Tag 432: Hin und wieder zurück

von Heiko Gärtner
11.03.2015 20:10 Uhr

Noch 3 Tage bis zu Heikos 2. Weltreisegeburtstag!

Gerade als wir unser eigenes Abendessen fertiggekocht hatten, kam der Superior der Mönche durch die Tür hereingeplatzt und lud uns zum gemeinsamen Essen mit den Brüdern ein. Noch vor ein paar Tagen hatten wir festgestellt, wie sehr es uns freute, dass die Italiener so viel Anstand und Höflichkeit besaßen und anders als die Spanier nicht einfach ungefragt in den Raum stürmten ohne ein Gefühl für Privatsphär zu besitzen. Doch das schien sich in der letzten Zeit akut geändert zu haben. Bereist am Vortag bekamen wir in unserem Raum im Gemeindezentrum immer wieder ungebetenen Besuch vom Pfarrer oder vom Mesmer. Klar war es jedes Mal nett gemeint und sie wollten uns fragen, ob wir etwas zum Essen oder eine Dusche brauchten oder sie wollten uns zur Messe einladen. Doch das änderte nichts an dem Gefühl des überrumpelt werden. Vor allem in der Früh, als der Pfarrer nachschauen wollte, ob wir schon wach waren, empfanden wir sein Eintreten nicht gerade als angenehm. Als er die Tür öffnete schliefen wir noch, dann nicht mehr.

Jetzt standen wir in dem Dilemma, dass unser eigenes Essen zwar nur aus Reis mit ein paar Möhren und Tomaten bestand, dafür aber jetzt in diesem Moment seine Idealtemperatur erreicht hatte. Nach kurzem hin und her und einigem Drängen des Mönches nahmen wir seine Einladung an. Die Auswahl war hier etwas größer, doch dafür waren alle Speisen kalt und konnten, wenn man es wollte in der Mikrowelle aufgewärmt werden. Doch darauf verzichteten wir. Kochen, das musste man leider immer wieder sagen, war nicht ihre Stärke. Nicht die der Italiener und die der italienischen Mönche schon gar nicht.

Allerdings erfuhren wir beim Essen, dass Heiko mit seiner Berechnung Recht gehab hatte. In Rimini lebten nach ihren Angaben rund 200.000 Menschen und im Sommer kamen noch einmal gut und gerne 2 Millionen Touristen hinzu. Die Frage war noch immer warum, aber das wird uns wohl nie ganz klar werden.

Je weiter wir und heute vom Stadtkern entfernten, desto billiger und heruntergekommener wurden die Hotels. Vor einigen Jahren, als wir in für eine längere Reise in der Türkei waren, hatten wir uns darüber gewundert wie dort mit den Hotels umgegangen wurde. Während der Saison waren sie vollkommen ausgebucht und sobald die Saison vorbei war, wurden sie dem Verfall überlassen. Im Winter sah dann alles aus wie in einer Geisterstadt und man konnte sich nicht vorstellen, dass hier jemals wieder ein Tourist auftauchen würde. Doch im Frühjahr wurde dann alles wieder auf Vordermann gebracht. Der Rost wurde abgeschliffen, die Betonverschalungen ne gegossen, die Lichter repariert, die Straßen ausgebessert, die Markisen neu bespannt und zu guter Letzt alles mit frischer Farbe übertüncht. Damals hatten wir geglaubt, dass dies eine typische Prozedur in der Türkei war, weil hier die Bauarbeiter billiger waren, als es die Instanthaltungskosten für die Hotels wären. Doch das scheint nicht nur dort der Fall zu sein. Hier war es genau das gleiche. Alles sah aus wie nach einer Zombieattacke, doch überall kamen bereits die fleißigen Arbeiterbienchen hervor und begannen mit der Reparatur.

