hielt kam auf den Tisch und wurde mit allen besprochen. Dabei war Ehrlichkeit und Offenheit das oberste Gebot und es wurden einstimmige Lösungswege gesucht. Außerdem legten alle Beteiligten ihre Fehler und Irrtümer offen, die sie in der vergangenen Woche gemacht hatten, so dass sie sich gemeinsam bei ihrem inneren Wachstum unterstützen konnten. In diesen Versammlungen wurden auch die Funktionsträgerinnen gewählt und zwar mit Hilfe einer demokratischen Abstimmung. Dies war in Klöstern wie auch im Rest der Gesellschaft bisher undenkbar gewesen. Vor allem auch deshalb, weil sogar das Amt der Äbtissin auf diese Weise gewählt wurde.

Klaras Schwester Agnes verließ das Kloster nach einiger Zeit und gründete ein weiteres in Prag, dass sie nach dem gleichen Vorbild führte. Die beiden Schwestern hegten jedoch noch immer einen guten Kontakt und Agnes ermunterte ihre Schwester immer wieder, dem Druck des Vatikans, der ihnen seine Regeln aufdiktieren wollte zu wiederstehen.

Fortsetzung folgt...

Spruch des Tages: Für den Fortschritt unseres Herzens verzichte ich gern

auf alle meine anderen Freuden. (Franz von Assisi)

 

Höhenmeter: 160 m

Tagesetappe: 12 km

Gesamtstrecke: 7737,77 km

Wetter: leicht bewölkt mit vielen Sonnenminuten

Etappenziel: Hotel Locanda del Brolio, Via Mazzini 8/10, 61044 Cantiano, Italien

Heiko Gärtner
Heiko Gärtner ist Wildnismentor, Extremjournalist, Survivalexperte, Weltreisender und einer der führenden Experten auf dem Gebiet der Antlitz- und Körperdiagnostik. Nachdem er einige Jahre als Agenturleiter und Verkaufstrainer bei einer großen Versicherungsagentur gearbeitet hat, gab er diesen Job auf, um seiner wahren Berufung zu folgen. Er wurde Nationalparkranger, Berg- und Höhlenretter, arbeitete in einer Greifenwarte und gründete schließlich seine eigene Survival- und Wildnisschule. Seit 2014 wandert er zu Fuß um die Welt und verfasste dabei mehrere Bücher.

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