Wie sich herausstellte war die Küste auch hier so, wie wir sie bereits von Spanien, Frankreich und Westitalien kannten. Wirkliche Strandpromenaden gab es selten, dafür aber immer eine Straße, die direkt am Wasser entlang fuhr. Langsam kannten wir das Prinzip ja, aber das machte es nicht besser. Wie zur Hölle konnte man sein größtes Kapital so verschandeln und dabei glauben, dass sich das nicht negativ auf den Tourismus auswirkte? Und wie in alles in der Welt konnte man mit dieser absurden Annahme dann auch noch Recht haben?

Der Sturm, der die letzten Tage hier in der Gegend gewütet hat und dessen Höhepunkt wir im Hotel della Salute erlebt hatten, war auch am Strand nicht spurlos vorbeigegangen. Der Sand war teilweise bis zu einem Meter aufgetürmt und hatte an einer Stelle sogar eine kleinere Strandbude komplett verschüttet.

In Bellaria wurden wir dann mal wieder an die Grenze unserer Geduld geführt. In der Kirche trafen wir einen Pfarrer an, der jedoch behauptete, nicht der Pfarrer dieser, sondern einer anderen Gemeinde zu sein. Der Mann, der hier zuständig war, käme in einer Viertelstunde. Falls er uns dann absagen würde, könnten wir die zwei Kilometer ins Landesinnere wandern und in seiner Gemeinde übernachten. Doch wie immer wenn uns in diesem Land jemand eine Zeitangabe gemacht hatte, war sie gelogen. Oder zumindest falsch. Denn auch eine Halbe- und eine Dreiviertelstunde später war niemand da. Doch sollten wir wirklich den 2km langen Umweg wagen? Was war, wenn er nicht nur bei der Zeit gelogen hatte. Vielleicht war er selbst auch nicht da und dann wären wir eine Stunde umsonst gegangen. Schließlich tauchte eine ältere Frau auf und verschwand im Kirchenhaus. Auch sie vertröstete uns lediglich auf den Pfarrer, der ihrer Angabe nach um 15:00 Uhr kommen sollte, also eine Stunde später als und der andere Mann gesagt hatte. Das war doch zum Kotzen! Wie viel Zeit man hier mit unnötiger Warterei verschwendete! Ich spürte, wie in meinem inneren die Wut aufkochte. Wenn ich ehrlich war, dann eigentlich mehr auf mich selbst, als auf irgendjemand anderen, weil ich schon wieder den Fehler gemacht hatte, den Menschen zu glauben. Ich wusste doch, das sie so unzuverlässig waren wie die Bahn. Warum also fielen wir immer wieder darauf herein? Plötzlich tauchte ein Mann mit einer leuchtend bunten Mütze vor mir auf, der mich gleich wild anplapperte und fragte ob wir Perregrinos, also Pilger seien. Ich hatte nicht die geringste Lust mich mit ihm zu unterhalten und wollte ihn eigentlich nur schnell abwimmeln, doch er ließ nicht locker. Und er war dabei sogar relativ freundlich. Reagierte ich vielleicht gerade über? Es war so ungewohnt geworden, wirklich nette Menschen zu treffen, dass wir diesen sogar noch mehr mistrauten, als den missmutigen, weil wir nicht mehr glauben konnten, dass ihre Freundlichkeit echt war. Es musste doch einen Haken geben! Oder nicht?

Ich kam nicht richtig dazu, mir eine Meinung zu bilden, denn der Fremde bot uns nun an, in einer kleinen Pilgerherberge zu übernachten, die er hier besaß. Es war unwahrscheinlich, dass es hier eine Pilgerherberge gab, denn es gab hier keinen Pilgerweg, aber hellhörig wurden wir trotzdem. Die Übernachtung wäre umsonst, es gäbe eine Küche, warme Betten, eine Dusche und sogar einen Kamin zum heizen. Der einzige Haken war, dass wir eineinhalb Kilometer zurück in die Richtung mussten, aus der wir kamen. Es war also auch nicht viel besser, als das Angebot des anderen Pfarrers, doch aus irgendeinem Grund ließen wir uns darauf ein.

Wenige Minuten später kam die Wut auf uns selbst und auf die Unzuverlässigkeit der Menschen hier ein zweites Mal in uns auf. Denn die 1,5km waren genauso untertrieben gewesen, wie die Viertelstunde Wartezeit. Wir wanderten nicht nur in diesem Ort zurück sondern auch noch komplett durch den nächsten hindurch bis kurz vor die Stelle, an der wir unsere Mittagspause gemacht hatten. Langsam kamen wir uns wirklich verarscht vor und fast schon hatten wir beschlossen, einfach wieder umzukehren und uns eine andere Möglichkeit zu suchen. Warum aber waren wir in diese Situation geraten? Was wollte sie uns spiegeln? Was hatte sie mit uns zu tun? Heute war bereits der dritte oder vierte Tag in Folge, an dem wir immer wieder die gleichen Strecken hin und zurück liefen. In San Marino mussten wir aufgrund der falschen Wegbeschreibung drei Mal den gleichen Berg rauf und runter. Dann hatten wir uns in dem Kleinstaat so verfranzt, dass wir ständig im Kreis liefen und fast die doppelte Strecke bis nach Rimini brauchten. Und gestern in Rimini wurden wir auch noch einmal in einem riesigen Bogen außen um die Innenstadt herumgeführt bis wir sie endlich fanden, nur um dann den gleichen Bogen zurück zu gehen, weil wir Angst hatten uns zu verlaufen, wenn wir den direkten Weg wählten. Das war alles in allem ein bisschen zu häufig um ein Zufall zu sein. Was also stand dahinter. Uns fiel auf, dass wir das gleiche auch in unserem Inneren immer wieder durchliefen. Es war nicht so, dass wir nicht vorankamen, wie ich es immer wieder von mir selbst geglaubt hatte. Wir kamen sogar sehr gut voran, liefen dann jedoch immer wieder ein ordentliches Stück zurück oder verirrten uns und brauchten deshalb die dreifache Strecke. Wie oft hatten wir uns bereits positive Routinen angewöhnt und dann wieder verloren? Wie oft hatte ich bereits wichtige Erkenntnisse über mich selbst oder das Leben gehabt und dann wieder vergessen? Wie oft hatten wir auf der finanziellen Ebene große Erfolge gehabt um dann anschließend wieder Verluste zu haben, die fast genauso hoch waren? Egal in welchen Lebensbereich wir schauten, immer trafen wir auf dieses System.

Plötzlich tauchte die Straße vor uns auf und von weitem sahen wir bereits die Mütze des Mannes leuchten, der uns freudig winkte. Er freute sich so sehr uns zu sehen, dass unser Groll sofort wieder verflogen war. Er hatte es ja nicht böse gemeint. Er hatte lediglich keine Vorstellung von Distanzen gehabt.

Spruch des Tages: Unser Planet braucht keine weiteren Erfolgsleute. Der Planet braucht mit Bestimmtheit mehr Friedensstifter, Heiler, Bewahrer, Geschichtenerzähler und Liebende aller Art. (Dalei Lama)

 

Höhenmeter: 0 m

Tagesetappe: 22 km

Gesamtstrecke: 7938,77 km

Wetter: Durchgängig bewölkt, kalt und windig.

Etappenziel: Zur Pilgerherberge umgebautes Bootshaus, 47814 Igea Marina, Italien

Heiko Gärtner
Heiko Gärtner ist Wildnismentor, Extremjournalist, Survivalexperte, Weltreisender und einer der führenden Experten auf dem Gebiet der Antlitz- und Körperdiagnostik. Nachdem er einige Jahre als Agenturleiter und Verkaufstrainer bei einer großen Versicherungsagentur gearbeitet hat, gab er diesen Job auf, um seiner wahren Berufung zu folgen. Er wurde Nationalparkranger, Berg- und Höhlenretter, arbeitete in einer Greifenwarte und gründete schließlich seine eigene Survival- und Wildnisschule. Seit 2014 wandert er zu Fuß um die Welt und verfasste dabei mehrere Bücher.

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